Wenn Zukunft Tradition braucht

31. März 2017 in Weltkirche


Die Liturgische Tagung verbindet Menschen und Zeiten - Hier trifft sich eine bunte Vielfalt derer, die den ernstzunehmenden Dialog über Kirche und Liturgie nicht nur plakativ fordern, sondern vor allem auch wagen. kath.net-Bericht von Martin Lohmann


Herzogenrath (kath.net/ml) Von den Klischees, die sich manche für diejenigen zurechtschustern, die eine bewährte und heilige Liturgie lieben, haben auf der 18. Kölner Liturgischen Tagung keine Bestand. Weder ist hier ein Hort von verklebten Nostalgikern, die angeblich Verstaubtes von gestern reanimieren wollen, noch findet man hier nur ältere Teilnehmer. Im Gegenteil: Hier trifft sich eine bunte Vielfalt derer, die den ernstzunehmenden Dialog über Kirche und Liturgie nicht nur plakativ fordern, sondern vor allem auch wagen und beherrschen. Und das generationenübergreifend. Und auch die mehr als 70 Priester unter den 240 Teilnehmern passen in kein kleinkariertes Klischee oder in eine alles so einfach machende Schublade von Vorurteilen.

Die Tagung hat sich längst zu einem Forum, auf dem Geist und Bekenntnis eine sympathische Mischung eingehen, gemausert. Da kann es nur absurd oder schlichtweg simpel oder gar gutmenschreduziert sein, wenn – wie man das aus ansonsten theoretisch sehr dialog-affinen Bistümern zu hören bekommt – zu erfahren ist, dass kirchliche Mitarbeiter regelrecht unter Druck gesetzt werden, auf keinen Fall zu dieser Tagung zu fahren. Das geht offenbar bis hin zu arbeitsrechtlichen Drohszenarien. Warum eigentlich? Vielleicht ist die Ursache für ein solches Fehlverhalten nichts anderes als pure Ignoranz. Nichtwissen macht gelegentlich blind und kann in die Irre führen. Freilich trägt jeder aufgeweckte Geist das Potential in sich, solches Nichtwissen nicht zu konservieren, es sei denn, man ängstigt sich vor Erkenntnissen und will verhindern, anderen Mitchristen gerecht werden zu können.

Die Tagung in Herzogenrath jedenfalls bietet unzählige Möglichkeiten, seinen Horizont zu erweitern, Toleranz zu lernen und Verlorenes wenigstens einmal zu sehen - oder sehen zu wollen. Meist handelt es sich um einen Prozess und eine gewisse Biographie der Entwicklung, die man zulassen muss, wenn man nicht dem Aberglauben des immer schon vorhandenen Fertigseins erliegen will.

Ein mitreißendes und – hier darf dieses abgegriffene Wort einmal eine Chance haben – bewegendes Beispiel für einen solchen Weg des Reifens und der Erkenntnis lieferte der Erzbischof von Portland/Oregon, Alexander Sample (Foto), mit seinem autobiographischen Bekenntnis. Er sei, so sagte er, als in den Sechzigern Geborener ganz ein Kind der Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils, sei mit der neuen Liturgie aufgewachsen und habe sogar Zelebrationen rund um einen Tisch sitzend, bei denen Brotschalen zur Kommunion rundgereicht wurden, als ganz normal und „sehr relevanten Weg“, der junge Leute anspreche, empfunden. Gleichwohl habe ihn diese Art der Messfeier „very much unimpressed“, reichlich unbeeindruckt gelassen.

Erst als Bischof habe er richtig angefangen, den alten Ritus überhaupt zu entdecken. 2008 habe er begonnen, diese Form regelrecht zu lernen, als Folge des Motto proprio „Summonrum Pontificum“ Benedikts XVI. Als Bischof der Kirche habe er gedacht, es sei seine Pflicht, sich hier nun kundig zu machen und zu wissen, welche Tradition es hier gebe. Und da sei es, als er sich näher damit befasst habe, etwas Wesentliches mit ihm passiert. Er sei „tief beeindruckt“ gewesen von der Schönheit, der Würde und der Heiligkeit der traditionellen Messe, und: „Ich wunderte mich darüber, was nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil mit der Liturgiereform passiert war. Wie konnten wir so schnell den Weg verlassen von dieser Messfeier hin zu dem, was ich als junger Student zehn Jahre zuvor als normale Form empfunden hatte?“ Und Campe war und ist sich sicher: „Hier ist etwas grundlegend schief gelaufen.“

