Homo-'Ehe': das völlig unnötige Einknicken der Koalition

21. Oktober 2018 in Kommentar


Der österreichische Verfassungsgerichtshof kann die Homo-"Ehe" nicht erzwingen. Es bedarf des (aktiven oder passiven) Zutuns der Parlamentsmehrheit - Gastkommentar von Jakob Cornides


Wien (kath.net)
In einer gemeinsamen Presseaussendung haben die Klubobleute von ÖVP und FPÖ, Wöginger und Rosenkranz, bekannt gegeben, dass die Regierungsparteien die vom Verfassungsgerichtshof angestrebte "Öffnung" der Ehen nunmehr akzeptieren wollen. Die beiden Parteien, so heißt es in der Erklärung, stünden zwar nach wie vor zur traditionellen Ehe von Mann und Frau, da der Verfassungsgerichtshof jedoch anders entschieden und die Ehe auch für Homosexuelle geöffnet habe, und da weder SPÖ noch NEOS bereit seien, die traditionelle Ehe zwischen Mann und Frau mit einer Zweidrittel-Mehrheit in der Verfassung zu verankern, habe die ÖVP/FPÖ-Koalition mit ihrer einfachen Mehrheit im Nationalrat die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs zu akzeptieren.

Ferner liest man in der Aussendung: "Seitens der FPÖ wurde auch eine einfachgesetzliche Reparatur geprüft, welche aber laut Rechtsexperten dem VfGH-Spruch nicht standhält". Mit anderen Worten: Wir haben’s eh versucht, aber es geht halt leider nicht.

Die beiden Herren wollen entweder ihre Wähler für dumm verkaufen, oder sie sind selbst von ihren Beratern für dumm verkauft worden. Man fragt sich, was schlimmer wäre. Denn die Wahrheit ist, dass die Koalition ohne Weiteres die Möglichkeit hätte, mit einfachgesetzlicher Mehrheit das bisherige Verständnis der Ehe im Gesetz so festzuschreiben, dass selbst der VfGH daran nichts ändern könnte.

Wenn sie dies nicht tun, obwohl sie es könnten, dann sind letzten Endes sie selbst dafür verantwortlich, wenn die absurde Farce der Homo-"Ehe" nunmehr auch in Österreich inszeniert wird. Diese Verantwortlichkeit können sie mit ihrem Pressestatement nicht auf andere abwälzen. Kurz ist seit heute der Homo-Ehe-Kanzler, und Strache der Homo-Ehe-Vizekanzler. Gegenteilige Beteuerungen ändern daran nichts.

Als Hintergrundinformation: Mir wurde von verschiedenen Seiten zugetragen, dass eine solche einfachgesetzliche Lösung bereits vor einigen Monaten in den Regierungsparteien diskutiert worden sei, und dass das Kabinett des Bundeskanzlers zwei ÖVP-nahe Verfassungsrichter dazu konsultiert habe. Auch die Namen dieser beiden Richter wurden genannt. Ihre Stellungnahme war angeblich: "Ihr könnt machen was ihr wollt, der VfGH wird es, was immer es ist, auf jeden Fall wieder aufheben. Die Mehrheit der Richter will die Homo-Ehe."

Diese Rückmeldung sei letzten Endes der entscheidende Grund gewesen, weshalb die ÖVP in dieser Angelegenheit nichts Weiteres unternehmen wollte: zu sehr fürchtet sie sich vor der "Blamage" einer Aufhebung des Gesetzes durch das Höchstgericht. (Wobei es sich natürlich fragt, ob das denn wirklich eine "Blamage" für die Regierung wäre, wenn der VfGH abermals ein offenkundig politisch motiviertes, aber juristisch nicht nachvollziehbares Erkenntnis erließe: wäre so etwas nicht eher eine Blamage für den Gerichtshof selbst?)

