22. Mai 2018 in Kommentar
Wie kommt es, dass dieselben Kirchenvertreter, die bei Themen wie Migration immer betonen, dass der christliche Glaube keine Nationalität kennt, plötzlich auf nationale Besonderheiten pochen, wenn es um Fragen der Lehre geht? - Von Sebastian Moll
Linz (kath.net)
Wer sich der Vergangenheit nicht erinnert, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen. So heißt es. Die Wirklichkeit ist indes weitaus grausamer. Denn derjenige, der sich der Vergangenheit erinnert, ist dazu verdammt, hilflos wie Kassandra dabei zusehen, wie alle anderen die Fehler der Vergangenheit wiederholen.
Im Wonnemonat Mai wird mir dies stets in besonderer Weise deutlich. Am 31. Mai 1934, vor nunmehr 84 Jahren, wurde die Barmer Erklärung verbschiedet, das theologische Fundament der Bekennenden Kirche. Gerne berufen sich heutige Kirchenvertreter auf diese Erklärung, allerdings ausschließlich im sogenannten Kampf gegen Rechts. Dabei war die seinerzeit beschließende Synode trotz des offensichtlichen Kontextes der nationalsozialistischen Bedrohung politisch völlig neutral. Im Eröffnungsgottesdienst schloss Superintendent Hugo Hahn unseren Reichspräsidenten und Reichskanzler explizit in seine Fürbitten ein, ohne dass dies irgendeinen Widerspruch hervorrief.
Mit keinem Wort wurde darüber diskutiert, ob Christen Mitglieder der NSDAP sein dürfen. Es wurden auch keine politischen Maßnahmen der Regierung kritisiert. Das alleinige Anliegen der Synode war es, die Kirche und ihre Lehre von jedweder ideologischen Vereinnahmung freizuhalten. So heißt es in der dritten These: Wir verwerfen die falsche Lehre, als dürfe die Kirche die Gestalt ihrer Botschaft und ihrer Ordnung ihrem Belieben oder dem Wechsel der jeweils herrschenden weltanschaulichen und politischen Überzeugungen überlassen.
Diese Standhaftigkeit ist das wahre Vermächtnis von Barmen. Leider ist diese Haltung heutigen Kirchenvertretern oft fremd, auch und gerade den evangelischen, die sich doch so gerne auf die Barmer Erklärung berufen. Einen neuen Tiefpunkt in dieser Richtung hat jüngst die methodistische Kirche, eine der größten evangelischen Denominationen der Welt, erreicht. Während sich andere Kirchen zwar bereitwillig der jeweils herrschenden weltanschaulichen und politischen Überzeugung unterwerfen, aber wenigstens noch die gesunde Verlegenheit zur Verschleierung besitzen, wollen die Methodisten die Anpassung nun zum offiziellen Programm machen.
Vergangene Woche traf sich der internationale methodistische Bischofsrat zu seiner Frühjahrstagung in Chicago, um eine Lösung der strittigen Fragen zur menschlichen Sexualität zu erarbeiten. Der Bischofsrat sprach sich in seiner anschließenden Empfehlung mehrheitlich für den sogenannten One Church Plan aus, der die Streichung der umstrittenen Passagen aus der weltweit verbindlichen Kirchenordnung vorsieht und es den nationalen Kirchen ermöglicht, dieses Thema im jeweiligen politischen, gesellschaftlichen und kirchlichen Kontext zu betrachten und für dafür angemessene Ordnungen zu formulieren.
Als jemand, der Freude an Satire und Kabarett hat, frage ich mich, ob hier bewusste Ironie vorliegt oder unfreiwillige Komik. Einen Plan, der die bewusste Anpassung der Lehre an gesellschaftliche Konventionen der jeweiligen Region vorsieht, als One Church Plan zu bezeichnen, ist schon ein starkes Stück! In Wahrheit wird hier die Einheit der Kirche und der gesunden Lehre aufgelöst zugunsten eines nordamerikanischen Christentums, eines südamerikanischen Christentums, eines westeuropäischen Christentums, eines osteuropäischen Christentums, eines afrikanischen Christentums etc.
Wer mit der Erklärung von Barmen wenig anfangen kann, möge übrigens einfach einen kurzen Blick in den Ersten Korintherbrief werfen, wo Paulus mit Recht fragt: Ich meine damit, dass jeder von euch etwas anderes sagt: Ich halte zu Paulus - ich zu Apollos - ich zu Kephas - ich zu Christus. Ist denn Christus zerteilt? Für jene, denen das nicht ganz so klar zu sein scheint: Das ist eine rhetorische Frage!
Ich möchte hingegen mit einer ernstgemeinten Frage schließen: Wie kommt es, dass dieselben Kirchenvertreter, die bei Themen wie Migration immer betonen, dass der christliche Glaube keine Nationalität kennt, plötzlich auf ihre nationalen Besonderheiten pochen, wenn es um Fragen der Lehre geht?
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