Und dann wurden Erinnerungen in ihm wach, wie er zuvor sich immer wieder gewundert hatte, dass jede Woche etwas Neues in der Liturgie hinzukam, wie er konsterniert wurde, weil sich stets etwas änderte oder als Innovation verkauft wurde. Alles schien möglich, aber eine Verlässlichkeit habe es irgendwie nicht wirklich gegeben. Irritationen gab es unter anderem, weil weltliche Musik begonnen hatte, die sakrale Musik aus der Liturgie zu verdrängen. Überhaupt habe das Säkulare faktisch einen erstaunlich breiten Raum in der Liturgie bekommen und eingenommen. Jeder Musikstil bekam eine Chance. Man könne man bisweilen feststellen: „Die Liturgie wurde von ihren Wurzeln abgeschnitten und wurde mit Überraschungselementen“ überfrachtet, so dass man sie nicht länger als Teil einer langen Tradition der Kirche erkennen konnte.

Er selbst habe als junger Mensch eine Zeitlang gar nicht wirklich gewusst und erahnen können, was tatsächlich in einer heiligen Messe geschieht. Er habe zwar an die Realpräsenz Christi geglaubt, aber er habe keinen blassen Schimmer davon gehabt, dass die heilige Messe wesenhaft ein heiliges Opfer sei, „die sakramentale Vergegenwärtigung des Opfers Christi“ auf dem Altar. Er habe – irrtümlich – bis dahin gedacht, die Eucharistiefeier sei vor allem eine verdichtete Erinnerung und Bewusstmachung des Letzten Abendmahles mit großer Empathie für den Mahlcharakter.

Nach seiner zu Studienzeiten begonnenen Entdeckungsreise und der erwachten Sehnsucht nach mehr habe er dann als Priester eine gewisse Traurigkeit gehabt, niemals wirklich die über Jahrhunderte in und von der Kirche gefeierte Messform erfahren zu können. Er war sogar ein wenig neidisch auf Priester, die durch ein Indult von Papst Johannes Paul II. die Erlaubnis bekommen hatten, den alten Ritus feiern zu können.

Mit dem Motu proprio von Papst Benedikt XVI. jedoch begann sein Weg der Erneuerung. Er, der selbstverständlich und gerne auch den Novus Ordo andächtig und ehrfurchtsvoll feiert und zu feiern versteht, machte sich auf einen neuen Weg. Nach 18 Jahren Priesterleben und zwei Jahren als Bischof begann er, sich selbst diese Messfeier beizubringen – und entdeckte einen reichen Schatz an Spiritualität und Ehrfurcht vor Gott. Als erst nach dem Konzil Aufgewachsener habe er dabei logischerweise bei sich keine Grundlage für Nostalgie oder Rückwärtsgewandtheit vorfinden können.

Heute wisse er, dass Papst Benedikt XVI. mit seinem Einsatz durch „Summorum Pontificum“ eine innere Erneuerung des Herzens der Kirche angestoßen habe. Benedikt habe die alte Form der Messliturgie von Verdächtigungen und Unsicherheiten, die nach dem Konzil entstanden seien, regelrecht befreit. Er habe wider alle Missverständnisse deutlich gemacht, dass die tradierte Feier in die Mitte der Kirche gehöre, nichts Verbotenes sein könne und nichts sei, dass man aus der Vergangenheit heraus entstauben müsse. Was frühere Generationen der Kirche legitim und ehrfürchtig feierten, könne heute nicht einfach in eine Mottenkiste geschoben werden. Vielmehr gelte es, diesen Schatz wieder zu heben und ihm seine innewohnende Strahlkraft zu lassen.

Es sei schön zu sehen, dass diese Strahlkraft auf viele Menschen wirke, vor allem aber auch auf viele junge Christen. „As we say in America, it catching on“ – es macht Schule. Nicht wenige seien davon überzeugt, dass es ein gravierender Fehler der Kirche gewesen sei, faktisch die alte Liturgie abzuschaffen. Bei ihm selbst, so der Erzbischof, habe sich durch die Entdeckung der tradierten Liturgie erst so richtig das Bewusstsein eingestellt, voll und ganz ein Priester zu sein.

