Intelligent Design – Fundamentalismus oder unbequeme Herausforderung?

18. April 2016 in Kommentar


"Trotz der offenkundigen Unterschiede zum Kreationismus wird das Intelligent Design Movement (ID) verdächtigt, genauso antimodern und wissenschaftsfeindlich zu sein." Von Prof. Berthold Wald


Paderborn (kath.net) Wer einmal dem Fundamentalismus-Vorwurf ausgesetzt ist, kann sich in einer medial gesteuerten Welt der Kommunikation kaum dagegen wehren. Trotz der offenkundigen Unterschiede zum Kreationismus wird das Intelligent Design Movement (ID) verdächtigt, genauso antimodern und wissenschaftsfeindlich zu sein. Die Ächtung kommt dabei gleichermaßen aus Politik, Naturwissenschaft und Theologie. Der Europarat warnt 2007 seine Mitgliedsstaaten und das römische Symposion zum Darwinjahr 2009 schließt medienwirksam jede Teilnahme des ID aus.

Meine These wird sein, dass der Fundamentalismus-Vorwurf dazu benutzt wird, Erklärungsschwächen zu bemänteln und unbequeme Fragen auf Distanz zu halten. Denn es sind nicht biblisch gestützte Glaubenssätze, sondern allein Erkenntnisse aus dem Bereich der Molekularbiologie, mit denen ID-Theoretiker wie Micheal Behe und William Demski gegen die Vollständigkeitsbehauptung naturalistischer Erklärungen argumentieren. ID ist darum sowohl eine unbequeme Herausforderung für den Neo-Darwinismus, wie für jene Theologen, welche den neo-darwinistischen Erklärungsansatz für die wissenschaftlich zugänglichen Fakten der Evolution faktisch anerkennen und lediglich durch eine theologische Perspektive ergänzen (vgl. Hattrup 2008; Kessler 2009; Kummer 2009). Dieser neue Kompatibilismus von Schöpfungslehre und Evolutionstheorie, mit dem manche Theologen glauben, endlich Frieden durch gegenseitige Anerkennung von Geltungsansprüchen erreichen zu können, wird durch die ID-Theorie empfindlich gestört. Die Frage wird sein, ob der erhoffte Friede von Dauer sein kann oder nur ein fauler Friede ist – ohne Aussicht auf Bestand.

A. Intelligent Design als Herausforderung für den Neo-Darwinismus

Immer schon haben die Menschen danach gefragt, wie die offenkundige Ordnung und Zweckmäßigkeit in der Natur – anders gesagt, wie die offenkundigen Anzeichen von Design in der Natur zustande kommen. Seit Aristoteles auf der Basis der ihm zugänglichen Fakten diese Frage systematisch untersucht hat, galten jahrhundertelang von den möglichen Erklärungen zwei als ausgeschlossen: die mythische Erklärung des Naturgeschehens durch ein direktes Einwirken der Götter und die frühe naturphilosophische Erklärung, welche die Ordnung in der Natur aus der zufälligen Wechselwirkung materieller Teilchen zu erklären suchte (Vgl. Aristoteles, Physik II, 4-9). Eine solche vernunftlose Entstehung offenkundig zweckmäßig gebauter Organismen erschien ihm absolut unerklärlich und gegen alle Vernunft. Die Beobachtung lehrt: artgleiche Lebewesen entstehen durch Zeugung und entwickeln sich von selbst, und die Vernunft belehrt uns darüber, das es die faktische Regelhaftigkeit und Zweckmäßigkeit des Natürlichen weder im Einzelfall durch Zufall, geschweige denn im Ganzen ohne ein zweckgerichtetes immanent wirksames Vernunftprinzip geben würde.

Auch heute würde kein Biologe die Existenz von offenkundiger Zweckmäßigkeit in der Natur bestreiten, „die uns bei allen Lebewesen, ihren Bauplänen Organen usw. auf Schritt und Tritt begegnet; was jedoch verneint wird, ist die Voraussetzung einer Finalität [Zweckursache] zur Erklärung des Zustandekommens von Zweckmäßigkeit.“ (Kessler 2009, 65). Die von Charles Darwin vorgelegte Erklärung einer zweckfreien Entstehung von Zweckmäßigkeit aus dem Zusammenwirken von Mutation und Selektion gilt daher als der entscheidende Durchbruch zu echter Wissenschaftlichkeit in der Biologie. Damit scheint die von Aristoteles für einzig vernünftig gehaltene Vernunfterklärung intelligenter Naturprozesse hinfällig zu sein. Leben entsteht von selbst, bedeutet jetzt: Es entsteht ohne das Wirken eines Schöpfergottes und ohne eine kausal wirksame Vernunft.

I. Grundthesen des Neo-Darwinismus
1. Mutation und Selektion

Darwins Grundgedanke bedient sich der Züchtungsanalogie und ist überraschend einfach. Was die Menschen sich immer schon in der Tierzucht zunutze gemacht haben, die gezielte Auswahl und Paarung von Tieren mit zufällig veränderten Eigenschaften, führt auch unter Naturbedingungen zur allmählichen Veränderung und Optimierung der Lebewesen. Die „natürliche Zuchtwahl“ geschieht gewissermaßen von selbst und verläuft ohne Plan und Ziel. Auf diese Weise entsteht eine immer weiter zunehmende Fülle zweckmäßig organisierter Lebensformen allein durch das Zusammenwirken von zwei Naturprinzipien: Mutation und Selektion. Zufällig auftretende Veränderungen an einem Lebewesen führen dann nicht zum Tod, wenn sie vorteilhaft für sein Überleben sind. Ebenso werden allmähliche Veränderungen des Lebensraums von solchen Lebensformen genutzt, deren Eigenschaften per Zufall an die veränderten Lebensbedingungen angepasst sind. Es findet also stets eine natürliche Selektion statt, welche nur solche Mutationen passieren lässt, die sich als zweckmäßig erweisen. Hinzu kommt eine weitere allerdings sehr spekulative Annahme, die dieses Erklärungsmuster zu einer Theorie der Naturgeschichte im Ganzen erweitert. Darwin beansprucht, auch die Entstehung immer neuer Arten aus einer einzigen ursprünglichen Lebensform erklären zu können - allein durch Mutation und Selektion -, wenn dafür ein zeitlicher Rahmen von etlichen Millionen Jahren gegeben ist. Und da wir wissen, dass dies der Fall ist, nimmt er an, dass über unendlich viele Zwischenstufen aus dem ersten Keim des Lebens allmählich – allein durch zufällige Mutation und unvermeidliche Selektion – eine Fülle unterschiedlicher Arten entstehen konnte.

2. Genetik und Erbinformation
Darwin hat selbst gesehen, dass seine Theorie zwei gewichtigen Einwänden ausgesetzt ist. Der eine stützt sich auf die Komplexität der Lebensformen und der andere auf die zu erwartenden unzähligen Zwischenformen. Noch in einer anderen Hinsicht fehlte Darwins Theorie die für eine wissenschaftliche Theorie notwendige Evidenz: es gibt keine Möglichkeit der experimentellen Überprüfung seiner Theorie. Ob die angenommenen Bedingungen tatsächlich die alleinige Ursache für die Höherentwicklung und Ausdifferenzierung der Lebensformen gewesen sind, wird sich rückwirkend nicht mehr feststellen lassen. Es mag so gewesen sein, aber Gewissheit durch Beobachtung und Experiment ist darüber nicht zu erlangen. Und was die Lebensfähigkeit und die Veränderung der Arten anbelangt, so fehlte es ihm an einer befriedigenden Erklärung des Kausalmechanismus, der Stabilität und Veränderung der Lebensformen bewirken soll.

