Nein heißt Nein: False Flag im Pfarrsaal

24. November 2016 in Kommentar


Christliche Frauenverbände laden als Referentinnen Abtreibungsbefürworterinnen und Unterstützerinnen gewalttätiger und extremistischer Störaktionen gegen eine friedliche Lebensrechtsdemonstration ein. Gastbeitrag von Tobias Klein


Berlin (kath.net/Blog ‚Huhn meets Ei‘) Am kommenden Freitag, dem 25. November, ist Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen, und auch die Kirchen tragen etwas zum Programm dieses Tages bei: In der katholischen St.-Bonifatius-Kirche in Berlin-Kreuzberg findet ein Ökumenischer Frauengottesdienst statt, veranstaltet von Frauen aus der Frauenarbeit in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO), der katholischen Frauenpastoral im Erzbistum Berlin, dem Ökumenischen Frauenzentrum Evas Arche e.V. und weiteren christlichen Frauenverbänden. Im Anschluss an den Gottesdienst wird es im Pfarrsaal von St. Bonifatius eine "Informationsveranstaltung zum Recht auf körperliche Selbstbestimmung" geben.

Was halten wir davon? Dass die Kirchen klar gegen Gewalt an Frauen – insbesondere auch sexuelle Gewalt – Stellung beziehen, ist sicherlich zunächst einmal zu begrüßen und durfte man auch erwarten. Dass sie dies ökumenisch tun, ist ebenfalls gut und sinnvoll. Gleichzeitig wird man wohl mit aller gebotener Vorsicht sagen können, dass es sich beim Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen primär um einen Gedenk- und Aktionstag der feministischen Bewegung handelt, deren Verhältnis zur Kirche, jedenfalls der Katholischen, ja nun nicht gerade unkompliziert ist. Das macht die Beteiligung der Kirchen an diesem Aktionstag zu einer mindestens potentiell heiklen Angelegenheit.

Ich muss in diesem Zusammenhang gestehen, dass ich beim Lesen der Pressemitteilung schon bei dem Stichwort "Recht auf körperliche Selbstbestimmung" innerlich leicht zusammengezuckt bin. Mir ist bewusst, dass ich mich mit dieser Aussage dem Verdacht aussetze, ich wäre gegen ein Recht auf körperliche Selbstbestimmung. Das könnte ich jetzt einfach verneinen, aber das ginge am Kern der Sache vorbei: Der Punkt ist, dass ich den Begriff von vornherein problematisch finde. Weil es sich – ähnlich wie beispielsweise bei dem Begriff "Homophobie" – um ein Schlagwort mit weitreichenden ideologischen Implikationen handelt. Weshalb ich denke, dass gerade kirchliche Organisationen sehr vorsichtig mit ihm umgehen sollten.

Zunächst einmal kann man feststellen, dass in dem Schlagwort "Recht auf körperliche Selbstbestimmung" zwei unterschiedliche Begriffe miteinander vermengt werden. Es gibt ein Recht auf körperliche Unversehrtheit; dieses ist eins der grundlegendsten Menschenrechte und wird in Deutschland durch Artikel 2 GG garantiert. Und es gibt den Begriff der sexuellen Selbstbestimmung, der als Rechtsgut, wenn ich richtig informiert bin, sein Debüt in der deutschen Rechtsordnung im Zuge einer grundlegenden Neubewertung des Sexualstrafrechts machte. Wann genau das war, habe ich auf die Schnelle nicht eruieren können, gehe aber davon aus, dass es in die Zeit der sozialliberalen Koalition (1969-82) fiel. Sexualdelikte, die zuvor als Verstöße gegen die Sittlichkeit betrachtet wurden, wurden umdefiniert zu Verstößen gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Dass man den Begriff der Sittlichkeit fallen ließ, war vermutlich der – durchaus plausiblen – Auffassung geschuldet, es könne nicht Aufgabe des Staates sein, seinen Bürgern bestimmte Moralvorstellungen zu oktroyieren. Nun hat es allerdings den Anschein, dass die Einführung des neuen Rechtsbegriffs der sexuellen Selbstbestimmung eben doch auch auf die öffentliche Moral zurückgewirkt hat: Die Auffassung, Einvernehmlichkeit sei das einzige relevante Kriterium für die ethische Legitimität sexueller Handlungen, scheint heute weit verbreitet. Der Rechtsordnung eines weltanschaulich neutralen Staates mag das angemessen sein, aber von den christlichen Kirchen sollte man doch annehmen dürfen, dass sie zu sexualethischen Fragen mehr und Anderes zu sagen hätte.

