10. September 2018 in Prolife
Dass in Deutschland zusehends weniger transplantiert wird, liegt nicht an der Spenderbereitschaft der Bevölkerung, sondern am Organisationsversagen in den Kliniken. Gastbeitrag von Cornelia Kaminski
Berlin (kath.net) Und wieder gelingt der CDU ein Überraschungscoup, diesmal gleich nach der Sommerpause: Gesundsheitsminister Jens Spahn legt angesichts sinkender Organspenderaten den Gesetzentwurf seines Hauses zur Widerspruchsregelung bei Organspenden vor.
Nun sah das Ministerium offensichtlich Handlungsbedarf und setzte da an, wo der wenigste Widerstand vermutet wird: bei den Bürgern. Dass dies gleichzeitig der Hebel ist, mit dem eine Steigerung der Organspendezahlen am wenigsten zu erreichen ist, scheint den Minister nicht zu kümmern. Schließlich ist in zwei Bundesländern Wahlkampf, und da Organspenden, mittels derer ja Menschenleben gerettet werden können, positiv besetzt sind und das Thema sich somit medial hervorragend vertreten lässt, wurde nun dieser Gesetzentwurf vorgelegt.
Dem Thema Organspende täte eine klare, deutliche Sprache gut. Zurückgehende Organspende-Zahlen sind nicht zurückgehende Organspender-Zahlen. Dass in Deutschland zusehends weniger transplantiert wird, liegt nicht an der Spenderbereitschaft der Bevölkerung, sondern am Organisationsversagen in den Kliniken. Die Zahl der Inhaber von Organspendeausweisen liegt in Deutschland mittlerweile bei 36 %. Das ist eine Steigerung um 4 % gegenüber 2016 und nur 7 % weniger als in Spanien, dem Land, das seit vielen Jahren weltweit führend ist in durchgeführten Transplantationen. Den Erfolg des spanischen Systems erklärt sich Rafael Matesanz, Gründer und bis Mai 2017 Direktor der Nationalen Organisation für Organtransplantation, keineswegs mit der dort geltenden Widerspruchslösung. Die hohe Transplantationsrate habe nur wenig mit der Anzahl der Spender in der Bevölkerung zu tun, wohl aber sehr viel mit einer perfekten Organisation. Hier brauche es Fortschritte, bevor man versuche, eine höhere Spenderrate zu erzielen. Wer dagegen meine, dass eine höhere Spenderrate von der Großzügigkeit der Bevölkerung abhänge, liege völlig falsch. Der Anteil der Bevölkerung, der für oder gegen Spenden ist, steht in keinem Zusammenhang zu den tatsächlichen Spendern. Die Bevölkerung kann zu Organspenden bereit sein, doch wenn es kein funktionierendes System gibt, kommen diese nicht zustande. Das Schlüsselwort des spanischen Modells heißt Organisation, so Matesanz in einem Interview mit Swissinfo vom Januar 2013. Matesanz warnt sogar davor, das Gesetz zu ändern, sofern dafür im Land kein allgemeiner Konsens herrsche: Das ist kein Zaubermittel zur Spendenerhöhung, denn viele Menschen können die Vorschrift als eine Art Zwang empfinden. So erreicht man manchmal genau das Gegenteil.
