Kardinal Wojtyla schrieb 1969 die Wahrheit von 'Humanae vitae'

11. Jänner 2018 in Weltkirche


„Den Menschen von heute, die unruhig und ungeduldig und gleichzeitig im Bereich der fundamentalsten Werte und Prinzipien bedroht sind, ruft der Stellvertreter Christi die Gesetze in Erinnerung, die diesen Bereich bestimmen.“


Vatikan (kath.net) Am Sonntag, den 5. Januar 1969, veröffentlichte der „L’Osservatore Romano” auf der ersten Seite einen breit angelegten Artikel des Kardinalerzbischofs von Krakau, der sich im Abstand von fünf Monaten mit der Enzyklika „Humanae vitae” Papst Pauls VI. auseinandersetzte und sie erklärte. Wojtyła – der 1978 zum Papst gewählt wurde und den Namen „Johannes Paul II.“ annahm, war einer der großen Berater Pauls VI. bei der Abfassung der Enzyklika.

Es mag merkwürdig erscheinen, dass wir unsere Überlegungen zur Enzyklika „Humanae vitae” mit der Autobiographie Gandhis beginnen. “Meiner Überzeugung nach – so schreibt der große Inder – ist die Aussage, dass der Sexualakt ein spontaner, mit dem Schlaf oder der Ernährung vergleichbarer Akt ist, reine Ignoranz. Die Existenz der Welt hängt von dem Akt ab, sie zu vermehren – von der Fortpflanzung, würden wir sagen –, und da die Welt unter der Herrschaft Gottes steht und Abglanz seiner Macht ist, muss der Akt der Vermehrung – die Fortpflanzung, würden wir sagen – der Norm unterstehen, die danach strebt, die Entwicklung des Lebens auf der Erde zu schützen.

Der Mensch, der all dies vor Augen hat, wird um jeden Preis nach der Beherrschung seiner Sinne streben und sich mit jenem notwendigen Wissen ausstatten, um das physische und geistliche Wachstum seiner Nachkommenschaft zu fördern. Er wird dann die Früchte dieses Wissens zu seinem Wohl nutzen und den Nachkommen weitergeben.” In einem anderen Abschnitt seiner Autobiographie erklärt Gandhi, dass er zweimal in seinem Leben den Einfluss der Propaganda erlitten habe, die zu künstlichen Mitteln riet, um die Empfängnis im ehelichen Zusammenleben auszuschließen. Nichtsdestoweniger gelangte er zur Überzeugung, „dass man eher durch die innere Kraft, die Selbstbeherrschung oder die Selbstkontrolle wirken muss”. Hinsichtlich der Enzyklika „Humanae vitae” nehmen diese Auszüge der Autobiographie Gandhis die Bedeutung eines besonderen Zeugnisses an. Sie rufen uns die Worte des heiligen Paulus im Brief an die Römer zur Substanz des in das Herz des Menschen geschriebenen Gesetzes in Erinnerung, das von den Geboten des rechten Gewissens bezeugt wird (Röm 2,15).

Auch zur Zeit des heiligen Paulus war eine derartige Stimme des rechten Gewissens ein Tadel für jene, die trotz der Tatsache, dass sie das Gesetz haben, es nicht beachten. Vielleicht ist es auch für uns gut, das Zeugnis dieses nicht christlichen Mannes vor Augen zu haben. Es ist angemessen, sich der „Substanz des in das Herz des Menschen geschriebenen Gesetzes” zu entsinnen, um die tiefe Wahrheit der Lehre der Kirche durchdringen zu können, die in der Enzyklika „Humane vitae” Pauls VI. enthalten ist. Deshalb haben wir zu Beginn unserer Überlegungen, die darauf abzielen, die ethische Wahrheit und das objektive Fundament der Lehre von „Humanae vitae“ zu klären, auf ein derartiges Zeugnis zurückgegriffen. Die Tatsache, dass es geschichtlich der Enzyklika um einige Jahrzehnte vorangeht, mindert in nichts seine Bedeutung: das Wesen des Problems nämlich bleibt in beiden Fällen dasselbe, mehr noch: die Umstände sind einander sehr ähnlich.

