„Das Rot in Kardinal Zens Kleidung steht wahrhaftig für Märtyrerblut“

21. April 2018 in Weltkirche


Stephanus-Preis 2018: „Es ist eine besondere Ehre, diese Farbe zu tragen, nicht, weil sie Macht verkörpert, sondern weil sie eine dienende Haltung sichtbar macht.“ Laudatio auf den chinesischen Kardinal Zen Ze-kiun von Prof. Thomas Schirrmacher


Bonn (kath.net) kath.net dokumentiert die Laudatio zu Ehren von Kardinal Joseph Zen Ze-kiun, S.D.B., Träger des Stephanus-Preises 2018, in Bonn am 7. April 2018 durch den evangelischen Bischof Thomas Schirrmacher in voller Länge:

Sehr verehrte Eminenz,
Verehrte Frau Aneequa Anthony, Trägerin des Stephanus-Preises 2017,
Verehrter Herr Link und veehrte Frau Koller von der Stephanus-Stiftung,
Verehrte Gäste,

Letztes Jahr besuchte ich die Direktoren des Staatlichen Amtes für Religiöse Angelegenheiten der Kommunistischen Partei in Kuba, die gerade in dem Prozess steht, ihre Kontrolle religiöser Institutionen zu lockern. Der neue Erzbischof von Havanna, der zugleich den Vorsitz der kubanischen Katholischen Bischofskonferenz innehat, hat sich offen für die Menschenrechte eingesetzt. Unter anderem verteidigte er öffentlich unsere Partner in der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (ISHR), die mutigen „Damen in Weiߓ, die Mütter und Verwandten politischer Gefangener in Kuba.

Vor wenigen Wochen sprach ich in der Nationalen Politischen Akademie der Kommunistischen Partei Vietnams vor Parteiführern und Doktoranden am Institut für Menschenrechte über Themen der Religionsfreiheit. Der Direktor, mein dortiger Gastgeber, hatte 2017 die ISHR in Frankfurt besucht. Vietnam ist eindeutig auf dem Weg zu einem größeren Respekt für religiös Gläubige und ihren Glauben. Der Weg ist freilich noch weit, aber die Richtung ist deutlich.
Wir wünschten, wir könnten über ähnliche Entwicklungen in China berichten. China ist nicht mehr das, was es unter Mao war, als Millionen von Christen getötet wurden, weil die Regierung alle Formen offiziellen, sichtbaren Christentums auslöschen wollte. Doch in jüngster Zeit haben sich einige beunruhigende Dinge ereignet.

Im Februar 2018 trat ein neues und strengeres Gesetz für religiöse Angelegenheiten in Kraft. Im März löste die chinesische Regierung ihre Staatsadministration für religiöse Angelegenheiten auf und übertrug die Verantwortung für religiöse Angelegenheit stattdessen der Vereinigten Frontabeitsabteilung der Kommunistischen Partei (UFWD), die als eine der strengsten Organisationen innerhalb der Partei bekannt ist. Der mit dieser Rolle Beauftragte wird Xia Baolong sein, der 2013, als Parteisekretär der Provinz Zhejiang, für die Entfernung von 1.700 Kreuzen von katholischen und protestantischen Kirchen verantwortlich war.

Die UFWD wird nun auch die direkte Kontrolle und tägliche Aufsicht über die staatlichen Organisationen aller fünf offiziellen Religionen haben, einschließlich der staatlich beaufsichtigten offiziellen Katholischen und Protestantischen Kirchen in China. Diese offiziellen Kirchen machen, wenn es hoch kommt, ein Drittel aller Katholiken und Protestanten in China aus; der Rest der unglaublich großen Zahl von Christen gehört dem Netzwerk von Untergrundkirchen an, die zuweilen recht gut sichtbar sind, die es aber ablehnen, unter staatlicher Aufsicht zu stehen. Die Katholische Kirche hat in den meisten Fällen vom Papst ernannte Bischöfe, die jedoch von der chinesischen Regierung nicht anerkannt werden; die offizielle Kirche hat im Gegensatz dazu staatlich ernannte Bischöfe, unter denen mehrere vom Vatikan nicht anerkannt werden.

