Ein Lied für Nagasaki - Leseprobe 3

21. Dezember 2016 in Buchtipp


Leseprobe 3 aus dem Buch "Ein Lied für Nagasaki". Von P. Paul Glynn


Linz (kath.net)
Mittlerweile war er zu Hause angelangt und setzte sich an den niedrigen Tisch auf dem Tatami-Boden. Er nahm Pascals Les Pensées zur Hand und kaum hatte er einen Abschnitt gelesen, als er über einen Satz stolperte, der seine Aufmerksamkeit erregte: „Es gibt Licht genug für die, welche nichts anderes wollen als sehen, und Dunkelheit genug für die, welche eine entgegengesetzte Veranlagung haben.“ Plötzlich war es eindeutig für ihn: Wenn er die Taufe verschob, würde er weiterhin in der Dunkelheit leben!

Er traf seine Entscheidung, doch der Schmerz blieb bestehen. Mit ähnlichen Gefühlen wie damals, als er an die Front in der Mandschurei fuhr, schaute er bei Pater Moriyama vorbei. „Ich bin mir meiner Unzulänglichkeit vollkommen bewusst, doch ich bitte Sie dennoch um die große Gunst der Taufe, Shinpu-sama.“ Der Priester fragte, ob er sich auch ausreichend Zeit genommen hätte, denn für die Taufe sollte man sich nicht überstürzt entscheiden. Doch Nagai antwortete: „Shinpu-sama, meine Überzeugung steht fest – und mein Vater vertritt ebenfalls seine Überzeugung, dass ich einen Fehler mache. Wir hatten eine unangenehme Auseinandersetzung und je länger ich die Taufe hinauszögere, desto schlimmer wird es für uns beide. Bitte prüfen Sie mich und entscheiden Sie, ob ich für die Taufe bereit bin.“ Genau das tat der Priester an Ort und Stelle und danach hatte er keinen Zweifel mehr über Nagais Verständnis und seine Hingabe. Pater Moriyama stimmte zu, ihn ein paar Wochen später vor der Morgenmesse zu taufen.
Das war im Juni 1934, kurz nach dem Beginn der Tsuyu, der einmonatige Regenzeit, die für die jungen Reispflanzen im Mai lebenswichtig ist.

Nagai stand noch vor der Morgendämmerung im Dunkeln auf und stapfte durch den unaufhörlich fallenden Regen zur Kathedrale. Das Gebäude im ausländischen Stil tauchte undeutlich auf und unterstrich die Anschuldigungen seines Vaters, dass er seiner Familie und seiner Kultur untreu würde. Der Priester, Nagais Katechet und ein dritter Mann warteten in der Sakristei auf ihn. Letzterer war jener rotgesichtige, grobschlächtige Bauer, dessen mittelalterliches Chorgewand Nagai bei seiner ersten Messe an Heiligabend irgendwie lächerlich vorgekommen war. Dieser Mann, den Pater Moriyama als Nagais Taufpaten ausgewählt hatte, war Midoris Cousin, ein Faktor, der für seine Zukunft noch bedeutsam werden sollte.

Die vier gingen zu der schwach beleuchteten Taufkapelle und Nagai schrieb später, dass ihn Panik befiel, als der Priester das Taufbecken vorbereitete. Er wusste, dass er „Satan und all seinen Verlockungen des Bösen widersagen“ musste. Plötzlich schienen die Konsequenzen dieses Versprechens fast unmenschlich zu sein. Wie konnte er sich von Dingen lossagen, die er die meiste Zeit seines Erwachsenenlebens getan hatte, von Dingen, die seine Altersgenossen als Teil des normalen Lebens betrachteten?

Wie konnte er versprechen, dass er nur noch ein halber Mann, ein halber Japaner sein würde? Der Priester legte Salz auf Nagais Zunge. Nagai betete, dass er von den alten Begierden befreit würde und langsam kehrte Frieden ein. Das Latein hörte sich nicht länger fremdartig an. Stattdessen war es die harmonische Muttersprache einer weltweiten Familie, die aus allen Kulturen und Rassen zusammengesetzt ist. Es war die großartige Sprache, die in den unvergleichlichen Messen von Beethoven, Bach und Haydn zu hören war. Den Teil von sich selbst, den er für Christus verleugnete, war das „kleine Selbst“, von dem die alten Weisen des Ostens sprachen. Es stand im Gegensatz zum „großen Selbst“, das das Universum lebendig und unser kleines Selbst bedeutsam macht.

Als Taufname hatte Nagai den Namen des Jesuiten und Märtyrers Paul Miki gewählt. Er war einer der sechsundzwanzig Gekreuzigten von Nagasaki aus dem Jahre 1597. Nagai bewunderte sowohl Paul Mikis tief greifende Spiritualität als auch sein Gefühl für Nihon-teki, das durch und durch Japanische – etwas, das Paul Miki von seinem Vater, einem General in Ukon Takayamas Schloss, gelernt hatte.

kath.net Buchtipp
Ein Lied für Nagasaki
Von P. Paul Glynn
Geb., 320 Seiten
2016, Media Maria
Preis: Euro 19,50
ISBN 978-3-9454012-9-3

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