Die wahre Bedeutung der verantwortlichen Elternschaft

Um auf die zu Beginn der Enzyklika formulierten Fragen zu antworten (Humane vitae, 3), analysiert Paul VI. die beiden großen und grundlegenden „Elemente des ehelichen Lebens”: die eheliche Liebe und die verantwortliche Elternschaft (Nr. 7) in ihrer gegenseitigen Beziehung. Die Analyse der verantwortlichen Elternschaft bildet das Hauptthema der Enzyklika, da jene anfangs gestellten Fragen dieses Problem nennen: „Könnte nicht das sogenannte Ganzheitsprinzip auf diesen Bereich angewandt werden und damit die Planung einer weniger großen, aber vernünftig geregelten Fruchtbarkeit einen physisch unfruchtbar machenden Akt in eine erlaubte und vorausschauende Geburtenlenkung verwandeln? Kann man nicht die Meinung vertreten, dass das Ziel des Dienstes an der Fortpflanzung mehr dem Eheleben als Ganzen aufgegeben sei als jedem einzelnen Akt? Man stellt auch die Frage, ob (...) nicht die Zeit gekommen sei, wo die Weitergabe des Lebens mehr von Vernunft und freier Entscheidung bestimmt werden sollte als von gewissen biologischen Regelmäßigkeiten” (Nr. 3).

Um eine Antwort auf diese Fragen zu geben, greift der Papst nicht auf die traditionelle Hierarchie der Zwecke der Ehe zurück, unter denen an erster Stelle die Fortpflanzung steht, sondern er analysiert, wie wir gesagt haben, die gegenseitige Beziehung zwischen ehelicher Liebe und verantworteter Elternschaft. Es handelt sich dabei um dieselbe Stellung des Problems, wie sie in der Konstitution „Gaudium et spes” vorliegt. Eine rechte und durchdringende Analyse der ehelichen Liebe setzt eine genaue Vorstellung von der Ehe selbst voraus. Sie ist kein bloßes „Produkt des Zufalls oder Ergebnis des blinden Ablaufs von Naturkräften”, sondern „personale Gemeinschaft” (Nr. 8), die in ihrer gegenseitigen Selbstschenkung gründet. Und dafür setzt ein rechtes Urteil über das Konzept der verantwortlichen Elternschaft voraus, „den ganzen Menschen im Auge (zu) behalten, die gesamte Aufgabe, zu der er berufen ist” (Nr. 7). Um zu einem derartigen Urteil zu gelangen, wird festgehalten: „Die Frage der Weitergabe menschlichen Lebens darf – wie jede andere Frage, die das menschliche Leben angeht – nicht nur unter biologischen, psychologischen, demographischen, soziologischen Gesichtspunkten gesehen werden” (Nr. 7).

Keine dieser Perspektiven kann die Basis für eine angemessene und rechte Antwort auf die oben formulierten Fragen bilden. Jede Antwort, die sich aus partiellen Perspektiven ergibt, kann selbst nur wieder partiell sein. Um eine angemessene Antwort zu finden, ist es notwendig, sich eine rechte Sicht des Menschen als Person zu vergegenwärtigen, da die Ehe eine Gemeinschaft von Personen bildet, die aus der gegenseitigen Hingabe entsteht und sich durch diese verwirklicht. Die eheliche Liebe zeichnet sich durch die Merkmale aus, die sich aus einer derartigen Gemeinschaft von Personen ergeben und der persönlichen Würde des Mannes und der Frau, des Ehegatten und der Ehefrau entsprechen. Es handelt sich um eine totale Liebe, das heißt um eine Liebe, die den ganzen Menschen in die Pflicht nimmt, seine Sensibilität, seine Affektivität und seine Spiritualität, und gleichzeitig treu und ausschließlich sein muss. Diese Liebe „ist schließlich fruchtbar, da sie nicht ganz in der ehelichen Vereinigung aufgeht, sondern darüber hinaus fortzudauern strebt und neues Leben wecken will” (Nr. 9). Eine derartige liebende Gemeinschaft der Gatten, durch die sie nach der Worten von Gen 2,24 „ein Fleisch” bilden, ist gleichsam die Bedingung der Fruchtbarkeit, die Bedingung der Fortpflanzung.

