2. Mai 2018 in Kommentar
Spricht der Kardinal von München noch im Namen der deutschen Bischöfe? Gastkommentar von Peter Seewald
Rom-Bonn (kath.net) In Trier, der früheren Bischofsstadt von Kardinal Reinhard Marx, wird in diesen Tagen ein riesiges Denkmal für seinen Namensvetter enthüllt, des Begründers einer Ideologie, der etwa 150 Millionen Menschen zum Opfer fielen. Nicht von ungefähr wurden nach der Wende auf dem Gebiet der früheren DDR alle Verherrlichungen von Marx und Lenin demontiert. Gestiftet wurde das Trierer Marx-Memorial von einem Land, das für die Unterdrückung der Menschenrechte, für die Verfolgung der Religion bekannt ist, was offenbar niemand anstößig findet. Reinhard Marx würdigte Karl Marx Kommunistisches Manifest, das eine Diktatur des Proletariats fordert, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung als durchaus beeindruckend. Just am selben Wochenende kritisierte er in der Süddeutschen Zeitung in scharfer Form die bayerische Staatsregierung für Ihre Entscheidung, in allen Ämtern des Landes Kruzifixe anzubringen.
Am Kreuz Christi scheiden sich die Geister. Die Christen lieben und verehren es, seine Gegner aber hassen es. Dass der Vorstoß des bayerischen Ministerpräsidenten heftigen Protest und bissige Häme auslösen würde, war zu erwarten. Neu aber ist, dass auch ein Kardinal harsche Kritik übt, wenn in Landesbehörden dem Symbol des Christentums hohe Ehre eingeräumt wird. Noch dazu mit der Begründung, das Aufhängen der Kreuze würde Spaltung, Unruhe, Gegeneinander auslösen. Als ob es nicht auch Spaltung und Gegeneinander wäre, wenn der Vorsitzende der deutschen und bayerischen Bischofskonferenz immer häufiger gegen quasi natürliche Verbündete tritt, die nachgerade als letzte Partner für das christliche Anliegen verblieben sind. Die Frage ist freilich, ob Marx damit noch im Namen der deutschen Bischöfe spricht, oder in einer Privatmeinung, die einen Kurs der Selbstsäkularisierung manifestiert.
In der bayerischen Bischofskonferenz ist Marx isoliert, seit er die Bischöfe in die Situation brachte, über eine Frage abzustimmen, die nicht einfach so per Mehrheitsvotum entschieden werden kann. Dies, obwohl etwa ein Kardinal Woelki zuvor deutlich zum Ausdruck brachten, dass Lehraussagen erst recht in einer der zentralen Fragen des katholischen Glaubens nicht Sache nationaler Gremien sind. Der scharfe Angriff auf den Entscheid der bayerischen Landesregierung ist dabei nicht nur ein Akt der Entsolidarisierung, sondern auch ein Beleg für das mangelnde Verständnis für Land und Leute im größten Bundesland dieser Republik.
Man hat ihn immer ein wenig belächelt, diesen etwas mystischen bayerischen Herrgottswinkel, mit dem Kruzifix in der Stube, dem Weihwasser am Türrahmen. Aber es ist nicht nur so dahingesagt, wenn man von einem Bavaria sancta spricht, dem geistlichen Bayern, das sich in den Bauten des Barock und Rokoko von der höfischen Hauptstadt bis zur letzten Landkapelle zieht. Nirgendwo in Deutschland hat das Christentum Leben und Lebensart der Menschen stärker geprägt als in Bayern. Aber in der Ganzheitlichkeit von ora et labora, Fasten und Feiern ist das Dasein eben auch ganz eingebettet und geborgen, sucht der Mensch nach der Ordnung des Universums und begreift die Schöpfung als ein heiliges Gut, das es zu schützen gilt.
Oskar Maria Graf schwärmte von der unbändig saftigen Lebenslust, die in Bayerns Kirchen herumgeistern. Derb, direkt und äußerst respektlos sei dieser Volksglaube. Und gleichzeitig voller Ernst, Innigkeit und Treue zur Überlieferung. Man kann Marx nicht vorhalten, dass er kein Bayer ist, dass er keinen Sensus hat für dieses Land, seine Einwohner, seine besondere Kultur. Aber man kann ihm vorhalten, dass er in den zehn Jahren, seit er in München regiert, sich wenig darum bemühte, während gleichzeitig die Klagen über einen fürstbischöflichen Lebens- und Herrschaftsstil, das Fehlen der Nähe zu den Menschen immer lauter werden, und nicht zuletzt über den Opportunismus, sich in kontroversen Fragen an den Ansagen der herrschenden Medien zu orientieren.
