4. August 2017 in Buchtipp
Maria spricht zur Welt aus dem Herzen Afrikas. Leseprobe 1 aus dem Buch Die Erscheinungen von Kibeho von Immaculee Ilibagiza
Linz (kath.net)
Anfangs glaubte niemand an der Kibeho High School, dass Alphonsine Mumureke wirklich die Jungfrau Maria gesehen hatte: Weder die Priester noch die Nonnen noch ihre Mitschülerinnen am Internat nahmen der Sechzehnjährigen ihre Geschichte ab, wonach die Muttergottes mit Botschaften ihr erschienen sei, die angeblich die Welt retten konnten.
Und warum sollten sie auch? Das Mädchen hatte nichts Besonderes an sich, was einen himmlischen Besuch gerechtfertigt hätte. Alphonsine war keine begabte Schülerin (genau genommen waren ihre Noten nicht einmal mittelmäßig), und auch wenn sie ein gutes katholisches Mädchen war, konnte man sie weder als bibelfest noch als auffallend fromm bezeichnen. Sie war ein einfaches, bettelarmes Dorfmädchen, und bis zum 28. November 1981 hatte ihre größte Leistung darin bestanden, dass sie die Grundschule abgeschlossen und dann das unglaubliche Glück gehabt hatte, die weiterführende Schule besuchen zu dürfen.
Alphonsine war am 21. März 1965 zur Welt gekommen und in dem winzigen Dorf Zaza aufgewachsen, einem kleinen Flecken im Osten Ruandas, der nur aus einigen wenigen Lehmhütten, einer einklassigen Grundschule und einer kleinen Kirche bestand. Und sie war das einzige ruandische Scheidungskind, von dem ich je gehört hatte. Scheidung war in unserem Land extrem selten, doch Alphonsines Eltern, Thaddée und Marie, hatten sich noch vor der Geburt ihrer Tochter getrennt.
Marie tat alles, damit es Alphonsine gut ging: Trotz drückender Armut und obwohl alleinerziehende Mütter mit tief in der ruandischen Kultur und Gesellschaft verwurzelten Vorurteilen zu kämpfen hatten, sorgte Marie dafür, dass ihr kleines Mädchen genug zu essen hatte und die Grundschule besuchen konnte. Sieben Tage in der Woche arbeitete sie von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang auf den Feldern der ansässigen Bauern, pflückte Bohnen und las Kartoffeln.
Trotz familiärer Probleme und finanzieller Sorgen hatte Alphonsine eine glückliche Kindheit. Sie sang gern und beherrschte viele der traditionellen ruandischen Volkstänze. Jeden Sonntag besuchte sie mit ihrer Mutter die heilige Messe und sie glaubte an Gott, auch wenn sie nicht aus eigenem Antrieb in der Bibel las oder wie viele der anderen Mädchen in Zaza einer Gebetsgruppe angehörte. Doch Alphonsine liebte die Muttergottes und immer, wenn sie einsam war oder Schwierigkeiten mit den Schularbeiten hatte, betete sie zur Jungfrau Maria, um Trost und Hilfe zu erlangen.
Es war davon auszugehen, dass Alphonsine nach der Grundschule zusammen mit ihrer Mutter auf dem Feld arbeiten würde. Wegen der Armut war die weiterführende Schule für die überwiegende Mehrheit der ruandischen Kinder ein Ding der Unmöglichkeit und Marie und Alphonsine waren ärmer als die meisten. Im ländlichen Ruanda gab es für eine Frau, die nicht wenigstens die Highschool abgeschlossen hatte, nur eine einzige Karriere: Ehefrau und Mutter zu werden. Und da Alphonsine ein Scheidungskind ohne Mitgift war, hatte sie nur geringe Aussichten, dass jemand sie heiraten wollte.
Doch Marie hatte hart dafür gearbeitet, dass ihre Tochter die Voraussetzungen für die Highschool erfüllte, und sie hatte jahrelang zum Herrn gebetet, damit ihrem Kind der Segen einer höheren Schulbildung zuteilwerden könnte. Mit der Hilfe eines örtlichen Priesters, der Marie schon lange für ihren Glauben und für ihre Entschlossenheit bewunderte, ihrer Tochter ein besseres Leben zu ermöglichen, fanden ihre Gebete schließlich Erhörung. Der Priester hatte Freunde in der Schulbehörde, und als er erfuhr, dass an der staatlich geförderten Highschool in Kibeho (etwa 200 Kilometer von Zaza entfernt) überraschenderweise ein Platz frei geworden war, reagierte er rasch und sorgte dafür, dass Alphonsine diesen Platz bekam. Da es sich um ein katholisches Mädcheninternat handelte, das von Nonnen geführt wurde, war Marie zuversichtlich, dass ihre Tochter dort gut aufgehoben und versorgt sein würde. Doch obwohl der Staat Alphonsines Schulgeld übernahm, brauchte Marie beinahe jeden Groschen, den sie in den vergangenen sechzehn Jahren mühsam zusammengespart hatte, um ihrer Tochter die Reise zu bezahlen.
Alphonsines neue Schule gehörte zu den ärmsten Bildungseinrichtungen im ganzen Land. Da es dort weder fließendes Wasser noch Strom gab, mussten die Schülerinnen einen Großteil ihres Tages damit zubringen, an einem weit entfernten Fluss Wasser zu holen, und wenn der altersschwache Generator der Schule wieder einmal ausgefallen war, mussten sie ihre Schularbeiten bei Kerzenlicht erledigen. Doch allein die Tatsache, dass sie dort aufgenommen worden war, fühlte sich für Alphonsine schon an wie ein Harvard-Stipendium.
Zum ersten Mal überhaupt war sie von zu Hause weg, und verglichen mit Zaza kam ihr Kibeho riesig vor. Sie mitgezählt, lebten an der Schule hundertzwanzig Mädchen, die meisten Katholikinnen, doch es gab auch ein paar protestantische und sogar zwei muslimische Schülerinnen. Die neue Umgebung machte Alphonsine nervös und unsicher, doch dank ihrer offenen und geselligen Art gewann sie rasch neue Freundinnen. Dennoch versuchte sie nicht allzu offen zu sein in der konservativen ruandischen Kultur erwartete man von Kindern und insbesondere von Mädchen ein ruhiges, wohlerzogenes und sittsames Auftreten.
Alphonsine lernte fleißig, doch es fiel ihr schwer, mit den anderen Schritt zu halten. Wenn sie das Klassenziel nicht erreichte, so ihre Sorge, würde sie nie eine Arbeit finden, um für ihren eigenen oder den Lebensunterhalt ihrer in Armut lebenden Mutter aufzukommen. Wie sie es von Kindheit an gewohnt war, betete das Mädchen zur Jungfrau Maria um Hilfe und wurde erhört. Und was dann geschah, sollte nicht nur das Leben der jungen Frau, sondern auch das Leben von Hunderttausenden oder sogar Millionen anderer Menschen verändern.
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Die Erscheinungen von Kibeho
Von Immaculee Ilibagiza
Geb., 256 Seiten
mit 16-seitigem Bildteil
Media Maria 2017
Preis: 19,50 Euro
ISBN 978-3-9454013-3-0
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