Diese Gemeinschaft ist eine besondere, weil leibliche und im engen Urteil Sinne „sexuelle” Verwirklichung der ehelichen Gemeinschaft zwischen Personen; daher muss sie sich auf der Ebene der Person und in Achtung ihrer Würde verwirklichen. Auf dieser Grundlage muss ein genaues Urteil zur verantwortlichen Elternschaft formuliert werden. Ein derartiges betrifft vor allem anderen das Wesen der Elternschaft – und unter diesem Gesichtspunkt handelt es sich um ein positives Urteil: „Deshalb fordert die Liebe von den Ehegatten, dass sie ihre Aufgabe verantwortlicher Elternschaft richtig erkennen” (Nr. 10). Die Enzyklika formuliert dieses Urteil in ihrem Gesamtkontext und legt es als eine grundlegende Antwort auf die vorher gestellten Fragen vor: die eheliche Liebe muss fruchtbare Liebe, das heißt: „ausgerichtet auf die Elternschaft” sein. Die der Liebe zwischen Personen eigene Elternschaft ist verantwortliche Elternschaft.

Man kann sagen, dass in der Enzyklika „Humanae vitae” die verantwortliche Elternschaft zum Eigennamen der menschlichen Fortpflanzung wird. Dieses grundlegend positive Urteil zur verantwortlichen Elternschaft erfordert jedoch einige Präzisierungen. Allein dank dieser Präzisierungen finden wir eine universale Antwort auf die Ausgangsfragen. Paul VI. bietet uns diese Präzisierungen. Laut der Enzyklika bedeutet die verantwortungsbewusste Elternschaft, „dass man entweder, nach klug abwägender Überlegung, sich hochherzig zu einem größeren Kinderreichtum entschließt, oder (...) zur Entscheidung kommt, zeitweise oder dauernd auf weitere Kinder zu verzichten” (Nr. 10). Wenn die eheliche Liebe fruchtbare, das heißt auf die Elternschaft ausgerichtete Liebe ist, ist es schwer zu denken, dass die aus ihren wesentlichen Eigenschaften abgeleitete Bedeutung der verantwortlichen Elternschaft allein mit der Begrenzung der Geburten identifiziert werden kann. Die verantwortliche Elternschaft verwirklicht sich daher sowohl seitens der Gatten, die sich dank ihrer klug abwägenden Überlegung hochherzig zu einem größeren Kinderreichtum entschließen, als auch seitens jener, die „bei ernsten Gründen und unter Beobachtung des Sittengesetzes” (Nr. 10) zur Entscheidung kommen, die Kinderzahl zu begrenzen.

Der Lehre der Kirche entsprechend ist und kann die verantwortliche Elternschaft nicht nur die Wirkung einer gewissen „Technik” der ehelichen Zusammenarbeit sei: sie hat vor allem und „an sich” einen ethischen Wert. Eine wahre und fundamentale Gefahr, der gegenüber die Enzyklika ein von der Vorsehung bestimmtes Heilmittel sein will, besteht in der Versuchung, dieses Problem außerhalb des Bereichs der Ethik zu betrachten, Anstrengungen zu unternehmen, um dem Menschen die Verantwortung für sein Handeln zu nehmen, das so tief in seiner ganzen personalen Struktur verwurzelt ist. Verantwortliche Elternschaft – so schreibt der Papst – meint „die erforderliche Beherrschung durch Vernunft und Willen” von psychologischem Trieb und Leidenschaft (Nr. 10). Diese Beherrschung setzt daher „die Kenntnis und die Beachtung der mit den biologischen Vorgängen zusammenhängenden Funktionen” voraus (Nr. 10), und so werden diese Vorgänge nicht nur in ihre biologische Dynamik, sondern auch in die personale Integration, das heißt auf die Ebene der Person gestellt: „So vermag der Mensch in seinen Fortpflanzungskräften die biologischen Gesetze zu entdecken, die zur menschlichen Person gehören” (Nr. 10).