Papst Franziskus hat verständlicherweise das Ziel, diese Spaltung zu heilen, und würde gern die diplomatischen Beziehungen zu China, die 1951 abgebrochen wurden, wieder aufnehmen. Ich habe die Situation mit ihm besprochen, zumal unsere Situation als Protestanten recht ähnlich ist und auch die Leitung der Weltweiten Evangelischen Allianz viele Unterredungen mit der Regierung darüber geführt hat. Als ein Beitrag zu den laufenden Verhandlungen bat der Vatikan einen ihrer, ohne Zustimmung der chinesischen Regierung ernannten, Bischöfe, Bischof Guo Xijin von Mindong, zurückzutreten und Weihbischof unter Zhan Silu zu werden, einem Bischof der staatlich beaufsichtigten Katholischen Kirche, der ihn ablösen sollte. Nach allem, was uns bekannt ist, scheint es, dass Bischof Guo es ablehnte, zurückzutreten oder die Ostermesse gemeinsam mit Bischof Silu zu zelebrieren.

Bevor der Vatikan auch nur reagieren konnte, verhaftete die chinesische Regierung Bischof Guo! Infolgedessen liegen die Verhandlungen zwischen dem Vatikan und China jetzt auf Eis, auch wenn anscheinend Bischof Guo mittlerweile wieder zuhause ist.

All dies hat jedoch für uns hier und heute in gewisser Weise auch sein Gutes, weil unser Ehrengast, Hochwürden Kardinal Zen, unter uns sein kann. Er ist die lauteste Stimme gegen – wie er es wiederholt genannt hat – einen „faulen Kompromiss“ zwischen Christen und der chinesischen Regierung. Doch er versprach, bis zum Ende seines Lebens zu schweigen, wenn der Heilige Vater irgendein Abkommen unterzeichnen würde. Dank der unerwarteten Verhaftung von Bischof Guo, die bewies, dass jedes Wort von Kardinal Zen eine realistische und exakte Beschreibung der Lage ist, wurde bis jetzt nichts unterzeichnet, und so haben wir die Ehre, den Kardinal hier bei uns zu haben.

Kardinal Joseph Zen Ze-kiun, S.D.B., Bischof emeritus von Hong Kong (China), geboren 1932 in Yang King-pang, Shanghai, erhält den Stephanus Preis für seinen Mut und seine Ausdauer in der Verteidigung der Religionsfreiheit und in seinem Einsatz zugunsten von Verteidigern der Menschenrechte.

2011 beispielsweise erlaubte ein neues Gesetz Hong Kong, 300 katholische Schulen zu übernehmen und sie in staatliche Schulen umzuwandeln. Der Kardinal, 79 Jahre alt und nicht gerade ein agiler junger Mann, ging dennoch in Hungerstreik und machte so die ganze Welt auf die Lage aufmerksam.

Ich könnte viele weitere Beispiele dafür anführen, wie dieser salesianische Priester und Bischof sich wieder und wieder für seine Mitchristen in China einsetzte. Seine Wikipedia Biografie enthält zahlreiche konkrete Fälle.

Das Rot im Kardinalsgewand, ebenso wie das Purpur der Kleidung eines Bischofs, steht für das Blut der Märtyrer. Das Rot in Kardinal Zens Kleidung steht wahrhaftig für Märtyrerblut. Die höchste Ehre eines Bischofs ist nicht seine rechtliche Autorität, sondern dass er eine Kirche repräsentiert, die auf dem Samen des Blutes der Märtyrer erbaut ist, eine Tatsache, die in China vielleicht eindrücklicher wahr ist, als irgendwo sonst auf der Welt. Die Farbe Rot zu tragen, zeigt die Bereitschaft an, sein Leben zu riskieren und in die Hände des Herrn, unseres Gottes zu legen. Es ist eine besondere Ehre, diese Farbe zu tragen, nicht, weil sie Macht verkörpert, sondern weil sie eine dienende Haltung sichtbar macht. Sie bringt Solidarität mit den Schwachen, sowie die Bereitschaft, dafür zu sterben, zum Ausdruck.

