Oberrabbiner von Rom würdigt Papst für intensiven Kontakt zum Judentum

31. Oktober 2003 in Aktuelles


Riccardo Di Segni über 25 Jahre Pontifikat: Johannes Paul II. hat Geringschätzung gegenüber Juden ausgelöscht und eine auf gegenseitiger Achtung basierende Beziehung aufgebaut.


Rom (www.kath.net / zenit) Mit dem Pontifikat von Papst Johannes Paul II. begann eine neue Ära der Beziehungen zwischen Katholiken und Juden, meint der Oberrabbiner der Stadt Rom. Geboren 1949, verheiratet und Vater von drei Kindern, ist Riccardo Di Segni Arzt in der radiologischen Abteilung des römischen Krankenhauses San Giovanni. Sein Amt als Oberrabbiner trat er Anfang 2002 an, als sein Vorgänger Elio Toaff, der 50 Jahre lang an der Spitze der römischen Synagoge stand, in den Ruhestand ging. "Es gab keinen Papst in der Geschichte, der die Beziehungen zwischen Judentum und römisch-katholischer Kirche so sehr gefördert hat, wie Papst Johannes Paul II. Aus unserer Perspektive befinden wir uns vor einer geschichtlich sehr außergewöhnlichen Situation hinsichtlich der Beziehungen zum Judentum", betonte Di Segni bei einem Interview mit Zenit im Zusammenhang mit dem 25. Pontifikatsjubiläum.

Wie hat Papst Johannes Paul II. die Beziehungen zwischen Katholiken und Juden verändert?

Riccardo Di Segni:Es gab in der Geschichte immer wieder verschiedene Probleme im jüdisch-christlichen Dialog, vor allem kam es wiederholt zu Vorurteilen gegen die Juden. Jahrhundertelang wurde uns auf der Grundlage von Ideologien und alten Gewohnheiten Misstrauen entgegen gebracht, und diese Art des sich mit dem Judentum Befassens hat Papst Johannes Paul II. durch eine Reihe von Gesten und vor allem durch seine Ansprachen völlig verändert. Ich meine hier vor allem den Papstbesuch in der römischen Synagoge und seinen Besuch an der Klagemauer in Jerusalem. Papst Johannes Paul II. hat diese Geringschätzung ausgelöscht und eine auf gegenseitiger Achtung und Würde basierende Beziehung aufgebaut.

Christen und Juden haben vieles gemeinsam …

Riccardo Di Segni: Das hängt damit zusammen, dass es zwei auf biblischer Grundlage entstandene Religionen sind. Die biblische Tradition hebt die große Bedeutung der Menschenwürde und des Lebens hervor. Das Leben bedarf eines Ideals. Hervorgehoben wird auch der Sinn für gesellschaftliche Solidarität und Gemeinschaft. Das sind grundlegende Werte, ganz wesentliche biblische Werte, die Juden und Christen miteinander verbinden. Daher sind sich diese beiden Welten immer wieder begegnet und haben sich sogar nachgeahmt, was nicht selten zu einem Teufelskreis führte.

Wie beurteilen Sie dieses Pontifikat?

Riccardo Di Segni: Positiv, obwohl einige problematische Aspekte theologischer Art offen bleiben. Sicherlich sind wir unter diesem Pontifikat zu vollkommener Achtung der Menschenwürde und der religiösen Traditionen gelangt, doch geht die Diskussion über andere Fragen weiter.

Wie würden Sie dieses Pontifikat beschreiben?

Di Segni: Papst Johannes Paul II.ist es gelungen, sein Werk und die Mission der Kirche in ein sehr positives Licht zu stellen, aber ich weiß nicht, inwieweit und mit welchem Verantwortungsbewusstsein die Gläubigen all diese Appelle aufnehmen.

Was bedeutet das?

Di Segni: Die meisten Menschen bewundern und verehren diesen Papst, der eine sehr große persönliche Ausstrahlungskraft besitzt. Da er aufgrund dessen, was er gelitten hat, fähig ist, Hunderte Millionen von Menschen für seine Initiativen zu begeistern, machen sich das auch die Medien zunutze. Aber ich weiß nicht, ob sich das auch auf das Verhalten der Menschen auswirkt. Ich weiß nicht, wie viele Menschen zum Beispiel mit ihm in seiner Auffassung über die Scheidung oder über gewisse gewisses Sexualverhalten, wie die katholische Moral es vorschreibt, einer Meinung sind.

Verteidigung des Lebens, Widerstand gegen die Euthanasie, Verteidigung der Menschenwürde und Menschenrechte sind für Sie alle sehr wichtige Themen …

Di Segni: Hinsichtlich des Widerstands gegen die Euthanasie ist unsere Position jener der römisch-katholischen Kirche ähnlich, während wir etwas anderes unter Verteidigung des Lebens verstehen als die Katholiken. Das heißt nicht, dass wir nicht das ungeborene Leben verteidigen würden, sondern dass nach Auffassung der jüdischen Theologie der Lebensbeginn rechtlich durch andere Kriterien geregelt ist, als bei der katholischen Kirche, mit allem Respekt vor dem, was die Kirche darüber lehrt. Die Lehrpositionen sind also nicht völlig deckungsgleich. Hinsichtlich der Menschenrechte zollen wir höchste Achtung.


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