30 Jahre 'Assisi': Dialog statt 'Agitprop'

30. August 2016 in Kommentar


„Wer heute so tut, als habe Johannes Paul II. in Assisi eine Religionsvermischung propagiert, der agitiert vorsätzlich gegen den Sinn dieser Treffen.“ Ein Beitrag von Franz Norbert Otterbeck im Rahmen des Sommer-Schreibwettbewerbs von kath.net


Köln-Deutz (kath.net) Agitatio et propaganda sind zwar lateinische Worte, dienten aber bislang nicht als einleitend kennzeichnende Worte einer Enzyklika. Aus gutem Grund. Das Kürzel ‚Agit-Prop‘ kennzeichnete die jeweiligen parteilichen Stellen für sozialistische oder kommunistische Propaganda. Die Verbreitung des wahren Glaubens, propaganda fide, scheute bisweilen populäre Mittel nicht, beispielsweise im Theater der Jesuiten, das die „letzten Dinge“ einschärfte (Himmel, Hölle und Gericht). In diesem Sinne war die Aktion, zu der 1986 der hl. Papst Johannes Paul nach Assisi rief, die Franziskus-Stadt, ein phänomenaler Beitrag zur Verbreitung des Glaubens, zugleich eine starke Geste sowohl wider den atheistischen Kommunismus als auch gegen die kapitalistisch-konsumistische Gottesvergessenheit gerichtet. Da nunmal die katholische Religion im Wesentlichen irreversibel die einzige wahre ist, die uns geoffenbart wurde, so schon Benedikt XV. in seiner Antikriegs-Antrittsenzyklika von 1914, wirft gemeinsames Beten diverser Religionen durchaus Probleme auf. Auch das II. Vatikanische Konzil verwirft den religiösen Indifferentismus, als sei jeder religiöse Akt jedes Menschen „gleich gültig“. Vor dreißig Jahren ging es aber um das globale Stopp-Signal, den Einspruch gegen einen „Humanismus“, der sich und seiner Autonomie allein genügt, ohne höhere Verantwortung. Religion als ein offenbar unausrottbarer anthropologischer Faktor enthält bereits den Hinweis, dass die Religion überdies die zweite, objektive Quelle nicht verleugnen kann: Gott und sein Reich; und es ist nunmal allein das Reich Christi, von dem Friede ausgehen kann, der wahr und gerecht ist, weil auf Liebe gegründet.

Wer heute so tut, als habe Johannes Paul II. damals eine Religionsvermischung zum Zwecke des Menschheitsfortschritts propagiert, der agitiert vorsätzlich gegen den Sinn der Treffen von Assisi (auch der von 2002 und 2011). Wer nicht Christus anbetet, der betet den Teufel an. So ungefähr zitierte Papst Franziskus schon in seiner ersten öffentlichen Predigt 2013 den gelehrten Leon Bloy. Dem wäre nichts hinzuzufügen. Hier das Banner Christi, da das Banner Satans. Diesem freien Geist der Unterscheidung, der in nachkonziliarer Zeit um eines Palaver-„Dialogs“ willen verunklart wurde, völlig ohne missionarische Erfolge übrigens, hat Benedikt XVI. in seinen acht Jahren mit großer Präzision voran geholfen.

Allerdings machte Alexander Kissler schon damals darauf aufmerksam, dass Léon Bloy mit einem etwas anderen Hintersinn urteilte: „In Bloys ‚Auslegung der Gemeinplätze‘ findet sich unter der Nummer 80 das Zitat, das Papst Franziskus wohl meinte: ‚Wenn wir nicht zu Gott oder für Gott sprechen, ist es der Teufel, zu dem wir sprechen, und er hört uns in fürchterlichem Schweigen zu.‘ Wenige Seiten später schreibt er böse: ‚Die Kanaillen ehren, die das Geld oder die Macht haben – das ist die Summe des bürgerlichen Gewissens.‘ Gewiss wird sich Franziskus keinen Bloy’schen Hass und keinen Bloy’schen Verwerfungs-Furor zueigen machen. Wie der Franzose aber sieht er die Welt als dramatischen Kampf zwischen Satan und seinem Gegenspieler, dem Heiligen Geist, und er sucht sich seine Bataillone eher bei den Armen und den Arbeitern als bei den Mächtigen.“

Man darf also die Frage stellen, ob Assisi-Aktionen in dieser Zeit, dreißig Jahre „danach“, noch den erhofften Effekt in die Breite des armen, frommen Volkes hinein erzielen. Keine Frage ist, dass es im ‚deutschsprachigen Raum‘ (und das ist keine Übersetzerkabine in Rio, sondern in etwa der Einflussbereich des Alten Reichs vor 1806) auch heute relative Armut gibt, keineswegs exklusiv inmitten der Flüchtlingsströme. Diese Armen zeigen allerdings keine Tendenz zum Dasein als „Kirchgänger“. Die Pastoral erreicht einen Sektor über 60, kleinbürgerlich bis mittelständisch situiert, theologisch eher bei Küng als bei Lefebvre. Sie fürchtet den Teufel nicht mehr, wohl aber das Weihwasser. Was einstmals ein „Versehgang“ war, das lernt der kaufmännische Angestellte heute allenfalls im Kurs zum Ständigen Diakonat. ‘Silence sur l‘essentiel‘ klagte Jean Guitton schon 1986: zum Wesentlichen nur Schweigen, im postkonziliären Diskurs.

