Was heißt und zu welchem Ende studiert man Konziliengeschichte?

15. November 2018 in Aktuelles


In Zeiten der Rede von ‚Synodalität’ – ein Leitfaden von Walter Kardinal Brandmüller. Von Armin Schwibach


Rom (kath.net/as/wb) Synodaler Prozess, „Synodalität“, die „synodale Kirche“: nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass das Thema der „Synodalität“ in das Schlussdokument der jüngsten Jugendsynode Eingang gefunden hat, obwohl dieses von den Synodenvätern nicht diskutiert worden war, macht es notwendig, sich mit der Geschichte der Synoden und vor allem der Konzilen (die etwas anderes sind) auseinanderzusetzen. Wer wenn nicht der Theologe, Kirchenhistoriker und Spezialist in Konziliengeschichte, Walter Kardinal Brandmüller, wäre geeigneter, den suchenden Geist durch eine komplexe Geschichte zu führen?

Walter Kardinal Brandmüller, von 1998 bis 2009 Präsident des Päpstlichen Komitees für Geschichtswissenschaften, hielt am 12. Oktober 2018 in Rom eine Konferenz zu dem Thema „Was heißt und zu welchem Ende studiert man Konziliengeschichte?“. Der geneigte Leser ist eingeladen, sich die Zeit zu nehmen, um dem Historiker auf dem von ihm abgezeichneten Weg zu folgen.

Dabei könnte er sich vor allem auch auf zwei Punkte der Erörterungen Brandmüllers konzentrieren. Der erste betrifft die Überordnung des Konzils über den Papst, die durch das Konstanzer Dekret „Haec sancta“ von 1415 bestätigt wurde und heute von vielen Theologen behauptet wird. Der zweite betrifft die Möglichkeit eines künftigen neuen Konzils und dessen Umsetzung mit fast doppelt so vielen Bischöfen, wie dies beim II. Vatikanische Konzil der Fall war.

Deutlich wird: solange nur von „Synodalität“ geredet wird, ohne den Inhalt des Begriffes eindeutig und univok zu bestimmen und zu nutzen, ist der Weg für Missverständnisse geebnet. Ebenso deutlich wird, wie komplex es heute wäre, ein von einigen immer wieder angerufenes „III. Vatikanum“ einzubestellen, organisiert abzuhalten und sinnvoll zu beenden.

kath.net dankt Seiner Eminenz für die freundliche Erlaubnis zur Veröffentlichung.


Walter Kardinal Brandmüller: Was heißt und zu welchem Ende studiert man Konziliengeschichte?

Mit gerade dreißig Jahren – als Dichter der Räuber schon berühmt – wurde Friedrich Schiller zum Professor der Geschichte an der Universität Jena berufen. Nun galt es, wenn er an seinen meist nicht sehr gefüllten Geldbeutel dachte, zuvorderst seinen Hörsaal mit Studenten zu füllen.

Dabei musste er sich, was deren Interesse betraf, der Konkurrenz der weitaus gewinnbringenderen Fächer der Jurisprudenz und zumal der Medizin stellen – und so kündigte er seine Antrittsvorlesung an: „Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte“.

In einem ähnlichen Wettbewerb mit den praxisbezogenen Disziplinen – der Pastoraltheologie etc. – muss sich auch heute die historische Theologie, die Kirchengeschichte, um das Interesse der akademischen Jugend bemühen – und darum fragen auch wir, fünfzig Jahre nach dem Start unseres gemeinsamen Unternehmens, erneut: „Was heißt und zu welchem Ende studiert man Konziliengeschichte“?

I

Was aber heißt „Konziliengeschichte“ (= KG)?

Und so fragen wir sogleich: Was ist Konzil? Konzil – oder auch Synode, concilium, σύνοδος ist die Versammlung von Trägern der kirchlichen Lehr- und Hirtengewalt zum Zweck der gemeinschaftlichen Ausübung eben dieser ursprünglich von Christus seinen Aposteln übertragenen Gewalten.