In diesem letzten Punkt hat sich die Erkenntnislage der Biologie grundlegend verändert. Primäres Forschungsobjekt für Darwin war die mit dem bloßen Auge zu beobachtende Fauna und Flora in ihrer unendlichen Vielgestaltigkeit, noch ganz so wie zur Zeit des Aristoteles. Deshalb unternahm Darwin ausgedehnte Reisen zum vergleichenden Studium der Lebensformen. Sein Forschungsraum war die Natur. Heute ist das primäre Forschungsobjekt der Biologie nicht mehr der Formenreichtum der Tierwelt. Forschungsraum der modernen Biologie ist das Labor und ihr Gegenstand sind Aufbau und Funktion des Organismus. Biologie ist heute vor allem Molekularbiologie und Zellchemie. Diese Erweiterung des biologischen Wissens hat sich der Neo-Darwinismus zunutze gemacht, um der Wirkungsweise der beiden Grundprinzipien des Darwinismus eine überprüfbare Form zu geben. Wir wissen heute, dass Stabilität wie Veränderung der Lebensformen auf einem Mechanismus beruhen, worin biologische Erbinformation über Aufbau und Funktion der Zellen mittels identischer Kopien im Prozess der Zellteilung gesichert werden. Dieser Prozess dient ausschließlich der Selbsterhaltung, auch dort, wo sich Veränderungen einstellen. Beides ist notwendig, damit ein Organismus sich in einem gewissen Rahmen an veränderte Lebensbedingungen anpassen kann und dadurch überlebens- und fortpflanzungsfähig bleibt. „Der Mutations- und Selektionsmechanismus ist ein Optimierungsmechanismus.“ (Erbrich 1988, 217). Kopierfehler werden also nur dann vom biologischen System „belohnt“, wenn die zufällig veränderte Lebensform einen Überlebensvorteil hat, - wenn nicht, greift das Selektionsprinzip und das Lebewesen stirbt.

Hier darf man allerdings auf einen wichtigen Unterschied nicht übersehen: Zu wissen, wie dieser „Mechanismus“ funktioniert, bedeutet nicht, zu wissen, wie er entstanden sein könnte. Und genau darum, um die Entstehung zweckmäßiger biologischer Mechanismen, dreht sich aller Streit. Die genetische Grundlage des Lebens ist derart komplex und ihr zufälliges Entstehen derart unwahrscheinlich, dass selbst ein führender Neo-Darwinist wie Richard Dawkins ein Buch mit dem Titel schreiben konnte: „Gipfel des Unwahrscheinlichen. Wunder der Evolution“ [1996]. Im Vorwort zu seinem wohl populärsten Buch „Der blinde Uhrmacher“ bekennt er von sich: „Eines meiner Ziele in diesem Buch ist es ja, etwas von dem unglaublichen Wunder der biologischen Komplexität an jene weiterzuvermitteln, deren Augen diesem Wunder noch nicht geöffnet sind.“ (Dawkins 2009, 7). Das spezifische Problem der Biologie ist das Problem der ungeheuren molekularen Komplexität. Darin unterscheidet sie sich grundlegend von der Physik. Physikalische Objekte, die in einem Physikbuch beschrieben werden, sind allesamt „einfacher als eine einzige Zelle im Körper des Physikbuchautors“, der wiederum „aus Billionen solcher Zellen“ besteht, und die „alle mit Hilfe einer hochqualifizierten Architektur und Präzisions-Ingenieurtechnik zu einer Art Arbeitsmaschine zusammengebaut sind, dazu fähig, ein Buch zu schreiben.“ (Ebd., 15).

Trotz dieser höchst erstaunlichen Präzision und Zweckmäßigkeit des Lebendigen und „entgegen aller Intuition“ behauptet Dawkins, dass auf die Annahme eines schöpferischen Planers verzichtet werden kann, weil es heute eine „viel plausiblere Möglichkeit gibt, wie aus ursprünglicher Einfachheit ein komplexer ‚Plan’ entstehen kann.“ (Ebd., 10). Diese Möglichkeit ergibt sich für ihn aus der Verbindung von Molekularbiologie und klassischem Darwinismus zu einer nun auch wissenschaftlich gestützten „Theorie langsamer kumulativer Vorgänge“ (ebd.) auf der Basis von Mutation und Selektion. Zeit spielt allerdings auch in der verbesserten Theorie weiterhin die Hauptrolle, weil so unendlich komplexe Wesen, wie sie heute existieren, „nicht in einem einzigen Akt des Zufalls entstehen können.“ Sie können nur entstanden sein „als Folge allmählicher, kumulativer, schrittweiser Veränderungen von einfachen Dingen“. (Ebd., 28). Was so aussieht, wie geplant [designed] ist „allen Anzeichen zum Trotz“ das zufällige Resultat von „blinden Kräften der Physik“. „Die natürliche Zuchtwahl, der blinde, unbewußte, automatische Vorgang, den Darwin entdeckte und von dem wir heute wissen, dass er die Erklärung für die Existenz und scheinbar zweckmäßige Gestalt allen Lebens ist, zielt auf keinen Zweck.“ (Ebd., 18).

II. Grundthesen des Intelligent Design

Diese kurze Zusammenfassung der von vielen Biologen (und Theologen) geteilten Ansichten Richard Dawkins war notwendig um zu verstehen, weshalb die Grundthesen des ID den Neo-Darwinismus an seiner empfindlichsten Stelle treffen. Das ist weder der weltanschauliche Konflikt um den Atheismus, den ich hier ausgeklammert habe. Noch geht es um Mutation und Selektion im allgemeinen. Der Kritik des ID stütz sich vielmehr auf dieselben wissenschaftlichen Grundlagen, von denen Dawkins behauptet, dass mit ihrer Hilfe die zum Teil noch spekulativen Annahmen Darwins durch den molekularbiologischen Erkenntnisfortschritt heute als gültig erwiesen sind. Wenn Dawkins die schwindelerregende Komplexität einer einzelnen Zelle im Zusammenwirken aller Informationen zum Gipfel des Unwahrscheinlichen erklärt, so hat er dies ausschließlich aus dem einen Grund getan, um das Geheimnis „wieder abzubauen, indem ich es erkläre.“ (Ebd., 7). Das ID tritt mit dem entgegengesetzten Anspruch auf zu zeigen, warum die von Dawkins vorgelegte Erklärung scheitern muss. Es kommt also zur Beurteilung dieses Konflikts allein darauf an, was sich anhand des heute bekannten Zellmechanismus über die Möglichkeit zufallsgesteuerter Entwicklungsprozesse wissenschaftlich rechtfertigen lässt. Karl Popper hat bereits vor Jahren auf den wunden Punkt einer angeblich verbesserten Evidenzbasis im Neo-Dawinismus hingewiesen, wenn er schreibt: „Weder Darwin noch irgendein Darwinist haben bisher eine effektive kausale Erklärung, d. h. eine naturwissenschaftliche Erklärung der adaptiven Evolution eines einzigen Organismus oder Organs geliefert. Es wurde lediglich gezeigt – und das ist schon sehr viel -, dass es solche Erklärungen geben kann (das heißt, dass sie logisch möglich sind).“ (Popper 1984, 280). Die Vertreter des ID gehen aber noch weiter und behaupten, dass wegen der irreduziblen Komplexität biologischer Prozesse und Organfunktionen auch diese logische Möglichkeit faktisch nicht besteht. Damit wird das ID zu einer direkten Herausforderung für den Darwinismus und alle späteren Versuche rein naturalistischer Erklärungen für den Ursprung des Lebens und die Entstehung immer neuer Lebensformen. (vgl. Demski 2004, 33).

1. Differenz zum Kreationismus

Das zentrale Argument des ID gegen den Neo-Darwinismus ist die These, dass sein Erklärungsanspruch an biologischen Strukturen von irreduzibler Komplexität scheitern muss. Dies genügt bereits, um den Unterschied zum Kreationismus zu verstehen. Immer wieder wird der Eindruck erweckt, als sei das ID nur die raffiniertere Form des Kreationismus, also eine Art Neo-Kreationismus, wie der Neo-Darwinismus nur eine raffiniertere Form des Darwinismus sei. Doch abgesehen davon, dass der Neo-Darwinismus sich tatsächlich als Weiterentwicklung des Darwinismus versteht, ist dies beim ID im Verhältnis zum Kreationismus gerade nicht der Fall. Michael Behe, Professor für Biochemie in den USA und einer der führenden Köpfe des ID berichtet, wie er als Schüler und noch als Student die Evidenzen für Darwins Evolutionstheorie für extrem stark (ultra strong) gehalten hat (Behe 2004, 134). Die Selbstverständlichkeit und Vermittlung dieser Überzeugung gehörte einfach zum Unterrichtsprogramm einer katholischen Gemeindeschule wie später auch zu den Lehrplänen in Biologie an der Universität. Im Unterschied zu einigen evangelischen Freunden hatte er auch darum kein weltanschauliches Problem mit dem Darwinismus, weil „wir Katholiken in dieser Frage ganz emotionslos (always cool) waren aufgrund der Überzeugung, dass Gott Leben auf jede erdenkliche Weise hervorbringen konnte, wenn er will“. (Ebd., 133).

