15. August 2016 in Österreich
Linzer Bischof stand Festgottesdienst bei traditioneller Roma-Wallfahrt in Mariazell vor - Aufruf zu mehr gegenseitigem Verständnis zwischen Roma und Mehrheitbevölkerung - Auch Kirche bei Integration der Roma noch säumig
Mariazell (kath.net/KAP) Zur Überwindung gegenseitiger Vorurteile und des gegenseitigen Misstrauens zwischen Roma und der Mehrheitsbevölkerung hat der Linzer Bischof Manfred Scheuer aufgerufen. Scheuer stand am Sonntag dem Festgottesdienst in der Mariazeller Basilika bei der traditionellen Roma-Wallfahrt vor. In seiner Predigt sprach er ungeschminkt zahlreiche Probleme an, mit denen Roma in Österreich und Europa zu kämpfen hätten und warb zugleich für mehr gegenseitiges Verständnis. Dabei nahm er die Mehrheitsbevölkerung wie auch die Roma in die Pflicht.
Die Roma-Wallfahrt fand am Sonntag bereits zum 21. Mal statt. Die Pilgerreise der Roma (vor allem aus dem Burgenland) nach Mariazell weist eine jahrhundertlange Tradition auf, die während des NS-Regimes unterbunden und im August 1996 von den österreichischen Roma-Vereinen wieder ins Leben gerufen wurde.
Viele Roma würden inzwischen ohne Einschränkung am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben teilnehmen, sagte Bischof Scheuer in seiner Predigt, andere lebten aus den verschiedensten Gründen aber noch immer in prekären Verhältnissen. Sie hätten oft nur sehr schwache Verbindungen in die gesellschaftlichen und sozialen Strukturen hinein. Vor allem beim Schulbesuch und später bei der Integration in den Arbeitsmarkt gebe es in diesen Fällen Probleme.
Bei allen Diskussionen über Schwierigkeiten sollte zugleich nicht vergessen werden, dass es auch viele Beispiele von Roma gibt, "die in unseren modernen Gesellschaften gut integriert und beruflich sehr erfolgreich sind". Auch bei neu zuwandernden Roma in Österreich "gibt es viele, die gesellschaftlichen Aufstieg suchen und für jede Unterstützung dankbar sind".
Scheuer erinnerte an den Appell von Papst Franziskus an die Roma, ihre Kinder in die Schule zu schicken. Die Zeit sei gekommen, um seit Jahrhunderten bestehende Vorurteile und gegenseitiges Misstrauen auszumerzen, die oft die Basis von Diskriminierung, Rassismus und Xenophobie seien, so der Bischof unter Verweis auf den Papst.
Größte transnationale Minderheit in Europa
Der Bischof sprach in seiner Predigt auch die europaweite Dimension an: Die je nach Angabe zwischen sieben und zwölf Millionen Roma bildeten die größte transnationale Minderheit in Europa. Seit etlichen Jahren sorgen Probleme um die Migration von Roma-Gruppen, vor allem aus Südosteuropa, für mediale Aufmerksamkeit. Besonders groß sei die Aufmerksamkeit, wenn Roma sich in Elendsvierteln oder Zeltlagern am Rande der Städte Europas niederlassen.
Bischof Scheuer zeigte Verständnis dafür, dass Vertreter der heimischen Sinti- und Roma-Verbände besorgt darüber seien, dass die neue heftige Diskussion über sogenanntes "sozial nicht angepasstes Verhalten" von neu zugewanderten Roma alte, rassistisch aufgeladene Wahrnehmungen und Vorurteile befördert. Das könne eine neue Welle des sogenannten "Antiziganismus" auslösen, der die Lebenssituation der betroffenen Menschen noch verschärfe. "Alarmismus" sei hinsichtlich dieser Entwicklung ebenso fehl am Platz wie Beschwichtigung, so der Bischof.
Erste Motivation für die Migration sei die extreme Armut und die Diskriminierung in den Herkunftsländern. Bei vielen Roma verschärfe sich ihre Situation durch die entsprechenden sozialen Folgeerscheinungen wie Krankheiten, Behinderungen, Analphabetismus oder die Anfälligkeit für Praktiken des Menschenhandels.
