4. September 2018 in Kommentar
Es wäre schön, wenn sich die Vorwürfe von Erzbischof Viganò gegenüber Papst Franziskus als haltlos herausstellen. Eine genaue Untersuchung der Vorwürfe wäre sinnvoll. kath.net-Kommentar von Johannes Graf
Wien (kath.net/jg)
Es ist ein skandalöses Schweigen. Ein Schweigen, das schuldig macht am Wohl der Kirche. Mit diesen Worten kommentiert der österreichische Pastoraltheologe Prof. Paul Zulehner am 29. August die Tatsache, dass sich die europäischen, insbesondere die deutschsprachigen Bischöfe bis dahin noch nicht schützend vor Papst Franziskus gestellt hätten.
Er sei bestürzt, dass der einzige Bischof, der dies angesichts der immer dreister werdenden Attacken auf Papst Franziskus, ausgelöst durch das Memorandum von Erzbischof Viganò, getan habe, der italienische Diözesanbischof Giovanni DErcole gewesen sei, dessen Hirtenbrief Zulehner daraufhin ausführlich zitiert.
Leider interpretiert Zulehner das Memorandum von Erzbischof Viganò rein aus der Perspektive einer innerkirchlichen Frontstellung. Gleich zu Beginn seines Blogeintrages spricht er von einer tiefen Spannung, welche die Kirche präge: Soll sich die Kirche der Zeit von heute prophetisch und kritisch öffnen und auch von ihr Gutes und Geistgewirktes lernen, oder soll sie sich festungsartig verschließen.
Zulehner weiß, auf welcher Seite er steht und zitiert Kardinal Carlo Maria Martini SJ, den er in einem Interview mit der österreichischen Zeitung Kurier als Mentor von Papst Franziskus bezeichnet hat, mit dem Satz: 300 Jahre ist die katholische Kirche hinter der Zeit zurück. In Papst Franziskus sieht er jetzt den Mann, auf den er lange gewartet hat. Er ist es, dem Zulehner zutraut, den Weg der Öffnung hin zur heutigen Welt aus der Kraft des Evangeliums, ohne Anpassung an sie, aber in tiefer Liebe zu ihr, mutig voranzugehen, wie er in seinem Blogeintrag schreibt.
Und jetzt diese neuerlichen Attacken, ausgelöst durch den Brief des Erzbischofs Carlo Maria Vigano aus den USA, den aber auch andere Bischöfe unterstützen, fährt Zulehner fort. Die Gegner des Papstes würden die Berichterstattung der Medien dominieren. In anmaßender Weise fordern sie den Rücktritt des Papstes.
Es wäre zu hoffen, dass Zulehner recht hat und sich die Vorwürfe, insbesondere diejenigen gegen Papst Franziskus, als haltlos herausstellen. Sollte tatsächlich eine Kampagne aus Verdrehungen und Lügen, initiiert von Papstgegnern, hinter dem Memorandum von Erzbischof Viganò stecken, wäre dieses Vorgehen selbstverständlich scharf zu verurteilen.
Doch selbst wenn Viganò aus Opposition zur Linie Papst Franziskus handeln würde, ist es doch denkbar, dass seine Vorwürfe berechtigt sind. Der Erzbischof hat selbst Hinweise gegeben, wie eine Überprüfung möglich ist. In seinem Memorandum verweist er darauf, dass im vatikanischen Staatssekretariat und in der Nuntiatur in Washington D.C. Unterlagen vorhanden seien, die seine Version bestätigen. Jean-Francois Lantheaume, Nummer zwei der Nuntiatur in Washington unter Erzbischof Viganò, hat dessen Memorandum bestätigt. Weitere Zeugen haben bestätigt, dass es unter Benedikt XVI. offenbar tatsächlich Sanktionen gegen Kardinal McCarrick gegeben hat.
