5. Dezember 2016 in Kommentar
Erfahrungen mit der Lehre von Bernhard Häring, mit der Natürlichen Empfängnisregelung und mit der Frage nach Stabilisierung der Ehe. Gastkommentar von Elisabeth Rötzer
Wien-Vatikan (kath.net) Waltraut Dorothea Sennewald ist Direktoriumsmitglied im Institut für Natürliche Empfängnisregelung (INER) Prof. Rötzer e.V. und sie ist die Verantwortlich für die Familie Solitude Myriam (FSM) in Deutschland und Österreich. FSM lädt Menschen in Trennung, Scheidung, Wiederverheiratung und Witwenschaft ein, den Weg mit der Kirche zu gehen und die Treue auf Distanz zum abwesenden Ehepartner zu leben. Eine Broschüre mit dem Titel Von der Trauer zur Freude gibt Informationen über diesen kirchlich anerkannten Weg von FSM.
Wie passen diese beiden Gruppen NER und FSM - zusammen?
Waltraut Sennewald, selbst eine Betroffene, sieht das Leid und die tiefen Verletzungen durch Scheidungen, besonders auch der Scheidungskinder. Es ist ihr ein Anliegen, Ehen zu stärken, Scheidungen zu verringern und dies gerade auch durch die Vermittlung der Natürlichen Empfängnisregelung (NER). Denn der Weg der NER hat sich als einen Beitrag zur Stabilisierung der Ehen bewährt. Was von Beginn der Verbreitung der NER an im Erfahrungsbereich zu erleben war, wurde durch zwei internationale Studien belegt: Paare, die die NER mit den herausfordernden Zeiten der Enthaltsamkeit leben, weisen eine sehr viel geringere Scheidungsrate auf als der Durchschnitt. Mercedes Wilson führte diese Studie für den amerikanischen Raum durch, 2008 folgte die Studie im deutschsprachigen Raum durch das Arztehepaare Dr. Michaela und Prof. Dr. Walter Rhomberg (siehe Eisl/Laun, Die Dynamik der Liebe).
Spätestens nach diesen Veröffentlichungen hätte ich mir gewünscht, dass die Verantwortlichen in der Kirche für Ehe und Familie verstärkt diesen Weg der NER aufgreifen, in die Ehevorbereitungskurse verpflichtend einbinden, und eine NER-Ausbildung für jene vorschlagen, die in der Eheberatung und Ehebegleitung mitarbeiten. Warum geschieht dies so wenig? Worin liegt das Problem, dass die NER immer wieder abgelehnt, ja bekämpft wird?
Die Angst eines Moraltheologen vor der Natürlichen Empfängnisregelung
Mein Vater, Josef Rötzer, begann 1951 mit der Arbeit auf dem Gebiet der NER. Seine sympto-thermale Methode legte er 1965 für Ehepaare in einem Sachbuch vor, und 1968 wurde seine erste Studie in einer medizinischen Fachzeitschrift publiziert. In Standardwerken der Gynäkologie wird diese Symptothermale Methode nach Rötzer in die höchste Zuverlässigkeitsstufe eingereiht. Bereits Anfang der 60er Jahre war Josef Rötzer bei den Treffen der deutschen Moraltheologen und der deutschen katholischen Ärzteschaft eingeladen. Seine fachliche Kompetenz wurde nie bestritten, aber seine Haltung, die kirchliche Lehre lebbar zu machen, wurde vor allem von einigen der damals bekannten deutschen Moraltheologen abgelehnt. Die Biographie meines Vaters würde bezüglich NER einen erhellenden Blick auf diese Zeiten vor und um Humanae vitae (HV) werfen!
Hier in diesem Gastkommentar greife ich einen Artikel auf, als Beispiel dafür, wie gegen die NER und somit gegen die Lehre von HV vorgegangen wurde. Im Heft 1/1976 (19.Jg.) von Theologie der Gegenwart erschien ein Artikel von Bernhard Häring unter dem Titel Neue Dimensionen verantworteter Elternschaft. Darin führt Häring aus, dass eine Empfängnisregelung mit Hilfe der Zeitwahl unzumutbare und nicht verantwortbare Nachteile habe, nämlich: Ehepaare, die die Zeitwahl leben, haben mit einer erhöhten Anzahl von Spontanaborten und mit einer erhöhten Anzahl von fehlgebildeten Kindern zu rechnen.
