Spiegel/Zeit leaken vorab Ergebnisse der DBK-Missbrauchsstudie

12. September 2018 in Deutschland


DBK-Missbrauchsstudie: Mindestens 1670 Kleriker hätten sich von 1946 bis 2014 an Schutzbefohlenen vergangen – Opfer überwiegend männliche Minderjährige - UPDATES: "Zeit": Unwissen von Bischöfen "unwahrscheinlich" - DBK verärgert


Bonn (kath.net) Die Deutsche Bischofskonferenz wollte die Studie zum Missbrauch erst am 25. Sept. bei ihrer Vollversammlung in Fulda bekanntgeben, jetzt hat der „Spiegel“ die wichtigsten Ergebnisse bereits geleakt. Demnach seien über als 38.000 Personalakten aus 27 deutschen Diözesen ausgewertet worden. Dies ergab für den Zeitraum von 1946 bis 2014 3677 sexuelle Vergehen. Opfer waren gemäß der Protokolle überwiegend männliche Minderjährige, Täter waren insgesamt 1670 Kleriker. Mehr als die Hälfte der Opfer war unter 13 Jahre alt. In ungefähr jedem sechsten Fall sei es zu unterschiedlichen Formen der Vergewaltigung gekommen.

Ernüchternd ist auch eine weitere Auskunft: Gemäß den Autoren der Studie wäre die Hälfte aller Fälle ohne Antrag auf Entschädigung durch die Betroffenen nicht einmal entdeckt worden. Offenbar enthielten die Personalakten der Beschuldigten keine Hinweise darauf. Hinweise seien wohl „vernichtet oder manipuliert“ worden, dies weise auf ein „anzunehmendes Dunkelfeld“ hin. Die Serie der Missbrauchsfälle dauere bis zum Ende des Untersuchungszeitraums an.

Beschuldigte Kleriker seien häufig nur an einen andere Ort versetzt worden, ohne dass die neue Gemeinde mit entsprechenden Informationen versorgt worden war. Nur ein Drittel der Täter musste sich einem kirchenrechtlichen Verfahren stellen, davon kamen die meisten mit Minimalsanktionen davon, oft unterblieben auch diese, so der „Spiegel“ weiter.

UPDATE 1:
Evelyn Finger und Veronika Völlinger kommentieren in der „Zeit“ (Link siehe unten): „Vielleicht hilft es, wenn die Bischöfe jetzt die Liste der Missbrauchstaten lesen, die an Kindern und Jugendlichen verübt wurden. Seite 288 der Studie: Berührung primärer Geschlechtsteile unter der Kleidung, Küsse auf den Mund, genitale Penetration, Masturbation an Betroffenen, Entkleidung Betroffener, Demütigung und Züchtigung, Oralverkehr, Fingerpenetration, Zeigen pornografischer Bilder… Die Beschuldigten haben mehrheitlich keine Reue gezeigt. Auch das kann man nachlesen. Vielleicht hilft es. Vielleicht.“ Die Autorinnen weisen außerdem darauf hin, dass diese Studie keine unabhängige Studie ist, sondern von der DBK finanziert wurde, außerdem, dass die Forscher keinen direkten Zugang zu den Personalakten bekamen, sondern dass kirchliche Mitarbeiter anhand von Fragebögen die Personalakten durcharbeiteten. Die Studie sei „nicht wirklich unabhängig. Die aufzuklärende Institution hat die Aufklärung kontrolliert“, monieren sie, im Gegensatz zum staatlichen Grand jury report des US-Bundesstaates Pennsylvania.