Bei der FPÖ hat es noch etwas länger gedauert, aber sie scheint nun ebenfalls eingeknickt zu sein.
Nun, vielleicht sind das ja alles nur Gerüchte. Eine solche Vorabkonsultation schiene mir jedoch sowohl seitens des Bundeskanzlers als auch seitens der beteiligten Verfassungsrichter sehr bedenklich: als Richter sollte man einerseits überhaupt keine politischen Interessen verfolgen, andererseits sollte man sich aber auch mit seinen juristischen Meinungsäußerungen zurückhalten, bis man tatsächlich über eine konkrete Rechtsfrage zu entscheiden hat. Dass über ein politisches Vorhaben vorab und im Hinterzimmer geurteilt wird, ohne dass überhaupt bekannt ist, wie der (vermeintlich "verfassungswidrige") Gesetzeswortlaut tatsächlich formuliert wäre, wäre in einer Demokratie schlicht unerträglich.

Auch ist nicht klar, ob die beiden Verfassungsrichter hier nur eine subjektive Einschätzung der von ihren Kollegen verfolgten gesellschaftspolitischen Zielsetzungen abgegeben haben, oder ob es sich tatsächlich um eine rechtliche Beurteilung handelte. Wenn Letzteres, dann fragt es sich, auf welchen Gründen sie beruhte, und was für ein Text da eigentlich begutachtet wurde.

Wie auch immer, als Bürger darf man sowohl von der Regierung als auch vom VfGH Transparenz erwarten. Wenn die Bundesregierung ihren noch im Wahlkampf vertretenen Standpunkt geändert hat und nunmehr für die Homo-Ehe eintritt, dann soll sie es bitte offen sagen, und der Wähler kann dann seine Schlüsse daraus ziehen. Wenn sie hingegen die Ehe gegen die aus dem VfGH-Erkenntnis folgende sinnentstellende Neudefinition verteidigen will, dann soll sie einen ernsthaften Versuch unternehmen – und dann wird sich ja zeigen, was der VfGH tatsächlich tut.

Nur eines sollte die Koalition bitte nicht tun: sich hinter dem VfGH, der SPÖ und den NEOS verstecken. Die Regierung zu stellen heißt, Verantwortung zu übernehmen. Ein Scheitern vor dem VfGH könnte man der Regierung allenfalls verzeihen – aber nicht diese verlogene Strategie, sich (sogar noch in ihrer Kapitulationserklärung) als aufrechte Verteidigerin der Ehe auszugeben, die sie in Wirklichkeit offensichtlich nicht ist.

Die schwurbelige Argumentation des VfGH in seiner Entscheidung vom vergangenen Herbst habe ich bereits in einem Fachaufsatz in der ZÖR ausführlich kritisiert. Die dort vertretene Einschätzung, es handele um eine "völlig beispiellose Fehlleistung" des Höchstgerichts, ist freilich im Grunde ein Understatement, mit dem ich den Herausgebern der Zeitschrift, die den Beitrag für veröffentlichungswürdig, aber sehr "polemisch" hielten, entgegenkommen musste. In Wirklichkeit scheint mir, dass hier ein vorsätzlicher Missbrauch des (Höchst-)Richteramts vorliegt: man wollte das Ziel, die "Ehe für alle", um jeden Preis durchsetzen, und hat zu diesem Zweck notdürftig ein paar "Argumente" zusammengeschustert, die kein seriöser Jurist jemals ernstnehmen würde.

Eine sinnvolle Begründung ist offenbar ein verzichtbarer Luxus, schließlich können die Entscheidungen des VfGH vor keinem Gericht angefochten werden. Die VfGH-Richter genießen überdies den Schutz der Anonymität, da der Öffentlichkeit nicht mitgeteilt wird, wer von ihnen dieses absurde, offenkundig missbräuchliche Urteil mitgetragen hat. Diese Anonymität ermutigt zur Verantwortungslosigkeit. Dass damit die Glaubwürdigkeit des Gerichtshofs nachhaltig, geradezu irreparabel geschädigt wurde, hat man offenbar ebenfalls in Kauf genommen.

Freilich ist der VfGH auch kein Gesetzgeber. Er kann nur Gesetze (oder Bestandteile von Gesetzen) aufheben, aber er kann nicht neue Gesetze erlassen. Dies wirft natürlich auch die Frage nach der Legitimität eines Erkenntnisses auf, mit dem eine völlig neuartige Rechtslage geschaffen werden soll, wie sie kein österreichischer Gesetzgeber jemals beabsichtigt hat.

