Ein Sandler geht beichten

29. Juni 2018 in Spirituelles


„Mich erreichte der ungewöhnliche Brief einer Ordensfrau: ‚Lieber Andreas, ob ich Dir jemals das Drumherum bei deiner Messe erzählt habe? Da ist während der Messe, die Du gefeiert hast, ein Sandler in die Kirche gekommen…‘“ Von Bischof Andreas Laun


Salzburg (kath.net) Nach einer Feier in einem Kloster erhielt ich von einer mit mir verwandten Nonne folgenden wirklich ungewöhnlichen Brief. Sie schreibt und erzählt:

„Lieber Andreas, ob ich Dir jemals das Drumherum bei deiner Messe erzählt habe? Da ist während der Messe, die Du gefeiert hast, ein Sandler* in die Kirche gekommen, der dann irgendetwas laut ausgerufen hat. ‚Noch ein Wort und wir marschieren‘, hab ich mir gedacht. Aber dann hab ich gerochen, dass er mit brennender Zigarette in die Kirche gekommen ist. Also bin ich sofort auf ihn zugegangen, hab mich bei ihm eingehakt und ihn so galant hinausgebracht – er hat sich willig führen lassen.

Draußen hab ich ihm meine Hand entgegen gestreckt und mich vorgestellt. Gleich nachdem er mir seinen Namen genannt hat, ist er auf das Lieblingsthema Nr. 1 der Österreicher zu sprechen gekommen: die sogenannten ‚Sünden der Kirche‘. Gleich war er auch schon bei Kindesmissbrauch. Ich hab mich auf keine Diskussion eingelassen, sondern nur gesagt: ‚Ja, das sind ganz schreckliche Sünden von Einzelnen. Und Du? Hast Du auch Sünden?‘ ‚IIICCHHH?‘ war die langgedehnte Antwort. ‚Oje‘ hab ich mir gedacht, ‚jetzt steh ich vor einem selbstgefälligen, selbstgerechten Menschen …‘ Ich hab mich gewaltig geirrt. Die Antwort ist nämlich weiter gegangen: ‚Ja, VIELE! VIELE!‘ Erleichtertes Aufatmen meinerseits! Dann meine Antwort: ‚Ich auch. Aber ich möchte neu anfangen. Nach der hl. Messe werde ich den Priester fragen, ob ich beichten darf. Möchtest du auch?‘ Wieder war die Antwort: ‚IIICCHHH?‘ Und kurz darauf. ‚Ja, darf ich denn?‘ Ach Du liebe Zeit, daran hatte ich nicht gedacht!!! Ich bin also einen kleinen Fragenkatalog mit ihm durchgegangen, um zu schauen, ob es denn einen Hindernisgrund gäbe. Ich habe keinen gefunden und hab gesagt: ‚Ja, Du darfst“!‘ Mit den wunderbaren Menschen auf der Straße ist man immer gleich per Du. Die Antwort auf diese Worte waren strahlende Kinderaugen aus dem Gesicht eines leidgeprüften Menschen. ‚Also gut, dann setzen wir uns jetzt hinten in die Kirche hinein und bereiten uns auf die Beichte vor!‘

Mit entschlossenem Schritt ist er mit mir hineingegangen und hat sich nicht hingesetzt, sondern gekniet. Nach einer Minute hat er laut zu beten begonnen: ‚O Jesus, meine Sünden …‘ ‚Psst!‘ hab ich gesagt. ‚Jetzt spricht Gott und dann erst sprichst Du!‘ Die Messe war ja noch lange nicht aus. Wieder hat er wie ein Kind gehorcht. Während er sich also still vorbereitet hat und schließlich eingeschlafen ist, hab ich mir gedacht: ‚Ach du liebe Zeit, was, wenn er jetzt doch nicht beichten darf? Immerhin ist er ein Sandler, der wohl nie einen Zustand der vollkommenen Nüchternheit erreichen wird!?‘

Ich habe alles in Gottes Hand gelegt und bin nach der Hl. Messe mit klopfendem Herzen in die Sakristei zu dir gegangen, mit der Frage, ob ich beichten dürfte. ‚Ja gerne‘, war Deine Antwort. Ob Du denn den Sandler gesehen hättest? ‚Ja‘. Ob er auch beichten dürfte? ‚Ja hast Du ihn denn gefragt?‘ Verlegenes Nicken meinerseits. ‚Na, Du bist ja eine … Ja, gerne!‘ Ich hätte Dir um den Hals fallen können!!!