Obwohl die Forscher vorsichtig gewesen seien, kämen sie zu dem Ergebnis, dass in den Diözesen „‘bis zu acht Prozent der gesamten Kleriker‘ als mutmaßliche Missbrauchstäter aktenkundig geworden“ seien. Deshalb stellten die beiden „Zeit“-Redakteurinnen die Frage: „Wie wahrscheinlich ist es, dass die Bistumsverantwortlichen, namentlich die Bischöfe, von den Verbrechen nichts wussten? Wie wahrscheinlich ist es, dass aus purer Unwissenheit so wenige Täter offen sanktioniert wurden, sei es nach Kirchenrecht, sei es nach weltlichem Recht? Antwort: Es ist sehr, sehr unwahrscheinlich.“

UPDATE 2
kath.net dokumentiert die Reaktion der Deutschen Bischofskonferenz vom Nachmittag des 12.9. in voller Länge:

Bischof Ackermann zur Studie „Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“

Aufgrund der Indiskretion und damit verbundenen Veröffentlichung der Studie „Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“ (MHG-Studie) durch mehrere Medien in Deutschland am heutigen (12. September 2018) Tag, erklärt der Beauftragte für Fragen des sexuellen Missbrauchs im kirchlichen Bereich und für Fragen des Kinder- und Jugendschutzes der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Stephan Ackermann (Trier):

„Ich bedauere, dass die bisher vertraulich gebliebene Studie und somit das Ergebnis vierjähriger Forschungsarbeit zur Thematik ‚Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz‘ durch das Forschungskonsortium um Prof. Dr. Harald Dreßing (Verbundkoordinator, Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim) heute durch Medien veröffentlicht worden ist. Der Vorgang ist umso ärgerlicher, als bislang noch nicht einmal den Mitgliedern der Deutschen Bischofskonferenz die Gesamtstudie bekannt ist.

Gerade mit Blick auf die Betroffenen sexuellen Missbrauchs ist die verantwortungslose Vorabbekanntmachung der Studie ein schwerer Schlag. Für die Woche der Herbst-Vollversammlung (24.–27. September 2018) haben wir geplant, ein Beratungs-Telefon für diejenigen zu schalten, die aufgrund der Berichterstattung aufgewühlt sind und mit jemandem sprechen möchten. Diese Menschen bitten wir, sich bis zur Bereitstellung des Beratungs-Telefons an die Telefonseelsorge (Tel. 0800/1110111 oder 0800/1110222), die Internetseelsorge (www.internetseelsorge.de) sowie die Missbrauchsbeauftragten der Bistümer zu wenden.

Wie geplant wird sich die Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz am 25. September 2018 mit der Studie und den daraus zu ziehenden Konsequenzen befassen. Wir werden die Studie gemeinsam mit dem Forscherkonsortium am Mittag in einer Pressekonferenz vorstellen und erläutern.

Wir wissen um das Ausmaß des sexuellen Missbrauchs, das durch die Ergebnisse der Studie belegt wird. Es ist für uns bedrückend und beschämend. Vor vier Jahren haben wir die Studie in Auftrag gegeben und gerade wir Bischöfe stellen uns den Ergebnissen. Dazu wird als erstes die Vollversammlung in Fulda dienen. Ziel der Studie, an der sich alle 27 Diözesen Deutschlands beteiligt haben, ist es, mehr Klarheit und Transparenz über diese dunkle Seite in unserer Kirche zu erhalten und zwar um der Betroffenen willen, aber auch, um selbst die Verfehlungen sehen und alles dafür tun zu können, dass sie sich nicht wiederholen. Es geht uns um eine verantwortungsvolle und professionelle Aufarbeitung. Ich bin davon überzeugt, dass die Studie eine umfangreiche und sorgfältige Erhebung ist, die Zahlenmaterial und Analysen bietet, aus denen wir weiter lernen werden. Das gilt auch für die Erkenntnisse, die eine vertiefte Einsicht über das Vorgehen der Täter und über das Verhalten von Kirchenverantwortlichen in den zurückliegenden Jahrzehnten ermöglichen. Nochmals betone ich: Die Studie ist eine Maßnahme, die wir nicht nur der Kirche schuldig sind, sondern vor allem und zuallererst den Betroffenen.“

Link zum Beitrag im "Spiegel": Katholische Kirche in Deutschland - Missbrauchsstudie dokumentiert 3677 sexuelle Übergriffe

Link zum Beitrag in der "Zeit": Sexueller Missbrauch: Das Ausmaß des Verbrechens


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