Die Entwicklung des Bußsakramentes

15. September 2017 in Spirituelles


Das Bußsakramente in lateinischer und byzantinischer Tradition - Heutige Praxis der byzantinischen Kirchen - Kein anderes Sakrament hat in Kirchengeschichte einen derartigen Wandel vollzogen - Gastbeitrag von Msgr. Erzpr. Franz Schlegl


Wien (kath.net) Das eigentliche Sakrament der Sündenvergebung ist (erstaunlicherweise) die Taufe! "Wir bekennen die eine Taufe zur Vergebung der Sünden", so steht es im großen Glaubensbekenntnis (Nizäno-konstantinopolitanisches Credo), welches in der römischen und in der byzantinischen Liturgie gebetet wird. Dieses Credo ist im Jahre 325 (1. Ökumenisches Konzil in Nizäa) verfasst worden und wurde im Jahre 381 (2. Ökumenisches Konzil von Konstantinopel) bezüglich der Aussagen über den Heiligen Geist ergänzt.

Man muss sich vor Augen halten, dass in den ersten 400 Jahren hauptsächlich Erwachsene durch die Taufe in die Kirche aufgenommen worden sind. Diese mussten natürlich besonders in der Verfolgungszeit ihre Qualität beweisen. Deshalb wurde nicht gerne vom sogenannten "2. Rettungsanker", der Kirchenbuße gesprochen. Die Kirche wusste sich aber durch Joh. 20,19f mit der Vollmacht der Sündenvergebung ausgerüstet. Die Buße war bis zum 6.Jh. eine sogenannte "Exkommunikationsbuße", gemäß Mt 18,18f. Das heißt, der Sünder war aus der Gemeinschaft der Kirche (communio) ausgeschlossen und durfte deshalb auch nicht die "Kommunion" und andere Sakramente empfangen. Es waren allerdings nur 3 Haupt-oder Todsünden, die einer solchen Buße unterzogen werden mussten.

1) Qualifizierter Mord
2) Ehebruch
3) Glaubensabfall
4) Ungefähr ab Mitte des 2.Jh. auch Abtreibung.

Wer so etwas auf sich geladen hatte, musste öffentliche Kirchenbuße, deren Länge der Bischof festgesetzt hatte, leisten, unter Umständen lebenslang! Solche Personen durften die Kirche nicht betreten (nur die Vorhalle), ebenso wie die Taufbewerber, und wurden nach dem Evangelium hinausgewiesen! Man nannte sie "die Weinenden" (griech.klaiontes, lat.flentes, altdeutsch die Greinenden – wovon übrigens der Gründonnerstag kommt) Nach Ende der Bußzeiten wurden sie an einem Gründonnerstag im Rahmen der Liturgie von Bischof losgesprochen und durften wieder an der Eucharistie teilnehmen. Allerdings war diese Buße nur ein einziges Mal im Leben möglich.

Bedenken wir: Etwa Augustinus († 430), oder Hieronymus († 420) haben niemals in ihrem Leben gebeichtet.

Infolge des Toleranzedikts zu Mailand (313) strömten die Massen in die Kirche, aber die „Qualität“ sank. Noch stärker war dies nach Kaiser Theodosios I (380), als die Kirche „Staatskirche“ geworden war und alle Christen sich nach Befehl des Kaisers am Glauben des Papstes Damasus I, bzw. des Patriarchen von Alexandria zu richten hatten. Der Qualitätsverlust und die Verweltlichung hatten unter anderem die Ausprägung des Mönchtums, zunächst in Ägypten (Antonios 251-356), dann im Osten (Basilius † 379) und dann im Westen (Benedikt von Nursia † 547), zur Folge, denn der Kirche waren die äußeren Feinde verloren gegangen, der eigentliche böse Feind saß sozusagen im Inneren der Kirche, infolge der Laxheit vieler Christen.

Das führte dazu, dass nicht wenige entweder die Taufe, oder die Kirchenbuße auf das Lebensende verschoben haben, wobei sie natürlich diese Sakramente sofort erhielten – allerdings stirbt nicht jede Person nach Krankheit im Bett.

Unabhängig voneinander entstanden zwei völlig neue Modelle der Bußpraxis

Die Mönche (die größtenteils keine Priesterweihe hatten) wurden beliebte Seelenführer, denen man seine persönlichen Sünden anvertraute. In der byzantinischen Kirche vergaben Mönche ohne Priesterweihe zum Teil bis ins 14.Jh. die Sünden, wogegen sich der große Patriarch Th. Balsamon († 1194) und andere byzantinische Hierarchen vehement aussprachen, weil nur die Bischöfe und von ihnen beauftragte Priester die Erlaubnis zur Sündenvergebung hätten und diese auch gültig spendeten.

