Trotz Priestermangel die klassische Leitungsstruktur bewahren!

24. August 2016 in Kommentar


„Natürlich kenne ich die von Kissler monierten Worthülsen von Partizipation und Synergien. Aber…“ Eine Antwort auf Alexander Kissler. Gastkommentar von Markus Gehling


Münster (kath.net) Kürzlich erschien im CICERO ein weiterer Text von Alexander Kissler, der sich mit der Krise der Kirche beschäftigte. Unter dem Titel "Der Priestermangel ist gewollt" entwickelte der Journalist ein Szenario, in dem bedeutsame Kräfte in der Kirche an der Marginalisierung des Priesteramtes arbeiten würden. Am Beispiel des Bistums Limburg, das er als besonders krasses Beispiel eines bundesweiten Trends anführt, versuchte Kissler zu belegen, dass man ausgerechnet die Priester als Hindernisse auf dem Weg zu einem neuen Kirchentyp, einer "Kirche der Partizipation" identifiziert habe. Diese sträubten sich gegen den Aufbau der sog. "Pfarreien neuen Typs".

Wie Kissler hierauf kommt, ist mir ein Rätsel. Es stellt alle mir bekannten Fakten auf den Kopf. Als Pastoralreferent wäre ich ja eigentlich einer derjenigen (jedenfalls in den klassischen Verschwörungstheorien der Kisslerschen Art), der vom Verschwinden der Priester profitieren würde, da mir hier neue Macht zuwächst.

Demgegenüber sehe ich den Prozess der Bildung von Großpfarreien nach wie vor eher skeptisch. Ich habe immer gern in überschaubaren Pfarreien unter einem Priester und mit ihm gearbeitet. Dabei macht es keinen Unterschied, ob dieser ein traditionelles oder ein eher progressives Priesterbild hat. Partizipation habe ich mit vielen Priestern erlebt. Die Beteiligung der Betroffenen an Entscheidungsprozessen ist unabhängig davon, ob jemand traditionell oder progressiv ist. Das Charisma der Leitung ist von solchen Kategorien unabhängig. Wichtig ist, dass der Priester in seinem Amt nicht selbst wackelig und verunsichert ist.

Der Widerspruch zu Kisslers Theorien blieb nicht aus und mit grundsätzlicher Zustimmung las ich die Replik von P. Adrian Kunert SJ auf kath.net. Neben Kisslers Polemik wirkt dieser Text wohltuend sachlich und legt dennoch die vorhandenen Probleme offen.

Im Bistum Münster gibt es - ähnlich wie in anderen Bistümern - ebenfalls einen Prozess der Fusionierung von Pfarreien zu Großpfarren. Hierbei geht man nach einigen Irrungen und Wirrungen den Weg, dass jeweils die Pfarreien einer Kommune zusammengeführt werden. In diesen Pfarreien werden leitende Pfarrer eingesetzt, während die weiteren Priester in diesem Kontext als priesterliche Mitarbeiter eingesetzt werden.

Natürlich kenne ich aus den - inzwischen schon langjährigen Prozessen - die von Kissler monierten Worthülsen von Partizipation und Synergien. Aber jenseits der wohlklingenden Worte (und wenigen, trotz aller Skepsis sichtbaren Erfolgen) gibt es nur einen wirklichen Grund für diese Prozesse: man möchte die Zahl der Pfarreien an die Zahl der, auf längere Sicht verlässlich verfügbaren Priester anpassen. Wobei man in Kauf nimmt, dass eine gewisse Anzahl Priester aufgrund ihrer Fähigkeiten und ihrer Persönlichkeit keine Großpfarrei leiten wollen und können. Für sie bleiben aber ausreichend Pfarrstellen in kleinen Dörfern bzw. die Möglichkeit in einer Großpfarrei priesterliche Dienste zu tun, ohne die Letztverantwortung zu tragen. Der ganze Prozess zielt daher nur darauf, die klassische Leitungsstruktur der kath. Kirche zu bewahren, also gerade das Gegenteil von Kisslers Mutmaßungen. Selbst dort, wo die klingenden Worte von Partizipation und Mitverantwortung der Laien stärker bemüht werden, dürfte letztlich kein anderes Ziel hinter allen Maßnahmen stehen.

Dass sich ab und an ein Priester den neuen Entwicklungen entgegen stellt, kommt auch im Bistum Münster vor. In der Regel versucht man dann abzuwarten oder diesen Priester in einer kleinen Dorfgemeinde einzusetzen. Natürlich ist es nachvollziehbar, dass ein Priester die komfortable Situation einer überschaubaren Pfarrei für sich und seine Gemeinde erhalten möchte. Aber angesichts eines auch im Bistum Münster immer drängenderen Priestermangels verschließt sich kaum ein Seelsorger den neuen Strukturen. Welche Alternativen soll es auch geben, wenn man nicht die klassische katholische Pfarreistruktur unter priesterlicher Leitung aufgeben möchte?

