'Ehe für alle': Dieser Schuss geht nach hinten los

25. Oktober 2017 in Aktuelles


Geradezu grotesk ist es zudem, wenn ausgerechnet jene Kreise, die lauthals die „Ehe für alle“ einfordern, sozusagen im gleichen Atemzug ebenso lauthals die Abschaffung der Ehe verlangen. Gastbeitrag von Niklaus Herzog


Zürich (kath.net) Frank A. Meyer, Chefpublizist der Ringier-Medien, nimmt mit Blick auf das vom Deutschen Bundestag unlängst beschlossene Recht auf „Ehe für alle“ kein Blatt vor den Mund: „Soll auch die Vielehe ein Ziel sein? Islambegeisterte Grünlinke werden davor kaum zurückschrecken. Möge uns deshalb der liebe Gott, der die Ehe schliesslich gestiftet hat, vor solch willkommenskultureller Perversion bewahren!“. Ja, Frank A. Meyer geht im „SonntagsBlick“ noch einen Schritt weiter: Keinesfalls dürfe die Anerkennung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare mit einem Adoptionsrecht verknüpft werden. Denn dieses Adoptionsrecht wird ihm zufolge erkauft mit der Unfreiheit und Ungleichheit des Kindes, wird es doch entweder des natürlichen Vaters oder der natürlichen Mutter beraubt, kann es nicht mehr Papa und Mama sagen, sondern nur noch zweimal Papa oder zweimal Mama. Aber, so Frank A. Meyer: Werde auf die Vielehe und das Adoptionsrecht verzichtet, soll die „Ehe für alle“ auch in der Schweiz zum Gesetz erhoben werden, und zwar subito, denn so Frank A. Meyer abschliessend, „Und was ist Gleichheit, wenn nicht die Freiheit, ohne jede Diskriminierung entscheiden zu können, in welcher rechtlichen Konfiguration man gemeinsam durchs Leben gehen möchte?“ Was ist von dieser Argumentation zu halten? Zunächst einmal verdient es Respekt und Anerkennung, dass es Frank A. Meyer gewagt hat, als einziger Schweizer Journalist von Rang und Namen das bundesdeutsche Recht auf „Ehe für alle“ kritisch zu hinterfragen. Aber auch er kommt um den obligaten Bückling vor dem Zeitgeist nicht herum, manövriert sich damit aber in ein Dilemma, denn das Nein zur Polygamie lässt sich mit dem wolkigen Verweis auf die „Überkommene Normalität, deren Ursprünge tief im Brunnen der Geschichte zu suchen sind“, nicht begründen. Soll, wie Frank A. Meyer postuliert, die Freiheit, ohne jede Einschränkung selbst zu entscheiden, in welcher rechtlichen Konfiguration man gemeinsam durchs Leben schreiten will, das ausschlaggebende Kriterium sein, kann logischerweise auch nicht mehr gegen die Vielehe argumentiert werden. Das von Frank A. Meyer heraufbeschworene Szenario einer solchen „willkommenskulturellen Perversion“ kommt der Realität näher, als ihm selbst lieb sein kann. So weiss die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) von Bestrebungen im niederländischen Parlament zu berichten, die Vielehe zu legalisieren. Der Clou dabei: gemeint ist damit nicht etwa die herkömmliche Vielehe (also ein Mann mit mehreren Frauen bzw. eine Frau mit mehreren Männern), sondern die Möglichkeit, dass bis zu vier Erwachsene Eltern eines einzigen Kindes sein könnten. Als „modernstes Familienrecht der Welt“ preist die NZZ diesen staatlich zu sanktionierenden Beziehungsschlamassel an (vgl. Ausgabe vom 28. September 2017).
Die von der Bundeskanzlerin Merkel mutwillig, einzig aus machtpolitischem Kalkül und unter Inkaufnahme des Bruchs des von ihr selbst unterzeichneten Koalitionsvertrages losgetretene Debatte rund um das Thema „Ehe für alle“ und deren schliesslichen Legalisierung schwappte im Nu auch auf die Schweiz über. „Ein überfälliger Schritt“, „eine pure Selbstverständlichkeit“, plakatierte unisono das linksliberale Medienkartell. Kathrin Bertschy, Nationalrätin der Grünliberalen Partei, welche bereits 2013 einen Vorstoss für das Recht auf Ehe für alle eingereicht hat, frohlockt. Sie hofft, dass sich die hiesige CVP vom Sündenfall der Merkel-CDU verführen lässt – nicht zu Unrecht. CVP-Präsident Gerhard Pfister relativiert mit Blick auf seine eigenen Bundesratsambitionen schon mal vorsorglich die klassische Position der CVP: Die Verhinderung der Ehe für alle sei „kein Kernanliegen der CVP“ (vgl. NZZ vom 11. Juli 2017).