„In die end, there is no going back“, es gebe nun keinen Weg zurück mehr. Die außerordentliche Form der Messe werde zunehmend „normaler“ im Leben der Kirche. Wer einmal von der reichen Quelle der liturgischen Tradition getrunken habe, könne sich nicht zufrieden geben mit weniger. Freilich: Es gebe noch viel zu tun, vor allem in der Kirche, wo manche Missverständnisse und einiges Unwissen wabere. Aber: Jede künftige Liturgiereform müsse an dem Reichtum und der Tiefe der Alten Liturgie Maß nehmen. Daher sei es auch wichtig, dass jeder Priester die außerordentliche Form kennenlerne und dann wisse, wovon er rede. Wer die außerordentliche Form kenne, lerne auch viel über die ordentliche Form der Messfeier. Bei allem aber gelte, so der Bischof: „Alles in Liebe, Caritas, Caritas, Caritas. Wir müssen hartnäckig und freundlich sein und bleiben.“ Wer wirklich etwas für die Heilige Messe tun wolle und dem heiligen Mysterium dienen möchte, sollte anderen, die noch vieles nicht verstehen, durch sein Verhalten keinen Anlass geben, Vorurteile bestätigt zu sehen. „Nein, nein, wir haben keinen Grund, nicht friedlich und freundlich zu sein.“

Der in Potsdam lehrende Kunstgeschichtler Professor Peter Stephan griff in seinem Vortrag den Gedanken des Schönen und Wahren auf und beleuchtete die Bedeutung der Kunst in der Theologie Benedikts XVI. Schönheit als Aufstieg zu Gott. Die Kunst und deren Fundament spiele für Papst Benedikt eine große Rolle: „Benedikts Theologie ist maßgeblich von der Vorstellung geprägt, dass Liturgie und Kunst den Weg zu Gott weisen, dass sich in beiden der göttliche splendor veritatis widerspiegelt. Beide setzen ein gläubiges Sehen voraus, das hinter der äußeren Form die metaphysische Wirklichkeit wahrnimmt. Diese Schönheit und diesen splendor wieder sichtbar werden zu lassen und der Form ihre Transzendenz zurückgeben – eben dies ist auch ein Hauptanliegen des Motu Proprio.“

Kunst lasse sich - nicht nur für den emeritierten Papst - von der Liturgie nicht trennen. Das gelte auch für den Kirchenbau: „Nicht weniger als die Musik stehen Architektur und Bildkunst von Anfang an im Dienst der Liturgie – einem gemeinsamen Dienst, den sie auch beim Bau des Salomonischen Tempels erfüllen, wenn Gott befiehlt, Seine Wohnung im Allerheiligsten mit zwei Cherubimstatuen zu zieren und im Vorhof das sogenannte Eherne Meer, eine auf dem Rücken von zwölf Rindern ruhende Schale, aufzustellen (1 Kö 6, 21-28 u. 7, 23). Die Kunst und das Kunsthandwerk werden im Alten Testament also durch ihre kultische Funktion legitimiert. Diese kultische Bedeutung macht Benedikt auch für das Kirchengebäude geltend. Die bauliche Ausrichtung hin zur aufgehenden Sonne (ad orientem) drückt die innere Hinwendung zum auferstandenen und glorreich wiederkehrenden Christus aus.“ In der Liturgie gehe die betende Gemeinde Christus in einer geistigen Prozession entgegen.

Die Kunst könne als Manifestationen Gottes begriffen werden, so Peter Stephan unter Berufung auf Benedikt. Sie sei weit mehr „als nur die ikonographische, raumdramaturgische oder musikalische Inszenierung der Liturgie. Sie ist der Liturgie auch wesensverwandt.“ Dies zeige sich bereits an den Psalmen. Die Psalmen kündigen Christus nicht nur an, „sondern entsprechen Seinem Wesen als dem Logos: im Sinne des sich der Welt mitteilenden Wortes (das nun vertont wird), aber auch im Sinne der göttlichen Vernunft“. Benedikt spreche von einem „Musikwerden des Glaubens“, das „ein Teil des Vorgangs der Fleischwerdung des Wortes“ sei, so wie umgekehrt die Musik auch „Geistwerdung“ der Materie bedeute. Die „Verleiblichung“ des Göttlichen in der Musik verhalte sich reziprok zur „Vergeistigung“ der Musik hin zum Göttlichen.

Diese für die Kirchenmusik getroffene Feststellung lasse sich auf die Bildkunst und die Architektur übertragen. Es sei jedoch entscheidend, dass sich Kunst und etwa Kirchenbau noch dem Anspruch stellen können, sich am Grund des Wahren, des Schönen und des Guten zu orientieren: Gott selbst. Künstlerisches Schaffen sei lange Zeit verstanden worden als Teilhabe an der göttlichen Schöpfung - was leider verloren gegen ist. Denn: „Neben der Erblindung des Geistes hat der Glaubensverlust für Benedikt zwei weitere Phänomene hervorgebracht, die er für die gegenwärtige Krise der Kirchenkunst ebenso verantwortlich macht: den „Ästhetizismus“ und die „Kreativität“.

