Was ist eigentlich dieser 'Populismus', von dem jetzt alle reden?

3. Juni 2017 in Kommentar


Erzbischof Ludwig Schick (Bamberg) unterstützt die Initiative „Pulse of Europe“ und warnt auf Twitter vor „Populismus“. Aber was ist das überhaupt? – kath.net-Kommentar von Tobias Klein


Berlin-Bamberg (kath.net/tk) Ludwig Schick, Erzbischof von Bamberg, ist einer der wenigen deutschen Bischöfe, die einen eigenen Twitter-Account betreiben – und womöglich sogar der einzige, der seine „Tweets“ überwiegend oder nahezu ausschließlich selbst verfasst. Unlängst trat der Bamberger Oberhirte nun bei einer Veranstaltung der Initiative „Pulse of Europe“ auf, die sich laut Eigenbeschreibung „für den europäischen Gedanken einsetzt“, und twitterte darüber: „PulsofEurope verdient Zustimmung. Ich war heute dabei[.] 'Der größte Feind für die europäische Idee ist der Populismus'.“ Der letzte Satz dieses Tweets war gleichzeitig der Titel des Vortrags, den Erzbischof Schick bei der „Pulse of Europe“-Veranstaltung gehalten hatte. Mit seiner Warnung vor Populismus steht der Erzbischof durchaus nicht allein – im Gegenteil, man könnte sagen, er liegt damit im Trend. Aber was ist eigentlich inhaltlich damit gemeint?

Unter „Populismus“ versteht man im allgemeinen Sprachgebrauch eine Form der politischen Auseinandersetzung, die mit übersimplifizierten Erklärungsmustern und Lösungsangeboten zu komplexen gesellschaftlichen Problemen, mit fadenscheinigen Versprechungen, Verleumdung des politischen Gegners sowie mit dem Schüren von Ängsten und Vorurteilen operiert. Diese entschieden negative Begriffsbesetzung ist eigentlich erstaunlich, wenn man bedenkt, dass „Populismus“ von „populus“, dem lateinischen Wort für „Volk“, abgeleitet ist. Das altgriechische Pendant dazu heißt „demos“, wie in „Demokratie“ = „Herrschaft des Volkes“. Ist Demokratie per se populistisch? Diese Frage wird uns noch beschäftigen; halten wir aber zunächst noch fest, dass von „populus“ auch das Wort „Pöbel“ abgeleitet ist. Hier zeigt sich also bereits eine Ambivalenz des Volksbegriffs.

Schon die antike römische Republik kannte die Fraktionen der „Optimaten“ und der „Popularen“, die sich weniger durch konkrete inhaltliche Positionen voneinander unterschieden als vielmehr durch einen bestimmten Politikstil. Während die Optimaten überzeugt waren, die Macht im Staate solle bei den gesellschaftlichen Eliten liegen, deren politisches Organ der Senat war, setzten die Popularen darauf, die Zustimmung des „einfachen Volkes“ zu gewinnen, um die Macht der Eliten auszuhebeln. Oft wohl nicht zu Unrecht wurde den Popularen nachgesagt, sich lediglich als Interessenvertreter des „kleinen Mannes“ zu inszenieren, um dabei in Wirklichkeit nur ihre eigenen Interessen zu verfolgen.

Man kann sagen, die rivalisierenden Politikkonzepte der „Optimaten“ und „Popularen“ begegnen uns seither in der Weltgeschichte immer wieder. Unter den Bedingungen der Demokratie sind nun allerdings alle politischen Positionen darauf angewiesen, um die Zustimmung der Bevölkerungsmehrheit zu werben. Wenn es unter diesen Bedingungen überhaupt eine Alternative zum „Populismus“ – also dazu, dem Volk das zu versprechen, was es sich wünscht – gibt, dann kann diese nur darin bestehen, dem Volk zu suggerieren, man wisse besser, was gut für es sei, als das Volk selbst. Dieser Ansatz wurde in der Vergangenheit vor allem von konservativen Parteien mit einigem Erfolg praktiziert; geradezu perfektioniert wurde er in jüngerer Zeit durch die Merkelsche Doktrin der „Alternativlosigkeit“.

