Heiligkeit bedeutet vor allem, den Dreieinen Gott zu lieben

1. November 2017 in Spirituelles


Beten wir auch für Rabeneltern, fiese Nachbarn, geizige Onkel und giftige Tanten? Bedenken wir: Die haben es vielleicht besonders nötig - Die monatliche Kolumne von Claudia Sperlich, diesmal zu den Festen Allerheiligen und Allerseelen


Berlin (kath.net)
Zu Beginn des Monats November gedenkt die Kirche aller Heiligen, bekannter wie unbekannter. Eine wie gewaltige Menge von Menschen ist das, die täglich wächst durch die vielen, die christlich leben und sterben! Die „Gemeinschaft der Heiligen“, zu der wir uns im Credo bekennen ist ja die Gemeinschaft all derer, die sich zu Jesus Christus bekennen – auch wenn wir heute nur jene feiern, von denen die katholische Kirche mit Sicherheit weiß, dass sie schon in Gottes Herrlichkeit sind. Das ist vernünftig, denn von den jetzt auf der Erde Lebenden kann man in der Regel nicht sicher sein, wohin sie sich am Ende wenden. Es kann sein, dass ein Mensch äußerlich fromm und gut wirkt, sich aber längst innerlich von Gott abgewandt hat und nur noch aus poetischer Anwandlung oder bürgerlicher Konvention Gebete aufsagt.

Ein anderer Mensch ist ein aggressiver und unfreundlicher Zeitgenosse, der genau dies bitter bereut und Gott täglich anfleht, ihm einen Weg aus der Aggression zu zeigen. Ein dritter ist ein Terrorist oder Killer, der buchstäblich im letzten Moment seines Lebens echte Reue empfindet und Gott um Vergebung bittet. Den zweiten und dritten werden wir bestimmt einst unter den Heiligen Gottes finden – den ersten vielleicht auch.

Heiligkeit ist nicht etwas, was außerhalb unserer Reichweite liegt, wie ein antiker Schmuck in einer Panzerglasvitrine. Jeder Mensch ist von Gott zur Heiligkeit befähigt und berufen. Das bedeutet nicht zuerst den moralischen Ruf, ein hilfreicher Mensch oder gar ein nützliches Mitglied der Gesellschaft zu sein (zumal beileibe nicht alles, was einer säkularen Gesellschaft nützt, gut ist). Heiligkeit bedeutet vor allem, den Dreieinen Gott zu lieben. Nächstenliebe und Sozialverträglichkeit ergeben sich daraus in der Regel mit der Zeit von selbst; Sünde ist immer ein Mangel von Liebe, gleich ob es sich um eine verbummelte Sonntagsmesse oder unsoziales Verhalten handelt.

Ich rede aber nicht von romantischem Dusel, sondern von Liebe zu Gott – von einer verbindlichen, opferbereiten, gehorsamen, dienenden Liebe, die auch in der Wüste hält, einer Liebe, die auch die schrofferen Typen unter den Heiligen, einen Athanasius und einen Hieronymus, begeistert. Eine solche Liebe ist herrlich, macht froh und stark auch in schrecklichen Zeiten – aber sie ist nichts für Feiglinge.

Am zweiten Novembertag geht es um die Noch-nicht-ganz-Heiligen, um die Seelen im Purgatorium („Reinigungsort“). Das deutsche Wort „Fegefeuer“ ist etwas mißverständlich; vor Feuer haben die meisten Menschen Angst, und Brandwunden tun sehr weh. Das Purgatorium ist aber nichts Schlimmes, sondern der Zustand der Reinigung, in dem Seelen sich befinden, ehe sie an der himmlischen Herrlichkeit teilhaben können. Das ist sicher nicht kuschelig; mit seinen eigenen ungesühnten Sünden konfrontiert werden, tut weh – aber das Purgatorium ist vor allem ein Zustand der Hoffnung. Dass diesen „Armen Seelen“ ein Teil der Strafe erlassen wird und sie umso schneller Gott schauen dürfen, können wir erhoffen und erbeten.

Dass es Sinn hat, für Verstorbene zu beten, lesen wir in 2 Makk. 12,39-45:
„Am nächsten Tag kamen die Leute des Judas, um die Leichen der Gefallenen zu überführen - es war inzwischen höchste Zeit geworden und sie inmitten ihrer Angehörigen in den Familiengräbern zu bestatten. Da entdeckten sie, dass alle Toten unter ihren Kleidern Amulette der Götter von Jamnia trugen, obwohl das den Juden vom Gesetz her verboten ist. Da wurde allen klar, dass die Männer deswegen gefallen waren, und sie priesen nun alle das Wirken des Herrn, des gerechten Richters, der das Verborgene ans Licht bringt.

