15. Mai 2016 in Interview
Zirkusdirektor Bernhard Paul über 40 Jahre Roncalli - Von Sabine Kleyboldt (KNA).
Köln (kath.net/ KNA)
Seit 40 Jahren reist der Circus Roncalli zum Regenbogen, wie die aktuelle Jubiläumstour verkündet. Ein Ende der Reise ist noch längst nicht in Sicht, wie Roncalli-Chef Bernhard Paul (68) im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) am Freitag in Köln erläuterte. Am Mittwoch begeht der Zirkus, der den bürgerlichen Namen von Papst Johannes XXIII. (1881-1963), Angelo Giuseppe Roncalli, trägt, seinen 40. Geburtstag.
KNA: Herr Paul, sobald man das Portal mit der Leuchtschrift «Circus Roncalli» passiert hat, ist man in einer anderen Welt. Warum brauchen die Menschen das - seit 40 Jahren?
Paul: Unser Zirkus ist ein Biotop der Fantasie und der Poesie, eine Art Gegenwelt. Wir wollen die Leute aus dem Alltag und ihrem manchmal tristen Dasein mit all seinen Problemen entführen. Sie können hier abschalten und ein Stück heile Welt erleben. Das ist der Sinn eines Zirkus.
KNA: Wie hat sich Roncalli in den letzten vier Jahrzehnten verändert?
Paul: Die Bedürfnisse der Zuschauer sind gleichgeblieben, nicht aber die Umsetzung. Zum Beispiel das Timing: Man muss alles ein bisschen schneller machen. Die Zeit ist hektischer. Die Zuschauer sind weniger geduldig; sie haben eine imaginäre Fernbedienung in der Hand, so dass es nach einer bestimmten Zeit weitergehen muss. Dem muss man Rechnung tragen.
KNA: Die Artisten in Kostümen, spezielle Musik, besonderes Licht, eigene Rituale, ein fester und wohl durchdachter Ablauf: Das erinnert alles ein wenig an die Liturgie in der Kirche. Wie kommt das?
Paul: Naja, ein Hochamt in einer Kathedrale ist auch in gewisser Weise eine Performance. Da ist vieles inszeniert und auch beeindruckend. Da riecht es nach Weihrauch, dann kommen die Geistlichen in ihren prunkvollen Kostümen, und es erklingt die spezielle Musik dazu. Da gibt es schon Parallelen. Mit Inszenierungen kennt sich die Kirche auch schon seit langem aus.
KNA: Umgekehrt finden unterm Zirkuszelt auch Trauungen und Taufen statt!
Paul: Das ist immer so. Auch meine beiden Töchter und mein Sohn sind in der Manege getauft worden. Wenn der Zirkus schon mal nach einem Papst benannt ist, muss man die Kinder auch taufen lassen.
KNA: Wie kam es überhaupt dazu, dass Ihr Zirkus den Namen des «Konzilspapstes» Johannes XXIII. trägt?
Paul: Die Idee hatte ein Drehbuchautor. Von dem stammte der Film «Sarah Roncalli, Tochter des Mondes», der auch schon nach dem Papst benannt war. Und da Roncalli ein schöner, klangvoller Name ist und der Papst so ein Reformer war, haben wir zugestimmt.
KNA: Hat das heute noch Bedeutung für den Circus Roncalli?
Paul: Also wir sind kein Passionsspiel, sondern ein Zirkus. Aber uns ist es wichtig, dass bestimmte ästhetische und menschliche Richtlinien eingehalten werden. Wir machen ein Programm, das nicht sexistisch oder sonst irgendwie anstößig ist. Dazu zählt auch, dass wir uns nicht auf Kosten anderer lustig machen.
KNA: Welche Erfahrungen haben Sie mit Glaube und Kirche?
Paul: Meine Frau und ich haben im Zirkus geheiratet, und zwar mit drei Priestern. Darunter war auch der offizielle Zirkusseelsorger des Vatikan. Und der Bürgermeister von Wien war Trauzeuge. Ich habe sogar ein eingerahmtes Zertifikat von Papst Johannes Paul II. zur Hochzeit bekommen. Meine Frau ist Italienerin und stammt aus einer Zirkusfamilie in achter Generation. Da ist das Katholischsein eine Selbstverständlichkeit.