Die Liebe ist Gemeinschaft von Personen. Wenn ihr die Elternschaft und verantwortliche Elternschaft entspricht, darf die Handlungsweise, die zu einer derartigen Elternschaft führt, nicht moralisch indifferent sei. Im Gegenteil, sie entscheidet, ob die sexuelle Verwirklichung der Gemeinschaft von Personen echte Liebe ist oder nicht: „Wenn die beiden wesentlichen Gesichtspunkte der liebenden Vereinigung und der Fortpflanzung beachtet werden, behält der Verkehr in der Ehe voll und ganz den Sinngehalt gegenseitiger und wahrer Liebe” (Nr. 12). Der Mensch „darf die unlösbare Verknüpfung der beiden Sinngehalte – liebende Vereinigung und Fortpflanzung – nicht eigenmächtig auflösen” (Nr. 12). Gerade aus diesem Grund stützt die Enzyklika die vorhergehende Position des Lehramtes und behält den Unterscheid zwischen der sogenannten natürlichen Empfängnisregelung, die eine periodische Enthaltsamkeit mit sich bringt, und der Empfängnisverhütung bei, die auf künstliche Mittel zurückgreift. Wir sagen „behält bei”, da „es sich um zwei ganz unterschiedliche Verhaltensweisen handelt” (Nr. 16). Es besteht ein großer Unterschied hinsichtlich ihrer ethischen Qualifikation.

Die Enzyklika Pauls VI. legt als Dokument des höchsten Lehramtes der Kirche die Lehre von der menschlichen und christlichen Moral in einem ihrer Schlüsselpunkte vor. Die Wahrheit von „Humanae vitae” ist also vor allem eine normative Wahrheit. Sie ruft uns die Prinzipien der Moral in Erinnerung, welche die objektive Norm konstituieren. Diese Norm ist auch in das menschliche Herz eingeschrieben, wie wenigstens jenes Zeugnis Gandhis beweist, auf das wir uns zu Beginn unserer Erwägungen berufen haben. Dennoch erleidet dieses objektive Prinzip der Moral leicht sowohl subjektive Deformationen als auch eine allgemeine Verfinsterung. Im übrigen ergeht es vielen anderen moralischen Prinzipien ähnlich, so zum Beispiel jenen, die in der Enzyklika „Populorum progressio” in Erinnerung gerufen worden sind.

In der Enzyklika „Humane vitae” bringt der Heilige Vater vor allem sein volles Verständnis für all die Umstände zum Ausdruck, die gegen das Prinzip der von der Kirche gelehrten Ehemoral zu sprechen scheinen. Der Papst ist sich auch über die Schwierigkeiten klar, denen der Mensch von heute ausgesetzt ist, wie auch über die Schwächen, denen er unterliegt. Nichtsdestoweniger kann der Weg zur Lösung der Schwierigkeiten und der Probleme nur durch die Wahrheit des Evangeliums gehen: „Nichts von der Heilslehre Christi zu unterschlagen ist eine hervorragende Ausdrucksform der Liebe” (Nr. 29). Allein die Liebe zu die Seelen und nichts anderes veranlasst die Kirche, „das gesamte Sittengesetz, das natürliche und evangelische, demütig, aber auch fest zu verkünden” (Nr. 18).

Eine rechte Wertehierarchie

Die normative Wahrheit von „Humanae vitae” ist eng an jene Werte gebunden, die in der objektiven moralischen Ordnung entsprechend der ihnen eigenen Hierarchie zum Ausdruck kommen. Diese sind die echt menschlichen Werte, die mit dem Ehe- und Familienleben verbunden sind. Die Kirche fühlt sich als Beschützer und Garant dieser Werte, wie wir in der Enzyklika lesen. Angesichts einer sie bedrohenden Gefahr fühlt sich die Kirche in die Pflicht genommen, sie zu verteidigen. Die echt menschlichen Werte bilden die Grundlage und gleichzeitig die Motivation der in der Enzyklika in Erinnerung gerufenen Prinzipien der Ehemoral. Sie müssen betont werden, obwohl sie bereits in den vorhergehenden Argumentationen herausgestellt wurden, und die Sache ist ganz eindeutig, da die wahre Bedeutung der verantwortlichen Elternschaft in der Enzyklika bereits in dem Bezug zur ehelichen Liebe zum Ausdruck gekommen ist.