Umso mehr reibt man sich die Augen, wenn man liest, worum es in dem Ökumenischen Frauengottesdienst am 25. November gehen soll: "Unter dem Thema „Hört! Nein heißt Nein“ wird die Geschichte der Susanna aus dem Buch Daniel vorgestellt, die Geschichte einer Frau, die Nein sagt, als sie sexuell belästigt wird und der dieses Nein zunächst nicht geglaubt wird. Doch Gott ließ durch den Propheten Daniel Recht geschehen."

Ach so?! Im Grunde macht diese Lesart der alttestamentarischen Erzählung von Susanna und Daniel sehr schön die Absurdität der Verengung christlicher Sexualethik auf die Frage der körperlichen Selbstbestimmung augenfällig. Hätte Susanna eingewilligt, sich mit den beiden Alten einzulassen, wäre demnach also alles okay gewesen, ja? Das nenne ich mal kreative Exegese - oder, richtiger gesagt, Eisegese.

Bei der Informationsveranstaltung, die sich an den Gottesdienst anschließt, soll es, wie der Pressemitteilung zu entnehmen ist, schwerpunktmäßig um eine im September vom Bundestag verabschiedete Änderung des Sexualstrafrechts gehen: "Der Grundsatz 'Nein heißt Nein' ist jetzt gesetzlich festgeschrieben. Damit wird jede sexuelle Handlung, die gegen den erkennbaren Willen einer Person geschieht, unter Strafe gestellt."

Über die Gesetzesänderung als solche will ich gar nicht viel sagen, auch wenn man es aus philosophischer Sicht vielleicht sonderbar finden kann, dass es ein Gesetz braucht, um festzustellen, dass Nein Nein heißt; die Absicht, Frauen den größtmöglichen gesetzlichen Schutz vor sexueller Gewalt zu bieten, ist allemal gut und richtig. Ob das neue Gesetz in Hinblick auf dieses Anliegen tatsächlich eine Verbesserung gegenüber der bisherigen Gesetzeslage darstellt, ist eine Frage, die zu beurteilen ich gern Juristen überlasse; ich habe dazu durchaus unterschiedliche Meinungen gehört, aber das wäre ja etwas, was man anlässlich dieser Informationsveranstaltung diskutieren könnte. Sofern eine offene Aussprache im Rahmen dieser Veranstaltung überhaupt vorgesehen ist. Das geht aus der Pressemitteilung nicht eindeutig hervor. Wünschenswert wäre eine solche Aussprache jedenfalls auch noch aus einem ganz anderen Grund. Schaut man sich die Referentinnen des Abends – Birte Rohles, Referentin im Referat "Häusliche und sexualisierte Gewalt" der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes, und die SPD-Bundestagsabgeordnete Eva Högl – mal etwas genauer an, bekommt man nämlich einen recht bemerkenswerten Eindruck davon, was sie noch so unter dem Begriff "Recht auf körperliche Selbstbestimmung" verstehen.

Die Organisation Terre des Femmes engagiert sich zwar schwerpunktmäßig gegen häusliche und sexualisierte Gewalt, weibliche Genitalverstümmelung, Frauenhandel und Prostitution sowie Zwangsheiraten, setzt sich daneben aber auch vehement für ein "Recht auf Abtreibung" ein. So lobte die Organisation in einer Pressemitteilung vom 09.11.2015 die Kampagne "Women on Waves" ausdrücklich dafür, dass sie "mit ihrem Schiff [...] Frauen ab[holt], ob in Portugal oder Marokko, um auf internationalen Gewässern legale, sichere Abtreibungen zu ermöglichen – und den überall erstarkten Anti-Abtreibungsgesetzen und -bewegungen die Stirn zu bieten".

