Wie geht man mit 'Amoris Laetitia' um?

3. Mai 2016 in Kommentar


Was kann das Papstdokument leisten? Gastbeitrag von Martin Lohmann


Bonn-Vatikan (kath.net) Martin Lohmann ist Theologe, Historiker und Publizist. Als bekennender Ehemann und Vater hat er sich seine ganz persönlichen Gedanken gemacht.

Wie geht man mit "Amoris Laetitia" um? Darauf kann man keine einfache Antwort geben, denn das mit dem Namen von Papst Franziskus versehene Schreiben Amoris Laetitia (AL) macht einen einfachen und schnelle Umgang mit ihm geradezu unmöglich. Es ist nicht nur dick und bunt, es ist auch von einer seltenen Mischung aus Richtigem, Guten, Verständlichen einerseits und Halbrichtigem, Verwirrenden und wenig Logischem andererseits. Spontan könnte einem ein Ausspruch des früheren Kölner Kardinals und Konzilsvaters Josef Frings einfallen, der einmal meinte: Gut gemeint ist oft das Gegenteil von gut. So gesehen muss man zunächst einmal - und dies ohne Ironie - festhalten, dass AL - hoffentlich - echt gut gemeint ist.

Aber bereits die Spannbreite der Reaktionen vom weisen und klugen Philosophen Robert Spaemann, der einen Bruch mit der Lehre der Kirche diagnostiziert, bis hin zu den Jubelrufen jener, die jetzt eine Revolution durch die Hintertür mancher Fußnoten ersehnen, deutet darauf hin, dass AL uns wohl in den kommenden Jahren beschäftigen wird. Vor Ort, generell und in den Akademien. Auch wenn manche säkulare Medien, die das offenbar alles und jeden bedienende und möglichst vielen gefallsüchtige Dokument dieses längst zu den Archivakten gelegt haben. Die Exegese jedenfalls wird nicht einfach sein. Die Folgen in der Seelsorge wohl ebenfalls nicht. Und daher ist es heute geboten, sich einige grundsätzliche und informationsreiche Überlegungen zu machen. Gleichsam als suchendes Angebot, bei den offenbar mehreren möglichen Wegen der Behandlung einige Wegweiser nicht ganz aus dem Blick zu verlieren. Keine Frage: Die geradezu beeindruckende Uneinheitlichkeit des Schreibens lässt widersprüchliche Interpretationen zu. Man mag das bedauern oder gar beklagen, doch es könnte ja auch sein, dass genau das gewollt ist und der Sinn dieses postsynodalen Schreibens - im Unterschied zu früheren päpstlichen Schreiben dieser Art – gar nicht die Intention hat, einen klärenden Abschluss zweier ambitionierter Synoden zu bieten und größere Klarheit zu schaffen.

Wir wissen und hören immer wieder, wie sehr es dem Bischof von Rom wohl in erster Linie um den Gesprächsprozess, den Dialog, den Austausch der Gedanken und Erfahrungen geht. Das ist durchaus jesuitisch. Wer bei Jesuiten die schulische Erziehung genießen durfte, wird sich auch - aus Erfahrung - nicht scheuen können, hier hinzuzufügen, dass die Widersprüchlichkeit aus intellektueller Lust an der Dialektik eine gerne geübte jesuitische Sportart sein kann.

Oder sagen wir es ambitionierter und jesuitischer: Weil das Leben bunt ist und im ganz normalen Alltag von verschiedenen Ebenen des Seins und der Dichte der Nachdenklichkeit durchzogen wird, kann auch ein nachsynodales Schreiben, das sich vor allem dem Anspruch des Alltäglichen ergeben möchte, ohne sich dem Anspruch der lehramtlichen Verkündigung zu verweigern, ganz unterschiedliche Zitationen vom Kirchenvater bis hin zum Kinofilm nicht entziehen.