Für eine Organisation der Seelsorge, wie ich sie vor 20 Jahren in Guatemala und heute z.B. in Uganda wahrnehme, wo Katechisten kleine Gemeinden oder Dörfer betreuen, zugeordnet zum Pfarrer im Hauptort, ist die Notwendigkeit hier in Deutschland noch nicht gegeben. Allerdings auch dank der Dienste von Priestern aus Indien, Polen, Afrika und anderen Regionen der kath. Welt.

In seiner Deutung der Professionalisierung und Verhauptamtlichung der Seelsorge durch Pastoralassistenten bzw. Pastoralreferenten muss ich P. Kunert - bei aller grundsätzlichen Zustimmung aber auch widersprechen.

Schon in den 20er Jahren gab es in den katholischen Gemeinden die Seelsorgehelferinnen, 1928 wurde für sie ein Ausbildungsseminar in Freiburg gegründet. Eingesetzt wurden diese Frauen in der Regel in größeren Gemeinden, die sich eine solche "Schwester" leisten konnten, zumeist waren sie unverheiratet, teilweise trugen sie eine Art Ordenstracht. Im Zuge des 2. Vatikanums fand man den Rahmen dieses kirchlichen Seelsorgeberufs nicht mehr stimmig. "Helferin", das klang so unselbständig und unprofessionell. Seelsorge, dieser Begriff war allzu sehr dem priesterlichen Dienst zugeordnet. So entschied man sich schließlich für den Begriff Pastoralassistent bzw. Pastoralreferent, alternativ Gemeindeassistent oder Gemeindereferent. In den Niederlanden war man etwas pragmatischer und nannte den Beruf "Pastoralwerker" = Pastoralarbeiter. Mit der Umbenennung einher ging auch die Öffnung des Berufs für Männer und Verheiratete.

Bis heute ist die Bezeichnung des Berufs auch in der Berufsgruppe umstritten, eine neue Bezeichung konnte aber nicht gefunden werden. Ich könnte mir persönlich sehr gut vorstellen, den weltkirchlich verbreiteten Begriff des Katechisten in Zukunft für alle Laien in der Pastoral zu verwenden. Auch in südlichen Ländern erhalten diese ja oft Zuwendungen von der jeweiligen Diözese bzw. Pfarrei, um ihnen ihren - meist nebenamtlichen - Dienst möglich zu machen.

Es erstaunt schon, dass P. Kunert in den - in fast allen Bistümern - klar dem Pfarrer zu- und untergeordneten pastoralen Diensten eine Konkurrenz bzw. eine zusätzliche Leitungsebene entdeckt. Und dann noch die Pastoralreferenten (ich nehme den Begriff in der Folge stellvertretend für alle seelsorglichen Laienberufe) in Bezug zu einer "Laienleitung" im Ordinariat setzt. In leitenden Positionen der Ordinariate finden sich nach meiner Wahrnehmung in der Regel studierte Juristen, ab und an auch promovierte Theologen oder sogar Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler, aber keine Pastoralreferenten. Daneben gibt es hier und da Bestrebungen, in priesterlosen Gemeinden Leitungsgremien zu beauftragen. Ich sehe aber nicht, dass hier Pastoralreferenten beauftragt würden, eher sind es gewählte Gemeindevertreter.

Als kleiner Exkurs: Ergeben sich viele Schwierigkeiten im Blick auf die priesterliche Leitung nicht aus der Tatsache, dass man das Charisma der Leitung theologisch nicht klar durchdefiniert? Es nimmt dem Leitungscharisma des Priesters nichts, wenn er nicht in jeder Frage der Letztverantwortliche und der Letztentscheidende ist. Im Gegenteil, es entlastet ihn, wenn er sich auf die wirklich priesterliche Leitungsverantwortung zu beschränken vermag. Nicht alles was "Leitung/Entscheidung/Letztverantwortung" heißt, ist priesterliche Leitung im theologischen Sinn.

P. Kunert problematisiert in seinem Kissler-Kommentar die spirituelle "Formung" der Pastoralreferenten, gibt aber an, dass er hier keinen aktuellen Einblick habe. Das ist sicher eine ebenso interessante wie vielseitige Fragestellung. Zu meiner Ausbildungszeit (sie liegt nun schon 25 Jahre zurück) gehörten zum Aspekt spiritueller Formung die Einübung des persönlichen, regelmäßigen Gebetes. Hier wurden wir z.B. mit dem Atemgebet vertraut gemacht, mit traditionellen volkskirchen Gebetsformen, aber auch mit dem (priesterlichen) Stundengebet (was uns durchaus empfohlen wurde). In der Kapelle des Ausbildungsinstitutes wurden Laudes und Vesper gemeinsam gebetet. Regelmäßig waren Eucharistiefeiern auch unter der Woche im Tagesplan. Dazu kamen Bibelgespräche, Schriftlesung, Wallfahrten etc..