Im 6.Jh. bildete sich durch die iro-schottische Mönche, deren Kirche von mächtigen Äbten, aber interessanterweise nicht von Bischöfen geleitet wurde, eine neue Praxis aus: die sogenannte „Tarifbuße“. Das heißt, der Büßer empfängt nach der Beichte sofort die Absolution und hatte ein Werk der Wiedergutmachung zu leisten. Diese Form der Buße war grundsätzlich wiederholbar und diente damit auch der Seelenführung, wie die Mönchsbeichte im Osten. Gegen den Willen mehrerer Synoden (also im Ungehorsam!) wurde dieses System dennoch vom 7. bis ins 8.Jh. im Osten und im Westen eingeführt, Proteste von Bischöfen und Synoden prallten an der Realität der Lebenswirklichkeit der meisten Christen wirkungslos ab, weil diese eine oftmalige Beichte und Sündenvergebung beanspruchten. Man kann also sagen, am Beginn unserer heutigen Praxis, standen gewisse Formen des Ungehorsams von Mönchen und Priestern gegen Bischöfe und Synoden.

Die Bußpraxis der byzantinischen Kirche
Die heutige Beichtpraxis ist in den verschiedenen byzantinischen Teilkirchen unterschiedlich. Es gibt Länder und Gemeinden mit seltener Beichte und Länder und Gemeinden, in denen die Ohrenbeichte sehr verbreitet ist.

Die byzantinische Kirche kennt keinen Beichtstuhl, ebenso wie die Lateiner, die einen solchen bis in die Barockzeit auch nicht gekannt haben. Der Büßer steht vor dem Priester, meist in einer Seitennische der Ikonostase, bekennt dort seine Sünden, und wird durch Auflegung des Epitrachilions (Stola) und der Hand des Priesters absolviert. Eine Reservation (dem Bischof vorbehaltene Sünden) gibt es nicht. Ebenso keine „Satisfaktion“ (Wiedergutmachung) durch die Buße. Diese dient eher einem pädagogischen Zweck der Anleitung zu einem besseren Leben. Ebenso ist der Ablass in der byzantinischen Kirche unbekannt.

Das Sündenbekenntnis ist viel weniger detailliert und eher summarisch, der Priester beschränkt sich auf wenige Fragen (etwa nach dem Personenstand). Eine Härte besteht allerdings darin, dass die Anwesenden wahrnehmen, ob der Priester die Absolution erteilt, oder diese aus bestimmten Gründen verweigern muss.

Hier ein Beispiel für das Bekenntnis: „Ich bekenne vor Gott dem Allmächtigen, dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist, das ich gesündigt habe in Bezug auf das Gebot der Liebe zu Gott, der Liebe zu meinem Nächsten und der rechten Liebe zu mir selbst. Ich habe gesündigt gegenüber Gott, da ich mich von der Liebe Gottes nicht habe ergreifen und verwandeln lassen und nicht in diese Liebe geblieben bin, in festem Glauben und unablässigem Gebet. Ich habe mein Tun, Reden und Denken nicht vom Glauben bestimmt sein lassen. Vom kirchlichen und täglichen Gebet habe ich mich abhalten und ablenken lassen, das Herzensgebet habe ich vernachlässigt…..

Ich habe gesündigt gegenüber meinem Nächsten durch Selbstsucht, mangelnde Offenheit, fehlender Hilfsbereitschaft… usw.

Ich habe gesündigt gegenüber meiner Bestimmung, in Glaube, Liebe und Hoffnung, Gott entgegenzuwachsen, dadurch dass ich dem Hochmut, der Trägheit, der Ungeduld und der Herzenshärte in mir Raum gegeben habe… usw.

Ich sündige auch jetzt in dieser Bekenntnis, da ich meinen Zustand vor Gott nicht wahrhaft bereue und beweine, wie ich müsste, und nicht fest genug glaube an seine Vergebung und sein erneuerndes Kommen im Heiligen Geist.“

In vielen Gemeinden hat sich aber eine gemeinsame „Bußandacht“ eingebürgert, der Priester liest Sündenkataloge vor, wer sich der betreffende Sünde schuldig weiß, klopft sich still an die Brust. Danach geht jeder Gläubige einzeln zum Priester und empfängt dort die Absolution und die so genannte „Epitimie“, eine Bußauflage, die er erfüllen muss. Manchmal besteht sie auch in einem Verbot des Empfanges der Kommunion für kürzere oder längere Zeit, bestimmten Gebeten, Niederwerfung, Fasten, oder guten Werken. Für den Empfang der heiligen Kommunion ist die Beichte zumeist absolute Voraussetzung, weshalb etwa in der griechischen Kirche sehr wenig kommuniziert wird. Bei der Slawen (Russen, Ukrainer, Weißrussen) wird die Ohrenbeichte sehr geschätzt und praktiziert. Bei Serben und Griechen, sowie im Orient sind Bußandachten mit nachfolgender Einzelabsolution weit verbreitet. Für die Absolution verwenden die Griechen gerne ein deprekatives Gebet (in Form einer Fürbitte, Gott möge dem Sünde vergeben), die Slawen zumeist ein indikatives Gebet (… ich spreche dich los..).

