Klassenkampf in Zeiten des Globalismus

23. Mai 2017 in Kommentar


Es geht nicht um einen Kampf zwischen solidarischen Weltbürgern und fremdenfeindlichen Abschottern, sondern darum, dass das Establishment zu wenig an die „Somewheres“ denkt. Diakrisis am Dienstag - Von Giuseppe Gracia


Linz (kath.net)
Kürzlich hörte ich im Zug zwei gut gekleidete Geschäftsherren über Migration diskutieren, über die EU-Krise, den Brexit und Frankreichs neuen Präsidenten Macron. Der Tenor: zum Glück sind die Populisten, die Abschotter und Fremdenhasser wieder im Abwärtstrend. Zum Glück wählt das Volk Humanisten mit Verantwortungsbewusstein, solidarische Weltbürger ohne Angst vor der kulturellen Bereicherung durch die Personenfreizügigkeit.

Das passt gut in die allgemein herrschende Meinung, die da lautet: die bunt vernetzte Moderne macht Menschen, die keine Angst haben, flexibler und erfolgreicher. Solche Menschen wählen linksgrün und sind auch sonst vernünftig. Doch leider gibt es Leute, die Angst vor der Geschwindigkeit des Fortschritts haben und sich überfordert fühlen. Diese Leute wählen SVP, AfD oder den Front National. Sie lassen sich verführen von Populisten und Rechtsnationalen. Das führt zu einem politischen Ringen zwischen Aufgeschlossenen, Zukunftsfreudigen und Verschlossenen, Rückschrittlichen.

Diese Sichtweise finde ich falsch und elitär. Dahinter steckt ein Überlegenheitswahn, der die Menschen in Taugliche und Untaugliche einteilt. Eine bessere Sichtweise bietet der englische Publizist David Goodhart. Nach ihm erleben wir eine neue Form von Klassenkampf. Auf der einen Seite stehen akademisch gebildete, mobile Leute, die von offenen Grenzen und Märkten profitieren. Goodhart nennt sie „Anywheres“: Leute, die aufgrund ihrer Laufbahn an vielen Orten leben können, egal mit welchem Pass. Die Wissensgesellschaft, ja die gesamte moderne Welt wirkt sich zu ihren Gunsten aus, auch sind sie in den letzten 30 Jahren immer mehr geworden. Auf der anderen Seite stehen die „Somewheres“: Leute, die an einem Ort verwurzelt sind, weniger mobil und mit weniger akademischen Abschlüssen, oft in Berufen tätig wie Handwerker, Bäcker oder Krankenschwester. Für diese Leute ist eine Politik wichtig, die zuerst die Interessen der eigenen Bevölkerung schützt. Eine Politik, die heute immer öfter fehlt, wenn in den oberen Etagen die „Anywheres“ den Ton angeben.

Es geht also nicht um einen Kampf zwischen solidarischen Weltbürgern und fremdenfeindlichen Abschottern, sondern darum, dass das Establishment zu wenig an die „Somewheres“ denkt. An Menschen ohne globale Berufsperspektiven. Menschen, die nicht einfach umziehen oder den Job wechseln können, wenn am Wohnort die Sozialkosten steigen, wenn offene Grenzen und Märkte das Leben härter machen. Personenfreizügigikeit bedeutet für diese Menschen vor allem Zuwanderung aus Billiglohn-Ländern, das heisst: Dumpingarbeit und Wohnungsknappheit. Und Globalisierung bedeutet, dass einheimische Produkte und Arbeitsplätze gegen China oder Vietnam antreten müssen.

In dieser Situation scheinen allein die „Anywheres“ mit ihren Jobs in Ministerien, Konzernkadern oder im höheren Beamtentum zu profitieren, aber nicht die „Somewheres“. Kein Wunder, wenn diese nicht begeistert sind vom weltoffenen Multikulti-Gehabe des Establishments, das hinter dem Panzerglas seiner Privilegien „Mut zur Zukunft!“ predigt. Das hat nichts mit dem fremdenfeindlichen Wunsch nach Grenzschliessung zu tun, sondern es ist einfach der Wunsch nach sozialer Sicherheit und mehr Wertschätzung.

Das sind Gedanken, die ich natürlich gern den beiden Geschäftsherren im Zug mitgeteilt hätte, aber leider sind sie, bevor ich dazu kam, beim Flughafen Zürich ausgestiegen, vermutlich, um in eine andere Stadt zu fliegen. Inzwischen betreiben sie ihre Geschäfte irgendwo anders, besser gesagt: „Anywhere“.

Giuseppe Gracia (49) ist Schriftsteller und Medienbeauftrager des Bistums Chur.


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