Dieselbe Aussage, dieselbe Tat zu unterschiedlichen Zeiten erzeugt nicht immer dieselben Wirkungen. Eine eher defensive Auffassung vom Lehramt der Kirche sieht keinen immerwährenden Triumphzug päpstlichen Richtertums am Werk, sondern eher eine christozentrische Befugnis zu Anpassungen, um das Wesentliche immer gleich zu verkündigen. Eine Öffnung des Christusdogmas auf andere Religionen hin muss also dazu führen, dass der einzige Mittler zwischen Gott und den Menschen im Fazit größer erscheint; und nicht kleiner, relativiert. Der Konzils-Fortschritt, der einen relativen Eigenwert der anderen Religionen anerkennt, nimmt dafür zum Ausgangspunkt den absoluten Wert der einzigen Heilstat Christi. Weil Jesus „der Herr“ ist, nur deshalb geht der religiöse Gestus der Andersgläubigen nicht ins Leere. Aber der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs ist nicht „Allah“, selbst wenn dieses Wort philologisch den einzigen Gott meinen kann, unsern, dem man und frau auf dem sichersten und glückseligsten Weg in der Una Sancta Catholica begegnen kann; ihn aber auch dort (selten) verfehlen, wie schon der hl. Augustinus lehrte. Manche sind drin, aber draußen; manche sind draußen, aber drin. Die Ausnahme kann aber nicht zur Regel werden. In diesem Sinne „verwirft“ sogar Lumen gentium 14 den berühmten Satz 1 von Gaudium et spes. Nachlesen! Seid getrost: Den Satz versteht „draußen“ sowieso niemand mehr, denn der „nächsten Generation“ ist der Sinn dafür verloren gegangen, dass die dort erwähnten „Jünger Christi“ die rechtlich verfasste Kirche bezeichnen, nicht aber die Zeitgenossen Jesu. Wobei sophistisch angemerkt werden darf, dass wir in der Taufe und Eucharistie auch immer Zeitgenossen Jesu sind, was der Protestantismus heute ignoriert.

Assisi ist gewiss ein Ort, der sich zur interreligiösen Begegnung eignet, denn der Heilige von dort wirkt weit über die Grenzen seiner Kirche hinaus. Man fragt sich allerdings, ob explizit katholische Marienwallfahrtsorte sich für ähnlich motivierte interreligiöse Anstrengungen eignen, wie dies der jüngst verstorbene Rupert Neudeck aus Troisdorf im vorigen Sommer für Kevelaer initiierte. Unter den 200 Teilnehmern fanden sich einige Muslime und sogar ein offizieller Repräsentant des Judentums. Man darf vielleicht so sagen: Es trafen sich dort christlich-humanitäre Sympathisanten des von vielen Seiten belobigten Engagements des „Cap Anamur“-Gründers. Aber den Teilnehmern blieb unklar, warum ein Zitat von Martin Luther King jr. diese Veranstaltung kennzeichnen sollte: „I have a dream“. So what? Diese zu Washington am 28. August 1963 proklamierte Rede von eminenter Bedeutung für die Bürgerrechtsbewegung kennt überhaupt keine explizite Bezugnahme zur Religion überhaupt, vom Beruf des Predigers nur abgesehen. (Sein Vater durfte übrigens 1977 einen Gottesdienst zum Amtsantritt von Präsident Jimmy Carter leiten, dem mit Abstand konservativsten Demokraten, der im 20. Jahrhundert ins Weiße Haus gewählt wurde.) Der Dialog der Religionen hat auch nur sehr mittelbar mit Krieg und Frieden zu tun. Es ist eine „schwarze Legende“, dass zuerst und vor allem die Religion die Menschen entzweit. Hierbei sind nicht alle Religionen „gleich schwach“. Näheres dazu sagte Papst Benedikt XVI. vor knapp zehn Jahren in Regensburg. Assisi 1986 war zuerst und vor allem ein anti-totalitäres Signal, gewährt, fest auf dem Boden der Offenbarung, der einzigen. Der Islam gehört übrigens nicht zur Offenbarung. Zu respektieren, lehrt uns das Konzil, sind redliche Teile der Gottesfurcht der von Mohammed (oder wem auch immer) religiös geprägten Menschen. Assisi 1986 beschränkte sich mit Bedacht nicht auf die so gen. „abrahamitischen“ Religionen. Dieser Begriff aus der vergleichenden Religionswissenschaft, die nie neutral ist, enthält keinen objektiv feststellbaren Befund. Der Trend zur Bevorzugung der „Abrahamiten“ im Religionsdialog soll irgendeine Art von Konsens befördern, erscheint aber als untauglicher Versuch. Daraus kann kein „Weltethos“ geboren werden. Es ging 1986 in Assisi darum, dass Menschen unterschiedlichster Religiosität (und deren Praxis im Rahmen unserer überlieferten Rechtsordnung wird auch für kleinste Minderheiten gutgeheißen) der „Selbstvergottung“ der Menschheit entgegen wirken wollten; und damit dem kollektiven Selbstmord der Zivilisation widerstehen. Papst Johannes Paul II. hat keinerlei Religionsvertreter hervorgehoben oder „zensiert“. Es ging gewissermaßen um eine gemeinsame „Agitation“, nicht aber um gemeinsame Kapitulation vor dem Ungeist dieser Welt.