Der Wert, der die Grundlage dieses Beweises bildet, ist der Wert des menschlichen Lebens, das heißt des bereits empfangenen Lebens sowie des Lebens im Moment seines Aufkeimens, im Zusammenleben der Gatten. Von diesem Wert spricht die verantwortliche Elternschaft, der die ganze Enzyklika in erster Linie gewidmet ist. Die Tatsache, dass dieser Wert des bereits empfangenen Lebens oder auch des Lebens in seinem Entstehen in der Enzyklika nicht vor dem Hintergrund der Fortpflanzung als Ziel der Ehe untersucht wird, sondern in der Perspektive der Liebe und der Verantwortung der Gatten, stellt auch den Wert des Lebens in ein neues Licht. Der Mann und die Frau müssen in ihrem ehelichen Zusammenleben, das ein Zusammenleben von Personen ist, einer neuen menschlichen Person den Anfang geben. Die Empfängnis der Person durch Personen: das ist das rechte Maß der Werte, das es anzuwenden gilt. Gleichzeitig handelt es sich um das rechte Maß der Verantwortung, welche die menschliche Elternschaft leiten muss. Die Enzyklika anerkennt diesen Wert.

Obwohl sie nicht viel darüber zu sprechen scheint, hebt sie ihn dennoch indirekt noch mehr hervor, wenn sie ihn fest in den Kontext anderer Werte stellt. Diese sind Grundwerte für das menschliche Leben und gleichzeitig spezifische Werte für Ehe und Familie. Sie sind spezifisch, da allein die Ehe und die Familie – und kein anderer menschlicher Bereich – den spezifischen Bereich darstellen, in dem diese Werte auftreten, gleichsam ein fruchtbarer Boden, auf dem sie wachsen. Einer von ihnen ist der Wert der Liebe in Ehe und Familie, der andere ist der Wert der Person, das heißt ihre Würde, die in den engsten und intimsten menschlichen Kontakten zutage tritt. Diese beiden Werte durchdringen einander so tief, dass sie in gewisser Weise ein einziges Gut bilden.

Dieses ist das geistliche Gut der Ehe, der beste Reichtum der neuen menschlichen Generationen: „Solche Selbstzucht verlangt zwar beständiges Sich-Mühen; ihre heilsame Kraft aber führt die Gatten zu einer volleren Entfaltung ihrer selbst und macht sie reich an geistlichen Gütern. Sie schenkt der Familie wahren Frieden (...). Sie fördert bei den Gatten gegenseitige Achtung und Besorgtsein füreinander; sie hilft den Eheleuten, ungezügelte Selbstsucht, die der wahren Liebe widerspricht, zu überwinden, sie hebt bei ihnen das Verantwortungsbewusstsein für die Erfüllung ihrer Aufgaben. Sie verleiht den Eltern bei der Erziehung der Kinder eine innerlich begründete, wirkungsvollere Autorität: dementsprechend werden dann Kinder und junge Menschen mit fortschreitendem Alter zu den wahren menschlichen Werten die rechte Einstellung bekommen und die Kräfte ihres Geistes und ihrer Sinne in glücklicher Harmonie entfalten” (Nr. 21). Das ist der volle Kontext und gleichzeitig die universale Perspektive der Werte, auf denen die Lehre von der verantwortlichen Elternschaft gründet.