Ist das alles, wofür Kardinal Zen steht – ein hochrangiger Christ, der sich für Christen einsetzt? Nein, da ist noch viel mehr. Kardinal Zen war erstens eine deutliche Stimme gegen die Diskriminierung von Christen, zweitens ein Verteidiger der Religionsfreiheit für alle Religionen und Weltanschauungen, und drittens ein Symbol für Menschenrechte im Allgemeinen, weit über rein religiöse Probleme hinaus.

Lassen Sie mich ein Beispiel für den zweiten Punkt anführen. Als die ISHR sind wir in besonderer Weise in die Verteidigung von Falun Gong Anhängern involviert, sowie gegen das Übel des Organhandels, einschließlich der Tötung von Gefangenen, um ihre Organe zu entnehmen. Diese Praktik ist von Forschern und Experten belegt worden, die unabhängig von der Falun Gong Gemeinschaft arbeiten, wie dem ehemaligen UN Berichterstatter zum Thema Folter, Manfred Nowak, Professor für öffentliches internationales Recht in Wien. Wir begrüßen die Vertreter von Falun Gong, die heute unter uns sind, um den Kardinal zu ehren.
Sie werden nicht überrascht sein zu hören, dass Kardinal Zen seine Stimme gegen die chinesische Politik der Ausgrenzung und Verfolgung von Falun Gong erhoben hat. Wir danken ihm für diesen mutigen Schritt.

Gehen wir weiter zu den Menschenrechten im Allgemeinen. Jedes Jahr am 1. Juli können Sie den Kardinal in der ersten Reihe des Hong Kong Marsches der Front für Zivile Menschenrechte marschieren sehen, einem Zusammenschluss nahezu aller Menschenrechtsorganisationen in Hong Kong. 2014 sagte er zu den versammelten Protestteilnehmern: „Es ist höchste Zeit, dass wir wirklich zeigen, dass wir frei und keine Sklaven sein wollen. ... Wir müssen uns vereinen.“ Während seiner Rede wurden die Protestierer mit Tränengas beschossen.

Kardinal Zen half nicht nur, die Menschenrechtsaktivisten zu einen, sondern setzte sich auch in China für sie ein – nicht nur für Christen, sondern für alle gutwilligen Menschen, jung und alt, unbekannt und berühmt.

Er war und ist davon überzeugt, dass die kommunistische Ideologie nicht die wirklich treibende Kraft hinter der regierenden Partei in China ist. Vielmehr glaubt er, dass die treibende Kraft Imperialismus und Gier ist, wie die unkontrollierbare Bankenkorruption beweist. Und wo immer Korruption weit verbreitet ist, ist es nahezu unmöglich, die Verletzer der Menschenrechte zu bekämpfen, selbst wenn man es wollte.

Lassen Sie mich noch einmal auf den christlichen Aspekt zurückkommen. Die christlichen Schriften (im Römerbrief 13,1-7), fordern Christen auf, sich den bestehenden Machthabern unterzuordnen, die wir heutzutage den Staat nennen. Warum? Weil Gott den Staat dazu verordnet hat, die zu schützen, die Gutes tun und die zu bestrafen, die Böses tun. Das ist der Grund, weshalb Christen, einschließlich Kardinal Zen, gute Staatsbürger sind. Er rief niemals zur Revolution auf; er hinterfragte nie die Existenz des Staates oder die Notwendigkeit von Gesetz und Ordnung. Römer 13 ist im Laufe der Geschichte oft missbraucht worden, um die Lehre zu bekräftigen, dass die Gemeinde passiv jedes Übel akzeptieren muss, das vom Staat begangen wird, und dass sie dem Staat immer gehorchen muss. Doch in Wirklichkeit handelte der Autor von Römer 13, Paulus, selbst nie so. An anderer Stelle, in Offenbarung 13, spricht das Neue Testament sogar davon, dass der Staat den Geist des Antichristen habe.