Besonderes berührend ist das Gebet zur Absolution in fürbittender Weise: „Mein geistliches Kind, das du meiner Niedrigkeit beichtest, ich geringer und sündiger Mensch kann auf Erden keine Sünden nachlassen; nur Gott kann es. Aber um jene des göttlichen Wortes willen, dass unser Herr Jesus Christus nach seiner Auferstehung zu den Aposteln gesagt hat: „Wem ihr die Sünden nachlasst,………….. usw.; im Vertrauen auf jedes Wort wagen auch wir zu sagen: Was du meiner geringsten Niedrigkeit gesagt und was du nicht von dir aus gesagt hast, sei es aus Unwissenheit, oder aus Vergesslichkeit, das verzeihe dir Gott in dieser Welt und auch in der kommenden. Er Gott, der dem David seine Sünden durch den Propheten Natan vergeben hat, nachdem er sie bekannt und der dem Petrus die Verleugnung verziehen hat, als er bitterlich weinte und der der Dirne, die seine Füße mit Tränen benetzt hat und der den Zöllner vergeben hat, derselbe Gott vergebe dir alles durch mich sündigen Menschen, jetzt in dieser Welt und in der kommenden und lasse dich schuldlos hintreten vor seinen furchtbaren Richterstuhl.“

Interessant und in der Westkirche unbekannt ist die so genannte Auflage, oder Epitimie. Da heißt es: „Mein Kind, so und so lange gebiete ich gemäß der göttlichen und heiligen Gesetze, die heilige Kommunion nicht zu empfangen, sondern nur das bei der großen Weihe gesegnete Wasser zu trinken. Wenn du dich nun der heiligen Kommunion enthältst, so werden deine Sünden erlassen; wenn du aber das Gebot übertrittst und kommuniziert, so bist du ein zweiter Judas. Bist du aber krank auf den Tod, so kommuniziere. Wenn du aber gesund bist, so nimm wieder die angeordnete Zeit auf dich und erfülle das verordnete Maß.“

Der byzantinische Ritus vermeidet hier die indikative Form „Ich spreche dich los...“ Auch bei der Taufe wird die „Ich-Form“ vermieden und gesagt: „Es wird getauft, der Diener Gottes N., im Namen des Vaters……“ Die lateinische Kirche hat übrigens nach dem Konzil bei der Firmung die „Ich-Form“ aufgegeben und näherte sich der ostkirchlichen Formulierung „Besiegelung mit den Gaben des Heiligen Geistes“, an. So kommt deutlicher zum Ausdruck, dass der Priester nur Werkzeug seines Herrn und Meisters Jesus Christus ist, der als schwacher Mensch nur kraft des Heiligen Geistes die göttlichen Mysterien spenden kann.

Im slawischen Bereich, besonders bei den mit Rom verbundenen byzantinischen Teilkirchen (auch griechisch katholisch genannt) gibt es auch ein deprekatives Absolutionsgebet:

„Herr unser Gott Du bist die Rettung deiner Knechte, du bist gütig, barmherzig und langmütig. Habe Erbarmen mit unserem Unrecht, du willst nicht den Tod des Sünders, sondern, dass er sich bekehrt und lebt. Du selbst nun habe Erbarmen mit deinen Knecht/Magd N. und gibt ihm das Abbild der Reue, Vergebung und Nachlassung der Sünden, verzeih ihm jede Sünde, es sei sie freiwillig oder unfreiwillig. Vereinige ihn in Frieden mit deiner heiligen Kirche um Christi willen.“ Darauf folgt die Absolution: „Unser Herr und Gott Jesus Christus vergibt dir, geistliches Kind durch die Gnade und Barmherzigkeit seiner Menschenliebe alle deine Sünden. Und ich, der unwürdige Priester, durch seine Macht, die er mir gegeben hat, verzeihe dir und spreche dich los von allen deinen Sünden, im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“

Jedenfalls ist es in den orthodoxen Kirchen üblich, vor Empfang der allerheiligsten Gaben, das Sakrament der Buße zu empfangen, allen nach Möglichkeit zu verzeihen, vorher zu fasten. Das hat zur Folge, dass in vielen orthodoxen Nationalkirchen äußerst selten kommuniziert wird, bei den Russen und Ukrainern mit Sicherheit mehr, als bei den Griechen. Auch in den katholischen Ostkirchen des byzantinischen Ritus (Ukrainer, Rumänen, Slowaken, Serben, Ostungarn, Araber) wird im Wesentlichen die orthodoxe Praxis eingehalten, allerdings wird der Kirchenbesuch und die Anwesenheit bei der ganzen Messe von katholischen Ostchristen wesentlich ernster genommen, als von vielen orthodoxen Geschwistern.

Es bleibt zu hoffen, dass das ätzende Säurebad der säkularisierten Gesellschaft nicht in einigen Jahrzehnten in Osteuropa eine ähnliche Situation wie in Westeuropa herbeiführen wird. Darum rufen die Byzantiner: „Allheilige Gottesmutter rette uns!“

Monsignore Erzpriester Franz Schlegl (rit.lat./rit.byz.ukr.) ist Priester der Erzdiözese Wien

Foto: Msgr. Schlegl zeigt ein Marienmessgewand der griechisch-katholischen Pfarre Sankt Barbara/Wien


Monsignore Franz Schlegl, Predigt im Wiener Stephansdom zum Weltgebetstag 2012


Msgr. Schlegl - Predigt: Das Blut der Märtyrer ist der Same der Christen




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