Krimis greifen Themen auf, die einst der Theologie vorbehalten waren

29. September 2016 in Aktuelles


(Evangelisches) Pfarrerblatt: Es geht um die Macht des Bösen und die Frage der Schuld


Kassel (kath.net/idea) Fernsehkrimis boomen wie nie zuvor. Allein bis zu 45 sind wöchentlich bei den öffentlich-rechtlichen Sendern zu sehen – von der Serie bis zum Fernsehfilm. Darauf macht die Medienwissenschaftlerin Elisabeth Hurth (Wiesbaden) im (evanglischen) Deutschen Pfarrerblatt (Kassel) aufmerksam. Sie geht darin der Frage nach, was Krimis so anziehend macht. Sie bieten laut Hurth dem Zuschauer eine Fülle von Themen an, denen sich einst Theologie und Kirche exklusiv gewidmet hätten. Dazu gehöre die Macht des Bösen und seine Folgen, die Frage nach Schuld und Sühne sowie die Möglichkeit einer Erlösung. Im Krimi wie in der Religion gehe es darum, sich dem Bösen in der Welt zu stellen, es zu deuten und zu „zähmen“. Und hier wie dort werde thematisiert, „dass der Kampf gegen das Böse nicht immer siegreich ist und dass eben nicht alles gut wird“. Hurth zufolge wendet sich der Krimi heute einem Publikum zu, dem der Anspruch eines personalen Gottes fremd geworden sei und der für die Lebensführung des Einzelnen immer bedeutungsloser werde. „In der Auseinandersetzung mit dem Bösen und seinen Folgen kommt Gott in der Regel nicht mehr vor“, so die Autorin. Traditionelle Krimis wie zum Beispiel die Vorabendserien „Notruf Hafenkante“ (ZDF) und „Großstadtrevier“ (ARD) gäben dem Zuschauer die Gewissheit, dass alles auf ein Ziel zulaufe: die Wiederherstellung von Recht und Gerechtigkeit. Die Ermittler sorgten dafür, dass „die Welt auch wirklich heil bleibt und sich das Happy End verlässlich einstellt“. Der Kommissar führe das aus, „was Gott heute nicht mehr zu tun scheint, er bestraft die Bösen und verhilft den Guten zu ihrem Recht“.

Durch den Krimi befriedigt der Zuschauer seine Aggressions- und Mordlüste

Der moderne Krimi – dazu zählt Hurth etwa die „Tatort“-Reihe – rücke dagegen vom „Happy-End-Schema“ ab. Zu einer gerechten Bestrafung des Täters komme es oft nicht mehr. Zumindest werde im Film aber versucht, die Hintergründe der bösen Tat offenzulegen. Der Zuschauer erhalte so den Eindruck, dass das Böse gebändigt werden könne. Laut Hurth sind Krimis heute zunehmend auf Zuschauer zugeschnitten, die sich an Mord und Totschlag ergötzen wollen. Der Täter lebe seine Machtgier, seine Rachegefühle und Geltungsansprüche unmittelbar aus. Er führe damit etwas vor, das dem Betrachter als eigene abgründige Seite vertraut sei. Der Zuschauer bilde das Dunkle in ihm selbst auf mediale Figuren ab: „Er spielt an ihnen das Böse und seine schrecklichen Folgen durch und befriedigt so unterschwellige Aggressions- und Mordlüste auf gefahrlose Weise.“

Der Kommissar hat seine Rolle als Gottesersatz und Heilsbringer ausgespielt

Hurth zufolge hat sich die Rolle der TV-Kommissare im Laufe der Zeit gewandelt. Sie seien im „Tatort“ keine „entrückt“ wirkenden Moralapostel wie einst Oberinspektor Derrick (er ermittelte in 281 Folgen zwischen 1974 und 1998), sondern vielmehr privat verletzliche Menschen mit alltäglichen Beziehungsproblemen. Während für Derrick sein Beruf immer auch Berufung gewesen sei, seien die modernen Kommissare überzeugt, dass sie in einem „Sch...-Job“ arbeiten, in dem sie es immer häufiger nur noch mit „kaputten“ Typen zu tun hätten. Neuere Krimireihen zeigen, so Hurth, eine brüchige und gefallene Welt, in der der Kommissar seine Rolle als Gottesersatz und Heilsbringer ausgespielt habe.


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