14. Oktober 2016 in Buchtipp
Denkfehler: Die angebliche Willkommenskultur in Deutschland. Leseprobe 1 aus der Neuerscheinung des Vorsitzenden der Polizeigewerkschaft: Rainer Wendt, Deutschland in Gefahr
Berlin (kath.net) Das Vorwort in voller Länge, Teil 1
Sie wollen einen starken Staat? Einen Staat, der unser Zusammenleben regelt? Einen Staat, der Regeln nicht nur aufstellt, sondern auch ihre Beachtung überwacht? Einen Staat, der Regelverstöße auch konsequent ahndet?
Dann sollten Sie falsch parken.
Haben Sie einen Einbruch, eine Körperverletzung oder einen Betrug begangen, einen Menschen als Raser im Straßenverkehr getötet oder sind Sie Profi im Taschendiebstahl bleiben Sie gelassen. Erst mal müssen Sie erwischt werden, das Risiko ist gering. Und selbst wenn Sie das Pech haben sollten, machen Sie sich keine Sorgen.
Sie finden jemanden, der Ihnen bescheinigt, dass Sie eigentlich ein feiner Mensch sind. Oder dass Sie irgendwie traumatisiert sind, vernachlässigt, zu wenig geliebt oder zu viel verstanden wurden. Oder umgekehrt. Vielleicht haben die Eltern sich getrennt oder zu früh geheiratet, irgendwas. Und dann passiert, was hunderttausendfach passiert. Nämlich nichts.
Der Rechtsstaat fühlt mit Ihnen und gibt Ihnen Ratschläge, Ermahnungen oder Trainingseinheiten mit auf den Weg. Im Namen des Volkes. Und auf seine Kosten natürlich.
Wenn Sie falsch parken, kommen Sie damit nicht durch. Da gibts kein Pardon. Da setzt sich der Rechtsstaat durch. Klar, auch da können Sie sich rausreden und behaupten, Sie hätten das Auto da nicht hingestellt. Aber die Verwaltungskosten knöpft Ihnen der Staat ab, rigoros. Wäre ja noch schöner.
Neuer Versuch. Sie wollen zu einer richtigen Strafe verdonnert werden? Das ist zu schwierig; denn sie müssen fleißig sein. Rund vierzig Straftaten in Berlin beispielsweise reichen dazu nicht. Da gibts eine Geldstrafe unter 2 000 Euro. Ratenzahlung natürlich.
Bei kleinen Dingen kommen wir ganz groß raus. Hundesteuern, Bauvorschriften, Flaschenpfand, GEZ-Gebühren oder Mülltrennung, da sind wir fit in Deutschland, kleine Sachen gehen immer − große weniger bis gar nicht. Die letzte richtig große Sache, die wir geschultert haben, war die Wiedervereinigung. Eingeleitet und verwirklicht durch die Menschen, die auf die Straßen gingen und die friedliche Revolution erkämpft haben. Gestaltet und umgesetzt durch clevere Politik und einen starken öffentlichen Dienst, der mit seinen Beschäftigten eine rechtsstaatliche und funktionierende öffentliche Verwaltung quasi über Nacht ans Laufen brachte. Danach kam kaum noch was, Deutschland erlahmt. Große Bauvorhaben sind nicht mehr zu realisieren, richtige Reformen nicht durchsetzbar, große Zukunftsmodelle nicht vorhanden. Die Republik ist zugepflastert von Bauruinen und Denkmälern des Versagens politischer Baumeister.
Damit mich niemand missversteht: Natürlich ist es richtig, falsches Parken zu ahnden. Geht man mit aufmerksamen Augen durch unsere Städte, sieht man Rücksichtnahme und gegenseitigen Respekt im Straßenverkehr im »freien Fall«, das fängt beim Parken an. Deshalb ist es richtig, dort einzuschreiten, und die kommunalen Bediensteten sowie meine Kolleginnen und Kollegen machen einen guten Job (und müssen sich anschließend nicht selten beschimpfen, bespucken und tätlich angreifen lassen, aber dazu später).
Jetzt haben wir wieder eine neue große Aufgabe bekommen, eine Jahrhundertaufgabe, sagt die Regierung. Mindestens eine Million Menschen sollen in unsere Gesellschaft integriert werden. Und dazu müssen wir unsere Willkommenskultur pflegen, tolerant, weltoffen und geduldig sein − sagt unsere Regierung.