Der Bogen intellektueller Blickwinkel und Anspruchsdichte auf AL reicht von „päpstliche Liebespoesie mit prosaischer Eheberatung vom Typ ,Fragen Sie Franz’“ bis hin zur kritischen Kardinalsfeststellung der „nichtlehramtlichen Natur des Dokuments“, das eher die persönlichen Ansichten des Bischofs von Rom zusammentrage und nicht mehr sein kann als eine Reflexion über die Arbeit der beiden Versammlungen der Bischofssynode. Die bunte und eine eigene Stilanalyse verdienende bunte Vielfalt des vom Bischof von Rom abgesegneten Dokuments mag sich übrigens auch daraus ergeben, dass es sich möglicherweise um eine mit dominikanischer Feder gesammelte und aufgeschriebene jesuitische Reflexion franziskanischer Provenienz handelt, in die viel Protokollarisches aus den Bischofsversammlungen und Gedankengut mancher (noch) nicht näher bekannter Stichwortgeber handelt. So gesehen hatte es einen besonderen Charme, dass ausgerechnet der Wiener Erzbischof Christoph Kardinal Schönborn das ihm so nahe Dokument auch „offiziell“ vorstellte. Es war also maßstabsgerecht und wegweisend, als Franziskus im Flieger von Lesbos nach Rom auf Details des Papiers angesprochen gezielt auf den "großen Theologen Schönborn" verwies nach dem Motto: Zu Inhalten und Folgewirkungen fragen Sie Kardinal Schönborn oder einen Exegeten.

Wie ist das denn jetzt konkret? Wurde für die Seelsorge nun erstmals das Gewissen entdeckt? Ist jetzt im Umgang mit den Sakramenten alles denkbar und möglich? Man muss wohl, so weh das manchen Revolutionssüchtigen auch tun mag, nüchtern darauf hinweisen, dass diese Revolution ausbleibt - oder bereits seit Jahrhunderten existiert. Je nach Sichtweise und Kenntnisstand beziehungsweise der Erkenntniszuwachsbereitschaft. Das Gewissen ist keine postsynodale Inauguration. Ein kleiner Blick in die Heilige Schrift des Neuen Testaments oder in manche Schriften von Kirchenlehrern und altehrwürdigen Kirchenvätern lässt die vermeintliche Revolutionsbegeisterung mangels Standhalten beim Faktencheck wie eine inhaltsleere Seifenblase platzen. Freilich: Gewissen wurde und wird nicht wirklich als inhaltsfreie Chiffre für ein „Mach was du willst“ verstanden, sondern unterlag dem Anspruch, ein geformtes und genormtes Gewissen sein zu können. „Wir sind berufen, die Gewissen zu bilden, nicht aber dazu, den Anspruch zu erheben, sie zu ersetzen“, sagt Franziskus. Das aber ist nichts Neues. Zum Glück.

Auch die andere Revolution findet nicht statt. Dass Franziskus als erster römischer Bischof "endlich" von Lust auf Liebe spreche und verstehe, was Sexualität denn sei, kann man eigentlich nur aus einer zelebrierten Vorliebe für Ignoranz heraus behaupten. Die Bejahung einer mit der gebotenen Verantwortung verbundenen und gelebten Sexualität, also auch das Wissen um die Schönheit dieser vom Schöpfer selbst geschenkten und so wahnsinnig starken Begabung, hat eine sehr alte Beheimatung in der katholischen Kirche. Und es war der heilige Papst Johannes Paul II., der durch seine ebenso faszinierende wie scheuklappenfreie und unverklemmte "Theologie des Leibes" die katholische Sexuallehre von den unkatholischen Staubschichten befreite, die eine puritanisch-protestantische Leibfeindlichkeit dem damaligen Zeitgeist des viktorianischem Zeitalters gerecht werdend anhäufte. Aus dieser unkatholischen Geiselhaft hat Johannes Paul die dem Menschen gerechte Sexulmoral längst befreit. Man muss es einfach nur wissen. Ebenso ist es nicht verboten, sich etwa an das richtige Lehrschreiben, also die Enzyklika "Deus Est Caritas" zu erinnern, in der Papst Benedikt XVI. mit geradezu zärtlicher und einfühlsamer Poesie und Dichte ein ebenso tiefes wie weites Dokument über die Liebe hinterlassen hat, das an keiner Stelle den Verdacht der Uneindeutigkeit gegenüber der Lehre der Kirche zulässt.

