25. Juni 2016 in Kommentar
Beim Besuch des armenischen «Völkermord-Mahnmals» trifft der Papst auf tiefe Wunden - Die Ereignisse liegen 100 Jahre zurück - und bleiben doch präsent. Von Burkhard Jürgens (KNA)
riwan (kath.net/KNA) Auf diesen Moment haben viele Armenier gewartet. Manche sind von weither angereist, wie Andre Kissajikian, Präsident der armenischen Gemeinde Brasiliens. Er will Zeuge sein, wenn Papst Franziskus der Opfer der Todesmärsche und Massaker an den Armeniern während des Ersten Weltkriegs im Osmanischen Reich gedenkt. Und so ist er hier, am Mahnmal Zizernakaberd oberhalb Eriwans, im Land seiner Väter, in dem niemand aus seiner Familie mehr lebt. «Es ist wichtig, dass der Papst die Aufmerksamkeit auf Armenien lenkt», sagt Kissajikian.
Genugtuung: Das war in den Medien des Landes zu verspüren, als Franziskus am Freitagabend im Präsidentenpalast von der «Tragödie» sprach, die die Schlächtereien des 20. Jahrhunderts eröffnete, und abweichend vom Redeskript das Wort «Genozid» einfügte. Medienvertreter im Pressezentrum brachen in Beifall aus. Vatikansprecher Federico Lombardi nannte es eine «kleine, aber bedeutende Ergänzung».
Zizernakaberd ist ein Ort der Bilder, nicht der Worte. Das erste Völkermord-Mahnmal Armeniens, zum 50. Jahrestag des «Großen Unglücks» vom Volk der damaligen Sowjetregierung abgerungen, die sich lang gegen ein solches nationales Gedenken gewehrt hatte. Seine Sprache ist von Trauer bestimmt: ein gespaltener Obelisk, der an die Zerstreuung der Armenier erinnert, zwölf mächtige, im Kreis einander zugeneigte Pylonen, die für die verlorenen Gebiete in der Türkei stehen. In ihrer Mitte, eingetieft, brennt die ewige Flamme zum Gedenken an die Getöteten.
Sie brennt auch für Kissajikians Familie. Vier Geschwister seiner Großmutter und deren Eltern wurden ermordet. Die Großmutter, damals ein 14-jähriges Mädchen, verheiratete sich in der Hoffnung, dadurch Vergewaltigungen zu entgehen. Ihr Mann überlebte, weil sein Bruder sich weigerte, den Entkräfteten auf einem der Todesmärsche zurückzulassen.
Um nichts als die Anerkennung solcher Leiden geht es Kissajikian und unzähligen anderen - die Anerkennung, dass das Böse Plan und Ziel hatte, dass die Toten nicht der Kollateralschaden einer Welt im Aufruhr waren. «35 bis 40 Prozent der jungen Türken glauben inzwischen, dass es sich um einen Genozid handelte», sagt er. Für ihn ein wichtiger Fingerzeig, denn: «Das erste Hindernis für Versöhnung ist die Leugnung.»
Auch das Oberhaupt der armenisch-apostolischen Kirche, Patriarch und Katholikos Karekin II., wird später bei einer Messe des Papstes in Gjumri eine «fortgesetzte Politik der Leugnung» anprangern, wie zuvor Staatspräsident Sersch Sargsjan in Richtung Türkei verlangte, «die Dinge beim Namen zu nennen». Nichts symbolisiert diese Forderung mehr als Zizernakaberd, die basaltgraue, gespaltene Nadel, die sich vor der Kulisse des schneebedeckten Bergs Ararat erhebt.
«Schwalbenfestung» heißt Zizernakaberd auf Deutsch, und außer dem hellen Tschirpen der Vögel auf ihrer Jagd auf Mücken ist nichts zu hören, als Franziskus mit Karekin II. und dem Präsidentenpaar zu dem Denkmal schreitet. Zu den Seiten halten Kinder fotokopierte Blätter in Händen, die die Opfer der Massaker als Märtyrer darstellen. Franziskus legt ein gelb-weißes Blumengebinde vor den Pylonen nieder, verweilt minutenlang mit gefalteten Händen und gesenktem Blick.
Unter den Gästen, die aus Lateinamerika angereist sind, hat jemand eine armenische Flagge entrollt mit der spanischen Aufschrift: «Danke, Heiliger Vater, für die Anerkennung des Genozids». Er beachtet es nicht. Dann steigen sie hinab in das Steinrund, Papst, Patriarch und Präsident. Das Gebet, das Franziskus spricht, handelt von Schuld und Sühne. Es erklingt Musik von Duduk-Flöten, geschnitzt aus Aprikosenholz, Heimatklänge für jeden Armenier weltweit. Es sind melancholische Weisen.
Zum Ende pflanzt der Papst einen Baum, neben einem Nadelgehölz von Frankreichs Ex-Präsident Jacques Chirac. Er begrüßt Nachkommen von 400 armenischen Waisenkindern, die vor hundert Jahren im Papstpalast von Casel Gandolfo Zuflucht fanden. Vor dem Gehen trägt er sich in das Buch der Gedenkstätte ein. Da weicht er wieder vom Skript ab.
«Gott bewahre die Erinnerung des armenischen Volkes», schreibt er in Ergänzung zum vorgesehenen Vers. «Die Erinnerung darf nicht verwässert und nicht vergessen werden. Die Erinnerung ist Quelle des Friedens und der Zukunft.» Der «Osservatore Romano» meldet kurz darauf irrtümlich, der Papst habe «Quelle des Friedens und der Vergebung» geschrieben. Das ist ein Wort, das Franziskus bis jetzt in Armenien vermeidet.
Papst Franziskus besucht das armenische «Völkermord-Mahnmal»
Papst Predigt in der Eucharistiefeier auf dem Vartanants-Platz in Gjumri
Grußwort des armenisch-apostolischen Katholikos-Patriarchen Karekin II. (Nersissian)
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