Palmer zur 'Nafri'-Debatte: Grüne müssen neue Antworten finden

4. Jänner 2017 in Deutschland


Grüner Oberbürgermeister von Tübingen: „Wenn hunderte von Frauen am Kölner Bahnhof angegrapscht werden und ein LKW eine Mordfahrt über einen Weihnachtsmarkt macht, wollen fast alle Menschen nicht vor dem Staat, sondern vom Staat geschützt werden.“


Tübingen (kath.net) „Wenn hunderte von Frauen am Kölner Bahnhof angegrapscht werden und ein LKW eine Mordfahrt über einen Weihnachtsmarkt macht, dann wollen fast alle Menschen nicht vor dem Staat, sondern vom Staat geschützt werden. Darauf gibt es keine grüne Antwort.“ Darauf machte der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) aufmerksam. Er äußerte auf Facebook, dass seine Partei „aus Protestbewegungen entstanden“ sei, dabei seien Polizei und Staat anfangs „der Gegner“ gewesen, „den man besiegen oder wenigstens einhegen musste“, dies wirke bis heute nach. Palmer erinnerte daran, dass er wisse, wovon er spreche, denn sein Vater sei „immer im Konflikt mit der Polizei“ gewesen (Palmers Vater Helmut Palmer war als „Remstal-Rebell“ auch überregional bekannt geworden). Palmer dachte in seinem Facebookeintrag darüber nach, warum die „dem Wortlaut nach harmlose Frage“ der grünen Bundesvorsitzenden Simone Peters „nach der Verhältnismäßigkeit der Polizeikontrollen in Köln“ so „großen Schaden angerichtet“ habe.

„Grüne Innenpolitik wird fast ausschließlich als Schutz des Bürgers vor dem Staat definiert. Und das ist ja auch wichtig. Aber alles hat seine Zeit“, erläuterte Palmer und griff damit bewusst oder unbewusst auf eine biblische Redewendung zurück. „Wenn die Polizei Nafri sagt und Nordafrikaner kontrolliert, dann ist der grüne Reflex, die Polizei zu hinterfragen“, auch dann, „wenn das Motiv der Schutz von Minderheiten vor staatlichen Übergriffen“ sei – doch sei dieser Reflex „in dieser Lage ganz und gar unverhältnismäßig“.

„Es wird übrigens so sein, dass in der Praxis auch Kontrollen dabei waren, die streng genommen racial profiling und damit gar nicht zulässig sind“, räumte der Grünenpolitiker ein. Doch wisse „jeder, der praktische Verantwortung“ trage, dass man im Ernstfall nie 100% einer Norm umsetzen kann, sondern Kompromisse machen muss zwischen Vorschrift und Wirklichkeit“.

In dieser Situation sei für die Polizei „ganz klar“ gewesen: „Lieber ein Nordafrikaner zu viel kontrolliert als zu wenig“. Doch die Polizei brauche „die Gewissheit, dass die Politik sie in der Praxis“ unterstütze. „Deshalb empfinden viele Polizisten die Kritik auch zu Recht als boshaft: Wenn wir Sicherheit herstellen sollen, dann fallt uns nicht in den Rücken“. Dies gelte, so schiebt Palmer nach, „übrigens auch für Oberbürgermeister, die sagen, wir schaffen das nicht mehr, was die Bundespolitik uns auflädt, oder wiedergeben, dass auch grüne Bürger Angst vor vielen alleinstehenden jungen Männern unter den Asylbewerber haben“.

Wenn die Grünen bei der diesjährigen Bundestagswahl „nicht wieder mit 8% in der Opposition versinken wollen, müssen wir beim Wahlprogramm 2017 die für uns sehr schwierigen Frage beantworten: Welche zusätzlichen Instrumente bekommt der Staat um uns vor Gewalt zu schützen, die von Menschen nicht-deutscher Herkunft ausgeht?“ Dazu reiche es „ganz sicher nicht mehr, Einzelfälle und allgemeine Prinzipien des Rechtsstaats zu beschwören. Spezifische Probleme brauchen spezifische Lösungen. Unser grünes Profil müsste sein, das so zu beschreiben, dass es wirksam wird, ohne rassistisch oder ausgrenzend zu sein.“

Die Bundesvorsitzende der Grünen hatte nach dem Großeinsatz der Polizei in der jüngsten Kölner Silvesternacht die Verhältnis- und Rechtmäßigkeit des Einsatzes in Frage gestellt. Es seien „insgesamt knapp tausend Personen alleine aufgrund ihres Aussehens überprüft und teilweise festgesetzt“ worden, auch seien „herabwürdigende Gruppenbezeichnungen wie ‚Nafris‘ durch staatliche Organe wie die Polizei völlig inakzeptabel“. Peters hatte damit eine bundesweite Debatte ausgelöst und erhebliche Kritik nicht nur aus der Union, sondern auch von Grünenpolitikern erfahren.

Foto oben: OB Palmer, Pressefoto der Stadt Tübingen (c) Stadt Tübingen/Gudrun de Maddalena


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