Unbedachte, unvorsichtige Imitationen des zeitgeschichtlichen Großereignisses könnten Verwirrung stiften und heute, denn wir leben in einer anderen Zeit, eher den Trend zur Religionsverachtung unterstützen. „Seht da, die Religiösen sehen es allmählich ein, dass sie Krieg bringen statt Frieden.“

Der Krieg wurde bislang, in Orient und Okzident, immer aus der Politik geboren, nicht aus dem Christentum. „Religion“ ist nicht selten beigemischt gewesen, aber aus unserer Religion kamen immer auch Impulse des Friedens, oft und oft zu schwach, aber nie vergebens: Denn die Friedensstifter „innerhalb“ der Kirche sind Zeugen Christi, obwohl (und weil) dieser auch das Schwert der Unterscheidung brachte; und aus römischer Warte: letztlich deshalb starb. So kam Pilatus ins Credo, als Vertreter der „Fülle der Zeiten“, nämlich der römischen Rechtsordnung, der Erstgeburt universaler Mondanität. Der religiöse Indifferentismus unserer Tage ist nicht friedensfördernd, weniger als die Pax romana sogar. Er begnügt sich mit der zynischen Pilatusfrage: „Was ist Wahrheit?“ Jede Antwort darauf hätte Pilatus erzürnt. Vielleicht ahnte seine verdorbene Politikerseele aber, dass er selber in diesem Moment, und zwar Auge in Auge, der Wahrheit in Person gegenüberstand. Tertium non datur. „Wer nicht zum Herrn betet, betet zum Teufel.“ Darin sind sich Papst Franziskus und der Heilige von Assisi jedenfalls einig.

Welchen Charakter soll also der interreligiöse Dialog annehmen, will er gewaltfrei geführt werden? Vielleicht war Paul VI. in Ecclesiam suam, seiner Enzyklika von 1964, zu anspruchsvoll. Er gruppierte die konzentrischen Kreise, mit denen in den Heilsdialog einzutreten sei, selbstverständlich vom römischen Zentrum ausgehend in mehrere Klassen, bis hin sogar zu den ‚Nichtglaubenden‘, für die 1964 auch ein „Sekretariat“ eingerichtet wurde, das 1993 im Rat für die Kultur aufging. Erst 2011 waren in Assisi im Beisein von Papst Benedikt XVI. auch Nichtglaubende dabei. Damit hatte der Dogmatiker nebenbei „in der Tat“ klargestellt, dass solche Treffen wie in Assisi keinem Synkretismus dienen können.

Kein Dialog kann Christen zufrieden stellen, bei dem schon vor Beginn verabredet wird: Irgendwie sind wir ja alle für den Frieden. Der Teufel steckt bekanntlich im Detail. Sinnlos ist es freilich auch, erstmal vorab „den Propheten“ zu beleidigen, trotz aller Zweifel, die aufgeklärte Mitmenschen seinem Lebensweg und Werk entgegen bringen müssen. Diese Wege sind alle sehr steinig und dürfen die Frage nach religiösen Ursachen für Gewalt nicht „um des lieben Friedens“ willen aus der Erörterung ausgrenzen, siehe wiederum: Regensburg 2006. Für jede nur denkbare Völkerwallfahrt nach Jerusalem hinauf gilt allerdings: We have a dream. ‚Nos Dei Caritati credidimus‘. Wir huldigen keinem individualistischen Heilsegoismus. Die katholische Kirche will viel möglichst viele „in Ziel“ bringen, wie im Himmel so auf Erden. Denn wir haben der Liebe Gottes geglaubt. Ohne diese Vorgabe, der Gnade von oben, lohnt sich nämlich „der Weg“ nicht. Nirgends. Dann hört uns nur der Teufel in fürchterlichem Schweigen zu, wenn wir palavern statt anbeten.

Der Verfasser, Dr. iur. Franz Norbert Otterbeck, ist Rechtshistoriker und Wirtschaftsjurist. Siehe auch: kathpedia: Franz Norbert Otterbeck.

Der Beitrag erscheint im Rahmen des Sommer-Schreibwettbewerbs von kath.net. Wie finden Sie diesen Beitrag? Wir laden zum konstruktiven Feedback ein. Mit Ihrer Rückmeldung werden Sie "Teil der Jury". Gefällt Ihnen der Beitrag, dann liken Sie diesen bitte auch auf Facebook oder teilen diesen auf Twitter. Und machen auch Sie mit und schicken Sie uns Beiträge.


© 2016 www.kath.net