Es war die Aufgabe von Josef Rötzer, diese zu Unrecht aufgestellten Behauptungen in einem Artikel zu widerlegen: Verantwortete Elternschaft. Warum sollte die Zeitwahl problematisch sein? in: Die Neue Ordnung, Heft 1/1978, S.1-15. Da ich seit 1974 bei meinem Vater mitarbeiten durfte, erlebte ich dieses Geschehen direkt mit. Dieser Artikel wurde für mich ein Lehrbeispiel dafür, wie mein Vater Aussagen widerlegt hat: Er hat die von Häring verwendete Literatur im Original studiert, Kontakt mit Verfassern der angeführten Literatur aufgenommen, und er hat die internationalen Fachleute auf dem Gebiet der NER mit einbezogen. Diese Fachleute haben Häring zu ihrem internationalen Kongress 1976 eingeladen, damit er sich mit ihren Erkenntnissen auseinandersetze. Häring folgte der Einladung nicht. Er führte vielmehr die Angriffe gegen die Zeitwahl weiter, so auch in seinem 1977 erschienen Buch Ethik der Manipulation. Ein Zitat daraus: Schon vor Jahren wurde die Hypothese aufgestellt , wonach Frauen, die sich ausschließlich auf die Rhythmusmethode verlassen, einen höheren Anteil an geistig und leiblich defekter Nachkommenschaft aufweisen als andere. Der Verdacht hat sich in den letzten Jahren bis zum vollen Beweis verdichtet (Häring, S. 125). Rötzer schreibt in seinem Artikel, wie gut es gewesen wäre, wenn Häring sich mit den Fachleuten der NER auseinandergesetzt hätte: Wir hätten ihm sagen können, dass bei Ehepaaren, welche die modernen Formen der Zeitwahl ( ) durchführen, die Zahl der Fehlgeburten unter dem Durchschnitt der Gesamtbevölkerung liegt, ebenso der Prozentsatz der von Geburt an geistig oder leiblich defekten Nachkommenschaft. (Rötzer S.13) (Anm.: Als weiteren Beleg führte Rötzer eine langjährige prospektive Studie zu diesem Themenbereich durch, deren Ergebnisse 1983 beim Weltkongress in Hong Kong präsentiert und publiziert wurden.)
Leider hat Bernhard Häring seine Aussagen nicht zurückgenommen, vielmehr wurden seine falschen Aussagen von anderen Moraltheologen übernommen, z.B. von Johannes Gründel im Concillium 12 (1976) oder von Wilhelm Korff im Anzeiger für die katholische Geistlichkeit, September 1977. Die unhaltbaren Aussagen trugen zu einer Verunsicherung bezüglich der NER bei. Vielleicht liegt darin einer der Gründe, warum die Bedeutung der NER für die Stabilisierung der Ehe in den vergangenen Jahrzehnten unterschätzt worden ist?
Wo stehen wir heute, 40 Jahre danach?
Nützen wir heute die Chance, die NER als eine wertvolle Hilfe zur Prävention von Scheidungen aufzugreifen? Das eingangs beschriebene Zeugnis von Waltraut Dorothea Sennewald bestärkt mich darin, NER gerade auch im Hinblick auf die Stabilität der Ehe weiter zu verbreiten. Der heilige Papst Johannes Paul II. lehrt uns, diesen Weg zu gehen, und seine Theologie des Leibes mündet in der Hinführung zu HV und NER. Die am 04.09.2016 heiliggesprochene Mutter Teresa greift in ihrer Nobelpreisrede 1979 diesen Weg der NER auf (interessanterweise wurde dieser Teil über die NER in deutschen Übersetzungen der Nobelpreisrede weggelassen). Ihre Worte in ihrem so einfachen und klaren Englisch schließe ich hier als Resümee an:
And also, we are doing another thing which is very beautiful. We are teaching our beggars, our leprosy patients, our slum dwellers, our people of the street, natural family planning. And in Calcutta alone in six years - it is all in Calcutta - we have had 61273 babies less from the families who would have had, but because they practice this natural way of abstaining, of self-control, out of love for each other. We teach them the temperature method, which is very beautiful, very simple. And our poor people understand. And you know what they have told me? Our family is healthy, our family is united, and we can have a baby whenever we want. So clear - those people in the street, those beggars - and I think that if our people can do like that how much more you and all the others who can know the ways and means without destroying the life God has created in us.
Elisabeth Rötzer ist Präsidentin des Instituts für Natürliche Empfängnisregelung (INER) Prof. Rötzer e.V.
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