Zudem ist Terre des Femmes korporatives Mitglied im Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung, das alljährlich die Proteste gegen den Marsch für das Leben organisiert. Im Vorfeld des diesjährigen Marsches war auf der Terre des Femmes-Website zu lesen:

"Die Darstellung des Schwangerschaftsabbruchs als vorgeburtlicher Mord reduziert Frauen nicht nur auf ihre Rolle als Mutter, sondern nimmt ihnen das Recht auf einen medizinischen Eingriff, den diese Frauen als nötig und richtig erachten. Frauen müssen das Recht haben, zu entscheiden, was mit ihrem Körper passiert. Dazu gehört auch die Entscheidung, ein Kind zu bekommen oder nicht."

Auch Eva Högl, seit 2009 Mitglied des Deutschen Bundestages, vertritt die Forderung nach einem "Recht auf Abtreibung" und hat in den vergangenen Jahren wiederholt zur Teilnahme an Protesten gegen den Marsch für das Leben aufgerufen. Im Jahr 2014 äußerte sie hierzu: "Getragen wird dieser Marsch von christlich-fundamentalistischen Gruppen, die der Gesellschaft ihre überkommenen Moral- und Wertevorstellungen aufzwingen wollen. Diese Proteste unter dem Deckmantel des Begriffs 'Lebensschutz' sind tatsächlich der Versuch, uns gesellschaftlich um mehr als 40 Jahre zurückzuwerfen [...]. Alle Frauen und Mädchen haben das uneingeschränkte Recht auf Selbstbestimmung über ihr Leben und ihren Körper. Und für dieses Recht stehen wir ein."

Lassen wir uns das mal auf der Zunge zergehen: Christliche Frauenverbände laden Abtreibungsbefürworterinnen und Unterstützerinnen gewalttätiger und extremistischer Störaktionen gegen eine friedliche Lebensrechtsdemonstration als Referentinnen zu einer "Informationsveranstaltung" im Pfarrsaal einer katholischen Kirchengemeinde ein.

Man verstehe mich – bitte – nicht falsch: Ich bin nicht der Meinung, Frau Högl und Frau Rohles sollten in kirchlichen Einrichtungen generelles Haus- oder Sprechverbot bekommen. Christen sollten durchaus in der Lage und bereit sein, auch mit ihren Gegnern zu sprechen. Ich gehe ja schließlich auch zu deren Veranstaltungen (wenn man mich lässt). Ein Mikrofon in die Hand gedrückt bekommen habe ich da zwar noch nie, aber man soll ja nicht Gleiches mit Gleichem vergelten. Ich hätte durchaus nichts dagegen, diese Damen (oder auch andere Vertreter von Pro-Abtreibungs-Initiativen) bei einer Podiumsdiskussion auftreten zu lassen – vorausgesetzt, das Podium wäre so besetzt und würde so moderiert, dass auch der kirchliche Standpunkt angemessen zur Geltung kommt. Sie aber bei einer von kirchlichen Verbänden organisierten Informationsveranstaltung als (alleinige!) Referentinnen auftreten zu lassen, ist, das muss ich leider so deutlich sagen, offene Kollaboration mit dem Feind. Man mag hier einwenden, es gehe bei der Veranstaltung ja schließlich nicht um Abtreibung. Das stimmt; aber es geht um "körperliche Selbstbestimmung". Und dieser Begriff schließt in der Wahrnehmung der Referentinnen eben ein "Recht auf Abtreibung" ein. Es wäre eine skandalöse Verdunklung des kirchlichen Zeugnisses für das Leben, ihnen in diesem Punkt nicht in aller Deutlichkeit Kontra zu geben.

Da dies seitens der Veranstalter offensichtlich nicht vorgesehen ist, hoffe ich sehr darauf, dass die Teilnehmer der Veranstaltung dafür Sorge tragen werden.

Der Autor, Dr. Tobias Klein, lebt in Berlin.




© 2016 www.kath.net