Die Haltung der Verantwortlichkeit erstreckt sich auf das ganze Eheleben und auf alle Prozesse der Erziehung. Nur den Menschen, welche die volle Reife der Person durch eine vollständige Erziehung erlangt haben, gelingt es, die neuen Menschen zu erziehen. Die verantwortliche Elternschaft und die ihr innewohnende Keuschheit der gegenseitigen Beziehung unter den Gatten sind eine Prüfung ihrer geistlichen Reife. Daher werfen sie ihr Licht auf den gesamten Erziehungsprozess, der sich in der Familie verwirklicht. Die Enzyklika „Humanae vitae” enthält nicht nur verständliche und ausdrückliche Normen, die das Eheleben, die bewusste Elternschaft und die rechte Geburtenregulierung betreffen, sondern verweist durch diese Normen auch auf die Werte. Sie bestätigt deren rechten Sinn und warnt und vor dem falschen. Sie bringt die tiefe Sorge zum Ausdruck, den Menschen vor der Gefahr zu bewahren, die grundlegendsten Werte zu alterieren. Einer der fundamentalsten Werte ist jener der menschlichen Liebe.

Die Liebe findet ihre Quelle in Gott, der „Liebe ist”. Paul VI. macht diese offenbarte Wahrheit zum Prinzip seiner durchdringenden Analyse der ehelichen Liebe, da es den größten Wert ausdrückt, der in der menschlichen Liebe erkannt werden muss. Die menschliche Liebe ist reich an sie bildenden Erfahrungen, doch ihr wesentlicher Reichtum besteht darin, eine Gemeinschaft von Personen zu sein, das heißt eines Mannes und einer Frau in ihrer gegenseitigen Hingabe. Die eheliche Liebe wird durch die echte Hingabe einer Person an eine andere bereichert. Diese gegenseitige Hingabe der Person ist es, was nicht alteriert werden darf. Wenn in der Ehe die echte Liebe der Personen durch die leibliche Hingabe verwirklicht werden muss, das heißt durch die „Einheit im Fleisch”, so darf man diese gegenseitige Hingabe in keinem Aspekt des ehelichen interpersonalen Aktes alterieren. Der Wert der menschlichen Liebe und ihre Echtheit erfordern eine derartige Keuschheit des ehelichen Aktes, wie sie die Kirche fordert und in der Enzyklika in Erinnerung gerufen wird.

In verschiedenen Bereichen beherrscht der Mensch die Natur und ordnet sie sich mit künstlichen Mitteln unter. Diese Mittel kommen zusammengenommen in gewisser Weise dem Fortschritt und der Zivilisation gleich. In diesem Bereich jedoch, in dem durch den ehelichen Akt die Liebe zwischen Person und Person verwirklicht werden muss und wo die Person in einem echten Sinn sie selbst sein muss (und „geben” will auch heißen gegenseitig „empfangen”), kommt der Gebrauch von künstlichen Mitteln einer Alteration des Liebesaktes gleich. Der Autor von „Humanae vitae” kennt den echten Wert der menschlichen Liebe, der Gott als Quelle hat und vom rechten Gewissen und gesunden „moralischen Sinn” bestätigt wird. Und gerade im Namen dieses Wertes lehrt der Papst die Prinzipien der ethischen Verantwortlichkeit. Diese ist auch die Verantwortlichkeit, welche die Qualität der menschlichen Liebe in der Ehe schützt.

Diese Liebe kommt auch in der Enthaltsamkeit zum Ausdruck – auch in der periodischen –, da die Liebe fähig ist, auf den ehelichen Akt zu verzichten, doch sie kann nicht auf die echte personale Hingabe verzichten. Der Verzicht auf den ehelichen Akt kann unter gewissen Umständen eine echte personale Hingabe sein. Paul VI. schreibt dazu: „Solche Selbstzucht, Ausdruck ehelicher Keuschheit, braucht keineswegs der Gattenliebe zu schaden; sie erfüllt sie vielmehr mit einem höheren Sinn für Menschlichkeit” (Nr. 21). Indem die Enzyklika „Humanae vitae” die aufmerksame Sorge um den echten Wert der menschlichen Liebe zum Ausdruck bringt, wendet sie sich an den Menschen und betont den Sinn der Würde der Person. Die Liebe muss nämlich ihrem echten Wert entsprechend vom Mann und von der Frau in der Ehe verwirklicht werden. Die Fähigkeit zu einer derartigen Liebe und die Fähigkeit zur echten Hingabe der Person erfordern von beiden den Sinn für die personale Würde. Die Erfahrung des sexuellen Wertes muss von einem lebendigen Bewusstsein des Wertes der Person durchdrungen sein. Dieser Wert erklärt eben die Notwendigkeit der Selbstbeherrschung, die der Person eignet: die Persönlichkeit bringt sich nämlich in der Selbstkontrolle und in der Selbstbeherrschung zum Ausdruck. Ohne sie wäre der Mensch nicht fähig, sich selbst zu schenken und zu empfangen.