Flächendeckend inszenierte Kampagne

Nimmt man die vom linksliberalen Medienkartell flächendeckend inszenierte Pro-Homoehe-Kampagne genauer unter die Lupe, springen zwei Dinge besonders in die Augen. Da steht zunächst die geradezu gebetsmühlenartig wiederholte Behauptung im Raum, die Nicht-Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften als Ehe sei diskriminierend, weil gegen die Rechtsgleichheit verstossend. Tatsächlich besagt aber ein ansonsten völlig unbestrittener Rechtsgrundsatz genau das Gegenteil: dass nämlich Gleiches nach Massgabe seiner Gleichheit gleich und Ungleiches nach Massgabe seiner Ungleichheit ungleich zu behandeln ist. Konkret bedeutet dies, so das Bundesgericht wörtlich, dass keine Unterscheidung getroffen werden darf, „für die kein vernünftiger Grund in den tatsächlichen Verhältnissen gefunden werden kann.“ Nun lässt es sich aber schlechterdings nicht bestreiten, dass sich hetero- und homosexuelle Paare tatsächlich unterscheiden, und zwar in einem wesentlichen Punkt – der Fähigkeit nämlich, Kinder zeugen bzw. Kinder eben nicht zeugen zu können. Es gilt, dieser systematisch betriebenen Begriffsfälschung wie ganz allgemein in immer mehr Bereichen von Politik und Gesellschaft grassierenden Gleichschaltungstendenzen mit aller Entschiedenheit entgegenzutreten.

Dies gilt umso mehr, als in Teilen des Protestantismus die Werte-Erosion just zum Zeitpunkt des 500-jährigen Jubiläums auf einen neuen Tiefpunkt abgesunken ist: Sobald die gleichgeschlechtliche Ehe auch zivilrechtlich gilt, wird „die reformierte Kirche sehr wahrscheinlich nachziehen. Dieser Zug ist nicht mehr aufzuhalten“ bilanziert der Sprecher der reformierten Zürcher Landeskirche, Nicolas Möri (vgl. NZZ vom 17. Juli 2017). Kaum jemand wird an dieser Prophezeiung zweifeln wollen. Nur: Die protestantischen Kirchen müssen sich die Frage gefallen lassen, wie ernst es ihnen mit dem ihrerseits ansonsten so hochgehaltenen „Sola-Scriptura-Prinzip“ bzw. der Bibel als allein massgebenden Richtschnur noch zu tun ist. Wie tief die von Friedrich Nietzsche postulierte „Umwertung aller Werte“ in der Tat in unsere Gesellschaft eingedrungen ist, veranschaulicht exemplarisch die Message von Michel Rudin, Exponent des Homo-Dachverbandes Pink Cross, in seinem NZZ-Gastkommentar vom 5. Oktober 2017: Die Normalen – das sind Wir!

Geradezu grotesk ist es zudem, wenn ausgerechnet jene Kreise, die lauthals die „Ehe für alle“ einfordern, sozusagen im gleichen Atemzug ebenso lauthals die Abschaffung der Ehe verlangen. Es ist nachgerade rührend, wie beispielsweise Bettina Weber vom Tages-Anzeiger seit Jahren mit geradezu missionarischem Eifer für ihr Herzensanliegen trommelt, denn, so Weber im Vorspann ihres neuen Pamphlets „Schafft die Ehe ab“: „42 Prozent aller Schweizer Paare lassen sich scheiden. Trotzdem hält die Politik an dieser gescheiterten Institution fest – obwohl sie nichts (sic) als Kosten, Streit und Unrecht schafft“ (Sonntagzeitung vom 6. Juni 2017). Dass es auch im Jahre 2017 in der Schweiz eine Vielzahl von gelingenden und glücklichen Ehen gibt, will sich ihr ebenso wenig erschliessen wie die Tatsache, dass erwiesenermassen Beziehungen von gleichgeschlechtlichen Paaren in weit höherem Masse auseinander brechen als solche von heterosexuellen Paaren. Da ist es nur konsequent, wenn sich Bettina Weber zur Behauptung versteigt, das „Auseinanderbröseln gescheiterter Beziehungen niemanden etwas angehe ausser die Parteien selbst“. Dass mit-, ja allenfalls davon gar hauptbetroffene Kinder in dieser eindimensional-einfältigen Optik schlicht nicht existieren, ist schliesslich ebenso nur noch konsequent.