In Zeiten, in denen der Alleinvertretungsanspruch der etablierten politischen Kräfte durch erstarkende „populistische“ Bewegungen gefährdet erscheint, zeigt der vermeintliche „Antipopulismus“ der Eliten allerdings selbst populistische Züge: Indem man die Populisten für böse und ihre Anhänger für dumm erklärt, suggeriert man der eigenen Zielgruppe: „Wenn ihr zu den Guten und Klugen gehören wollt, müsst ihr uns wählen“. Was soll das sein, wenn nicht populistisch?

Die im Titel von Erzbischof Schicks Vortrag bei „Pulse of Europe“ deutlich werdende Gegenüberstellung von „Populismus“ und „europäischer Idee“ weist jedoch noch auf einen anderen interessanten Umstand hin: Zunehmend fungiert die Vokabel „Populismus“ nicht mehr nur als Beschreibung eines bestimmten Politikstils, sondern als Chiffre für bestimmte politische Positionen. Als „populistisch“ werden nahezu ausschließlich solche Parteien und Persönlichkeiten bezeichnet, die ein an nationalen Interessen orientiertes, EU-skeptisches Programm vertreten: die UKIP in Großbritannien, das „Movimento 5 Stelle“ in Italien, Geert Wilders' PVV in den Niederlanden, der Front National in Frankreich, die AfD in Deutschland, die FPÖ in Österreich – und natürlich Trump. Dass einige oder auch alle der Genannten einen im Sinne der eingangs genannten Definition „populistischen“ Kampagnenstil pflegen, wird man wohl behaupten können; aber gilt das für ihre Gegner etwa nicht?

Exemplarisch sei hier an die Debatten im Vorfeld des „Brexit“-Referendums in Großbritannien und Nordirland erinnert. Es war eine einzige Schlammschlacht: Ängste wurden geschürt, politische Gegner diffamiert, haltlose Versprechungen gemacht – und zwar von beiden Seiten. Und nicht nur auf den Britischen Inseln selbst, sondern auch auf dem Kontinent. Und als dann das Undenkbare geschehen war und die Briten sich mehrheitlich für den Austritt aus der EU entschieden hatten, wurden sie verhöhnt und beschimpft – von denselben Leuten, die zuvor beteuert hatten, mit einem „Brexit“ würden die Briten nur sich selbst schaden, nicht aber der EU. Nun hieß es, die Briten seien schlicht zu blöd gewesen, in dieser Abstimmung die einzig richtige Entscheidung zu treffen.

„Einzig richtige“ Entscheidungen sind in einer Demokratie aber nicht vorgesehen. Sonst müsste man Wahlen und Referenden verbieten.

Nebenbei bemerkt verweist der Umstand, dass die Vokabel „populistisch“ im europäischen Kontext mehr und mehr zum Synonym für „EU-kritisch“ wird, letztlich nur darauf, wie spektakulär unpopulär die EU ist. Daran kann auch eine Initiative wie „Pulse of Europe“ nichts ändern, die außerhalb Deutschlands kaum Anhänger findet.

Es erscheint somit fraglich, ob Erzbischof Schick – der als Weltkirche-Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz zu Recht ein hohes internationales Ansehen genießt – gut beraten ist, wenn er sich so auffällig für die Interessen von „Pulse of Europe“ vereinnahmen lässt. Sicherlich gehört es zum Hirtenamt der Bischöfe, auch zu politischen Fragen Stellung zu beziehen – soweit diese die christliche Glaubens- und Sittenlehre tangieren. Wenn populistische Politiker in ihrem Reden und Handeln etwa die Menschenwürde außer Acht setzen, dann hat die Kirche das Recht und die Pflicht, dagegen Einspruch zu erheben – sollte dann aber auch klar benennen, wogegen sie sich wendet und warum. Den Eindruck zu erwecken, zwischen Befürwortern und Gegnern der EU-Politik seien die moralischen Gewichte eindeutig verteilt, ist hingegen wenig hilfreich. Man könnte sogar sagen, es sei... populistisch.

PulsofEurope verdient Zustimmung.Ich war heute dabei
„Der größte Feind für die europäische Idee ist der Populismus“ https://t.co/t1rN3KSZna

— Erzbischof Schick (@BischofSchick) 28. Mai 2017

Symbolbild: Diskussion



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