Vaterunser-Bitte im Deutschen theologisch korrekt übersetzt

13. Dezember 2017 in Aktuelles


Dogmatiker Tück und Bibelwissenschaftlerin Gielen gegen Änderung der Formulierung "Und führe uns nicht in Versuchung" - Gott als "Herr der Geschichte" lässt dem Bösen Spielraum, in dem sich Menschen bewähren sollen


Wien (kath.net/KAP) Die derzeit vieldiskutierte sechste Vaterunser-Bitte "Und führe uns nicht in Versuchung" ist im Deutschen theologisch korrekt übersetzt und sollte nicht - so wie das bei der davor mangelhaften französischen Übersetzung geschah - abgeändert werden. Diese Einschätzung äußerten zwei an österreichischen theologischen Fakultäten lehrende Fachleute am Dienstag im Gespräch mit der Nachrichtenagentur "Kathpress": der Wiener Dogmatiker Jan-Heiner Tück und die Salzburger Bibelwissenschaftlerin Marlis Gielen. Ihr gemeinsamer Tenor: Gott ist nach dem Zeugnis der Bibel für Versuchungssituationen letztverantwortlich; dies dem Satan zuzuweisen würde in einen Gut-Böse-Dualismus führen, den das Christentum ablehnt.

Laut Tück geht es in der Vaterunser-Bitte neben dem Gottesbild auch um die Christologie. Dies werde daran deutlich, dass Jesus selbst vor seinem öffentlichen Wirken "vom Geist in die Wüste geführt" wurde, um sich den Anfechtungen des Bösen zu stellen - und er habe ihnen widerstanden. Christus sei der, der mitfühlen könne mit unserer Schwäche, weil er selbst die Situation des Menschen bis in die Abgründe hinein geteilt hat. Das betone auch der Hebräerbrief, wenn er herausstellt: "Denn da er selbst in Versuchung geführt wurde und gelitten hat, kann er denen helfen, die in Versuchung geführt werden" (Hebr 2,18).

Zugleich wies Tück darauf hin, dass die Vaterunser-Bitte in einer gewissen Spannung zu folgender Aussage im Jakobusbrief stehe: "Keiner, der in Versuchung gerät, soll sagen: Ich werde von Gott in Versuchung geführt. Denn Gott kann nicht in die Versuchung kommen, Böses zu tun, und er führt auch selbst niemand in Versuchung" (Jak 1,13). Gott ist gut, daran sei nicht zu rütteln. Aber zugleich müsse ihm als dem Herrn der Geschichte auch die Letztverantwortung für das Böse in der Geschichte zugesprochen werden. Der Stachel des Theodizee-Problems stehe damit im Raum, wies der Theologe hin: Warum gibt es das Böse, wenn Gott doch gut ist? Ohne einer moralisch-pädagogischen Entschärfung des Problems das Wort zu reden, könne man in manchen Situationen rückblickend sagen, dass Gott dem Bösen Spielraum lasse, um den Menschen durch Erprobungen hindurch zur persönlichen Reifung zu bringen.

Dass manche Gläubige mit der Bitte an Gott, "uns nicht in Versuchung zu führen", Probleme haben, ist für den Wiener Dogmatiker aus seelsorglicher Sicht verständlich. Deshalb gelte es, die Vaterunser-Bitte sachgerecht zu interpretieren im Sinne von: "Überfordere uns nicht in Situationen der Anfechtung, sondern hilf uns, dass wir uns darin bewähren können." Zugleich sieht Tück - wie er sagte - bei der jetzt gebräuchlichen Gebetsformulierung "keinen Änderungsbedarf", zumal auch ökumenische Überlegungen zu bedenken seien: Christen beten über Konfessionsgrenzen hinweg bereits Jahrhunderte lang dieselben Worte.

"O-Ton Jesu" nicht mehr zugänglich

"Die jetzige Formulierung ist nicht mangelhaft, sondern theologisch sachgerecht": Zu diesem Befund kommt auch die Salzburger Ordinaria für Neutestamentliche Bibelwissenschaft, Marlis Gielen. Sie habe sich schon vor 20 Jahren in ihrer Antrittsvorlesung mit der sechsten Vaterunser-Bitte befasst, die jetzt in den Blickpunkt getretenen kritischen Anfragen habe es schon damals gegeben, erzählte sie im Gespräch mit "Kathpress".

Nach Lage der Quellen ist uns der aramäische "O-Ton Jesu" nicht mehr zugänglich, wies Gielen hin. Die auf Griechisch verfassten entsprechenden Textstellen bei Lukas (Lk 11,4) und Matthäus (Mt 6,13) seien "korrekt wörtlich übersetzt". Bemerkenswert sei allerdings, dass die Bitte gerade nicht laute: "Und versuche uns nicht!", sondern: "Und führe uns nicht in Versuchung!" Diese Formulierung lege genau genommen zunächst einmal nur nahe, "dass Gott den Menschen mit einer Versuchung konfrontiert", sagte Gielen. "Sie lässt aber offen, ob die Versuchung von ihm selbst ausgeht oder eine andere Quelle hat."

Der Gott der Bibel fordert Bewährung

Papst Franziskus hatte die französische Übersetzungs-Änderung mit der Begründung positiv gewürdigt, dass nicht Gott als ein guter Vater, der den Menschen in Versuchung führe, sondern der Satan. Dazu Gielen wörtlich: "Ungeachtet der Tatsache, dass ich ein großer Fan von Papst Franziskus bin und den pastoralen Ansatz seiner Theologie sehr wertschätze, zu dem ja auch ganz wesentlich gehört, dass er Gottes Barmherzigkeit immer wieder ins Zentrum rückt, muss ich als Bibelwissenschaftlerin nüchtern feststellen: In den biblischen Schriften ist zweifellos und unmissverständlich bezeugt, dass Gott sehr wohl für Versuchungen verantwortlich zeichnet." Er prüfe einzelne Menschen wie etwa Abraham oder auch das Volk Israel als ganzes auf Glauben und Gehorsam gegenüber seinem Willen.

Die Erzählung von der Versuchung Jesu im Matthäusevangelium beginne mit dem Satz (Mt 4,1): "Dann wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt, um vom Teufel versucht zu werden." Die Verwendung des finalen Infinitivs verdeutliche die Zielrichtung, "Jesus mit der Versuchung durch den Teufel zu konfrontieren und damit seinen Gehorsam gegenüber Gottes Willen einer Bewährungsprobe auszusetzen". Laut Gielen könne dies als "Leseanweisung" zur Versuchungsbitte verstanden werden: Auch die Jünger Jesu müssten mit einer von Gott initiierten Bewährungsprobe bzw. Versuchung rechnen. "Weil dabei aber für sie alles auf dem Spiel steht und sie sich des Ausgangs der Prüfung nicht gewiss sein können, lehrt Jesus sie zu beten: 'Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen'", fügte Gielen hinzu.

Das Fazit der Expertin: "Die 'althergebrachte' Übersetzungsversion verzerrt nicht das biblische Gottesbild, sondern bringt es sachgemäß auf den Punkt. Daher sollte man den vertrauten Wortlaut auch nicht ändern." Für "nicht vertretbar" hielte es Gielen weiters, wenn das Vaterunser als liturgisches Gebet anders formuliert wäre als bei der Lesung der entsprechenden Evangelienabschnitte aus der Einheitsübersetzung.


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