Der Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann

Ausgerechnet der eben genannte Freigeist und Atheist Friedrich Nietzsche hat es auf den Punkt gebracht: „Ehe: so heisse ich den Willen zu Zweien, das Eine zu schaffen, das mehr ist, als die es schufen“. In der Tat: Der Wille und die Fähigkeit zur Weitergabe des Lebens, zur Zeugung von Nachkommen ist ein Proprium der Gemeinschaft von Frau und Mann, sozusagen ihr von der Natur vorgegebenes Alleinstellungsmerkmal. Es ist deshalb widersinnig und gegen das Rechtsgleichheitsgebot verstossend, den dafür seit jeher verwendeten Begriff „Ehe“ auch für gleichgeschlechtliche Beziehungen usurpieren zu wollen. Das Christentum hat gestützt auf einschlägige Aussagen des Neuen Testaments seit Anbeginn zudem darauf bestanden, dass nur die Einehe bzw. Monogamie der Schöpfungsordnung entspricht („Vom Anfang der Schöpfung an aber hat er sie als Mann und Frau geschaffen...Was nun Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden“). Deutlich vernehmblar erhebt sich da aus dem Chor der Promiskuitätsapostel flugs der Einwand: Wir leben heute in einem säkularen Staat, Religion und Staat sind getrennt, es geht nicht an, Errungenschaften der Aufklärung rückgängig machen zu wollen. Doch darum geht es gerade nicht. Kein ernstzunehmender Gläubige wird bestreiten, dass auch christliche Wertvorstellungen (mit Ausnahme des unveräusserlichen Kerns der Menschenrechte, vgl. Art. 36 Bundesverfassung) im modernen Rechtsstaat an demokratische Entscheidungsprozesse gebunden sind. Aber es ist durchaus legitim, die eigenen Überzeugungen so wirkungsvoll wie möglich in eben diese Entscheidungsprozesse einzubringen. Denn, wie es der deutsche Bundesverfassungsrichter Wolfgang Böckenförde in einem berühmt gewordenen Dictum formulierte: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das grosse Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist.“ Wie wahr! Die Gefahr, dass dieses grosse Wagnis scheitert, ist offensichtlicher denn je. Die sich abzeichnende globale Klimakatastrophe ebenso wie die exzessive Ressourcenverschwendung sind ja nur das äusserlich sichtbar wahrnehmbare Phänomen einer viel tieferen, im Menschen selbst wurzelnden Missachtung der auch ethische Prinzipien innewohnenden Schöpfungsordnung. „Das Sollen kommt aus dem Sein“ lehrt uns bereits die klassische Philosophie der Antike. So manche Säkularisten können oder wollen nicht einsehen, dass es den von ihnen beschworenen, über allen Religionen und Weltanschauungen thronenden, „wertneutralen“ Staat nicht gibt, nicht geben kann.

Ob es um die Zulassung der Präimlantationsdiagnostik geht, um die Befreiung vom obligatorischen gemischtgeschlechtlichen Schwimmunterricht: Wie auch immer die Entscheide der zuständigen staatlichen Organe ausfallen: stets setzen sie einen weltanschaulichen Positionsbezug voraus. Angesichts der enormen Herausforderungen in Staat und Gesellschaft einerseits und des manifesten Werte-Vakuums andrerseits ist es geradezu ein Gebot der Stunde, die Grundlagen unserer Kultur – und dazu gehört ganz wesentlich auch das Christentum - sichtbar und für die Zukunft neu fruchtbar zu machen. Um die Aussage von Bundesverfassungsrichter Böckenförde aufzugreifen: Mit einem „wert-freien, einem wert-losen Staat“ ist buchstäblich kein Staat zu machen.

Der Verfasser, Niklaus Herzog, ist Theologe und Jurist (je ein Lizentiat an der Universität Fribourg) mit Schwerpunkt Kirchenrecht und war jahrelang als Geschäftsführer der Kipa sowie als Chefredaktor von Christian Solidarity International tätig. Bis zu seiner vor kurzem erfolgten Pensionierung war er Geschäftsführer der Ethikkommission des Kantons Zürich. Derzeit ist er Mitglied des Interdiözesanen Kirchlichen Gerichts der Schweizer Bischofskonferenz.


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