29. September 2017 in Interview
CDU-Politiker Wolfgang Bosbach: Wer sich wundert, dass die AfD mit knapp 13% in den Deutschen Bundestag gewählt wurde, hat offensichtlich den Kontakt zur Lebenswirklichkeit verloren. KATH.NET-Interview von Petra Lorleberg
Berlin (kath.net/pl) So je nach Betrachtungsweise erstaunlich oder erschreckend das Wahlergebnis ist, so sehr ist es Ausdruck von Unzufriedenheit vieler Bürgerinnen und Bürger mit der Arbeit der etablierten Parteien und Ausdruck nach wie vor vorhandener Kritik an der Flüchtlingspolitik und ihren Folgen. Das sagt der CDU-Politiker Wolfgang im KATH.NET-Interview nach der Bundestagswahl.
Bosbach war 2009 bis Juli 2015 Vorsitzender des Innenausschusses des Deutschen Bundestages gewesen, zuvor lange Jahre stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion der Union. Aus gesundheitlichen Gründen ist er jetzt nicht wieder zur Wahl angetreten.
kath.net: Herr Bosbach, Deutschland hat gewählt. Wie werten Sie die Ergebnisse?
Bosbach: Grund zur Freude haben eigentlich nur zwei Parteien: Bündnis 90/Die Grünen und die Alternative für Deutschland. Die Grünen hatten ganz sicher selber mit einem schlechteren Ergebnis gerechnet, da dürfte schon manche Abschiedsrede geschrieben worden sein, die man dann mit großer Erleichterung entsorgen konnte.
Wer sich wundert, dass die AfD mit knapp 13% in den Deutschen Bundestag gewählt wurde, hat offensichtlich den Kontakt zur Lebenswirklichkeit verloren.
So je nach Betrachtungsweise erstaunlich oder erschreckend das Wahlergebnis ist, so sehr ist es Ausdruck von Unzufriedenheit vieler Bürgerinnen und Bürger mit der Arbeit der etablierten Parteien und Ausdruck nach wie vor vorhandener Kritik an der Flüchtlingspolitik und ihren Folgen.
Allerdings geben 80% der Wählerinnen und Wähler der AfD zu Protokoll, dass sie sie die Partei nicht aus politisch-inhaltlicher Überzeugung gewählt haben sondern aus Protest, so dass ich guter Hoffnung bin, dass die übrigen Parteien durch eine kluge Politik und vernünftige Sacharbeit viele Wählerinnen und Wähler wieder zurückgewinnen können.
kath.net: Wo sehen Sie Möglichkeiten, wo aber auch Schwierigkeiten für die bevorstehenden Koalitionsverhandlungen?
Bosbach: Wo sehen Sie keine Schwierigkeiten? Es handelt sich ja im Kern nicht um eine Koalition zwischen nur drei Fraktionen, sondern zwischen vier Parteien, zunächst einmal werden CDU und CSU miteinander verhandeln müssen, um in den Verhandlungen mit den beiden anderen potentiellen Koalitionspartnern eine gemeinsame Linie zu finden, insbesondere in der Flüchtlingspolitik.
In den Bereichen Haushalt, Finanzen, Steuern, Wirtschaftspolitik, bei Energie und Umwelt werden die Verhandlungen vermutlich einfacher sein als in den Bereichen Innere Sicherheit, Terrorpolitik, Migration und Integration, denn das, was für die CSU die berühmte Obergrenze ist, dürfte für die Grünen so eine Art Untergrenze sein. Ich weiß im Moment selber nicht, wie man diesen Graben überwinden kann.
kath.net: Welche Aufgaben sehen Sie für die neue Regierung als besonders dringlich an?
Bosbach: Besonders wichtig und dringlich ist, dass Deutschland seine politische und gesellschaftliche Stabilität behält, die uns seit Jahrzehnten auszeichnet und wegen der wir von vielen Nachbarländern bewundert werden.
Deutschland ist es in der Nachkriegszeit trotz aller politischen Turbulenzen immer gelungen Maß und Mitte zu halten, Extreme und Fanatiker hatten bislang nie die Chance, die politische Macht an sich zu reißen, und ich kann nur hoffen, dass das auf Dauer so bleibt.
Darüber hinaus sollte Deutschland nicht vergessen, dass es einen untrennbaren Zusammenhang gibt zwischen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit unseres Landes und unserer sozialen Leistungsfähigkeit.
Auch in diesem Wahlkampf haben die Parteien den Bürgerinnen und Bürgern wieder sehr viele Leistungen versprochen, entweder neue oder höhere addiert man alle Wahlversprechen, kommt man auf einen hohen zweistelligen Milliardenbetrag.
Bleibt die Frage: Welche wirtschaftlichen Rahmenbedingungen müssen wir in den Zeiten von Globalisierung und Digitalisierung stellen, damit wir weiterhin in einem verschärften weltweiten Wettbewerb wirtschaftlich erfolgreich sind?
kath.net: Was sagen Sie zum Abschneiden der AfD und was bedeutet dies für die Zukunft?
Bosbach: Im Grunde habe ich diese Frage schon in der ersten Stellungnahme beantwortet, mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Ich fürchte, dass sich durch den Einzug der AfD in den Deutschen Bundestag das Debattenklima stark verändern wird, aber nicht zum Besseren.
Wenn die AfD die Stilmittel Provokation und Tabubruch in die Parlamentsdebatten einbringt, werden die Debatten zwar turbulenter, aber nicht politisch anspruchsvoller.
Ich kann nur hoffen, dass sich die übrigen Fraktionen nicht permanent von den Rednerinnen und Rednern der AfD provozieren lassen und dass die Medien der Versuchung widerstehen, über jedes Stöckchen zu springen, das ihnen die AfD hinhält.
kath.net: Sie scheiden nun aus dem Bundestag aus. Doch kann man sich den Bosbach nur schwer anders als im Un-Ruhestand vorstellen. Wie sehen die nächsten Wochen für Sie aus?
Bosbach: Im Grunde sehen die nächsten Wochen für mich genauso aus wie die letzten Wochen auch bis Frühjahr 2018 bin ich fast ausgebucht, ich kann mich über Arbeit nicht beklagen und habe auch nicht das Gefühl, dass sich das in absehbarer Zeit grundlegend ändern wird.
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Endspurt
Wie Politik tatsächlich ist - und wie sie sein sollte. Begegnungen, Erlebnisse, Erfahrungen
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Foto Wolfgang Bosbach (c) Wolfgang Bosbach
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