Im Grunde war dieses überschlaue Erkenntnis überhaupt nur deswegen möglich, weil der ursprüngliche Wortlaut des § 44 ABGB zufällig so formuliert war, dass durch die Wegnahme zweier Worte ein grammatikalisch korrekter Satz entstehen konnte, der den Eindruck erweckt, dass nunmehr auch die Ehe zwischen Personen desselben Geschlechts möglich ist:
Die Familien-Verhältnisse werden durch den Ehevertrag gegründet. In dem Ehevertrage erklären zwey Personen verschiedenen Geschlechtes gesetzmäßig ihren Willen, in unzertrennlicher Gemeinschaft zu leben, Kinder zu zeugen, sie zu erziehen, und sich gegenseitigen Beystand zu leisten.

(Dass der VfGH es – aus Gründen, die sein Geheimnis blieben – unterlassen hat, die Bezugnahme auf die "Zeugung von Kindern" aufzuheben, steht freilich auf einem anderen Blatt. Da zwei Personen desselben Geschlechts keine Kinder zeugen können, bezieht sich eine derartige Willenserklärung auf etwas schlechthin Unmögliches, wäre also gem. § 878 ABGB nichtig.

Dementsprechend bleibt es bis zur Streichung dieser Passage sehr zweifelhaft, ob die ab 2019 zu erwartenden Homo-"Ehen" tatsächlich gültig sein werden. Bei korrekter Interpretation des § 878 ABGB sind sie es nicht.)

Bei einer anderen, jedoch sinngleichen Formulierung des § 44 ABGB wäre das VfGH-Erkenntnis in dieser Form nicht möglich gewesen. Genau hier liegt der Ansatz für eine einfachgesetzliche Lösung, die bei einer neuerlichen Überprüfung durch den VfGH vermutlich sogar dann Bestand hätte, wenn man dem Höchstgericht eine schamlose Parteinahme zugunsten der Homo-"Ehe" unterstellte.

Man müsste § 44 ABGB nur – in Anlehnung an Art. 12 der Europäischen Menschenrechtskonvention – wie folgt umformulieren:
Die Familien-Verhältnisse werden durch den Ehevertrag gegründet. In dem Ehevertrage erklären ein Mann und eine Frau im heiratsfähigen Alter gesetzmäßig ihren Willen, in unzertrennlicher Gemeinschaft zu leben, Kinder zu zeugen, sie zu erziehen, und sich gegenseitigen Beystand zu leisten.

Diese Formulierung wäre für den VfGH quasi unangreifbar.
Erstens ist sein Hauptargument (das freilich, wie ich bereits in meinem Beitrag in der ZÖR ausführlich dargelegt habe, ohnedies völlig verfehlt war) mittlerweile weggefallen: wenn die "Eingetragene Partnerschaft" nunmehr für verschiedengeschlechtliche Paare offensteht, dann ist das Bekenntnis zu ihr kein "Zwangsouting" einer homosexuellen Orientierung. Damit steht aber der einzige halbwegs nachvollziehbare praktische Beweggrund, den der VfGH für seine Entscheidung ins Treffen führen könnte, nicht mehr als Argument für eine neuerliche Aufhebung zur Verfügung. Der VfGH müsste sich also etwas ganz Neues einfallen lassen.

Zweitens ist es schwer argumentierbar, dass ein Gesetz, das den Wortlaut einer Bestimmung der Europäischen Menschenrechtskonvention wiedergibt, verfassungswidrig sein soll. Die EMRK steht in Österreich selbst im Verfassungsrang. Und der Straßburger Menschenrechtsgerichtshof hat 2010 (in der Entscheidung Schalk und Kopf gegen Österreich, § 55) ausdrücklich judiziert, dass mit "Ehe” in Art. 12 der Konvention nur die Ehe zwischen Mann und Frau gemeint ist.

