Staatsrechtler warnt vor pseudoreligiöser Überhöhung Europas

29. Juni 2016 in Aktuelles


Nach der Entscheidung der Briten für den EU-Ausstieg warnt der Göttinger Rechtswissenschaftler Hans Michael Heinig vor einer pseudoreligiösen Überhöhung der europäischen Integration.


Bonn (kath.net/KNA) Nach der Entscheidung der Briten für den EU-Ausstieg warnt der Göttinger Rechtswissenschaftler Hans Michael Heinig vor einer pseudoreligiösen Überhöhung der europäischen Integration.

«Wer das bisherige Einigungswerk zu einem eschatologischen Heilsakt überhöht, provoziert Gegenreaktionen», schreibt der Professor für öffentliches Recht und Staatskirchenrecht in der neuen Ausgabe der in Bonn erscheinenden «Zeit»-Beilage «Christ und Welt». «Wer das Ziel einer immer engeren Union verfolgt, ohne ihren Zweck zu erklären, verliert Vertrauen und Zuspruch der Bürger.»

Heinig unterstreicht, dass es gute politische Gründe für eine enge Zusammenarbeit Europas gebe. Europa-Enthusiasten neigten aber zu dem Glauben, der Weltenlauf folge einer planmäßigen Gesetzmäßigkeit, die zu einer Überwindung des Nationalstaats führe. «Vielleicht besteht Europas größte Gefahr heute nicht in antieuropäischen Populisten, sondern in Integrationisten, die von ihrer Sache so beseelt sind, dass sie weitere Fortschritte auch dann noch durchsetzen wollen, wenn diese keine demokratische Akzeptanz finden», so der Wissenschaftler.

Heinig erinnert daran, dass Europa eine Vielzahl von Krisen durchlaufen hat - vom Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft über de Gaulles Politik des leeren Stuhls bis zur «Eurosklerose» der 1970er Jahre, eine Art Stillstand. Vor diesem Hintergrund sei der Brexit «weder ein Auszug in das Gelobte Land noch das Fanal für einen dritten Weltkrieg und ganz sicher auch nicht der Anfang vom Ende einer politischen Union europäischer Staaten».

Nach den Worten von Heinig ist die EU «keine dem Nationalstaat vergleichbare Schicksalsgemeinschaft, sondern ein Zweck- und Wertebündnis», dessen Gestaltung offen ist. Nach Meinung des Rechtswissenschaftlers ist Europa aber zu sehr zu einer Sache der Eliten geworden. Und weil Eliten weltweit massiv an Vertrauen eingebüßt hätten, schlage die Elitenkrise ungebremst auf die europäische Integration durch.

Als realistische Vision skizziert der Staatsrechtler ein «Europa der konzentrischen Kreise»: Ganz außen die mit der Union assoziierten Staaten, die lediglich den Zugang zum Binnenmarkt suchen. In einem zweiten Kreis bewegen sich die Staaten, die die Union in ihrem bisherigen Stand aufrechterhalten. «Vielleicht bildet sich auf Dauer aber auch noch ein dritter Kreis heraus, der Nukleus eines bundesstaatlichen europäischen Gemeinwesens mit vertieften Kompetenzen in Fragen innerer, äußerer und sozialer Sicherheit.»

(C) 2016 KNA Katholische Nachrichten-Agentur GmbH. Alle Rechte vorbehalten.


© 2016 www.kath.net