Heute denkt Behe nicht mehr so. Für die Änderung seiner Überzeugung war nicht sein katholischer Glaube ausschlaggebend, sondern allein die immer bessere und umfassendere Kenntnis der Zellbiologie. Das bedeutet nicht, dass er alle früheren Überzeugungen aufgegeben hätte. Auch heute besteht für ihn kein Grund daran zu zweifeln, „dass das Universum Milliarden von Jahren alt ist, wie dies die Physiker angeben. Außerdem ist für mich der Gedanke einer gemeinsamen Abstammung (die Auffassung, dass alle Organismen einen gemeinsamen Vorfahren haben) ziemlich überzeugend.“ Ausdrücklich wird anerkannt, „dass Evolutionsbiologen Enormes zu unserem Verständnis der biologischen Welt geleistet haben.“ (Ebd., 23). Nichts davon würde ein Kreationist zugestehen, weil es mit seiner Auslegung der biblischen Schöpfungsgeschichte unvereinbar wäre. Aber obwohl für Behe, anders als für die Kreationisten, „Darwins Mechanismus - die natürliche Selektion auf der Grundlage von Mutation - viele Sachverhalte erklären kann“, glaubt er nicht, „dass er [dieser Mechanismus] imstande ist, das molekulare Leben zu erklären.“ (Ebd.).

2. Irreduzible Komplexität

Für Behe ist heute erwiesen: War Darwins Theorie in Einklang mit dem biologischen Wissen seiner Zeit, so ist das heute – nach 150 Jahren - nicht mehr der Fall. Darwin wusste allerdings sehr wohl, wodurch seine Theorie widerlegt sein würde. „Wenn gezeigt werden könnte, dass irgendein komplexes (zusammengesetztes) Organ existiert, das auf keine Weise durch zahlreiche, aufeinander folgende geringfügige Modifizierungen entstanden sein kann, dann würde meine Theorie ganz und gar zusammenbrechen.“ (Darwin 2008, 224). Er konnte nicht ahnen, welcher Komplexitätsgrad sich unter der sichtbaren Oberfläche der Lebewesen verbirgt. Das damalige Wissen gelangte wohl bis an die Schwelle der Zellbiologie, aber nicht darüber hinaus. Die Zelle war für Darwin gewissermaßen noch eine „Black Box“, in die niemand Einblick nehmen konnte. Das hat sich grundlegend geändert. Doch im Unterschied zum Neo-Darwinismus hat das ID in der Konsequenz des biochemischen Erkenntnisforschritts die Erklärungsreichweite des Darwinschen Selektionsmechanismus eingeschränkt, - in etwa vergleichbar damit, wie nach Einsteins Entdeckung der Relativität der Erklärungsanspruch der Newtonschen Physik eingeschränkt wurde auf den Bereich makrophysikalischer Objekte.

Deshalb wundert es nicht, dass es schon vor Behes Theorie des ID eine wissenschaftlich fundierte Kritik am Neo-Darwinismus auf der Basis „biochemischer Einwände gegen die Evolutionstheorie“ (so der Untertitel von Behe 2007) gegeben hat. Bruno Vollmert, Chemiker auf dem Gebiet der Makromolekularchemie und Direktor des Instituts für Polymerchemie an der TU Karlsruhe, hat bereits in den neunziger Jahren „Darwins Lehre im Lichte der Molekularen Chemie“ überprüft (Vollmert 1985 und 1995) und dabei nachgewiesen, dass die für die Entstehung des Lebens notwendige Stabilität in der Kettenbildung von DNS-Molekülen auf chemischer Basis allein nicht möglich ist. Deshalb habe Karl Popper inzwischen Unrecht mit seiner Meinung, Darwins Lehre sei keine wissenschaftlich überprüfbare Theorie (vgl. Popper 1979, 244, 248).
Eben diese Überprüfung ist heute in noch größerem Umfang möglich geworden durch eine verbesserte Kenntnis der Zusammensetzung und Funktionsweise komplexer biologischer Systeme. Behe zeigt dies am Aufbau komplexer biologischer Teilsysteme wie dem Cilium, einer Art molekularer Kleinstmotor zu Fortbewegungszwecken etwa von Spermien, sowie der Blutgerinnung und des Immunsystems. Alle diese hochkomplexen Systeme sind irreduzibel komplex, was bedeutet: Der Verlust oder die Veränderung eines Teils würde zum Funktionsverlust des ganzen Systems führen, wie umgekehrt dessen Funktion erst zustande kommt, wenn alle Teile vorhanden sind. Behe erläutert das am Beispiel einer mechanischen Mausefalle, deren Teile allesamt notwendig sind, um die Funktion der Falle zu emöglichen und zu erhalten (Behe 2007, 77 ff.). Ein solcher Mechanismus kann nicht schrittweise entstehen, weil alle Teile zum Funktionieren der Falle erforderlich sind und zueinander passen müssen. Wie eine Mausefalle z. B. ohne Schlagbügel noch nicht funktionsfähig wäre, so wären bei einem zufälligem schrittweisen und d. h. zunächst unvollständigen Aufbau im übrigen wesentlich komplexere Organsysteme nicht funktionsfähig. Sie würden daher im „Überlebenskampf“ versagen.

Angesichts der Zweckmäßigkeit ihrer Teile und deren Zusammensetzung zu einem Ganzen, also angesichts des unverkennbares Designs, ist dessen Rückführung auf einen intelligenten Designer nicht bloß eine nur schwer zu vermeidende Illusion (Dawkins 2009, 33), sondern eine schlichte Erklärungsnotwendigkeit. Die Annahme einer planenden Vernunft besagt allerdings nichts darüber, wie irreduzibel komplexe Organismen zustande kommen, sondern lediglich, dass sie nicht ohne intelligente Planung zustande kommen können. Eine dem ID häufig unterstellte interventionistische Konzeption einer punktuell eingreifenden Vernunft (z. B. Lüke 1996, 283) liegt außerhalb seines Erklärungsanspruchs. Sie wird daher, wie übrigens auch das naturphilosophische Teleologieargument, nicht in Anspruch genommen. Eine immanent wirksame teleologische Kraft ist dagegen aus Sicht des ID mit den biologischen Fakten vereinbar. Ich zitiere noch einmal William Demski, als Mathematiker und Philosoph einer der führenden Köpfe des ID: „Wir verstehen nicht, wie die Quantenmechanik funktioniert, aber wir wissen, dass sie funktioniert. Ebenso verstehen wir auch nicht, wie ein nicht in diese Welt eingelassener Planer [an unembodied designer] spezifische Komplexität zustande bringt, aber wir können wissen, dass nur ein Designer diese spezifische Komplexität in die Dinge dieser Welt hineingelegt haben kann.“

Wenn es Organismen von irreduzibler Komplexität gibt, dann kann die Funktionalität eines biologischen Mechanismus durch Mutation und Selektion allein – das heißt in einem allmählichen Prozess schrittweiser Veränderungen – nicht zustande kommen. Wenn es dagegen keine irreduzibel komplexe Organismen gibt, dann sollte es dem Neo-Darwinismus inzwischen gelungen sein, den Gegenbeweis anzutreten und eine kausale Erklärung dafür anzubieten, wie konkrete biologische Systeme von selbst entstanden sein können. Dies ist trotz gegenteiliger Behauptungen offensichtlich bis heute nicht gelungen. Bei der Durchsicht der führenden Fachzeitschriften und Lehrbücher lässt sich für einen kompetenten Biochemiker leicht feststellen, dass es bisher kein einziges überzeugendes Beispiel einer kausalen Erklärung dafür gibt, wie Leben allein durch Mutation und Selektion entstanden sein kann. Bezeichnend dafür ist die in dieser Frage offensichtliche Erfolglosigkeit der führenden amerikanischen molekularbiologischen Fachzeitschrift für Fragen der Evolution. „Als die molekulare Grundlage des Lebens entdeckt wurde, begann man den Evolutionsgedanken auf Moleküle anzuwenden. Als immer mehr fachbezogene Forschungsartikel auf diesem Gebiet erschienen, rief man [1971] eine Zeitschrift ins Leben, die sich auf dieses Gebiet spezialisierte – das Journal of Molecular Evolution.“ (Behe 2007, 259). Wenn man Behe Glauben schenken darf, dann haben sich die Hoffnungen, die zur Gründung dieser Zeitschrift führten, auch nach vierzig Jahren nicht erfüllt. „Keine einzige in JME publizierte Abhandlung hat seit dem erstmaligen Erscheinen dieser Zeitschrift je ein detailliertes Modell vorgeschlagen, in dessen Rahmen ein komplexes biochemisches System in allmählicher, schrittweiser Manier à la Darwin hätte entstehen können.“ (Ebd., 276). Die Erfolge in der biochemischen Sequenzierung immer komplexerer Genome bis hin zum Genom des Menschen sind zwar beachtlich, aber dennoch kein Grund zur Hoffnung, in der Frage nach der Entstehung des Genoms voranzukommen. „Sieht man andere biochemische Zeitschriften durch, findet man das gleiche Ergebnis: immer wieder Sequenzen, aber keine Erklärungen“, wie diese zustande gekommen sein könnten. (Ebd., 280). Die amerikanische Biologin Lynn Margulis hat die gegenwärtige Situation so beschrieben: „Wie eine süße Zwischenmahlzeit, die für einige Zeit unseren Hunger stillt, aber uns die nahrhafte Kost vorenthält, so stellt der Neo-Darwinismus die Wissbegierde mit Abstraktionen zufrieden, die wichtige Details weglassen – metabolische Details, biochemische, ökologische oder naturgeschichtliche.“ (zit. bei Lennox 2009, 136). Wenn das eine zutreffende Beschreibung der Forschungslage ist, dann wird vielleicht eher verständlich, weshalb die Anhänger des Neo-Darwinismus die Auseinandersetzung mit dem ID nicht auf wissenschaftlicher sondern auf politischer Ebene suchen, unter anderem durch die rufschädigende Gleichsetzung mit dem Kreationismus.