Die Enzyklika „Humanae vitae” formuliert diese Wertehierarchie, die sich für das ganze Problem der verantwortlichen Elternschaft als wesentlich und entscheidend erweist. Man darf diese Hierarchie nicht umkehren, und man darf die rechte Ordnung der Werte nicht verändern. Wir würden eine derartige Umwertung und Veränderung der Werte riskieren, wenn wir zur Lösung des Problems von Teilaspekten ausgingen und nicht von der „ganzheitlichen Sicht des Menschen und seiner Berufung”. Jeder dieser Teilaspekte in sich selbst ist sehr wichtig, und mitnichten mindert Paul VI. mindert deren Bedeutung: weder des demographisch-soziologischen noch des bio-psychologischen Aspekts. Im Gegenteil, der Papst beachtet sie aufmerksam. Er will nur verhindern, dass irgendeiner dieser Teilaspekte – wie wichtig er auch sein mag – die rechte Wertehierarchie zerstört und der Liebe die wahre Bedeutung als Gemeinschaft von Personen sowie dem Menschen selbst als zur echten Hingabe fähigen Person nimmt, innerhalb derer der Mensch nicht von der „Technik” ersetzt werden kann.

Bei all diesem jedoch vernachlässigt der Papst keinen der Teilaspekte des Problems, er geht sie vielmehr an und legt den fundamentalen Inhalt und die an diesen gebundene Wertehierarchie fest. Und gerade auf diesem Weg gibt es die Möglichkeit einer Geburtenkontrolle und somit auch die Möglichkeit zur Lösung der sozio-demographischen Probleme. Und deshalb konnte Paul VI. mit aller Sicherheit schreiben, dass „die staatliche Gewalt zur Lösung des Problems des Bevölkerungszuwachses beitragen kann und muss” (Nr. 23). Wenn es um den biologischen und auch soziologischen Aspekt geht – wie eben die Enzyklika lehrt – geht der Weg der Verwirklichung der jeweiligen Werte über die Anerkenntnis des Wertes des Liebe und der Person. Hier die Worte des eminenten Biologen Professor P.P. Grasset der Akademie für die Wissenschaften: „Die Enzyklika kommt mit den Daten der Biologie überein, sie ruft den Ärzten ihre Pflichten in Erinnerung und zeichnet für den Menschen den Weg ab, auf dem seine Würde – sowohl deren physischer als auch moralischer Teil – keiner Verletzung ausgesetzt sein wird” (Le Figaro, 8. Oktober 1968).

Man kann sagen, dass die Enzyklika in den Kern dieser universalen Problematik vordringt, mit welcher sich das II. Vatikanische Konzil beschäftigt hat. Das Problem der Entwicklung „der Welt”, sowohl in seinen modernen Instanzen als auch hinsichtlich seiner ferneren Perspektiven, erweckt eine Reihe von Fragen, die sich der Mensch über sich selbst stellt. Einige von diesen sind in der Pastoralkonstitution „Gaudium et spes” zum Ausdruck gekommen. Eine rechte Antwort auf diese Fragen ist unmöglich, ohne der Bedeutung der Werte bewusst zu sein, die über den Menschen und sein wahrhaft menschliches Leben entscheiden. In der Enzyklika „Humanae vitae” arbeitet Paul VI. für die Untersuchung dieser Werte in ihrem neuralgischen Punkt.

Evangelisches Profil

Die Untersuchung der Werte und durch diese die in der Enzyklika „Humanae vitae” formulierte Norm der verantwortlichen Elternschaft tragen eine besondere Prägung durch das Evangelium. Dies muss noch der Absicht der vorliegenden Erwägungen entsprechend betont werden, obwohl sie von Anfang an keinen anderen Leitfaden hatten. Die Fragen, welche die Menschen von heute umtreiben, „forderten vom kirchlichen Lehramt eine neue und vertiefte Überlegung über die Prinzipien der Ehemoral, die ihre Grundlage im natürlichen Sittengesetz haben, das durch die göttliche Offenbarung erhellt und bereichert wird” (Nr. 4).