Anschließend hielten sie einen Bittgottesdienst ab und beteten, dass die begangene Sünde wieder völlig ausgelöscht werde. Der edle Judas aber ermahnte die Leute, sich von Sünden rein zu halten; sie hätten ja mit eigenen Augen gesehen, welche Folgen das Vergehen der Gefallenen gehabt habe. Er veranstaltete eine Sammlung, an der sich alle beteiligten, und schickte etwa zweitausend Silberdrachmen nach Jerusalem, damit man dort ein Sündopfer darbringe. Damit handelte er sehr schön und edel; denn er dachte an die Auferstehung. Hätte er nicht erwartet, dass die Gefallenen auferstehen werden, wäre es nämlich überflüssig und sinnlos gewesen, für die Toten zu beten.

Auch hielt er sich den herrlichen Lohn vor Augen, der für die hinterlegt ist, die in Frömmigkeit sterben. Ein heiliger und frommer Gedanke! Darum ließ er die Toten entsühnen, damit sie von der Sünde befreit werden.“

Das ist im Alten Testament die einzige Erwähnung des Sühnegebetes für Tote, aber sie ist deutlich genug. Im Neuen Testament heißt es in 1 Kor. 3,12-15:
„Wenn aber jemand auf diesen Grund [auf Jesus Christus] Gold, Silber, kostbare Steine, Holz, Heu, Stroh baut, so wird das Werk eines jeden offenbar werden; der Tag wird es zeigen, weil es durchs Feuer geoffenbart wird. Und welcher Art das Werk eines jeden ist, wird das Feuer erproben. Wenn jemandes Werk, das er darauf gebaut hat, bleibt, so wird er Lohn empfangen; wird aber jemandes Werk verbrennen, so wird er Schaden erleiden; er selbst aber wird gerettet werden, doch so wie durchs Feuer hindurch.“
Wer Jesus Christus zum Fundament seines Lebens macht, gleich wie unvollkommen, wie schlampig und ungeeignet er darauf baut, wird gerettet – muss aber „wie durchs Feuer hindurch“ abbüßen, was an seinem Bau in schuldhafter Weise falsch war und nicht schon im Sakrament vergeben ist; er wird mit seiner Schuld konfrontiert in einer Weise, die ihm klar macht, wie andere durch ihn gelitten haben. (Nur wer Jesus in freier Entscheidung und vollem Wissen bis zuletzt ablehnt, kann nicht zu den Heiligen gehören – Gott achtet unsere Freiheit.)

Traditionell werden zu Allerseelen die Gräber besucht. Wichtiger als die Grabpflege ist aber das Gebet für die Verstorbenen – im besten Falle nicht nur für die, die man besonders liebt. Die Gemeinschaft der Heiligen besteht ja aus der Streitenden Kirche – den Menschen, die noch auf der Erde leben, der Leidenden Kirche – den Seelen im Purgatorium, und der Triumphierenden Kirche – den Heiligen in Gottes Herrlichkeit. Zu unseren Aufgaben als Ecclesia militans gehört das Gebet für mit uns Lebende und im Purgatorium Leidende; die Ecclesia triumphans betet für uns und für die Ecclesia patiens im Purgatorium, und die Armen Seelen beten vielleicht auf eine ganz besondere Weise: sie danken Gott für unsere Gebete, ohne dass sie durch ihr Gebet etwas für sich erreichen können, nur weil sie eben danken wollen, dass der Weg zu Gott wieder ein wenig kürzer geworden ist.

Totengedenken ist natürlich schöner und leichter, wenn es um die geliebten, bewunderten, dem Herzen immer noch nahen Toten geht. Aber sollten wir nicht wenigstens zu Allerseelen wirklich aller Seelen gedenken, die im Purgatorium ausharren – auch wenn die ungesühnten Taten vielleicht ihre Gemeinheiten uns gegenüber sein könnten? Beten wir auch für Rabeneltern, fiese Nachbarn, geizige Onkel und giftige Tanten? Bedenken wir: Die haben es vielleicht besonders nötig.

Bedenken wir weiter: Vielleicht haben wir es noch viel nötiger, dass jemand für uns betet. Es könnte sogar sein, dass die bucklige Verwandtschaft genau dies längst tut – im Chor der Heiligen, die wir einen Tag vorher gepriesen haben.


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