Drittens wäre eine Aufhebung der vorgeschlagenen Gesetzesformulierung schon aus technischen Gründen unmöglich. Die Vorschrift ist nämlich derart formuliert, dass der nach Streichung einzelner Worte oder Satzzeichen verbleibende Rumpftext als gesetzliche Basis für eine gleichgeschlechtliche "Ehe" herangezogen werden könnte. (Und genau dies, nämlich dass das VfGH-Erkenntnis sich letztlich nur der Zufälligkeit der 1811 gewählten Formulierung verdankt, ist im Grunde ein weiterer Beweis für seine Unzulässigkeit.)
Allenfalls könnte der VfGH natürlich mit irgendeiner fadenscheinigen Begründung die gesamte Bestimmung aufheben – dies steht zweifellos in seiner Macht. Doch auch dies würde nicht zum Ziel führen, die Homo-"Ehe" zu ermöglichen. Denn für die Interpretation des Begriffes "Ehe" wäre dann eben Art. 12 EMRK ausschlaggebend, der weiterhin Teil der österreichischen Rechtsordnung bliebe und der, da er ja im Verfassungsrang steht, vom VfGH unter keinen Umständen aufgehoben werden kann.

Fazit: der VfGH kann die Homo-"Ehe" nicht erzwingen. Es bedarf des (aktiven oder passiven) Zutuns der Parlamentsmehrheit.
Wenn die Bundesregierung wirklich zum bisherigen Ehebegriff steht, kann sie es ja auf einen Versuch ankommen lassen und § 44 ABGB in der oben vorgeschlagenen Formulierung neu fassen. Natürlich wäre dann zu erwarten, dass sehr bald jemand versuchen würde, die Sache nochmals vor den VfGH zu bringen – aber die Erfolgsaussichten für eine solche Klage wären aus den hier dargelegten Gründen praktisch bei Null. Und auch der Straßburger Gerichtshof wird an einer Formulierung, die wörtlich den Text der einschlägigen Konventionsbestimmung übernimmt, nichts aussetzen können.
So bleiben die Beweggründe, die die Regierung nunmehr zum Einknicken gebracht haben, völlig im Dunkeln. War sie schlecht beraten? Ist sie in Wirklichkeit für (und nicht gegen) die Homo-"Ehe", und traut sich nur nicht, den Wählern reinen Wein einzuschenken? Glaubt sie, mit ihrer Vorgangsweise gleichzeitig den Beifall der Gegner ("wir sind ja eh dagegen") und den der Befürworter der Homo-"Ehe" einheimsen zu können? Oder dackelt sie wieder einmal dem Zeitgeist hinterher, indem sie sich mit fünfjähriger Verspätung und einem Abschlag von fünf Prozent genau jene Standpunkte zu eigen macht, die eigentlich jene der 2017 aus dem Parlament gewählten Grünen waren?

Das mit der oben vorgeschlagenen Regelung verbundene politische Risiko wäre äußerst gering. Die österreichische Bevölkerung will die Homo-"Ehe" nicht, wie man spätestens seit den letzten Wahlen weiß. Die Gefahr einer Aufhebung durch den VfGH oder einer Verurteilung durch den EGMR besteht nicht. In Wahrheit wäre das Einzige, was die Regierung zu befürchten hätte, ein Rumoren in der rot-grün-pinken Echokammer. Das müsste sie doch eigentlich aushalten können.

Die Einschätzung der beiden Klubobleute und ihrer Berater, dass das bisherige Verständnis von Ehe nur mit verfassungsändernder Mehrheit beibehalten werden könnte, erweist sich damit als völlig verfehlt. Es handelt sich um eine faule Ausrede. Als Bürger darf man sich erwarten, dass grundlegende Entscheidungen wie diese in transparenter Weise offengelegt und begründet werden. Die Herren Klubobleute sind hiermit aufgefordert, Ross und Reiter beim Namen zu nennen: welche "Rechtsexperten" haben sie in dieser Frage beraten, und welche Argumente wurden dabei ins Treffen geführt? Die Öffentlichkeit hat ein Recht, es zu wissen.

Und wenn mir einer erklären kann, wie der VfGH die oben vorgeschlagene Formulierung aushebeln könnte, dann kriegt er von mir eine Kiste Champagner.

Dr. Jakob Cornides ist Beamter der Europäischen Kommission, Generaldirektion für Aussenhandel. Der Beitrag erschien ursprünglich bei https://www.andreas-unterberger.at/t


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