Die Machthaber der Geschichte waren oft beunruhigt durch Christen, auch wenn sie gute Bürger waren, die pünktlich ihre Stern zahlten, ihren Mitbürgern in Not halfen und die moralische Rechtfertigung für Regierungen anerkannten. Warum? Weil Christen den Staat nicht als die Quelle aller Macht und Weisheit ansehen. Sie gehorchen dem Staat nicht deshalb, weil sie glauben, dass er vollkommen sei, sondern weil Gott ihnen aufträgt, dem Staat zu gehorchen.

In diesem Gehorsam leben sie das aus, was Petrus einmal sagte: „Wir müssen Gott mehr gehorchen als den Menschen.“ Wir müssen Menschen gehorchen. Wenn niemand irgendjemand anderem gehorchen würde, könnten wir als Gesellschaft nicht funktionieren. Aber wir gehorchen Gott mehr.

Deshalb, o Staat, setz dich ein für das Gute, verteidige Menschenrechte, hilf den Bedürftigen, und wir sind die nettesten und kooperativsten Bürger auf Erden sein. Gebrauchst du jedoch deine Macht, um von den Armen zu stehlen, die Getreuen zu unterdrücken und jene zu verhaften, die Gutes tun – so werden wir zwar weiterhin unsere Steuern zahlen, werden wir weiterhin nicht zu den Waffen greifen, um eine Revolution anzuzetteln, doch wir werden unsere Stimme für die Freiheit und die Rechte jedes Einzelnen erheben, weil wir glauben, dass jeder im Bilde Gottes erschaffen wurde und durch all seine Mitmenschen, und besonders durch den Staat, beschützt werden sollte.

Eure Eminenz, als einer der ersten Kardinäle aus China sind Sie ein lebendes Symbol für diese Komplementarität von Römer 13. Sie lieben ein Land, das Millionen von Christen getötet hat. Sie zeigen keinen Hass, sondern nur die tiefste Sehnsucht nach einer gerechten, friedlichen Zukunft für Ihr Volk und dessen Führung. Ihr ganz und gar friedliches und respektvolles, aber mutiges und riskantes Handeln im Einsatz für diejenigen, die bedrängt und verfolgt werden, macht sie mehr als würdig, den Stephanus Preis zu empfangen, der nach dem ersten christlichen Märtyrer benannt ist. Sie lehren uns alle, dass der christliche Glaube kein Streben nach Geld und Macht ist, sondern ein friedliches Weitergeben und Verteidigen von nichts anderem als der Wahrheit.

Ich danke Bruce Barron für die Bearbeitung dieser Laudatio

Bischof Prof. Dr. Dr. Thomas Schirrmacher
Präsident, Internationaler Rat der International Society of Human Rights (Frankfurt)
Associate Secretary General of the World Evangelical Alliance (New York), Moderator Office of Intrafaith and Interfaith Relation (OIIR), member of the Faith and Order Commission of the World Council of Churches, Chair of the Advisory Board of the Central Council of Oriental Christians
Leitender Bischof der Communio Messianca (Jerusalem)

kath.net dankt Prof. Dr. Thomas Schirrmacher, dem stellvertretenden Generalsekretär der Weltweiten Evangelischen Allianz, für die freundliche Erlaubnis, die Übersetzung der Laudatio in voller Länge zu veröffentlichen. Link: Das Original wurde auf Englisch vorgetragen und findet sich hier.

Kardinal Joseph Zen Ze-kiun Stephanus-Preisträger 2018


Prof. Schirrmacher verliest die Übersetzung der Antwort von Kardinal Zen Ze-kiun zur Verleihung des Stephanus-Preises 2018


Zen Ze-kiun, Schirrmacher


Schirrmacher während seiner Laudatio


Zen Ze-kiun und Schirrmacher im Gespräch



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