Der Tod eines großen Papstes

5. August 2018 in Spirituelles


Der selige Paul VI. stirbt am 6. August 1978 in seiner Sommerresidenz Castel Gandolfo - Von Ulrich Nersinger


Rom (kath.net)
Die Gruppen und Einzelpilger, die sich Anfang August des Jahres 1978 zu der Generalaudienz, die der Papst in seiner Sommerresidenz Castel Gandolfo erteilt, eingefunden haben, sind überrascht. Erfreut stellen sie fest, dass sie Plätze nicht allzu weit vom päpstlichen Thron erhalten haben. Sie wissen nicht, warum sie in den Genuss dieses Privilegs gekommen sind. Doch je mehr der Augenblick der Begegnung mit Paul VI. naht, wird der kleinen Schar der Gläubigen in dem Audienzsaal bewusst, dass sie heute die einzigen sind, die den Papst treffen werden.

Die Präfektur des Päpstlichen Hauses hat sogar erwogen, die Generalaudienz des Pontifex abzusagen. Die Augusthitze ist schon unerträglich geworden, der Papst erscheint seiner Umgebung geschwächt, blasser und erschöpfter als je zuvor. Zudem kann Bischof Jacques Martin, der Präfekt des Päpstlichen Hauses, auf eine verschwindend kleine Zahl von Teilnehmern verweisen. Doch der Papst winkt ab. Er will niemanden enttäuschen – und er hat eine Botschaft, die er nicht unausgesprochen haben will. Mit körperlich schwacher und brüchlicher, aber innerlich fester Stimme spricht er zu den Pilgern und Touristen über den Glauben. „Ohne Glauben ist es unmöglich, Gott zu gefallen“, zitiert er aus dem Hebräerbrief.

Der Papst spürt in diesen Tagen, dass sich sein irdisches Leben dem Ende zuneigt. Als er die Ewige Stadt verläßt, um sich nach Castel Gandolfo zu begeben, verabschiedet er sich von Erzbischof Giuseppe Caprio, dem Substituten im Päpstlichen Staatssekretariat, mit den Worten: „Wir reisen ab, aber Wir wissen nicht, ob Wir zurückkehren und wie Wir zurückkehren.“ An seinem Sommersitz in den Albaner Bergen eingetroffen, äußert er den Wunsch, einen kurzen Besuch zum nahegelegenen Frattocchie di Marino zu unternehmen, um dort das Grab des Kardinals Giuseppe Pizzardo aufzusuchen, der ihn einst in den diplomatischen Dienst des Heiligen Stuhles geholt hat. Hier vertraut er den Bewohnern des beschaulichen Ortes an: „Wir hoffen, ihn nach dem Tod zu treffen, der für Uns nicht weit sein kann.“ Am 3. August empfängt er Sandro Pertini, den sozialistischen Staatspräsidenten der Republik Italien, in Privataudienz. Im Verlaufe der Begegnung, die in herzlicher Atmosphäre stattfindet, spricht er mit einem Lächeln auf den Lippen von der nahenden Abenddämmerung seines Lebens.

Der Papst hat sich vorbereitet; „in den letzten Monaten bat er dann noch verschiedene Personen, mit denen in den vergangenen Jahrzehnten zu tun gehabt hatte, um Vergebung, um möglichst in Frieden mit allen sterben zu können. Er rief sie an, schrieb ihnen, besuchte sie persönlich. Selbst Kardinal Alfredo Ottaviani, der es ihm nicht immer leicht gemacht hatte, suchte er in dessen Wohnung auf“ (Jörg Ernesti). In den ersten Augusttagen beschleicht Bischof Petrus Canisius Jean van Lierde, den Generalvikar des Papstes für die Vatikanstadt und Präfekten der Apostolischen Sakristei, ein ungutes Gefühl. Der Prälat, der stets zum Gefolge des Pontifex gehört, hat zwanzig Jahre zuvor den Leichnam Papst Pius’ XII. von Castel Gandolfo nach Rom begleitet. Am Abend des 6. August, dem Fest der Verklärung des Herrn, stirbt Giovanni Battista Montini – Paul VI. Bischof van Lierde durchlebt ein De-ja-vue. Tage später sitzt er in dem Leichenwagen, der den Papst in die Ewige Stadt zurückbringt. Die Fahrt nach Rom empfindet er als bedrückend. 1958 hatten Zehntausende, Massen von Menschen, den Weg des verstorbenen Pastor Angelicus, Pius’ XII., gesäumt. Der Prälat fragt sich, ob man Paul VI. schon vergessen hat. Oder die Erinnerung erst später kommen wird.

Respekt und Bewunderung wird dem Papst gezeugt, als sein Geistliches Testament veröffentlicht wird: „Ich richte meinen Blick im Lichte Christi, das allein alles erhellt, und darum mit demütigem und heiterem Vertrauen auf das Geheimnis des Todes und das, was ihm folgt. Ich spüre die Wahrheit, die von diesem Geheimnis her immer auf mein jetziges Leben ausgestrahlt hat und preise den Sieger über den Tod dafür, dass er die Finsternis zerstreut hat und das Leben aufleuchten ließ. Im Angesicht des Todes, dieser totalen und endgültigen Loslösung vom irdischen Leben, empfinde ich es als meine Pflicht, das Geschenk, das Glück, die Schönheit und die Bestimmung dieser flüchtigen Existenz zu rühmen: Herr, ich danke Dir, dass Du mich ins Leben gerufen hast, mehr noch, dass Du mich zum Christen, mich wiedergeboren und mit der Fülle des Lebens bestimmt hast.“


Aus:
Ulrich Nersinger
Paul VI. Ein Papst im Teichen des Widerspruchs
Patrimonium-Verlag 2014
ISBN 978-3-86417-027-3
EUR 14,80


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