B. Intelligent Design als Herausforderung für die Theologie

War die Naturphilosophie der Antike der Versuch, Naturvorgänge aus sich selbst heraus zu verstehen, so war auch die christliche Schöpfungstheologie von Anfang nicht bloß mit Auslegungsfragen befasst. Nicht erst die theologischen Aufklärer der Neuzeit, sondern bereits die Kirchenväter haben sich gefragt, wie die Aussagen des biblischen Texts, z. B. über die zeitliche Abfolge der Schöpfungsakte, widerspruchsfrei mit der ihnen bekannten Naturordnung zu vereinbaren sind. Das moderne Wissen um die Evolution hat die Notwendigkeit wie die Schwierigkeit einer theologischen Auslegung der biblischen Schöpfungsaussage noch einmal erheblich gesteigert. Dem Neo-Darwinismus fällt es vor diesem Hintergrund recht leicht, nicht bloß den sachlichen Gehalt des christlichen Schöpfungsglaubens, sondern auch die zentrale Aussage von der Gottebenbildlichkeit des Menschen in Frage zu stellen. Vom Standpunkt der neo-darwinistischen Evolutionstheorie aus gesehen ist der Mensch ja nicht das Ziel der ganzen Schöpfung, sondern nur ein Zufallsprodukt in einem ziellosen Prozess. Er ist, wie Jacques Monod es mit einem populär gewordenen Bildwort gesagt hat, nur ein „Zigeuner am Rande des Universums“. Wenn für den Neo-Darwinismus überhaupt etwas Bedeutung besitzt, dann gewiß nicht der Mensch, sondern die Natur als „das Ganze, von dem der Mensch nur ein Teil ist.“ (Schönborn 2008, 57). Vor diesem Hintergrund hat Kardinal Ratzinger bereits vor Jahren daran erinnert, dass „die Frage nach der Erschaffung des Menschen [...] der volle Ernstfall der Frage danach [ist], wie Vernunft und Glaube heute im Schöpfungsglauben zueinander in Beziehung gebracht werden können.“ (Ratzinger 2009, 33).

Überraschenderweise ist mittlerweile eine wachsende Zahl von katholischen Theologen bereit, den theoretischen Erklärungsansatz des Neo-Darwinismus anzuerkennen. Auf einer Internationalen Konferenz in Rom zum Darwinjahr vom 03.-07. März 2009 hat man zwar das Gespräch mit dem Neo-darwinismus gesucht, nicht aber mit Vertretern des ID. In einem Zeitungsbericht war beispielsweise zu lesen, dass „alle Referenten [...] der Evolutionslehre positiv gegenüber [standen]“, der „Evolutionsprozeß [sei] schöpferisch, aber nicht zielgerichtet.“ (Die Tagespost, 10. März 2009). Wegen dieser bewussten Ignoranz gegenüber dem ID findet in der Theologie natürlich keine wirkliche Auseinandersetzung mit dessen Thesen statt. Fast jeder äußert sich einmal dazu, aber stets so, dass die Argumente des ID zuerst entwertet werden durch eine psychologische oder kultursoziologische Erklärung ihrer Funktion, was eine ernsthafte sachliche Auseinandersetzung überflüssig macht. Zwischen der allgemeinen Akzeptanz des neo-darwinstischer Denkmodells in der Theologie und der Position des ID gibt es keine Kompromissmöglichkeit. Und deshalb ist zu vermuten, dass auch für die schweigende Mehrheit der Theologen das ID eine unbequeme Provokation darstellt. Man erspart sich lieber das eigene Nachdenken und vertraut dem Urteil von Biologen wie Kenneth Miller, die als Katholiken erklären, keine Schwierigkeit mit dem Darwinismus zu haben, den sie fachwissenschaftlich vertreten.

I. Neue Unübersichtlichkeit in der Theologie: Schöpfung und/ oder Evolution

Religionssoziologisch besteht Grund genug, den Spieß umzudrehen, und das Motiv für die Faszination durch den Neo-Darwinsimus und die Bedenkenlosigkeit theologischer Anerkennungsbemühungen aus der kulturellen Lage vor allem des Katholizismus abzuleiten: Eine kognitive Minderheit wie die Katholische Theologie sucht die Anerkennung der kognitiven Mehrheit, um so der als hoffnungslos und demütigend empfundenen Antiquiertheit der „katholischen Weltanschauung“ zu entkommen und den längst fälligen Anschluss an die Moderne auf dem Gebiet der Naturwissenschaften zu gewinnen. Natürlich ist es nicht ganz leicht, Anknüpfungspunkte für die Übernahme der neo-darwinistischen Erklärungsprinzipien zu finden, ohne sich damit im Bereich grundlegender Glaubensüberzeugungen in Erklärungsnot zu bringen. Deshalb ist für die Harmonisierungsversuche von Schöpfungslehre und Neo-darwinistischer Evolutionstheorie kaum zu erwarten, dass hier letzte Klarheit gesucht und der einmal eingeschlagene Weg wirklich zu Ende gedacht wird. Die Diskussionslage ist inzwischen so unübersichtlich geworden, dass hier nur einige Grundlinien des Denkens aufgezeigt werden können um deutlich zu machen, weshalb eine theologische Übernahme des neo-darwinistischen Erklärungsmodells nicht bloß vernunftwidrig, sondern auch ohne die Aufgabe zentraler Glaubensüberzeugungen zu haben ist.

1. Mangelnde Unterscheidung von Evolution und Evolutionstheorie

Das Dilemma, in dem sich heute eine wachsende Zahl von Theologen befindet, hat seinen Grund zunächst außerhalb der Theologie. Auf einer in Castel Gandolfo im Sommer 2006 veranstalteten Tagung zum Thema „Schöpfung und Evolution“ hat der Münchner Professor für Naturphilosophie, Paul Erbrich SJ, darauf hingewiesen, dass die Diskussion um Schöpfung und Evolution durch eine für evident gehaltene, jedoch irrige Voraussetzung belastet ist: „Viele Biologen können nicht verstehen, wie man für die Evolution sein kann und gleichzeitig gegen Darwins Evolutionstheorie. [...] Wer Ja sagt zur Evolution – so nehmen sie ganz selbstverständlich an -, sagt auch Ja zu Darwins Mechanismus. Und wer den Mechanismus in Frage stellt, stellt eo ipso auch die Tatsache der Evolution in Frage“. (Erbrich 2007, 67). Diese Position ist heute repräsentativ für das, was eine Mehrheit denkt – auch in der Theologie. Unter Ausblendung mancher Zwischentöne lassen sich von hier aus drei Positionen zum Neodarwinismus im Bereich von Kirche und Theologie unterscheiden. In formaler Hinsicht besteht ihr Hauptunterschied darin, ob sie diese von Erbrich aufgedeckte Vorannahme teilen oder nicht. Das lässt sich daran erkennen, ob Aussagen auf der objektsprachlichen Ebene des Naturgeschehens hinreichend von Aussagen auf der Erklärungsebene unterschieden sind. Auf der Ebene des realen Geschehens stellt sich die Frage: Schöpfung oder Evolution, oder Schöpfung und Evolution? Damit sind die Alternativen eindeutig benannt. Es gibt nur diese drei Möglichkeiten: Entweder das Naturgeschehen ist ein Werk der Schöpfung oder es ist ein Werk der Evolution oder das Werk von beidem zugleich. Wer der biblischen Schöpfungsaussage und den bekannten Fakten der Erdgeschichte vertraut, für den kann die Antwort vernünftigerweise nur sein: Schöpfung in der Weise von Evolution.

