5. September 2017 in Interview
Alexandra Linder: Menschen sind entsetzt über schlecht gehaltene Schweine oder zu Tode gestreichelte Delphine. Könnte man Kleinstkinder bei ihrer Abtreibung in der Hand halten und sehen, was passiert, dann KATH.NET-Interview von Petra Lorleberg
Berlin (kath.net/pl) Man ist heutzutage beim Thema Abtreibung sehr abgestumpft, ein wesentlicher Grund dafür ist, dass man die Kinder nicht leibhaftig sieht. Die Menschen sind entsetzt über schlecht gehaltene Schweine oder zu Tode gestreichelte Delphine. Könnte man die Kleinstkinder in der Hand halten und sehen, was mit ihnen passiert, wären die Reaktionen vermutlich ähnlich. Das erläutert Alexandra M. Linder im KATH.NET-Interview vor dem Marsch für das Leben. Linder (Foto) ist die Vorsitzende des Bundesverbands Lebensrecht (BVL) und Publizistin.
kath.net: Frau Linder, warum halten Sie den Marsch für das Leben für so absolut wichtig?
Alexandra M. Linder: Diese einzige Großdemonstration dieser Art in Deutschland soll folgendes verdeutlichen: Wenn derart viele Menschen öffentlich für das Leben eintreten und zum Teil weite Anfahrten auf sich nehmen, zeigt dies, dass große Teile der Bevölkerung einen wachen Sinn für Gerechtigkeit haben. Es ist längst nicht klar, dass eine Bevölkerungs-Mehrheit für Abtreibung, für assistierten Suizid oder für das Aussortieren von nicht perfekten Kindern ist. Gerade eine Woche vor der Bundestagswahl ist eine eindrucksvolle, unübersehbare Demonstration für das Leben besonders wichtig, damit Politiker die nächsten vier Jahre möglicherweise noch mehr unter dem Aspekt der Menschenwürde gestalten. Denn es geht um Themen wie die Kassenfinanzierung des PraenaTests, die mögliche Einführung der Leihmutterschaft und Eizellspende oder die Keimbahnmanipulation.
Manche sagen, nur Beratung zähle, alles andere sei sinnlos. Das stimmt so nicht. Neben der Beratung für Schwangere, die wir selbstverständlich seit vielen Jahren anbieten, ist der Wandel der Gesellschaft durch Vorträge, Messeauftritte, Schulbesuche etc. sowie der Kontakt zu und die Diskussion mit Politik und Kirche entscheidend für die Zukunft. So bleiben Themen auf dem Tisch und können Dinge verändert werden. Der Marsch für das Leben gehört als jährlicher Fixpunkt unbedingt dazu.
Und nicht zuletzt: Man trifft tausende von Menschen, die das ganze Jahr über unglaublich viel vor allem ehrenamtliche Arbeit leisten, gesellschaftspolitisch, in der Beratung und Begleitung oder anderen Bereichen. Es ist einfach schön, diesen Menschen zu begegnen, sich mit ihnen auszutauschen und ihnen zu danken.
kath.net: Abtreibung heißt: ein junger Mensch stirbt in einem aktiv ausgelösten Vorgang. Das ist erschreckend alltäglich geworden. Frau Linder, wie abgestumpft sind wir eigentlich?
Linder: Sehr. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass man die Kinder nicht leibhaftig sieht. Die Menschen sind entsetzt über schlecht gehaltene Schweine oder zu Tode gestreichelte Delphine. Könnte man die Kleinstkinder in der Hand halten und sehen, was mit ihnen passiert, wären die Reaktionen vermutlich ähnlich.
Zur Abtreibung gehört außerdem eine emotionale Distanz der Beteiligten, sonst könnte man nicht eine einzige Abtreibung durchführen oder aushalten. Deshalb bleiben, auch zum Zwecke der von manchen ideologisch beabsichtigten Abstumpfung und Verdrängung, falsche Begriffe wie Fruchtsack, Schwangerschaftsgewebe oder Gebärmutterinhalt erhalten.
kath.net: Wie viele Kinder starben letztes Jahr in Deutschland durch Abtreibung? Und wie soll man die offiziellen Zahlen bewerten, gibt es da möglicherweise auch eine Dunkelziffer?
Linder: Die offiziell veröffentlichte Zahl liegt bei etwas über 98.000 erfassten Abtreibungen. Da es keine saubere Statistik gibt, ist diese Zahl nicht vollständig. Außerdem fehlen Abtreibungen, die verschleiernd unter anderen Kategorien erfasst werden (z.B. Gebärmutterausschabung), sowie Abtreibungen, die im Ausland vorgenommen werden. Niederländische Gehsteigberaterinnen berichten von vielen deutschen Frauen nach der 12. Schwangerschaftswoche. Und es fehlen natürlich die Früh-Abtreibungen, die durch die normale Verhütungspille und die sogenannte Pille danach verursacht werden. Seriöse Schätzungen gehen insgesamt von etwa der doppelten Zahl aus.