Sie macht dabei einige gefährliche Denkfehler. Der erste ist die angebliche Willkommenskultur in Deutschland. Das ist nichts anderes als ein künstlicher Begriff aus der Wunschkiste von Menschen mit edler Gesinnung, die ihr Gefühl zum Maßstab allen politischen Handelns machen. Und alle sollen mitmachen. Wer nicht will, wird ausgegrenzt, da ist dann Schluss mit Toleranz. In Wahrheit gibt es keine Willkommenskultur in Deutschland. Wenn ich jemanden willkommen heißen will, ist das eine persönliche, eine individuelle Entscheidung, nicht Ausdruck irgendeiner kulturellen Identität. Ich suche mir selbst aus, wen ich willkommen heiße und wen nicht, das geht nicht im Kollektiv. Wer das will, übersieht große Teile des Volkes und das geht dann schief. Und darüber freuen sich die Falschen, etwa die Extremen, die Rechten.
Die Formulierung einer Aufgabe für das Volk ist der zweite Fehler. Denn nicht die Regierung vergibt die Aufgaben, sondern das Volk selbst. Diese Aufgaben stehen dann im Gesetz und das bindet die Regierung. Das nennt man Mandat, genauer gesagt, politisches Mandat. In unseren Gesetzen stehen viele kluge Sachen. Zum Beispiel, dass die nationalen Grenzen zu sichern und zu schützen sind und dass dabei illegale Migration nach Deutschland zu verhindern und dafür die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen sind. Das ist Aufgabe der Regierung, aber genau das Gegenteil hat sie gemacht. Das lehnen viele Menschen ab und sie dürfen das. Deshalb brodelt es in Deutschland, was gefährlich für unseren Frieden ist.
Und jetzt gibt uns die Regierung eine Jahrhundertaufgabe, um die wir sie nicht gebeten haben. Und sagt uns, dass wir tolerant sein müssen und weltoffen. Das müssen wir nicht. Und schon gar nicht muss ich das wollen, was die Regierung will. Ich bin gerne tolerant und weltoffen, aber nicht, weil die Regierung das will, sondern weil ich das will. Ich mag viele Menschen und viele auch nicht. Bei denen, die ich mag, sind vielleicht Christen dabei, Muslime, Juden, was weiß ich, ich frage nicht danach. Ich mag nämlich keine Religionen, sondern Menschen, und es ist mir egal, ob und an welchen Gott sie glauben. Natürlich mag ich Menschen aus anderen Nationen, viele sogar. Aber ich will sie nicht mögen müssen.
Das Missverständnis der Regierung hat fatale Folgen. Denn die Menschen haben sich an Demokratie und Rechtsstaat gewöhnt. Sie wollen weiterhin, dass das Mandat auch Auftrag bedeutet und dieser Auftrag steht im Gesetz, zum Beispiel im Grundgesetz.
Wenn Sie nicht über die Absurditäten, Ungerechtigkeiten und die vielen Schieflagen in unserem Land nachdenken oder diskutieren wollen, nennen Sie ihren Gesprächspartner einfach einen Populisten. Das ist für ihn ganz schlecht. Weil: Populismus ist schlecht. Wo kämen wir hin, wenn die Vox populi, die Stimme des Volkes, Gehör fände. Meistens stört das Volk sowieso.
An den Absurditäten ändert das freilich nichts. Und daran, dass viele Menschen sich zunehmend verunsichert, ja regelrecht unsicher und konkret bedroht fühlen, auch nicht. Viele haben Angst und werden auch dafür noch beschimpft, belächelt, veralbert und gern auch in die rechte Ecke gestellt. Damit sicher ist, dass sie den Mund halten.
- Teil 2 des Vorwortes: 'Ein Staat, der seinen Schutzauftrag nicht ausreichend erfüllt' -
kath.net-Buchtipp
Deutschland in Gefahr
Wie ein schwacher Staat unsere Sicherheit aufs Spiel setzt
Von Rainer Wendt
Hardcover, 200 Seiten
2016 Riva
ISBN 978-3-86883-476-5
Preis 20.60 EUR
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