Auf der Erklärungsebene ist die Fragestellung dagegen mehrdeutig. Hier sind die Alternativen nicht eindeutig bestimmbar dadurch, dass gefragt wird: Schöpfungstheorie und/oder Evolutionstheorie? Die möglichen Alternativen hängen ab von den vorausgesetzten Theorien. Daran entscheidet sich, welche Schöpfungstheorie mit welcher Evolutionstheorie zusammenpasst oder nicht. Deshalb kann die Frage, Schöpfungstheorie und/oder Evolutionstheorie gar nicht unter Absehung davon beantwortet werden, was in einer Theorie jeweils behauptet wird. Um einen Vergleichspunkt zu haben, beziehe ich die theologischen Auffassungen auf die kirchliche Position, die auf der Erklärungsebene Grenzen setzt, aber innerhalb dieser Grenzen offen ist für eine wissenschaftliche Erforschung der Evolution.

2. Die Position des Lehramts

Die Position des Lehramtes lässt genügend Spielraum für die wissenschaftliche Forschung. Sie ist in der Unterscheidung von Evolution und Evolutionstheorie eindeutig genug, wenn auch nicht immer explizit genug formuliert. Ein Beispiel dafür ist eine Äußerung Johannes Pauls II., die für einige Verwirrung gesorgt hat. Der Papst hatte 1996 ohne nähere Erläuterung – aber völlig zu Recht - gesagt, dass die Evolution „mehr als nur eine Hypothese“ sei. Das wurde dann – zu Unrecht – so ausgelegt, als habe der Papst damit die Evolutionstheorie Charles Darwins kirchlich anerkannt. Die objektsprachliche Rede von Evolution wurde kurzerhand für eine Aussage auf der Erklärungsebene genommen, die aber garnicht gemeint war. Kardinal Schönborn sah sich deshalb veranlasst, in einem Gastkommentar für die New York Times (7. Juli 2005) die Dinge klarzustellen, in dem er die Aussageebenen unterscheidet: „Die Evolution im Sinne einer gemeinsamen Abstammung (aller Lebewesen) [objektsprachliche Ebene] kann wahr sein, aber die Evolution im neo-darwinistischen Sinn [Erklärungsebene] – ein zielloser, ungeplanter Vorgang zufälliger Veränderung und natürlicher Selektion [an unguided, unplanned process of random variation an natural selection] – ist es nicht“. Dass der Papst keinerlei Anerkennung für eine bestimmte Theorie aussprechen wollte, sondern das Missverständnis beseitigen wollen, als sei die katholische Kirche „gegen“ die Evolution, darf man annehmen. Zum einen gab und gibt es keine lehramtliche Erklärung gegen die Unvereinbarkeit von Schöpfung und Evolution, allerdings auch keine nähere Erklärung, wie die Vereinbarkeit gedacht werden kann. Zum anderen hat Johannes Paul II. in einer Rede vor der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften im selben Jahr zwischen dem gemeinsamen Erkenntnisinteresse von Kirche und Wissenschaft für die Evolution und den möglichen Deutungen der Evolution einen Zusammenhang hergestellt, der das Erklärungsmodell des Neo-Darwinismus faktisch ausschließt. Es sollte immer im Blick gehalten werden, dass die Kirche sich aus dem Streit um die Deutung der Evolution nicht heraushalten kann, weil dieser unmittelbar das christliche Menschenbild betrifft. Und deshalb sollte die katholische Theologie auch nicht einfachhin von der Theorie der Evolution, sondern - im Blick auf den kirchlichen Glauben und angesichts verschiedener Erklärungsmodelle – von mehreren Theorien der Evolution sprechen.

3. Positionswandel in der Katholischen Theologie

Wie in jeder Wissenschaft, so findet sich auch in der Katholischen Theologie ein Spektrum unterschiedlicher Positionen, darunter auch solche, die der lehramtlichen Position direkt bzw. indirekt entgegengesetzt sind. Ich beschränke mich auf zwei dieser abweichenden Positionen, die als repräsentativ gelten können. Die erste und ältere Position ist zugleich die klarere. Man sieht sofort den Widerspruch zur kirchlichen Position. Sie beruht darauf, die neo-darwinistische Deutung der Evolution als erwiesen anzusehen und daraus die nötigen Konsequenzen zu ziehen. Die christliche Schöpfungsaussage ist dann nicht bloß anders zu interpretieren, sondern aufzugeben, weil Evolution auf der Basis des neo-darwinistischen Erklärungsmodells nicht zugleich als Schöpfung gedacht werden kann. Dafür sei hier beispielhaft auf einen Text von Alexandre Dumas und Otto Hermann Pesch verwiesen. In einer Publikation von 1973 mit dem Titel „Neues Glaubensbuch“, in dem Abschnitt zur Evolution (Dumas/ Pesch 1973, Kap. 19), sehen sich die beiden Autoren mit Berufung auf Jacques Monod und den Kenntnisstand „der heutigen Wissenschaft“ (ebd., 433, meine Hervorhebung) dazu gezwungen, den Schöpfungsglauben ohne jedes wenn und aber aufzugeben. „Begriffe wie Selektion und Mutation sind intellektuell viel redlicher als der Schöpfungsbegriff.“ [...] „’Schöpfung’ als kosmischer Plan ist ein zu Ende gekommener Gedanke.“ [...] „Der Schöpfungsbegriff ist damit ein irrealer Begriff“ (ebd., 433 ff.).

Diese zwar im Ganzen falsche, in sich jedoch schlüssige Position wird immerhin mit dankenswerter Klarheit vertreten. Dies ist in der heutigen Theologie kaum mehr der Fall. Der Grund dafür liegt aber nicht in der Abkehr vom Neo-Darwinismus, sondern in der erfolgreichen Durchsetzung einer neuen Sprachregelung, die die Widersprüche auf der Erklärungsebene nur als Folge unterschiedlicher Perspektiven versteht und darum als zwei Seiten desselben Sachverhalts zu integrieren sucht. Indem nicht klar zwischen der Evolution als Tatsache und ihrer Deutung unterscheiden wird, soll der Eindruck entstehen, als bedeute die von niemandem ernsthaft bestrittene Vereinbarkeit von Schöpfung und Evolution zugleich die Anerkennung der neo-darwinistischen Evolutionstheorie. Auch ein solcher die sachlichen Widersprüche verdeckender Perspektivismus hat seinen Preis. Dafür ließen sich unschwer eine Fülle von Beispielen finden. Das deutsche Wochenmagazin Der Spiegel berichtete in seiner Ausgabe vom 22. Dezember 2000 (Nr. 52), dass nach Auffassung von Pater George V. Coyne SJ, dem später suspendierten Leiter der vatikanischen Sternwarte, „selbst Gott nicht mit Sicherheit wissen konnte, dass bei der Evolution der Mensch als Ergebnis herauskommen würde.“ (zit. nach Schönborn 2007a, 177). Damit ist zwar, wie Kardinal Schönborn meint, „vollends der Unsinn [in die Theologie] eingezogen“, der in sich jedoch eine eigene Schlüssigkeit besitzt. Wie sollte Gott auch das Einzelne vorauswissen und vorausbestimmen können, wenn „Zufall“ als Prinzip der Evolution hier nicht bloß als asylum ignorantiae in Anspruch genommen, sondern begrifflich ernst gemeint ist? Dann gilt: entweder echter Zufall oder göttliche Vorsehung, aber nicht beides zugleich.

Die gedanklichen Ausrutscher von Dumas, Pesch und Coyne liegen bereits Jahre zurück und noch vor den Auseinandersetzungen um das ID, welche in Deutschland erst 2007, mit der Übersetzung von Behes Buch „Darwins Black Box“, eingesetzt haben. Seither sind in rascher Folge und motiviert durch das Darwinjahr 2009 einige Versuche theologischer Synthesen erschienen, welche die Vereinbarkeit von Darwins Evolutionstheorie mit dem christlichen Schöpfungsglauben zum Gegenstand haben. Gemeinsam ist diesen Versuchen eine doppelte Frontstellung: Sie richten sich sowohl gegen den Naturalismus, der als abtrennbar vom Darwinismus ausgegeben wird, als auch gegen die Kritik des ID an dem solchermaßen weltanschaulich gereinigten und theologisch salonfähig gemachten Darwinismus. Bezeichnend für diese Versuche ist auch, wie unbekümmert ihre Autoren an die Zukunft glauben, in welcher die zum Teil eingeräumten sachlichen Schwierigkeiten und Widersprüche sich durch weitere Forschung schon auflösen werden. In der Gegenwart stört einstweilen nur das ID, das in einer Mischung aus nachprüfbar falschen Behauptungen und christlicher Bemitleidung für solche Modernitätsverweigerer nicht etwa widerlegt, sondern nur vorgeführt wird.