Und an Organisation hapert es in deutschen Kliniken. Deutliche Worte findet hierzu Axel Rahmel, Medizinischer Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation. Seiner Ansicht nach muss die Rolle der Transplantationsbeauftragten in den Krankenhäusern gestärkt werden und dazu gehört vor allem eine Freistellung von anderen Tätigkeiten. Nachvollziehbar: ein Arzt, der im OP steht, kann nicht gleichzeitig bei einem anderen Patienten die Hirntoddiagnostik veranlassen und den Patienten für die Organspende vorbereiten. Das einzige Bundesland, in dem es bisher eine solche verbindliche Freistellung gibt, ist Bayern. Dort wurde mit dem Landesausführungsgesetz 2017 eine entsprechende Regelung getroffen, und siehe da: die Zahl der Organspenden stieg seither um sage und schreibe 18 %. Es wäre also Aufgabe der Politik, für eine bessere Ärzteversorgung in den Kliniken zu sorgen, damit die Transplantationsbeauftragten auch tatsächlich ihrer Aufgabe nachkommen können. Spahn hat daraus die Konsequenzen gezogen und die Rolle der Transplantationsbeauftragten in seinem Gesetzentwurf deutlich gestärkt. Warum nun nicht erst abgewartet wird, wie diese Maßnahme deutschlandweit greift bevor die Widerspruchslösung eingeführt wird, ist allerdings nicht nachvollziehbar.
Hinzu kommt, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die Organspende durch Intransparenz und Skandale erschüttert wurde. So wurde vor wenigen Tagen der Chefarzt der Essener Uniklinik in Untersuchungshaft genommen. Zwischen 2012 und 2015 wurden in seiner Klinik bei sechs Patienten ohne medizinische Indikation Lebertransplantationen durchgeführt und das, obwohl der Chirurg wusste, dass das Risiko der Transplantation höher war als alternative Behandlungsmöglichkeiten. Ein Patient verstarb an den Folgen der OP.
Auch die Frage, wann ein Patient eigentlich tot genug für eine Spende ist, wird unterschiedlich beantwortet. Medizinethiker wie Professor Robert Truog von der Harvard Medical School kritisieren das Hirntod-Konzept: Der Hirntod ist kein wissenschaftlicher Fakt, sondern es ist eine soziale Übereinkunft darüber, wann wir jemanden als Tod betrachten, so Truog. Damit nicht genug: in Teilen der USA und Europas beginnt sich das Konzept des Spendens nach Herz-Kreislauf-Stillstand zu verbreiten: Non heart-beating organ donation (NHBD), auch donation after cardiocirculatory death (DCD). Der Tod wird hier durch Abschalten der Herz-Lungen-Maschine aktiv herbeigeführt.
Die Transplantationsmedizin ist eine Erfolgsgeschichte, das steht außer Frage. Zahlreiche Patienten verdanken ihr Leben einem Spenderorgan und viele von ihnen gleich mehreren Spenderorganen, weil die Lebensdauer der gespendeten Organe befristet ist und dann eine Retransplantation notwendig wird. Letztendlich bedeutet auch das eine Zunahme der Nachfrage nach Spenderorganen, die, wie wir wissen, in manchen Ländern wie China oder Kambodscha auf höchst kriminelle und menschenverachtende Weise bedient wird.
Angesichts all dieser Widersprüchlichkeiten und ungelösten Fragen ist Professor Andreas Brenner von der Universität Basel Recht zu geben, der die Widerspruchslösung vollkommen ablehnt. Sie stelle einen Übergriff auf den Menschen dar, den gerade die Medizin sich nicht zu Schulden kommen lassen solle. Wie schon bei der Forschung an embryonalen Stammzellen, der Millionen menschlicher Embryonen zum Opfer fallen, und bei der Reproduktionsmedizin, die Frauen zu Materallieferanten (Eizellspende) und Gebärmaschinen (Leihmutterschaft) degradiert, wird auch bei der Widerspruchslösung ein Grundprinzip humaner Gesellschaften aufgegeben. Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest, sagt Kant. Wer die Widerspruchslösung propagiert, um mehr Spender zu generieren, ohne gleichzeitig die Defizite im gesamten Organspendesystem zu beheben, verstößt gegen eben dieses Prinzip: er reduziert den Menschen auf ein Mittel zum Zweck und beraubt ihn damit seiner Würde. Christlich ist das nicht. Wieder einmal bleibt es also der Parteibasis überlassen, dem CDU-Minister und der Kanzlerin laut zu widersprechen und sich gegen eine weitere Aufweichung der Menschenwürde zu verwahren.
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