Die Lektüre des Papieres offenbart unschwer, dass man während der Synodenversammlungen etwas Unmögliches versuchte - und dies sogar medial kontrollieren ließ, wodurch das Unterfangen einem mehr oder weniger absurden Erwartungsdruck ausgesetzt wurde. Und dabei wölbte sich ein grundsätzlicher Strickfehler ins Muster, der auch noch durch eigene biografische Erfahrungen derjenigen, die eigentlich der authentischen und jedem einzelnen Menschen und seiner Heilsnotwendigkeit geschuldeten Klarheit der Lehre verpflichtet sind. Es ist und bleibt nämlich beim unendlichen Versuch, die Quadratur des Kreises zu versuchen, wenn man pastorale Klugheit und lehramtliche Klarheit in eine allgemeingültige einzige öffentliche Form der Allgemeingültigkeit gießen will.

Zur kirchlichen Praxis gehörte es immer, dass die an Jesus Christus orientierte und von ihm garantierte Lehre sich nicht dem Einzelfall unterordnen kann, wodurch sie unübersehbar und letztlich volatil würde. Umgekehrt galt stets, dass aus seelsorglicher Sicht alles getan werden musste, der Heilsberufung des einzelnen zu dienen und möglicherweise ganz persönliche Wege zu finden. Das ist keine Doppelmoral, sondern gelebte Seelsorge, die stets in der Verpflichtung zur geoffenbarten Wahrheit steht und sich an der hieran gebundenen Lehre zu orientieren hat. Die Lehre entbindet niemals von der pastoralen Klugheit. Aber man muss auch sehen, dass es gewissermaßen die zwei Seiten derselben Medaille sind. Bloß: Die eine Seite gehört nicht in die Öffentlichkeit, sondern ist dem Schutzraum des ganz Persönlichen anvertraut. Dogmen und Lehre sind nämlich keineswegs willkürliche Stolpersteine, um Menschen auf dem Weg zu Gott zu ärgern. Vielmehr sind sie, so könnte man sagen, menschliche Sicherheitsgarantien göttlicher Wahrheit. Wer also die pastorale Klugheit des ganz Persönlichen zur für alle gültigen öffentlichen Meinung machen will, nimmt ihr die Weite und Tiefe, die der einzelne letztlich braucht. Diese Quadratur des Kreises ist daher ein unmögliches Unterfangen. Und sie widerspricht letztlich der Natur des Menschen. Es gibt so viele Wege zu Gott, wie es Menschen gibt. Das ist ebenso wahr wie jedes Wort des Gottessohnes, dessen Lehre Maßstab bleiben muss.

Nur eine Ziffer, nämlich die Ziffer 305, mag beispielhaft verdeutlichen, dass manch stark klingendes Wort den Raum für Missverständnisse oder - schlimmer noch - Generalverdächtigungen zu öffnen in der Lage ist, obwohl das Wort selbst alles andere als stark ist. Dort heißt es etwas reißerisch: „Daher darf ein Hirte sich nicht damit zufrieden geben, gegenüber denen, die in ,irregulären’ Situationen leben, nur moralische Gesetze anzuwenden, als seien es Felsblöcke, die man auf das Leben von Menschen wirft.“ Aber: Wo ist denn der Hirtensport des Felsblockweitwurfs beheimatet gewesen oder heute Standard? Und wo sind moralische Gesetze vergleichbar mit herzlos harzen Felsbrocken?