Hattrups Buch (Hattrup 2008, 231-234) wird am schnellsten mit der „Gruppe der Intelligent Designer“ fertig, die nur zu geringen Anteilen aus Fachwissenschaftlern bestehe, und sich „eher aus Anwälten, Journalisten und Politikern zusammensetzt“. Das Argument des ID ist für ihn nichts Neues. „Es ist nur scheinbar neu wegen eines neu umgetanen Mäntelchens“ für ein bereits durch Humes Kritik erledigtes Argument des englischen Theologen und Philosophen William Paley. (Gemeint ist Humes Analogieverbot: der Vergleich zwischen künstlich hergestellten Mechanismen – Paleys Uhrenbeispiel – und natürlich zustande gekommenen Mechanismen sei unzulässig). „Der Paley des 21. Jahrhunderts ist der US-Amerikaner Michael J. Behe“ – also eine tragische Figur. Tragisch - nicht für Behe sondern für Hattrup - ist allerdings die Argumentationsfigur, die er Behe unterschiebt: „Weil die Zwischenstufen der komplexen Systeme noch nicht bekannt sind, insbesondere auf der Zellebene, meint er, könne es überhaupt keine Erklärung und keine Zwischenstufen geben.“ Eine so unsinnige Wiedergabe dessen, was Behe tatsächlich sagt und meint, ist schwer zu übertreffen. Behe schließt nicht vom „noch nicht“ Bekannten auf das auch „künftig nicht“ Bekannte, sondern umgekehrt: Er geht aus von dem Bekannten (biologische Mechanismen von irreduzibler Komplexität), an dem der neo-darwinistische Erklärungsansatz versagt, und zwar nicht nur jetzt, sondern prinzipiell. Hilfsweise wird Behes tatsächliche Argumentationsfigur dann mit dem lapidaren Hinweis erledigt, schon im selben Jahr – dummerweise kurz nach dem Erscheinen seines Buches - sei die Kernthese des ID durch einen Beitrag im JME gelungen faktisch widerlegt worden. Dass Hattrup diesen Hinweis seiner Hauptquelle (Millers 1996, 150f.) entnommen hat, erfährt der Leser nicht, und er erfährt auch nicht, was Hattrup hätte wissen können, dass Behe zu dieser Art von Belegen alles Nötige bereits gesagt hat (Behe 2007, 417, 475).

Weniger polemisch, aber in der Sache ebenso kurz wie unklar argumentiert Christian Kummer gegen die Position des ID. Auch hier darf die rhetorische Frage nach der „religiösen Motivation“ der „Intelligent-Design-Anhänger“ nicht fehlen, „die wir hier nicht untersuchen wollen bzw. die sie selbst oft nicht zugeben wollen“. (Kummer 2009, 157). Ihren „Grundfehler“ sieht er unter Hinweis auf David Hume in der „Unzulässigkeit des Analogieschlusses von der technischen Herstellung auf das natürliche Werden.“ Denselben Fehler hat dann allerdings schon Aristoteles begangen, der auf diese Weise gegen den Zufall als Ursache von Zweckmäßigkeit in der Natur argumentiert (vgl. Physik II, 8). Wen Humes Kritik nicht überzeugt, wird dem Argument nichts abgewinnen. Unklar wird es bei Kummer an der Stelle, wo er konkret wird und sich mit der Frage befasst, ob das von Behe angeführte Cilium als Beispiel für irreduzible Komplexität nicht doch zufällig entstanden sein kann. Kummers Argument liest sich dann so: „Es gibt inzwischen tatsächliche Hinweise auf gewisse Vorstufen für den Geißelapparat [Cilium].“ […] „Dazu kommt noch unsere zunehmende Erfahrung mit experimentell erzeugten Nanomotoren, für die manchmal das zufällige Zusammenspiel bestimmter Moleküle eine größere Rolle spielt als ein gezieltes Design.“ […] „Warum sollte so etwas bei den Bakterien nicht ebenso möglich gewesen sein?“ Das ist das ganze Argument, mehr nicht! Kummer gibt allerdings selber zu, dass dies „weithin theoretische Überlegungen und teilweise auch kühne Spekulationen“ sind, „die nicht darüber hinwegtäuschen dürfen“, dass uns das Verständnis der evolutiven Zusammenhänge „noch erhebliches Kopfzerbrechen bereitet.“ Alle Hoffnung beruht also auf dem Erkenntnisfortschritt, weil – außer dem philosophischen Einwand Humes - eine Widerlegung des ID auf wissenschaftlicher Basis derzeit nicht in Sicht ist.

Das ebenfalls zum Darwinjahr erschienene Buch des Frankfurter Theologen Hans Kessler sagt schon im Titel, worum es ihm geht: um eine „neue Sicht“ auf Evolution und Schöpfung (Kessler 2009). Es geht also um Deutung und Missdeutung von Schöpfung und Evolution. Kessler beginnt mit den Missdeutungen aufseiten der Kreationisten und der Naturalisten. Die Reihenfolge macht deutlich, wo er die größere Herausforderung sieht: beim Kreationismus und dem Intelligent Design, das lediglich Folge eines Strategiewechsels ist. Nach einer Serie von juristischen Niederlagen vor US-amerikanischen Gerichten zur Behandlung religiöser Lehrinhalte im schulischen Biologieunterricht „vertreten sie [also die Kreationisten] die Lehre vom intelligent Design.“ (Ebd., 20). Diese Argumentationsfigur kennen wir inzwischen: Die Behauptung, dass Vertreter des ID verkappte Kreationisten sind, macht es leichter, sie bereits auf der Ebene von Motiven und Absichten zu diskreditieren, ohne sich auf ihre Argumente einzulassen. Das geschieht erst im zweiten Schritt und hier auch wieder zuerst „philosophisch“ mit Humes Analogieverbot (ebd., 22). Interessant wird es erst, wo Kessler mit Hilfe des theologischen Gedankens der „creatio continua“ ein Paradigma anbietet, das die christliche Schöpfungstheorie und eine vom heutigen Naturalismus gereinigte Evolutionstheorie umfassen soll. Hier begegnen im selben gedanklichen Zusammenhang gleich zwei Fehler – ein philosophischer Denkfehler und eine theologische Häresie - die beide damit zusammenhängen, dass sich Kessler Teilhard de Chardins Satz „Gott macht, das sich die Dinge selber machen“ (vgl. dazu Seidel 2009) in der Interpretation von Karl Rahner zu eigen macht.

Der Denkfehler besteht darin, darin dass dieser Satz sich auf zwei grundlegend verschiedene Sachverhalte bezieht und nur in einer von zwei Bedeutungen wahr sein kann. Wahr ist er dann, wenn der Satz meint: „Jedes Ding“ entwickelt sich aktiv als das, was es gemäß seiner Anlage bereits ist. Tatsächlich meint der Satz aber einen ganz anderen Sachverhalt, für den er sinnlos wird, nämlich wenn er auf Darwins These von der Entstehung der Arten bezogen wird. Bei der Entstehung neuer Arten kann nicht von Entwicklung gesprochen werden. Der Satz müsste dann ja bedeuten: „Jedes Ding“ kann sich aktiv zu etwas anderen entwickeln, als es selber ist. Die Vermischung beider Bedeutungen beruht auf dem Doppelsinn von All-aussagen. „Die Dinge“ kann bedeuten: „Jedes für sich genommen entsteht aus dem, was es schon ist“, und dann ist der Satz wahr als Aussage innerhalb einer teleologischen Sichtweise der Natur. „Die Dinge“ kann und soll aber gerade bedeuten: „Alles zusammengenommen ist entstanden aus dem, was es nicht schon ist.“ Der Widersinn besteht darin, dass hier ein teleologisches Prinzip in Anspruch genommen wird zur Erklärung von Entstehungs- nicht Entwicklungsprozessen, von denen angenommen wird, dass sie a- teleologisch verlaufen und Neues per Zufall herbringen.