Wäre es daher nicht sinnvoll, sich zunächst davon zu überzeugen, ob die Vorwürfe gegen Papst Franziskus zutreffen oder nicht, bevor man sich bedingungslos vor ihn stellt? Vielleicht hat Zulehner eine Möglichkeit gehabt, schon am 29. August alle Vorwürfe gegen den Papst zu widerlegen. Ich möchte davon ausgehen, denn er hat sich ja wiederholt gegen bedingungslosen Gehorsam gegenüber dem Papst ausgesprochen.
Der Umgang von Papst Franziskus mit Missbrauchsfällen war bis jetzt jedenfalls nicht unbedingt vertrauensfördernd. In Sachen Chile sind die Dinge zunächst nicht gut gelaufen, schreibt der Theologe Martin Büning in einem Eintrag vom 16. August, ebenfalls auf Zulehners Blog. Franziskus habe sich für sein zunächst zögerliches Verhalten entschuldigt, räumt Büning ein, nun müsse die Linie der Null-Toleranz ohne Ansehen der Person, selbst wenn Kardinäle betroffen sind, gelten, schreibt er wörtlich.
Büning hat nur wenige Tage später seine Unterstützung für die Initiative Pro Pope Francis zurückgezogen, die von Prof. Zulehner und Tomas Halik initiiert worden ist. Anlass für diesen Schritt war der Brief, den Papst Franziskus am 20. August anlässlich des Missbrauchsskandal an das Volk Gottes veröffentlicht hat. Büning befand den Text als absolut unzureichend und eine große Enttäuschung. Das ist noch vor der Veröffentlichung des Memorandums von Erzbischof Viganò geschehen.
Die Bereitschaft des Papstes, Missbrauchstätern gegenüber Milde walten zu lassen und ihre Strafen herabzusetzen, hat bereits 2017 für Verwunderung gesorgt. kath.net hat hier berichtet: Umstrittene Barmherzigkeit für pädophile Priester. Eine gewisse kritische Distanz gegenüber dem Verhalten von Papst Franziskus in dieser Sache scheint daher nicht unangebracht zu sein.
Zulehner will mit seinem Aufruf Papst Franziskus ja auch und gerade im Kampf gegen den Missbrauch unterstützen. Der Papst müsse wissen, dass er in seinem Kampf gegen Missbrauch von Minderjährigen und jungen Leuten durch ungetreue Kleriker nicht allein sei, zitiert er Bischof DErcole.
Mittlerweile haben viele Bischöfe und Bischofskonferenzen Papst Franziskus ihr Vertrauen ausgesprochen. Vielleicht gelingt es jetzt, nachdem diese Debatte beendet scheint, die Missbrauchsfälle aufzuklären, die Täter und diejenigen, die durch jahrzehntelanges Vertuschen dazu beigetragen haben, dass die Skandale sich dermaßen ausweiten konnten, zu finden und zur Rechenschaft zu ziehen. Diese Untersuchungen müssen ohne Ansehen der Person durchgeführt werden und dürfen auch vor der obersten Führung der Kirche nicht Halt machen, wenn Spuren in den Vatikan führen. Das Schweigen von Papst Franziskus, Kardinal Parolin und anderen zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen ist aber nicht unbedingt ermutigend.
Letztlich ist es aber auch hier die Wahrheit, die uns frei machen wird. Das ist die Kirche den tausenden Opfern schuldig, die ihre Verletzungen ihr Leben mit sich tragen müssen, sie ist es den vielen Priestern und Bischöfen schuldig, die tagtäglich ihren seelsorglichen Dienst versehen, sie ist es den Gläubigen schuldig, die durch die Skandale und deren Vertuschung verunsichert sind, und sie ist es Gott schuldig, dessen heilige Kirche über Jahrzehnte auf unerträgliche Weise beschmutzt worden ist. Darauf sollten sich alle einigen können, ganz gleich auf welcher Seite der innerkirchlichen Debatte sie stehen.
Mag. Johannes Graf ist der Chef-Kommentator der kath.net-Redaktion.
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