KNA: Und für Sie?
Paul: Ich bin der einzige Zirkusdirektor, der auch Ministrant war. In dieser Zeit habe ich meine ersten öffentlichen Auftritte im Kostüm gehabt.
KNA: Welche Erfahrungen haben Sie daraus mitgenommen?
Paul: Dass man manchmal ungewollt Komik erzeugen kann. Ich erinnere mich an eine Maiandacht, bei der ich ministriert habe. Am Ende hat der Priester den Segen gegeben und mir zugeflüstert «Barett!» und mit dem Kopf nach links gewiesen. Ich wusste aber nicht, was das ist, ein Barett. Da links lag ein riesiger holzgeschnitzter Messbuchständer. Ich dachte, das kann nur der sein, nehme das Ding, und wie ich weggeh, klappt das unter großem Getöse auseinander. Da schlägt der Pfarrer die Hände überm Kopf zusammen und sagt laut «Die Mütze!». So hab ich den ersten Lacher meines Lebens vor Publikum gehabt.
KNA: Heute bringen Sie als Clown die Menschen mit Absicht zum Lachen. Was ist das Schwierige daran?
Paul: Wir müssen alle unsere Zuschauer zum Lachen bringen, durch alle Altersstufen und Schichten. Wirklich gut ist es erst, wenn Intellektuelle und Kleinkinder über dasselbe lachen. Vor allem darf man nie auf Kosten des Publikums Witze reißen. Unser Schutzheiliger ist Charlie Chaplin. Den haben immer alle geliebt. Er hat den Nerv aller getroffen, und zwar mit Anstand, mit Können, nicht mit billigen Mitteln wie die Hosen verlieren oder Schlagsahne ins Gesicht klatschen. Chaplin zeigt, wo es langgeht.
KNA: Inzwischen leben Sie seit 40 Jahren mit Ihrer Zirkusfamilie, fast 150 Mitarbeiter aus 22 Nationen. Wie funktioniert das?
Paul: Wir sind eine wirkliche Familie mit großem Zusammenhalt. Das Schöne ist ja: Obwohl im Zirkus so viele Nationen und Religionen vereint sind, gibt es keine Probleme untereinander. Wir praktizieren unsere jeweilige Religion, auch die Nächstenliebe. Und wir sind stolz darauf, dass dieses älteste Modell der multikulturellen Künstlergesellschaft Bestand hat. Wir sind der Beweis dafür, dass es auch friedlich geht.
KNA: Was kann die Gesellschaft von der Zirkuswelt lernen?
Paul: Dass es auch anders geht, dass man Kunst und Kultur hochhalten soll, dass man ein Ziel im Leben haben soll, dass man Zusammenleben praktizieren muss, dass es verschiedene Formen des Daseins gibt, und dass man jeden nach seiner Fasson glücklich werden lässt. Wer im Büro oder in der Fabrik arbeiten will, soll das tun. Aber wir schminken uns jeden Tag - auch die Männer. Wir haben auch außerhalb der Karnevalszeit rote Nasen und sind fröhlich dabei.
KNA: Sie sind mit fast 69 Jahren schon im Rentenalter, machen aber immer noch diesen anstrengenden Job. Woher nehmen Sie die Kraft und die Motivation?
Paul: Warum hat Picasso immer weiter gemalt bis zu seinem Tod? Weil es sein Ding war. Warum steht Keith Richards immer noch auf der Bühne? Weil er es liebt und weil er es kann. Wenn man etwas liebt und kann, macht es ja auch Spaß. Und dann macht man damit immer weiter. Bis zum Tod.
KNA: Ihre Jubiläumstour heißt «40 Jahre Reise zum Regenbogen». Am Ende des Regenbogens soll ja ein Schatz sein.
Paul: (lacht) Schaun mer mal.
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