Im theologischen Kontext hat dieser Satz eine ungewollt häretische Konsequenz und zwar als Erklärungsprinzip des evolutiven Auftretens neuer Seinstufen: „Leben, Bewusstsein, Selbstbewusstsein/Vernunft“. (Kessler 2009, 154). Von den verschiedenen Möglichkeiten, „einen Qualitätssprung in eine andere Ebene“ zu erklären, scheiden für Kessler „Okkasionalismus“ und „Konditionalismus“ aus mit dem selben Argument: Wo Gott direkt oder indirekt eingreift, wird er „zu einem Glied in der Kette innerweltlicher Ursachen herabgesetzt und verendlicht.“ (Ebd., 157). Übrig bleibt Rahners These von der „aktiven Selbsttranszendenz der Geschöpfe“ zur Ermöglichung von Gottes Wirken in der Welt. Gott wirkt „fortwährend überall, und zwar nie ohne Geschöpfe, sondern immer in Geschöpfen und vermittelt durch Geschöpfe“. Damit soll die Frage nach der Entstehung des qualitativ Neuen – Leben, Bewusstsein, Vernunft – so beantwortet sein, dass der Zusammenhang der natürlichen Ursachen gewahrt ist und Gottes Ursächlichkeit nicht von außen in natürliche Ursachenketten hineinwirkt. Konsequenterweise muss dann gesagt werden, dass die wahre Elternschaft von Mutter und Vater nicht nur bezüglich des Leibes eines Kindes, sondern auch seiner Seele“ besteht. (Ebd., 158). Kessler lässt allerdings nirgends erkennen, dass ihm das Problem bewusst ist, damit den Schöpfungsbegriff umgedeutet zu haben. „Erschaffen kann nicht bedeuten und wird auch nie bedeuten können, dass ein neues Wesen mittels eines Geschöpfes hervorgebracht wird“- wie Jacques Maritain gegen Rahner eingewendet hat. (zit. bei Schönborn 2008, 74). Und Kardinal Schönborn fügt noch hinzu: Wenn man annehmen muss, dass „man den Menschen in seiner geistigen Dimension nicht auf irgendeine materielle Ursache zurückführen kann, dann ist man auch gezwungen, dass ein geistiger Selbstand nur durch einen Schöpfungsakt Gottes hervorgebracht werden kann.“ (Ebd., 75).

Es gibt noch eine Reihe weiterer Punkte, an welchen die Reibungsflächen zwischen Darwins Evolutionstheorie und christlichem Gottesbild deutlich werden. Halbherzigkeiten im Denken um einer perspektivischen Harmonisierung von Unvereinbarem willen haben auch hier ihren Preis. Das Übel beginnt mit einer falschen Diagnose, die Ursache und Wirkung vertauscht. Für Hans Kessler ist ein „nicht mehr mit unserem heutigen Naturwissen vermittelbarer Gottes- und Schöpfungsbegriff eine der Hauptursachen für die schwindende Akzeptanz der christlichen Botschaft“. (Ebd., 60). Man sollte meinen, dass es sich eher umgekehrt verhält. Wer an die Wahrheit des Darwinismus glaubt, hat größte Schwierigkeiten zugleich an die Wahrheit der christlichen Schöpfungsbotschaft zu glauben. Eine Bemerkung von Richard Dawkins zeigt schlaglichtartig, dass man sich hier nichts vormachen sollte. „Auch wenn der Atheismus vor Darwin logisch haltbar war, so ermöglichte Darwin es dem Atheisten, auch intellektuell zufrieden zu sein.“ (Dawkins 2009, 19) Diese Behauptung ist zwar falsch, aber für viele Menschen überzeugender als Formelkompromisse und die Flucht in den Perspektivismus. Für Kessler verlangt etwa die „sachgerechte Darlegung des originären Schöpfungsgedankens“ die mehrdimensionale Erweiterung des Wirklichkeitsbegriffs zu einer „Schichtentheorie der Wirklichkeit“. In Verbindung mit der darwinistischen Evolutionstheorie ergibt sich daraus eine wahrhaft überraschende Konsequenz. Wenn es mit dem originären Schöpfungsgedanken vereinbar ist, dass es nicht bloß „scheinbare Zufälle“, sondern auch „echte Zufälle“ gibt, dann wäre Gott ein stückweit von dem Problem des Übels in der Welt entlastet. Kessler formuliert diese Konsequenz ex negativo so: „Gäbe es keine Evolution, so wäre es angesichts der naturbedingten Übel viel schwerer, an Gott zu glauben.“ (Ebd., 62). Verantwortlich wäre Gott dann nur für die „den Zufall steuernden Wahrscheinlichkeitsgesetze“. (Ebd., 68).

II. Design in Schöpfung und Evolution
1. Schöpferische Vernunft

Es gibt zum Glück noch andere Positionen in der Theologie, die sich nicht mit verbalen Kompromissen zufrieden geben, sondern die das Offenkundige anerkennen, am Schöpfungsglauben unzweideutig festhalten und strittige Positionen benennen und auszuhalten bereit sind. So ist die Tatsache der Evolution schlicht anzuerkennen, wie Kardinal Ratzinger in einer Predigtreihe aus dem Jahr 1985 gesagt hat. Wer wollte im Ernst bestreiten, was „die nachdenklichen Geister längst erkannt [haben], dass es hier kein Entweder-Oder gibt. Wir können, wenn wir beide Begriffe richtig fassen, nicht sagen: Schöpfung oder Evolution. Die richtige Formel muss lauten: Schöpfung und Entwicklung, denn die beiden Dinge beantworten verschiedene Fragen.“ (Ratzinger 2009, 64). Damit stellt sich allerdings die Aufgabe zu prüfen, ob die auf diese Fragen jeweils gefundenen Antworten miteinander vereinbar sind. Eine solche Prüfung ergibt für den Neo-Darwinismus, dass auch innerhalb der Grenzen des methodischen Atheismus ein grundlegender Widerspruch zum christlichen Schöpfungsglauben bleibt. Für letzteren ist der Mensch „ein Projekt Gottes“ (ebd., 54) und nicht das Produkt von „Zufall und Notwendigkeit“ (ebd., 65). Das ist nicht jeweils derselbe Sachverhalt aus unterschiedlichen Perspektiven, von denen wir bloß nicht sehen, wie sie sich ineinander übersetzen lassen. Hier sind vielmehr unterschiedliche Sachverhalte benannt, die einander ausschließen. Wenn gilt, was der Neo-Darwinismus behauptet, dass die Natur nicht bloß methodisch als Produkt von Zufall und Notwendigkeit anzusehen ist, sondern dass sie dies auch wirklich ist, - dann heißt das doch, dass alle Lebensformen nicht bloß ohne Rücksicht auf die uns ohnehin verborgenen Absichten eines Schöpfers zu erforschen sind, sondern dass sie absichtslos entstanden sind, „durch die Summierung von Übertragungsfehlern“. Auch wir selbst sind nur „ein Produkt zufällig sich häufender Fehler“. (Ebd., 70). Wo wir glauben, die Werke der göttlichen Vernunft zu sehen, sollen wir uns daran gewöhnen zu denken, dass alle Vernunft in der Natur „nichts als das zufällige Produkt eines evolutionären Prozesses ist, der seinerseits von keiner Vernunft geleitet ist.“ (Spaemann 2008, 158). Ein solcher Glaube an den vernunftlosen Ursprung der Vernunft ist nicht übersetzbar in den christlichen Schöpfungsglauben. Der christliche Glaube besagt das genaue Gegenteil: „Die Vernunft der Schöpfung, die es gibt, stammt aus Gottes Vernunft.“ (Ratzinger 2009, 30). Deshalb sollten Theologen wieder „die Kühnheit haben zu sagen: Die großen Projekte des Lebendigen sind nicht das Produkt von äußeren Zufällen, was auch immer die Faktoren sind. Sie sind auch nicht Produkt einer Selektion, der man Gottesprädikate beilegt, die [...] ein moderner Mythos sind.“ (Ebd., 70).

2. Design und Vernunft

„Jedes Denksystem, das die überwältigende Evidenz für einen Plan [design] in der Biologie leugnet oder weg zu erklären versucht, ist Ideologie, nicht Wissenschaft“. (Schönborn 2005). Dieser Satz aus dem Gastkommentar Kardinal Schönborns war vielleicht der wirksamste Anstoß zu einer klärenden Debatte über das Verhältnis von Wissenschaft und Theologie. Er wurde aber zugleich „politisiert“, was ja bedeutet, nicht als das genommen, was er sein wollte, und wegen der angeblichen Parteinahme des Kardinals für das ID heftig kritisiert. Es hat ihm seither viel Mühe gekostet diesen Verdacht auszuräumen, schließlich spricht er in dem Artikel mehrfach von „purpose and design“, von einem Plan und einem inneren Ziel in der Natur, allerdings ausdrücklich unter Hinweis darauf, dass ein Begriff wie „Ziel“ im Sinn von „letzter Ursache, Zweck oder Plan“ „ein philosophischer Begriff“ ist. Dieser wichtige Hinweis hat aber seine Kritiker nicht davon abgehalten, reflexartig die Verwendung des Wortes „design“ als wissenschaftsfeindlich, politisch unkorrekt und theologisch unbegründet zu geißeln, wie dies beispielsweise Kenneth Miller (Miller 2005) in seinem Artikel „The cardinal’s big mistake: Darwin didn’t contradict God“ getan hat.