Dass der Kardinal das Kreuz schon mal abnimmt, wenn es anstößig zu werden droht, ist kein Geheimnis. Seine Argumentation in der Kreuz-Debatte ist für einen katholischen Bischof doppelt unverständlich:
- Das Kreuz aufzuhängen bringe Unruhe, so der Kardinal. Aber war das Symbol des Christentums nicht von Beginn an ein Zeichen des Widerspruchs? Einmal fiel es Hammer und Sichel zum Opfer, ein anderes Mal dem Hakenkreuz. Aber wo es abgehängt wurde, brachen in Ost und West keine besseren Zeiten an.
- Das Kreuz, argumentiert Marx, sei ein Zeichen gegen Gewalt, Ungerechtigkeit, Sünde und Tod, ein Zeichen des Heils, der Rettung der Welt, der Hoffnung, besonders für die Kranken, Schwachen und Sünder. Aber müssten wir dann nicht glücklich sein, dass in bayerischen Amtsgebäuden nicht die Logos autokratischer Herrschaftssysteme hängen, Signets für Unterdrückung und Untertanengeist, sondern ein Zeichen der Liebe?
- War es nach dem Morden der Nazis nicht ein unverdienter gesellschaftlicher Fortschritt, dass sich der Westen Europas eine neue Grundordnung gab, dessen Fundament auf die Botschaft des Evangeliums setzte? Nicht zuletzt im Zeichen des Kreuzes. Mit christlichen Politikern wie Adenauer, Schuman und De Gasperi, die von ihrem Glauben überzeugt waren und ihn auch bekannten.
- Ist es nicht auch ein hohes Gut, dass sich die Bayerische Verfassung, wie es in ihrer Präambel heißt, herleitet aus den Erfahrungen angesichts des Trümmerfeldes, zu dem eine Gesellschaftsordnung ohne Gott geführt hat?
- Die Trennung von Staat und Kirche bedeutet nicht auch, sich seiner Grundwerte zu entledigen, die sich aus dem jüdisch-christlichen Erbe herleiten. Die weltanschauliche Neutralität des Staates, so ein Urteil des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes, ist eben nicht gleichzusetzen mit einem Gebot zur Eliminierung des Religiösen aus dem öffentlichen Raum.
Und wo, bitteschön, sollte man denn beginnen bei der Herstellung von religionsfreien Zonen in Bayern? Mit der Patrona Bavariae, der Mutter Gottes, der Kurfürst Maximilian I. das Land als Schirmherrin weihte? Der Liquidierung der unzähligen Feldkreuze, Marterl und Kapellen, die Bayern schön machen und die Menschen zur Besinnung gemahnen. Der Abschaffung von Weihnachten, Ostern, Pfingsten und anderer staatlich verordneter christlicher Feiertage? Dem Ausräumen von Kreuzen in Schulen, Gerichten, Kindergärten etc. wie das die Jakobiner in der französischen Revolution, die Kommunisten in der Sowjetunion und die Nazis in Deutschland gemacht haben?
Doch, einige Möglichkeiten gibt es tatsächlich, die Trennung von Kirche und Staat deutlicher umzusetzen, und zwar sehr naheliegende: beispielsweise die Abschaffung der Erhebung von Kirchensteuer durch staatliche Organe. Oder gerne auch das Ende der stattlichen Gehälter, die sich die Bischöfe vom Staat überweisen lassen. Im Falle eines Kardinal Marx monatlich immerhin 12500 Euro aus Steuergeldern.
Man kann die publicitywirksame Inszenierung Söders kritisieren. Und völlig einsichtig ist, dass Atheisten und Religionshasser strikt gegen jegliche Anbringung christlicher Symbole sind. Aber der mutige Entscheid der Landesregierung ist auch eine Chance, in einer Epoche, in der ein neues Heidentum zunehmend Kultur und Gesellschaft dominieren, in der die Suche nach Identität im Sinne eines friedlichen Zusammenlebens unterschiedlicher Überzeugungen und Lebensstile nachgerade zu einer Überlebensfrage geworden ist, darüber zu diskutieren, was die Botschaft des Mannes am Kreuz bedeutet. Oder was es heißt, in einem christlich geprägten Land zu leben. Die israelitische Kultusgemeinde von München und Oberbayern zeigte sofort Verständnis für die Entscheidung der Bayerischen Staatsregierung. Marx hingegen stellt sich in die Reihe von Kirchenkritikern in Politik und Medien, die allenfalls eine Religion der Zivilgesellschaft zulassen wollen, die alles mögliche sein darf, bloß nicht christlich.
Im bayerischen Landtag hielt der Abgeordnete und CSU-Generalsekretär Markus Blume im Zusammenhang mit der Kreuz-Debatte ein flammendes Plädoyer für demokratische Grundwerte und christlichen Glauben, die sich einander bedingen. Das Kreuz, so Blume, stehe nicht für Ausgrenzung, sondern für Toleranz, Menschwürde und Nächstenliebe. Ein entschiedener Auftritt, den man sich so auch von einem Vorsitzenden der bayerischen Bischofskonferenz gewünscht hätte.
Foto oben: Peter Seewald (c) Jung-Hee Seewald
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