Deutsche Bischofskonferenz: Deutschland ist ein Einwanderungsland

22. September 2016 in Deutschland


Kardinal Marx präsentiert Ergebnisse der Bischofskonferenz-Versammlung: Neues Einwanderungsgesetz gefordert - Mehr Flüchtlingshilfe statt Aussiedler-Seelsorge – Dokument/Ehevorbereitung soll kommen - Religionsunterrichts-Kooperation mit Evangelischen


Bonn (kath.net/KAP) Die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) hat sich für ein neues, umfassendes Einwanderungsgesetz ausgesprochen. Eindeutig sei Deutschland ein Einwanderungsland, zumal mittlerweile rund ein Viertel der Bevölkerung Migrationshintergrund habe, sagte der DBK-Vorsitzende Kardinal Reinhard Marx am Donnerstag. Durch ein differenziertes Einwanderungsgesetz könnten die unterschiedlichen Motive und Wege der Migration geklärt werden, zumal derzeit viele Menschen, die eigentlich aus wirtschaftlichen Gründen einwandern wollten, über den Umweg des Asyl- oder Flüchtlingsrechts nach Deutschland kämen. Hier solle mehr Klarheit geschaffen werden.

Marx äußerte sich in einer Pressekonferenz zum Abschluss der viertägigen Vollversammlung der deutschen Bischöfe in Fulda. Migration und Flucht waren dabei ein bestimmendes Thema: Rückblickend hätten die 27 Diözesen des Landes in den ersten sieben Monaten des Jahres insgesamt mindestens 79,5 Millionen Euro an Flüchtlingshilfe aufgebracht, erklärte Marx. 52,2 Millionen Euro davon seien in Projekte in Deutschland und rund 27,3 Millionen Euro in Krisenregionen geflossen. Nicht eingerechnet seien hier das Engagement der Ordensgemeinschaften und Verbände, sowie nicht-finanzielle Hilfen wie die Unterkünfte für rund 28.000 Flüchtlinge in 1.381 Kirchengebäuden.

Viele Kirchengemeinden stellten laut Marx zudem Räume für Freizeit- und Beratungsangebote zur Verfügung. Malteser und Caritas betrieben Not- und Gemeinschaftsunterkünfte, in denen mehrere Tausend Flüchtlinge untergebracht sind. Bereits 5.900 hauptamtliche Kirchenmitarbeiter würden nunmehr professionelle Hilfe für Flüchtlinge wie Rechtsberatung, Gesundheitsvorsorge oder Sprach- und Integrationsförderung anbieten, ehrenamtliche Helfer gebe es rund 100.000. Da viele Ehrenamtliche durch die Tätigkeit über Monate hinweg stark belastet seien, hätten etliche Diözesen und Verbände Ehrenamtskoordinatoren eingestellt und würden auch fachliche Beratung, Supervision und Fortbildung anbieten.

Ende der Vertriebenen-Pastoral

Während das Engagement für Flüchtlinge aufgestockt wird, wollen die Bischöfe die vor 70 Jahren errichtete überdiözesane Sonderseelsorge für Vertriebene und Aussiedler auslaufen lassen. Weiterhin wolle man die Vertriebenenorganisationen bei der Pflege des geistigen und kulturellen Erbes fördern, etwa durch Gottesdienste oder Wallfahrten für Heimatvertriebene in den Diözesen und Gemeinden, zudem bleibt der Erfurter Weihbischof Reinhard Hauke der dafür zuständige Bischof. Eigene Visitatoren für diese Seelsorge gibt es jedoch nicht mehr. Viele der über 12 Millionen Menschen, die nach 1945 aus osteuropäischen Siedlungsgebieten nach Deutschland kamen, sowie ihre Nachfahren hätten die Erinnerungskultur gepflegt und gleichzeitig viel zum "Friedensprojekt Europa" beigetragen, würdigte Marx.

An der europäischen Integration wollen die Deutschen Bischöfe auch nach dem erfolgten Brexit-Beschluss Großbritanniens festhalten. Die Kirche werde sich nachdrücklich für dieses Friedensprojekt engagieren und sich "auf der Grundlage ihrer positiven und konstruktiven Haltung zur politischen Einigung des Kontinents aktiv an der Debatte über die Zukunft der EU beteiligen", erklärte Marx, der zugleich Präsident der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Union (COMECE) ist.

Die katholische Kirche habe sich sowohl in Großbritannien als auch im Vatikan und in der EU gegen den Austritt Großbritanniens aus der EU gesprochen, erinnerte der Kardinal. Da aber offenbar in der öffentlichen Meinung die Unterstützung für die Vertiefung der europäischen Integration nachlasse, stehe nun "eine Debatte über die Zukunft Europas" an.

"Amoris laetitia" umsetzen

Bei den innerkirchlichen Themen bekanntem sich die 66 versammelten deutschen Bischöfe zur "einmütigen" Umsetzung des Papstschreibens "Amoris laetitia" zur Ehe- und Familienseelsorge. Ein gemeinsames Schreiben mit Bestimmungen zur Seelsorge an wiederverheirateten Geschiedenen sei aber nicht geplant, doch würden "Konkretisierungen" insbesondere für die Themen Ehevorbereitung und Ehebegleitung erarbeitet werden, erklärte Marx.