Für Schönborn wie für Ratzinger, auf den er sich hier beruft, besteht „die Schlüsselfrage, an der alles weitere hängt“ darin, ob „die Welt, in der wir leben und unser Leben in ihr Sinn-voll [ist]. Sinnvoll ist nur, was ein Ziel hat. Ohne Vernunft keine Orientierung, kein Plan, kein design.“ (Schönborn 2007a, 170). Dem Eindruck von design und Vernunft in der Natur kann sich niemand entziehen. Und je mehr wir wissen und ins Innere der Natur hineinschauen können, „desto größer müsste meines Erachtens das Staunen werden“, und „desto unvernünftiger […], all das auf einen – wie ich in der New York Times sagte – ‚unguided, unplanned process of random variations and natural selection’ […] zurückzuführen.“ (Ebd., 171). Trotz der Aufregung um diese Äußerung fügt Kardinal Schönborn mit Blick auf die Frage nach der „Herkunft des evidenten intelligent design im Lebendigen“ hinzu, dass dies eine „völlig legitime, ja zum Menschen gehörende Frage ist“, und dass demzufolge „die Agressivität, mit der gegen die amerikanische Wissenschaftlergruppe [des intelligent design] vorgegangen wird, […] nicht viel mit Wissenschaft zu tun“ hat. (Ebd., 172).

Vernunft in der Natur zu erkennen und einer Vernunft zuzuschreiben, gehören für ihn zusammen. Für die Frage, wie diese Vernunft in die Natur hineinkommt und ihr wirkt, ist damit noch nichts entschieden, außer soviel, dass es die Vernunft und nicht der Zufall ist, die das Vernünftige in der Natur begründet. Allerdings geht Kardinal Schönborn in der Frage nach dem wissenschaftlichen Aufweis für den Vernunftursprung der Natur zunehmend auf Distanz zum ID. Offene Sätze wie, „man mag ihren methodischen Ansatz kritisieren“ (Schönborn 2007, 172) klingen heute so: „Der Versuch dieser Schule, hohe Komplexität in der Natur als Aufweis oder Beweis für ein ‚intelligent design’ zu bewerten, krankt an dem fundamentalen Denkfehler, das ‚design’. Plan, Zielgerichtetheit nicht auf der Ebene der Kausalität gefunden werden kann, mit der sich die naturwissenschaftliche Methode befasst.“ (Schönborn 2009). Dazu wäre einiges anzumerken. Hier nur soviel: Es wäre natürlich ein Widerspruch in der Methode, wenn mit einem wissenschaftlichen Methodenbegriff in seiner Beschränkung auf das experimentell Feststellbare (materielle Prozesse) nun auch das prinzipiell Nichtfeststellbare (Vernunfteinwirkungen) in derselben Weise bewiesen werden sollte. Das hat allerdings auch niemand im Sinn, der aus dem Vorhandensein von design auf einen Designer schließt. Worauf es allein ankommt, ist die Frage, ob sich „auf der Ebene der Kausalität“, was ja heißt, auf Basis eines reduzierten Ursachenbegriffs, das Phänomen „design“ überhaupt erklären lässt. Wenn die Antwort hier lautet, in bestimmten Fällen ganz sicher nicht, würde das allerdings bedeuten, dass ein bestimmter Typ von Wissenschaft hier notwendig versagt. Es würde aber nicht heißen, dass er durch einen artgleichen Typ von Wissenschaft als Ursachenforschung ersetzt werden kann, sondern nur durch die Metaphysik als „Erste Philosophie“.

C. Anstelle einer Zusammenfassung
I. Zur Methodenfrage: Die Subjektivität neuzeitlicher Objektivität

Eine wissenschaftliche Methode, die einen Erklärungsanspruch auf alles erhebt, versucht das zu Erklärende sich zu unterwerfen und gleichförmig zu machen, was aber heißt: abzuschaffen. Der Endpunkt wäre die Selbstabschaffung des Menschen und der wissenschaftlichen Vernunft. Entgegen allem Anschein wäre das nicht der Gipfel der wissenschaftlichen Objektivität, sondern der Gipfel der Subjektivität: Alles wird in dem, was es ist und sein kann, abhängig gemacht von dem, was es sein darf oder sein soll, - abhängig von dem Bild, das sich der Mensch von der Welt gemacht hat. Darin sieht Heidegger „den fast widersinnigen Grundvorgang der neuzeitlichen Geschichte.“ (Heidegger 1994, 93). Die neo-darwinistische Evolutionstheorie ist als ein solches Bild des Ganzen nur die auf die Spitze getriebene Subjektivität. Dieser verborgene Wille des neuzeitlichen Menschen, nur das als wirklich gelten zu lassen, was seiner Vorstellung von Wirklichkeit entspricht, ist der tiefere Grund für die Aggressivität gegen alle und alles, was sich dem nicht unterwerfen will und so die Vollständigkeitshypothese des Weltbildes in Frage stellt. Die molekularbiologischen (und hier nicht eigens behandelten informationstheoretischen) Einwände des ID sind nur ein Argument, und wenngleich ein starkes, nicht das einzige Argument gegen die Vollständigkeitshypothese des Neo-Darwinismus.

II. Zu Ende denken: Gott und Vernunft

Die Institution, die sich nach dem Ende der Metaphysik dem totalitären Charakter der modernen Wissenschaft am beharrlichsten widersetzt, ist die Katholische Kirche. Diese ist heute, wie Kardinal Schönborn in der New York Times sagte, „in der seltsamen Position“ ist, dass sie nicht bloß „die von Christus geoffenbarten Wahrheiten des Glaubens“ verteidigen muss. Wo der „Neo-darwinismus […] dem überwältigenden Beweis für Zweck und Plan [purpose and disign] auszuweichen“ sucht, ist es heute Sache der Kirche geworden, auch „die menschliche Vernunft [zu] verteidigen und [zu] verkünden, dass der in der Natur offensichtlich vorhandene immanente Plan wirklich ist [that the immanent design in nature is real]“. Wem das zu weit, der sei noch einmal an Heidegger verwiesen, an sein Wort „Wissenschaft denkt nicht.“ Der buchstäblich lebensnotwendige Widerstand religiös Glaubender gegen die Selbsterniedrigung der Vernunft wird durch den säkularen Glauben an die vernunftlose Selbstorganisation stärker untergraben als jede frühere Form der Religionskritik. Wer sich darauf einlässt, um endlich seinen Frieden zu haben, muss wissen, was ihn erwartet. Zu Ende gedacht, bleibt ihm bestenfalls der Rückzug der Rückzug in den Deismus. Dieser mag auf der theoretischen Ebene entlastend sein und mit Darwins Vorstellung von der Evolution vereinbar. Aber er wäre nicht mehr die christliche Gottesvorstellung. Denn Gott kann im Deismus seine Rolle als Letztursache nur behalten, wenn er sie für das Einzelgeschehen dem Evolutionsprozess überlässt. Sein Wirken beschränkt sich dann auf die Setzung und Erhaltung der Rahmenbedingungen, also die anfängliche Wahl der Naturkonstanten und der „steuernden Wahrscheinlichkeitsgesetze“, wie dies Peter Schuster, der Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften den Theologen nahegelegt hat zu glauben. „Hier [...] wäre Raum für einen Brückenschlag zwischen Theologie und Naturwissenschaft“ (Schuster 2007, 56), - einer solchen Naturwissenschaft allerdings, der sich die Theologie mit ihren konkreten Aussagen um den Preis der Selbstaufgabe auszuliefern hätte.

Literatur:
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Vollmert 1995 = Bruno Vollmert, Die Entstehung der Lebewesen in naturwissenschaftlicher Sicht. Darwins Lehre im Lichte der makromolekularen Chemie, Weilheim-Bierbronnen 1995.

Prof. Dr. Berthold Wald hat den Lehrstuhl für Systematische Philosophie an der Philosophisch-Theologischen Fakultät in Paderborn inne.


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