Die Offenbarung als Ausdruck des ewigen Gedankens Gottes erlaubt und gebietet uns gleichzeitig, die Ehe als eine Einrichtung zu betrachten, im das menschliche Leben weiterzugeben, in der die Gatte, „freie und bewusste Mitarbeiter des Schöpfergottes sind” (Nr. 1). Christus selbst hat diese ihre immerwährende Würde bestätigt, die Ehe insgesamt in das Erlösungswerk eingepflanzt und in die sakramentale Ordnung eingefügt. Durch das Sakrament der Ehe werden die Eheleute „gestärkt und gleichsam geweiht, um ihre Aufgaben treu erfüllen, ihre Berufung zur Vollendung führen und vor der Welt das ihnen aufgetragene christliche Zeugnis geben zu können” (Nr. 25). Da in der Enzyklika die Lehre der christlichen Moral dargelegt worden ist, bildet die Lehre von der verantwortlichen Elternschaft, verstanden als rechter Ausdruck der ehelichen Liebe und der Würde der menschlichen Person, einen wichtigen Bestandteil des christlichen Zeugnisses. Und es scheint uns, dass der Mensch gerade im Rahmen dieses Zeugnisses ein gewisses Opfer für die echten Werte bringen muss.

Das Evangelium bekräftigt ständig die Notwendigkeit eines derartigen Opfers, ja das Erlösungswerk selbst, das ganz im Paschamysterium zum Ausdruck kommt, bekräftigt dies. Das Kreuz Christi ist der Preis für die Erlösung des Menschen geworden. Jeder Mensch, der auf dem Weg der wahren Werte einherschreitet, muss etwas von diesem Kreuz als Preis auf sich nehmen, den er selbst für die echten Werte bezahlen muss. Dieser Preis besteht in einer besonderen Anstrengung: „Das göttliche Gesetz verlangt”, so der Papst, „feste Entschlüsse und viele Anstrengungen”; und sofort fügt er hinzu: „diese Anstrengungen erhöhen die Würde des Menschen und tragen zum Wohl der menschlichen Gesellschaft bei” (Nr. 20).

Der letzte Teil der Enzyklika ist ein Aufruf zu diesen ernsthaften Entschlüssen und Anstrengungen; dieser ergeht sowohl an die Gesellschaft, „ein Klima zu schaffen, das geschlechtlich zuchtvolles Verhalten begünstigt” (Nr. 22), als auch an die öffentlichen Gewalten wie auch an die Menschen der Wissenschaft, „dass aufbauend auf dem Wissen um die natürlichen Zyklen (der Fruchtbarkeit) die Medizin für eine sittlich geordnete Geburtenregelung sichere Grundlagen zu schaffen vermag”. Die Enzyklika appelliert abschließend an die Eheleute, an das Familienapostolat, an die Ärzte, an die Priester und Bischöfe als Seelenhirten.

Den Menschen von heute, die unruhig und ungeduldig und gleichzeitig im Bereich der fundamentalsten Werte und Prinzipien bedroht sind, ruft der Stellvertreter Christi die Gesetze in Erinnerung, die diesen Bereich bestimmen. Und da sie keine Geduld haben und Vereinfachungen und scheinbare Erleichterungen suchen, erinnert er sie an den Preis für die wahren Werte und wie viel Geduld und Anstrengung es bedarf, um diese Werte zu erreichen. Es hat den Anschein, dass uns über alle Argumentationen und Appelle der Enzyklika hinweg, die auch von einer dramatischen Spannung erfüllt sind, die Worte des Meisters erreichen: „Wenn ihr standhaft bleibt, werdet ihr das Leben gewinnen” (Lk 21,19). Denn schließlich geht es gerade darum.

EWTN - Bischof Laun und Pater Karl Wallner über HUMANAE VITAE




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