Eine, wenn auch nicht die einzige Ursache für diese Probleme sei ein seit langer Zeit tief verwurzeltes Misstrauen und die starke Abgrenzung zwischen den Angehörigen der Mehrheitsbevölkerungen und den jeweiligen Roma-Minderheiten. Hinzu kämen Ausgrenzungen und Diskriminierung im Schulsystem, die ein Aufbrechen des Teufelskreises aus Bildungsarmut, Diskriminierung und materieller Armut nahezu unmöglich machten.
Herausforderung an Christen
Christen dürften aber in Migranten und Flüchtlingen nicht nur ein Problem sehen, das bewältigt werden muss, "sondern einen Bruder und eine Schwester, die aufgenommen, geachtet und geliebt werden müssen", so Scheuer wieder unter Verweis auf Papst Franziskus.
Der Papst rufe dazu auf, die eigene Einstellung gegenüber Migranten und Flüchtlingen zu überdenken: Er wünsche sich einen "Übergang von einer Haltung der Verteidigung und der Angst, des Desinteresses oder der Ausgrenzung" hin zu einer "Kultur der Begegnung"; er hebe den Wert der Vielfalt hervor, wenn Menschen verschiedener Herkunft zusammenkommen. Freilich sei dem Papst auch bewusst, dass diese seine Vorgaben weniger die Realität beschreiben würden, als vielmehr den Gegenentwurf einer besseren Welt zeichneten, räumte Bischof Scheuer ein.
Gedenken an NS-Opfer
Der Bischof erinnerte in seiner Predigt auch an die tausenden von den Nazis ermordeten österreichischen Roma und Sinti; etwa an die Liquidierung des "Zigeu-nerlagers" in Auschwitz/Birkenau am 2./3. August 1944, wo auch mehrere Hundert österreichische Roma - Männer, Frauen, Kinder - ermordet wurden. Mehr als 5.000 burgenländischen und steirischen Roma und Sinti wurden ins ehemalige Getto "Litzmannstadt" verschleppt und dann fast alle im Vernichtungslager Kulmhof ermordet.
Von den rund 11.000 Roma und Sinti, die 1938 in Österreich lebten, überlebten nur zehn Prozent den Zweiten Weltkrieg und NS-Terror. Heute leben in Österreich etwa 40.000 Roma und Sinti.
Während der Nazizeit habe die Kirche den Eltern und Großeltern der jetzigen Generation nicht geholfen, bedauerte Bischof Scheuer. Erst zu Beginn des Jahres 2000 habe sich Papst Johannes Paul II. bei allen Ethnien und Religionen - darunter auch die Roma und Sinti - entschuldigt, denen durch die katholische Kirche besonderes Leid zugefügt wurde. Auch gegenwärtig würden sich aber die katholischen Gemeinden noch schwer tun, Roma in das alltägliche Pfarrleben mit hinein zu nehmen, räumte der Bischof ein.
Scheuer gedachte weiters auch der vier Burgenländer, die der Volksgruppe der Roma angehörten und bei einem politisch und rassistisch motivierten Bombenanschlag in Oberwart in der Nacht vom 4. auf den 5. Februar 1995 getötet wurden. Das Gedenken sei "Ausdruck der Verbundenheit mit den Vorfahren und Ausdruck des Glaubens", sagte Bischof Scheuer.
Hohe Bedeutung der Wallfahrten
Seit den 1990er Jahren bemüht sich die Katholische Kirche in Österreich verstärkt um die Roma und Sinti, sei es im Rahmen der Bischofskonferenz oder in einzelnen Diözesen wie im Burgenland. Viele Roma und Sinti sind römisch-katholisch, es gibt aber auch evangelische, orthodoxe und muslimische. Vor allem in den Städten wenden sich auch immer mehr Roma den Freikirchen zu.
Wallfahrten spielen in ganz Europa bis heute eine große Rolle unter den Roma und Sinti. Die bekannteste ist wohl jene in Frankreich nach Saintes-Maries-de-la-Mer zur schwarzen Sarah , zu der jährlich Tausende kommen. Aber auch Maria-Radna in Rumänien oder die schwarze Madonna in Altötting in Bayern sind neben der Muttergottes in Mariazell Ziele von Roma-Wallfahrten.
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Foto Bischof Scheuer (c) Diözese Linz / Hermann Wakolbinger
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