Wer einem sofort einfallen könnte, ist der Meister der Wahrheit selbst. Aber der kann doch nicht gemeint sein, oder? Oder doch? Hat nicht Christus selbst bereits den – man nennt das wohl jetzt „irregulären“ – sündigen Begierdeblick als Ehebruch markiert? Hat nicht Christus von Mühlsteinen gesprochen, die man jemandem um den Hals hängen sollte, um ihn zu ertränken? Hat nicht der barmherzige Gottessohn beim synodalen Tricksen um den von Moses erlaubten Scheidebrief knallhart auf die schwächliche Nachgiebigkeit des Prophetenfürsten verwiesen und – wie sonst an keiner Stelle – ausdrücklich an den Anfang der Schöpfung erinnert? Hat er nicht seine erschrockenen Jünger mit der Frage konfrontiert: Wollt auch ihr gehen? Hat also nicht er selbst deutlich gemacht, dass die Ehe von Mann und Frau etwas von Gott selbst Kommendes und Gewolltes ist, das unauflöslich ist? Wer, so könnte man fragen, außer dem Urbild des guten Hirten, hat denn mit Felsblöcken auf das Leben des Menschen geworfen?

Es wird wohl notwendig sein, einmal zu diskutieren und zu klären, was Moral eigentlich ist. Wohlgemerkt eine Moral, die außerhalb des kirchlichen Raumes von denen, die sie im Zusammenhang mit Glaube und Wahrheit als etwas Schreckliches und Unmenschliches brandmarken wollen, durchaus einen orientierenden Charakter haben kann. Umweltschutz, Artenschutz und Klimaschutz werden mit größter Selbstverständlichkeit moralisch - und bisweilen moralinsauer - garniert. Hier muss man nun im Nachgang des römischen Schreibens anmerken: Moral kann man eigentlich nur richtig verstehen, wenn man auch weiß, was Glaube ist. Moral ist so etwas wie das Gehen, das Vorwärtskommen auf der Straße, die der Glaube bildet.

Es ist eine Binsenweisheit, dass auch die Synodenteilnehmer mitten in dieser Welt leben, in der es Lebensbrüche und Sünde gibt. Daher muss man auch verstehen, dass diese Wirklichkeit, die freilich nicht die einzige ist, ihre prägende Wirkung auf das Nachdenken über bestimmte Fragen der Seelsorge im Zusammenhang mit Sakramenten hat. Erst recht, wenn Brüche und Lebensplanscheitern bis hin zu allzu menschlichen Schwächen gegenüber manchen Neigungen ziemlich nah an die dem Lehramt besonders Verpflichteten heranrücken, was nicht immer den Blick sehr frei und unabhängig macht.

Es war hin und wieder zu beobachten, dass etwa Kardinäle als Mitglieder des römischen Senates in einer argen Spannung standen zwischen ihrer Pflicht zur Stärkung und unverkürzten Verkündigung der universalen Lehre einerseits und der Neigung, eigene Biografien und familiäre Erfahrungen diesen Auftrag überwölben zu lassen. Eventuell erklärt sich aus dieser allzu menschlichen Menschlichkeit auch die angsterfüllte Tatsache, statt von Sünde lieber von Irregularität zu sprechen und Gebote zu nominösen Idealen zu reduzieren. Die von Christoph Schönborn geschriebenen Reflexionen des Bischofs von Rom bergen daher viele Gefahren zu Missverständnissen. Man muss kein Prophet sein, um sagen zu können: Die Diskussionen haben erst jetzt richtig begonnen und werden bleiben. Mancher Seelsorger spürt schon jetzt eine quälende Unsicherheit, wie er künftig konkret den Bogen zwischen gebrochener Unauflöslichkeit der sakramental verbindlichen Ehe und der daraus entstandenen "Irregularität" einerseits und dem absolut regulären Altarssakrament der ungebrochenen Einheit und Treue ausfüllen soll.