Die Worte, die der Papst in "Amoris laetitia" gefunden habe, seien sehr nahe an dem, was die deutschen Bischöfe bereits vor der letzten weltweiten Familiensynode geschrieben hätten, betonte Marx. Sie seien sogar "mit Begeisterung" aufgenommen worden, auch wenn das für Bischöfe vielleicht etwas euphorisch klinge, fügte der Kardinal hinzu. Ein eigenes Hirtenwort, von dem vorab häufiger die Rede war, sei aber nicht notwendig, denn "wir müssen die schönen Worte des Papstes nicht noch einmal mit unseren Worten verdrechseln".

Marx unterstrich, dass die Öffnungen des Papstes in der Geschiedenen-Seelsorge zu einer Stärkung des Gewissens der Betroffenen führen solle. Es gehe nicht darum, der Beliebigkeit und dem moralischen Relativismus Vorschub zu leisten. Zur besonders heftig diskutierten Frage, ob wiederverheiratete Geschiedene unter bestimmten Voraussetzungen auch wieder zur Kommunion gehen dürfen, sagte der Münchner Erzbischof, natürlich habe sich hier "die Tür geöffnet".

Gemischter Religionsunterricht

Zu den weiteren Beschlüssen der DBK zählt die stärkere Zusammenarbeit mit der evangelischen Kirche beim Religionsunterricht angesichts abnehmender Schülerzahlen, etwa durch "gemischt-konfessionellen Lerngruppen", erläuterte Marx. Es gehe aber nicht um eine Abschaffung des konfessionellen Unterrichts, sondern um eine Weiterentwicklung.

Als eine weitere Neuerung wurde am Donnerstag nach zahlreichen weiteren Personaländerungen bei den DBK-Kommissionen die Bestellung des Hamburger Erzbischof Stefan Heße als Verbindungsmann zum Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) bekanntgegeben. Heße soll als Nachfolger von Bischof Gebhard Fürst den Kontakt zum obersten katholischen Laiengremium wahren, zu dem die Bischöfe mitunter ein spannungsgeladenes Verhältnis pflegten; zu Reizthemen gehören u.a. die Mitbestimmung der Laien bei Reformen oder Gemeindezusammenlegungen, die Lockerung des Pflichtzölibats, die Zulassung von Frauen zum Diakonat oder die katholische Beteiligung an der Schwangerschaftskonfliktberatung.

Warnung vor Tests an Demenzkranken

Deutliche Vorbehalte äußerten die katholischen Bischöfe gegenüber einem Deutschen Gesetzentwurf zu Arzneimitteltests an Demenzkranken. Marx appellierte an den Bundestag in Berlin, eine intensive Debatte über die Forschung an nichteinwilligungsfähigen Menschen zu führen. Das geplante Gesetz dürfe nicht einfach durchgepaukt werden. Nichteinwilligungsfähige seien besonders schützenswert, Forschung dürfe hier nur nach strengen ethischen Maßstäben stattfinden. "Wir haben große Bedenken, weil diese Art der Forschung erhebliche Gefahren und Belastungen für eine extrem schutzbedürftige Gruppe von Menschen, wie etwa Demenzkranke in einem fortgeschrittenen Stadium, mit sich bringt", so Marx.

Die Deutsche Bundesregierung will in engen Grenzen Arzneimittelversuche an nichteinwilligungsfähigen Patienten erlauben, von denen diese voraussichtlich keinen Nutzen mehr haben werden. Dazu sollen die Betroffenen bei noch klarem Bewusstsein ihre Bereitschaft zur Teilnahme in einer Probandenverfügung dokumentiert haben und sich zuvor ärztlich beraten lassen. Zulässig sollen zudem nur Studien mit einer minimalen Belastung sein. Die Vorlage zur Absenkung der Schutzstandards, die eine ab Ende 2018 greifende EU-Verordnung aufgreift und deren Entscheidung vom Bundestag infolge wachsenden Widerstandes mehrfach vertagt wurde, soll in der dritten Septemberwoche erneut debattiert werden.

Schließlich sprachen sich die Bischöfe für einen "zeitgemäßen Jugendschutz" im Internet aus. Angesichts der technologischen Veränderungen, die einen beinahe unbegrenzten Zugang zu Inhalten ermöglicht, forderten die Bischöfe in einem Positionspapier "taugliche Regelungen, die der Dynamik der Medienwelt Rechnung tragen". Das von Medienbischof Gebhard Fürst erarbeitete Papier warnt nachdrücklich vor "Hass und Verrohung der Kommunikation" im Internet. "Die in der analogen Welt geltenden rechtlichen, ethisch-moralischen und kulturellen Standards gelten auch für die digitale Welt", heißt es in dem bislang noch nicht veröffentlichten Dokument weiter.

Kardinal Marx - Pressetermin zum Auftakt der Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz: ´Ich habe einen langen Atem´


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