19. Mai 2016 in Interview
Geschäftsführerin von Kirche in Not zur gemeinsamen Initiative gegen Diskriminierung von christlichen Flüchtlingen. Interview von Tobias Lehner.
München (kath.net/KIN) Am 9. Mai haben christliche Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen in einem viel beachteten Appell auf die besorgniserregende Situation in deutschen Flüchtlingsunterkünften hingewiesen: Christen und andere religiöse Minderheit werden oftmals diskriminiert, bis hin zu gewalttätigen Übergriffen. Die Hilfswerke fordern Politik und Öffentlichkeit auf, dieser Entwicklung entgegenzutreten und religiöse Minderheiten besser zu schützen. Zu den Unterstützern der Initiative zählt auch Kirche in Not. Warum sich das Hilfswerk engagiert und wie es christlichen Flüchtlingen hilft, darüber berichtet die Geschäftsführerin des deutschen Büros von Kirche in Not, Karin Maria Fenbert.
Warum hat sich Kirche in Not der Initiative angeschlossen?
Fenbert: Als Christen dürfen wir nicht schweigen, wenn unsere Glaubensgeschwister diskriminiert, bedrängt oder verfolgt werden. Das gilt weltweit, das gilt aber auch für Deutschland. Kirche in Not unterstützt seit langem die christliche Minderheit im Nahen Osten. Wir wissen, was die Menschen dort durchmachen. Jetzt suchen viele von ihnen Schutz vor Terror und Krieg in Europa. Aber stattdessen erleben sie neue Ausgrenzung, teilweise sogar Gewalt. Politik und Öffentlichkeit haben zu lange weggeschaut oder das Problem verharmlost. Das muss sich ändern!
Kritiker haben der Initiative vorgeworfen, sie dramatisiere: Es gäbe keine systematische Diskriminierung von christlichen Flüchtlingen. Was sagen Sie dazu?
Fenbert: Um es deutlich zu sagen: Jede Form der Diskriminierung ist zu verurteilen. Unsere Gesellschaft ist sehr sensibel geworden, wenn das Recht auf Selbstbestimmung oder individuelle Freiheit beschnitten wird. Spricht man aber religiöse Diskriminierungen an, ducken sich viele weg: Sei es aus Unkenntnis oder Angst, sei es aus der vermeintlich politisch korrekten Überzeugung heraus: Religion ist doch Privatsache, was geht es uns an? Wie falsch diese Haltung ist, zeigt ein Blick ins Grundgesetz, Artikel 3, oder die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Artikel 18: Jeder hat das Recht, seine Religion frei zu wählen, zu wechseln und auszuüben. Wer dieses Recht bricht, bricht Menschenrecht. Deshalb ist jede Ausgrenzung, jeder Übergriff aus religiösen Gründen einer zu viel.
Woher beziehen Sie Ihre Informationen?
Fenbert: Wir stehen in Kontakt mit dem Zentralrat Orientialischer Christen in Deutschland (ZOCD) und sprechen mit Flüchtlingsseelsorgern. Unsere Wohltäter engagieren sich auch ehrenamtlich in der Flüchtlingsarbeit. Sie kommen bei Veranstaltungen auf uns zu und berichten, wie eingeschüchtert und verängstigt christliche Flüchtlinge sind. Viele trauen sich gar nicht, sich als Christen zu erkennen zu geben, aus Angst vor Repressalien. Die Wohnsituation ist beengt und da reicht nur ein kleiner Funke, bis die Lage eskaliert.
Worin sehen Sie die Ursachen für diese Diskriminierungen?
Fenbert: Christen und Muslime haben in ihrer Heimat vielfach in Parallelwelten gelebt. Jetzt, in den Flüchtlingsunterkünften, müssen sie plötzlich auf engstem Raum miteinander auskommen. Das ist eine große Belastung. Hinzu kommt ein gewisser Gesetzesrigorismus, der in manchen Teilen des Islam sehr stark ausgeprägt ist. Viele haben Angst, dass sie durch einen zu engen Umgang mit Christen oder Anhängern anderer Religionen, die ihnen ja als Ungläubige gelten, unrein werden. Solche Vorbehalte sind durch die Propaganda von Extremisten noch deutlich verschärft worden.
Was fordern Sie von der Politik?
Fenbert: Dass sie das Problem nicht länger unter den Teppich kehrt. Religionsfreiheit ist ein Menschenrecht, das immer, überall und uneingeschränkt gelten muss. Konkret wäre die Möglichkeit einer getrennten Unterbringung von Christen und anderen religiösen Minderheiten ein erster Schritt, um Druck aus dem Kessel zu nehmen. Oder es sollte wenigstens darauf geachtet werden, dass der Anteil Christen-Muslime in etwa gleich ist. Dazu ist es aber notwendig, dass bei der Erstaufnahme die Religionszugehörigkeit erfasst und weitergegeben wird. Da passiert noch nicht genug.
Aus der Politik ist vielfach zu hören: Mit uns wird es keine getrennte Unterbringung geben. Asylbewerber sollen vom ersten Tag an lernen, unterschiedliche Weltanschauungen und Lebensweisen zu tolerieren. Ein guter Ansatz?
Fenbert: Man kann nicht den zweiten Schritt vor dem ersten gehen. Integration ist gut und wichtig. Aber damit sie gelingen kann, braucht es Zeit. Außerdem kann Integration ja keine Frage von Mehrheitsverhältnissen in Flüchtlingsunterkünften sein. Und: Integration ist ein Lernprozess, bei dem es immer wieder auch Rückschläge gibt. Darum fordert unsere gemeinsame Initiative zum Beispiel auch Vertrauensleute christlichen Glaubens in den Unterkünften, an die sich Christen wenden können, wenn sie diskriminiert werden.
Wie engagiert sich Kirche in Not für christliche Flüchtlinge in Deutschland?
Fenbert: Unser Hilfswerk ist als Solidaritätsaktion mit den Millionen Heimatvertriebenen und Flüchtlingen nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden. Das verpflichtet. Unser Gründer, Pater Werenfried von Straaten, wollte die materielle, aber auch die geistliche Not der Heimatlosen lindern. In einem wohlhabenden Land wie unserem ist die humanitäre Hilfe Aufgabe des Staates. Als pastorales Hilfswerk wollen wir den Flüchtlingen geistlichen Halt geben. Darum stellen wir zum Beispiel Bibeln und religiöse Schriften für die Flüchtlingsseelsorge zur Verfügung. Das wird dankbar angenommen. Der Glaube kann den Menschen, die so Furchtbares durchlitten haben, Trost und Hoffnung geben. Ohne Hoffnung kann der Mensch nicht leben.
Weitere Informationen und Spendenmöglichkeiten:
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Foto Karin Maria Fenbert (c) KIRCHE IN NOT
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