Auch wenn gelegentlich von einem "Ideal" gesprochen oder geschrieben wird: Die sakramentale Ehe ist wesentlich mehr als ein Ideal! Sie ist auch keine Traumfabrik, bei der man beim ersten Anzeichen eines Platzens von Träumen die nächste Haltestelle irregulärer Ideale ansteuern könnte. Ehe und Familie sind konkret wie das Leben überhaupt.

Und Heiligkeit, die etwas mit der Verbundenheit oder Verankerung in Gott, der „der“ Heilige ist, zu tun hat, ist nichts Kitschiges aus einem Heimatfilm, als ob man das Kreuz ausklammern könnte. Oder, um ein Bild von Franziskus aus „Evangelii Gaudium“ aufzugreifen: Der Heilige Geist hilft inmitten der Schwachheit und Hinfälligkeit seiner („heiligen“) Kirche, dass diese klar ihre objektive Lehre zum Ausdruck bringt und sich zugleich davor fürchtet, sich mit dem Schlamm der Straße zu beschmutzen. Richtig! Aber die Ergänzung lautet: Der Schlamm ist nicht das Ziel, er ist der bisweilen gegebene Weg, um aus diesem Schlamm herauszukommen. Barmherzigkeit und Gerechtigkeit lassen sich nicht trennen. Barmherzigkeit ohne zielorientierte Gerechtigkeit gibt es nicht, ist keine wirklich hilfreiche und befreiende Barmherzigkeit.

Pastorale Barmherzigkeit und Klarheit der Lehre lassen sich ebenso wenig trennen wie Christus und Seine so klare Botschaft von der Erlösung, die aber logischerweise die Notwendigkeit der Erlösung erst einmal voraussetzt und als solche erkannt werden muss. Freiheit ohne Wahrheit ist wohl kaum möglich. Immerhin hat der, der die Inkarnation der Barmherzigkeit des himmlischen Vaters war und ist, von sich selbst ganz deutlich gesagt: "Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater außer durch mich." (Joh 14,6) Und derselbe Gottessohn hat betont: Der Weg der Heiligkeit, der Weg des Heilens und des Heilwerdens hebt das Gesetz nicht auf (vgl. Mt 5,18). Weil Gottes Barmherzigkeit nicht billig und anspruchslos ist, kann es die kirchliche auch nicht sein – wenn sie sich denn am Kirchenstifter selbst ausrichten will – was ja der Auftrag beinhaltet. Heilung gibt es also nicht zum Nulltarif. Freilich: Eine gesellschaftliche, auch eine kirchengesellschaftliche Wirklichkeit, die sich das Bekenntnis zur Wahrheit nicht mehr zutraut, tut sich auch schwer mit dem erkennenden Bekenntnis: Die Wahrheit wird euch frei machen (Joh 8,32).

Und damit kommen wir auch und gerade durch "Amoris Laetitia" zu einem wesentlichen Punkt. Denn wer die Synoden begleitete und die mit dominikanischer Feder aufgeschriebene jesuitische Franziskus-Reflexion liest, wird nicht dauerhaft an der Frage vorbeikommen: Wer oder was ist Gott? Mehr als eine Chiffre? Mehr auch nur als eine Chiffre für wie auch immer verstandene Barmherzigkeit? Und: Was ist Wahrheit? Kann, darf sie, wenn es sie denn gibt, heute noch eine Geltung beanspruchen? Spiegelt sich dies dann in Fragen der Sexualität, der Ehe und der Verantwortung? Was ist Ehe?

Vieles, sehr viel Konkretes zum verantwortungsvollen Umgang mit der so starken Kraft der Sexualität findet sich in diesem umfangreichen Dokument aus Rom. Es ist wohl in erster Linie eine gut gemeinte und auch liebevolle Einladung zum Gespräch denn ein Leuchtturm zur Orientierung. Das markiert Chancen und Gefahren gleichermaßen. Bloß: Wie sichert man der nach wie vor gültigen Geltung der Lehre von der sakramental unauflöslichen Ehe als einem auf die im Sakrament der allerheiligsten Eucharistie sichtbare Treue Gottes ausgerichteten Treuebundes den Raum des Verständnisses?