Der Ästhetizismus, dem eine gewisse „Selbstzwecklichkeit“ innewohne, schließe jede Dienstfunktion der Kunst aus. Er strebe nach Kunst um ihrer selbst willen, die ihr eigenes Ziel und ihren eigenen Maßstab hat: „Benedikt sieht darin eine Anmaßung, die kein wirkliches Schöpfertum hervorbringt. Sie leugnet die kreatürliche Bestimmtheit des Menschen, der sich nun selbst zum Schöpfer aufwirft.“ Diese Art von „Kreativität“ führe den Menschen in die reine Willkür und in die Leere. Denn es gehöre zum Wesen des Menschen, dass er „aus Gottes ‚Kunst’ kommt, selbst ein Teil von Gottes Kunst ist und als Vernehmender Gottes schöpferische Ideen mitdenken, mitschauen, ins Sichtbare und Hörbare übersetzen kann“.

Peter Stephan sieht - mit Papst Benedikt - Kunst und Liturgie als Theophanie: „Wie in den Künsten wirken in der Heiligen Messe die Sinne zusammen, um Gott zu vergegenwärtigen. Auch in der Messfeier ist Christus Ursache und Ziel allen Geschehens. Bei der Wandlung sind Priester, Diakon und Subdiakon ähnlich auf Christus hingeordnet wie die Maßwerkstreben des Freiburger Münsterturms, die Rippen des Chorgewölbes in Lüttich oder die perspektivischen Fluchtlinien in S. Ignazio. Wie in der Kunst gilt in der Liturgie das Wechselverhältnis von Verleiblichung und Vergeistigung. Wie die Zeichenhaftigkeit von Bild und Bau bildet die Symbolik des Ritus Christus ab. Wie die Kunst ist die Liturgie von Gott vorgegeben.“

Welche Bedeutung kann und soll die Kunst für die Liturgie haben? Welche Wechselwirkung ist eigentlich angelegt? Stephan beschreibt es so: „Im Grunde genommen verstärken sich die Wesensmerkmale der Kunst in der Liturgie sogar. Wo, wenn nicht bei der Heiligen Wandlung, sind wir gehalten, hinter der äußeren Erscheinung die höhere Wirklichkeit zu sehen? In der Liturgie, die Zeit und Raum aufhebt, ist das Urbild im Abbild gegenwärtiger als in jeder Ikone. Und das himmlische Jerusalem, in dessen Mitte das Pascha-Lamm steht, wird im Sakralbau repräsentiert, während es in der Liturgie real präsent ist.“

Das bedeute dann aber auch, heute feststellen zu müssen, dass mit ihrer Neuausrichtung durch die Aufklärung die Kunst ihre Anschlussfähigkeit an die Liturgie regelrecht verloren habe. Außerdem sei „das anthropozentrische, diesseitsfixierte Schöpfertum des nachaufklärerischen Kunstschaffens auf die Liturgie übergesprungen“. Auch dort führten die Einfälle einzelner oder „irgendwelcher Planungsgruppen“ zu „banale(n) Worterfindungen“ und „Spielereien“. (Benedikt XVI.) Die Schönheit als Widerschein Gottes habe es bisweilen heute richtig schwer und werde immer wieder verunmöglicht. Dabei galt bis ins 20. Jahrhundert hinein Schönheit als der eigentliche Maßstab für gute Kunst. Schon für Platon bildeten das Wahre, Gute und Schöne eine Einheit.

Für Benedikt hat die Liturgie, wie übrigens auch die christliche Offenbarung, eine innere Verbindung zur Schönheit: „Sie ist veritatis splendor. In der Liturgie leuchtet das Pascha-Mysterium auf, durch das Christus selbst uns zu sich hinzieht und uns zur Gemeinschaft ruft. In Jesus betrachten wir – wie der hl. Bonaventura zu sagen pflegte – die Schönheit und den Glanz des Ursprungs.“ Hier liegt auch eine der Wurzeln von Benedikts Motu Proprio „Summorum Pontificum.“ Stephan: „Nichts ist daher absurder, als wenn Gegner der alten Liturgie das Motu Proprio mit dem Hinweis zu diskreditieren suchen, es sein Ausdruck eines ästhetisierenden Klerikalismus. Ebenso verkehrt ist es, das Motu Proprio als nachsichtige Rücksichtnahme auf rückständigen Nostalgiker deuten zu wollen oder davon zu sprechen, dass der Priester in der Alten Messe gegen eine Wand spreche. Wer so argumentiert, hat weder den transzendenten Charakter des Schönen noch das Wesen von Transzendenz an sich begriffen.“