Wie ich aus dem Beichtstuhl gekommen bin, hab ich den Sandler für seine Beichte geweckt. Er hat mir keinen Blick mehr geschenkt, sondern ist nur noch mit entschlossenem, zielstrebigen Schritt auf den Beichtstuhl zugegangen und darin verschwunden.

Dieses Bild werde ich nie vergessen. Wenn mich meine 1000 Lauheiten, mein Auskneifen und Aufbegehren gegen Gottes Fügungen plagen, dann denke ich gerne an dieses Bild, wie ein Mitsünder mit entschlossener Entschlossenheit den Schritt in die Barmherzigkeit Gottes gegangen ist. Diesen Schritt will auch ich wieder und wieder und wieder gehen mit der Hoffnung, dass das Erbarmen Gottes mich wandeln wird durch den Geist im Sohn zur Ehre des Vaters. In diesem Sinne bitte ich um Dein Gebet und Deinen Segen.

In herzlicher Verbundenheit Deine Schwester XY.“

Ich denke, diese Geschichte von einer erstaunlichen Beichte darf ich nicht nur, sondern sollte ich bekannt machen. Enthalten ist das, was man außerhalb eines Klosters Zivilcourage nennt, aber auch Klugheit und Einfühlungsvermögen, Entdeckung eines lebendigen Gewissens, wo man es nicht vermutet hätte, und vor allem Gnade Gottes auf überraschenden Wegen.

Das Verhalten der Schwester erinnert an Papst Johannes Paul, der einen Priester, der gerade alles hinwerfen wollte, zurückholte mit den Worten: „Ich möchte jetzt bei Ihnen beichten, dann beichten Sie bei mir!“ Und so rettete er einen Priester!

Ja, die Beichte! Ich erinnere mich an Erzbischof Eder, als er mir sagte: „Vergiss nie, unser Priestertum gründet auf der Eucharistie und dem Sakrament der Buße!“

Und das entspricht auch meiner eigenen Erfahrung: Einem Menschen das gültige, wirksame Worte der Vergebung zusprechen zu dürfen und eben auch zusprechen zu können, ist, wenn der Priester weiß, was er im Namen Jesu tun darf, wenn er dabei andächtig ist, ein jedes Mal erschütterndes Erlebnis, das den Priester stärkt, indem es ihm in Erinnerung ruft, wozu er verzichtet hat und geworden ist das, was er ist: Priester im Dienst des lebendigen Gottes.

Man bedenke: Der Begriff Beichte kommt in unserer alltäglich Sprache leicht über die Lippen, die Menschen wissen, was gemeint ist, wir finden da Thema ernsthaft bei Shakespeare, Goethe und vielen Philosophen. Ernsthaft lustig macht sich praktisch niemand.

Und noch eine Schlussbemerkung: Einmal in meinem Priesterleben habe ich eine Lebensbeichte gehört, die Stunden gedauert hat und die wirklich alle Sünden enthielt, die man begehen kann., immer wieder unterbrochen von Weinen und dem Satz: „Glauben Sie, dass Gott mir das wirklich das alles verzeiht?“ Ich wiederholte und wiederholte: „Ja, haben Sie bitte keine mehr Angst!“ Nach dieser Beichte dachte ich: „Wenn ich nur wegen dieser einen Beichte Priester geworden wäre, wäre es genug gewesen, hätte es sich sozusagen gelohnt!“ Diese Beichte hat einen wirklich sündenbeladenen Menschen befreit und war zugleich ein Geschenk für mich!

So denke ich auch heute noch und danke Gott, dass ich dies erleben durfte und im Namen Gottes – sozusagen mit Seiner Autorität – sagen durfte: Ich spreche dich los von deinen Sünden, im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes“!

*Sandler: österreichisch-umgangssprachlicher Ausdruck für Landstreicher

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Von Petra Lorleberg (Hrsg.)
Vorwort von Kardinal Paul Josef Cordes;
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Taschenbuch, 134 Seiten
2016 Dip3 Bildungsservice Gmbh
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