Wer über die Sakramente und ihre Gültigkeit spricht, spricht auch und vor allem über Jesus Christus. Und unausweichlich leuchtet immer wieder die Frage auf: Was ist Wahrheit? Oder anders: WER ist Wahrheit? Im Blick auf das Allerheiligste, also auf das Sakrament des Altares, ist es freilich auch durch eine lückenhafte Verkündigung schwierig geworden, Verständnis dafür zu erlangen, dass dieses Kernsakrament niemals Mittel zum Zweck und nicht Mittel zur Einheit sein kann, sondern Ausdruck und Hoch-Form gelebter Einheit und Treue ist. Kein Geringerer als Christus selbst nannte den Bruch der gebotenen Treue, die im Sakrament der Ehe ein Versprechen gegenüber Gott beinhaltet, Ehebruch – und eben nicht nur „Irregularität“.

Es versteht sich von selbst, dass dies alles die Verkündigung nicht leichter macht, zumal die Ehe, erst recht die sakramental geschlossene Ehe seit Jahrzehnten vielfachen Angriffen ausgesetzt ist und ihres einzigartigen Charakters durch Sprachmanipulationen und gezieltem Unverständnis sowie einer niedrigschwelligen Instrumentalisierung des ihr eigentlich vorbehaltenen Sexuallebens weitgehend entwürdigt oder entehrt wurde. Das Problem ist eben auch, dass – im Gegensatz zum vorliegenden Dokument – selbst in der Kirche die Erkenntnis von der Wahrheit der Unauflöslichkeit der Ehe unter dem Titel der ‚Barmherzigkeit’ bisweilen verdunkelt ist. Es ist daher nicht nur gut, sondern ausgesprochen notwendig und wichtig, dass man die Menschen auf dem Weg zur sakramentalen Eheschließung umfassend und - aus gebotener Barmherzigkeit - knallhart aufklärt, dass Ehe viel mehr ist als ein im Stadium der Erstverliebtheit wunderschönes Gefühl. Sie ist eine Berufung zur Treue, zur Nachhaltigkeit, zur Solidarität, zur Familie, zum Leben, zur wirklichen und belastbaren Liebe. Weil das so ist, ist sie Gott selbst so viel wert, dass er sich selbst mit einbindet und zum Sakrament erhebt: äußeres Zeichen und innere Gnade. Mehr geht nicht. Weniger ist zu wenig.

Und noch etwas: Wer die reine Lehre nicht mehr zu suchen bereit ist und ihren Reichtum nicht mehr sehen möchte, hat sich möglicherweise bereits der abweichenden Realität des Relativismus willenlos ergeben oder ist nicht mehr wirklich von der Sehnsucht durchdrungen, in der Wahrheit Christi zu bleiben. Was ist Wahrheit? Sollte die Wahrheit eine Prägekraft auf die Wirklichkeit haben? Oder sollte die Wirklichkeit die Wahrheit und ihren Anspruch überwölben? Dann aber käme diese Überzeugung dem kapitulierenden Bekenntnis gleich: Es gibt keine Wahrheit. Das aber ist das Gegenteil der Lehre Christi, die alle Menschen für wahrheits- und umkehrfähig hält - und für erlösungswürdig.

Die Einladung von „Amoris Laetitia“ ist also letztlich nicht zu unterschätzen und kann trotz aller Gebrochenheit und Widersprüchlichkeit zu viel Klarheit und Hilfe führen. Doch das geht wohl nur, wenn man dieses Schreiben in seiner Relation zur Lehre erkennen kann, die sich nicht an Fußnoten orientiert, sondern an einer Person. Und diese Person ist der Name der Wahrheit ebenso wie der Name der Freiheit: Jesus Christus. ER ist mit Seinem Leiden, Sterben und Seiner Auferstehung der dichteste und klarste Grund zur Freude der Liebe, zur Amoris Laetitia.

Amoris Laetitia - TEXT als PDF



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