Daher ist der Professor aus Potsdam auch davon überzeugt, dass Benedikt mit seinem Motu Proprio den „Weg für die Erneuerung der Kirche gewiesen“ hat: „Denn diese besteht in einer Erneuerung der Liturgie. Wann es dazu kommen wird, wissen wir nicht. Aber vielleicht finden wir Zuversicht in einer Metapher. Nicht von ungefähr hat Benedikt die liturgische renovatio mit der Reinigung eines alten Freskos verglichen. Im Missale sei die ganze Schönheit der Liturgie enthalten, sie müsse nur wieder von der sie überlagernden Schmutzschicht befreit werden, um ihre alte Strahlkraft wiederzuerlangen. Denken wir diese Metaphern weiter, so bedarf es, bis diese Schmutzschicht beseitigt ist, eines neuerlichen Fastens: jenes Fastens des Sehens, das durch die verschmutzte Oberfläche hindurchsieht, aber auch jenes beharrlichen Fastens, das nötig ist, wenn der Weg zur Schönheit sich als ein Weg durch die Wüste unserer Zeit gestaltet. Aber wir haben die Gewissheit, dass wir auf diesem Weg dem wiederkehrenden Christus entgegengehen.“

Welche Möglichkeiten es gibt, auf besondere Situationen einzugehen und dabei Teile des liturgischen Schatzes zu heben und zu sichern, zeigte Bischof Steven Lopes aus Houston/Texas auf. Er ist der erste Bischof des Personalordinariats „Kathedra Petri“, wo konvertierte Anglikaner in der katholischen Kirche ihre Heimat gefunden haben. Mit der Entwicklung der Missales „Divine Worship“, das im Anschluss an den Vortrag für jedermann mitzufeiern in der Liturgie in der Marienkirche von Herzogenrath real „gelebt“ wurde, hat man einen ökumenischen Meilenstein in der Vision Benedikts XVI. Gesetzt. Die Ordinariatsliturgie ist keine außerordentliche Form, verbindet aber altes katholische Messgut mit anglikanischer Tradition und heutigem Verständnis. Lopes sprach von einer Form der Liturgie als organischem Ausdruck des lex orandi und einer bemerkenswerten Brücke in der Ökumene. Rituelles und liturgisches Erbe des Anglikanismus sei in eine inhaltliche Verbindung mit dem katholischen Glauben und der tradierten liturgischen Erfahrung der Kirche gebracht worden. Bei der Konversion von vielen Anglikanern habe sich ganz konkret die Herausforderung gezeigt, deren Erfahrung ad orientem nicht zu ignorieren und dem damit verbundenen Wunsch zu entsprechen. Hier habe sich der alte liturgische Schatz der Kirche als Segen erwiesen.

Die daraus entstandene katholische Liturgie habe Elemente des Anglikanischen übernommen und eingebaut. So wird zum Beispiel das Evangelium aus der Mitte der Kirche, aus der Mitte der Gemeinde und in diese buchstäblich örtlich hinein feierlich verkündet. Das Schuldbekenntnis folge nach dem Evangelium, nachdem also das Wort Gottes die Herzen und Seelen für eine klare Erkenntnis geöffnet habe und die Augen des Herzens durch das Wort Gottes sehend geworden seien. So hat der Bußakt seinen Platz unmittelbar vor dem Offertorium. Einige Gebete aus dem anglikanischen Book of Prayer von 1662 wurden übernommen, der Kanon wird laut gebetet. Für Fest- und Sonntage sei das römische Hochgebet verpflichtend, die im Novus Ordo übliche Zählung der Sonntage „im Jahreskreis“ gebe es so nicht, sondern es werden die Sonntage „nach Epiphanie“, „nach Trinitatis“, „nach Pfingsten“ und so weiter gezählt. Lopes sprach insgesamt von einem sorgfältig begleiteten und vorbereiteten „katholischen Abenteuer“.

Mutmachende Abenteueratmosphäre auch in Herzogenrath? Das sonnige Wetter der ersten Tage schien jedenfalls passgenau zur geistigen Weite der hier Tagenden und Aufgeschlossenen zu sein. Klischees, die manche Unkenntnis verbreitet, haben hier keinen Platz in der realen kirchlichen Welt und sind eher postfaktisch oder gehören ins Reich der „alternativen Fakten“. Stattdessen ist auf der Liturgischen Tagung viel zu spüren von einem frischen und der Ehrfurcht Raum bietenden Geist der Nachhaltigkeit.

Erzbischof Alexander Sample von Portland/Oregon (USA), Referent bei der 18. Kölner Internationalen Liturgischen Tagung in Herzogenrath bei Aachen



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