Und die veröffentlichten Zahlen steigen was bedeutet, dass sowohl das Gesetz als auch die Behauptung, durch Freigabe der Pille danach würden die Zahlen sinken, einer Überprüfung bedürfen.
kath.net: Ist Abtreibung eigentlich ein gut florierender Wirtschaftszweig?
Linder: Als Mediziner kann man in wenigen Bereichen so leicht so viel Geld verdienen. Eine Praxis in München schafft pro Werktag zehn vorgeburtliche Kindstötungen bei einem Durchschnittspreis von etwa 450,- Euro. Aufs Jahr hochgerechnet ergibt dies einen siebenstelligen Umsatz. Wenn man, wie in den USA letztes Jahr ans Licht kam, die Kinder nicht im Klinikmüll entsorgt, sondern noch verwerten kann, steigt der Verdienst noch mehr.
Eine weitere Verdienstquelle kann dadurch entstehen, dass Beratungsstellen, die den Frauen erst Scheine für die Abtreibung ausgestellt haben, danach denselben Frauen Beratungsgespräche anbieten, wie sie dieses grauenvolle Erlebnis verarbeiten können.
kath.net: Was ist das Motto des diesjährigen Marsches?
Linder: Das Hauptmotto dieses Jahr lautet: Die Schwächsten schützen. Das dazugehörige Foto zeigt ein Mädchen, das ihr kleines Geschwisterchen fest im Arm hält. Dabei verstehen wir schwach nicht als hilflos, sondern als in einem Zustand oder Stadium, in dem man noch nicht, gar nicht oder nicht mehr in der Lage ist, für seine Rechte selbst einzutreten: Kinder vor der Geburt, besondere Kinder und Menschen, die besondere Zuwendung benötigen, Menschen am Ende ihres Lebens. Für deren grundlegendes Recht auf Leben und die Würde, die jeder Mensch aufgrund seiner Existenz hat, treten wir ein.
Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass die Rechte dieser Menschen nicht vergessen, nicht geschmälert oder gar abgeschafft werden. Vielmehr gehört all das abgeschafft, was das Leben und die Würde dieser Menschen bedroht.
Zur Vertiefung solcher Themen veranstalten wir am Tag vor dem Marsch eine wissenschaftliche Tagung. Damit und mit weiteren Angeboten (Jugendwochenende, Gebetsinitiativen, Podium Faire Medien etc.) weiten wir den Marsch für das Leben immer mehr zu einem Lebensrechtswochenende aus, so dass sich die Fahrt nach Berlin gleich mehrfach lohnt.
kath.net: Dürfen wir uns wieder auf unterstützende, ja sogar teilnehmende katholische Bischöfe freuen?
Linder: Zunächst einmal ist es ja nicht selbstverständlich, dass Bischöfe bei Demonstrationen mitgehen. Als ermutigendes Zeichen vor allem für unsere Teilnehmer/innen und als Signal für Politik, Medien und Gesellschaft freuen wir uns natürlich über die Unterstützung der Kirche. Wir werden sowohl persönlich als auch in Form von Grußworten und zum Beispiel durch diözesanweite Verbreitung des Werbematerials und der Plakate seitens der Kirche in vielfältiger Weise unterstützt. Und ja, es werden Vertreter der katholischen Kirche in Berlin dabei sein.
kath.net: Welche Unterstützung kommt von evangelisch-landeskirchlicher und evangelisch-freikirchlicher Seite?
Linder: Auch hier erfahren wir großen Zuspruch, vor allem im freikirchlichen Bereich, erstaunlicherweise aber auch, wie auch in mancher katholischen Diözese, Ablehnung, die, wie wir feststellen, vor allem auf falschen Vorstellungen oder Vorurteilen beruht. So schrieb man uns, wir wollten in der Berliner Erklärung des Bundesverbands Lebensrecht jede Form der Pränataldiagnostik abschaffen. Dahinter steht aber noch ein wichtiger Nebensatz: die nicht der Heilung oder Behandlung der betreffenden Person dient.
Andere machen sich Sorgen über rechtsextreme, homophobe oder, wie es die Böll-Stiftung so hübsch formulierte, familistische Teilnehmer.
Wir als Veranstalter einer Demonstration können und wollen niemanden überprüfen, bevor er an der Demonstration teilnehmen darf das wäre eine Art undemokratische Gesinnungskontrolle. Eine Demonstration kann man nur daran messen, welche Ziele sie hat: Der Marsch für das Leben ist eine Demonstration für die Würde jedes Menschen von der Zeugung bis zum Tod humaner im besten Sinne geht es nicht.
Wir laden alle ein, sich selbst ein Bild zu machen: Kommen Sie nach Berlin, bringen Sie gemeinsam mit uns die Sache weiter!
Der Marsch für das Leben Berlin 2017 wird am Samstag, 16.09.2017, stattfinden
EWTN Reporter - Bischof Rudolf Voderholzer - Marsch für das Leben 2016
Marsch für das Leben 2016, u.a. mit Erzbischof Koch/Berlin, Bischof Voderholzer, Mechthild Löhr (CDL), Lohmann (BVL), Rede einer Downsyndrombetroffen
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