Ich glaube auch nicht, dass die Ausbildungsleitung die spirituelle Formung der Pastoralreferenten vernachlässigt haben, weil man in diesem Beruf eine Übergangslösung sah, der nach Zunahme der Priesterberufungen wieder verschwinden würde. Nein, man sah darin eine Möglichkeit, die Laien stärker in die Seelsorge und Verkündigung einzubinden, fühlte sich vom Geist des Konzils getragen. Soweit ich weiß, stieg in diesem Zusammenhang auch die Wertschätzung der Katechisten in den Missionsgebieten.

Die spirituelle Formung der einzelnen Pastoralreferenten ist sicher sehr unterschiedlich. Viele von uns leben zölibatär, andere müssen sich den Raum für ein spirituelles Leben in der Familie eröffnen. Da ist neben einem zeitaufwendigen und fordernden Beruf meist nicht die Zeit für ein komplettes Stundengebet. Nicht wenige Pastoralreferenten fühlen sich geistlichen Bewegungen verbunden und orientieren sich spirituell an ihrer Bewegung oder auch an einer Ordensgemeinschaft.

Eine Alltagsspiritualität für Laien fehlt der Kirche weitgehend. Manche alte Tradition und Volksfrömmigkeit will heute nicht mehr zünden. An monastischer oder priesterlicher Spiritualiät vermag sich manche Familienmutter oder viel beschäftigte Fabrikarbeiter nicht zu orientieren. Wer betet heute noch regelmäßig, z.B. in und mit der Familie? Tischgebete sind sicher noch weit verbreitet. Auch das Abendgebet am Bett der Kinder oder der gemeinsame Gottesdienstbesuch am Sonntag ist hier und da noch selbstverständlich. Aber andere Traditionen verdunsten zunehmend.

In diesem größeren Kontext ist daher auch die Frage der der Spiritualität von Laienseelsorgern zu betrachten. Es kann nicht sinnvoll sein, sie nach dem Modell der Priesterausbildung "spirituell zu formen", erst recht nicht dann, wenn man die priesterliche Seelsorge klar akzentuieren möchte. Daraus ergeben sich die Schwierigkeiten, aber auch die Chancen einer gemeinsamen Suche nach einer tragfähigen Laienspiritualität. Und die muss auch entschlussfähig sein zu einer priesterlichen oder monastischen Spiritualität. Ich erlebe das auch nach 25 Jahren noch als Prozess, für mich persönlich aber auch in der Wahrnehmung dessen, was man in der Ausbildung der jungen Kolleginnen und Kollegen zu vermitteln sucht.

Die Vernachlässigung der "spirituellen Formung" der Pastoralreferenten ist sicher nicht die Erklärung für den Einzug "weltlicher Lösungsmuster" für Probleme der kirchlichen Organisation. Schon daher nicht, das die Pastoralreferenten gar nicht an den Schaltstellen sitzen. Im Bistum Münster ist es sogar so, dass Kolleginnen und Kollegen, die eine Aufgabe im Ordinariat aufnehmen, aus der Berufsgruppe ausscheiden. Ich kenne im Generalvikariat zwar einige Mitarbeiter, die zuvor einmal Pastoralreferenten waren, aber niemanden, der sich heute in leitender Funktion befände. Die Leitlinien der Pastoral werden im Bistum Münster nach wie vor von denen bestimmt, die über eine gediegene spirituelle Formung verfügen. Ich will an dieser Stelle aber nicht spekulieren, ob die Strategien und Ergebnisse hierdurch besser sind. Dass sie durch eine tiefere spirituelle Durchdringung besser würden, davon bin ich allerdings mit P. Kunert überzeugt. Aber darin erkenne ich eine gemeinsame Aufgabe von Bischöfen, Priestern und Laien.

Ich bin P. Adrian Kunert SJ für seine Replik auf Kisslers eigenartigen Text und die vielen wertvollen Anregungen dankbar und bitte ihn um Verständnis für diese - aus meiner Sicht - notwendige Ergänzung.

P.S.: Natürlich weiß ich, dass es unter meinen Kollegen sicher solche gibt, die als schlechtes Beispiel dienen könnten. Es gibt ganz bestimmt auch solche, die unter ihrer strukturellen Bedeutungslosigkeit als Laienseelsorger leiden. Aber die Mehrzahl sind doch kirchentreue und glaubensfrohe Menschen, die nur ein Ziel haben, Christus und der Kirche zu dienen und mitten unter den Menschen den Glauben zu bezeugen.

Markus Gehling ist Pastoralreferent in Voerde/Bistum Münster und führt den Blog „Kreuzzeichen“. Er ist verheiratet und Vater von vier Kindern.





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