1)Von einem Allgemeinen oder Ökumenischen Konzil spricht man, wenn alle Bischöfe der Weltkirche eingeladen sind und – wie viele von ihnen auch immer – unter dem Vorsitz des Bischofs von Rom ihr Amt als Lehrer und Hirten der Kirche ausüben und deren Beschlüsse vom Papst bestätigt wurden.

Ein Partikularkonzil ist dann gegeben, wenn die Bischöfe eines teilkirchlichen Verbandes – also Kirchenprovinz, mehrere Kirchenprovinzen, Metropolitanverbände, sich unter dem Vorsitz des Metropoliten, Patriarchen etc. versammeln. Deren Beschlüsse haben dann Gesetzeskraft, jedoch nur für die in Frage stehenden teilkirchlichen Verbände.

2) Nun kommt zu dieser Begriffsbestimmung das entscheidende Moment hinzu: Teilnahme- und Stimmrecht auf einer Synode beruhen auf dem Weihesakrament, näher hin dem Empfang der Bischofsweihe der Synodalen: concilium episcoporum est. Das auf der Synode gemeinschaftlich ausgeübte Lehr- und Hirtenamt ist den Teilnehmern durch das Sakrament der Bischofsweihe übertragen worden.

Damit eignet der Synode, dem Konzil ein quasi-sakramentaler Charakter.
Das bedeutet, dass – ähnlich wie bei den Sakramenten wie Taufe etc. – hierbei die Beschlüsse die sichtbare, historische Form oder Erscheinungsweise göttlichen Handelns sind. Das war schon die Überzeugung der Apostel zu Jerusalem: „… έδοξεω γαρ τωάγιω πνευματι και μιν“ (Act 14, 28).

Letzteres gilt für das Allgemeine oder Ökumenische Konzil, nicht aber in dieser herausragenden Weise auch von Partikularkonzilien.
Und nun zu dem wissenschaftlichen, historisch-kritischen Umgang mit dem historischen Phänomen Konzil. Dabei ist an den scholastischen Grundsatz zu erinnern, der über seinen ursprünglichen moraltheologischen Zusammenhang hinaus (S. Thomas, Quaestiones disp. De malo 2,4) allgemeine Geltung hat: „actus specificatur ab obiecto“ – d.h. der in unserem Falle actus des historischen Zugriffs wird in seiner Eigenart vom Gegenstand bestimmt.

Das heißt nun wiederum, dass mein actus des historischen Erkennens dem zu erkennenden Gegenstand angemessen sein muss: Ich kann nicht mit Methoden der Linguistik die Vorgänge bei der Entstehung eines Tornado erforschen wollen.

3) Auf unseren Fall „Konzil“ angewandt bedeutet dies, dass der Konzilienhistoriker sowohl die historische als auch die theologische Natur seines Forschungsgegenstands im Auge haben muss, wenn er dessen komplexe Struktur erfassen will. Das gilt für die Kirchengeschichte ganz allgemein, wenn wir den katholischen oder auch orthodoxen Begriff von „Kirche“ zugrunde legen.

Dieser Kirchenbegriff nimmt zur Kenntnis, dass die Kirche einerseits als eine Gemeinschaft von Menschen den soziologischen etc. Gesetzen unterliegt, ohne andererseits zu vergessen, dass diese Kirche die Art und Weise ist, in welcher der Auferstandene Christus in der Welt in jedem Moment der Geschichte gegenwärtig, sein Erlösungswerk den Menschen jeder Generation zuwendet. Eben das ist gemeint, wenn wir vom inkarnatorischen Charakter der Kirche sprechen. Auf unser Thema bezogen heißt das, dass „Konzil“ zwar einerseits als eine Versammlung von kirchlichen Amtsträgern zu verstehen ist, die hinsichtlich ihrer Strukturen und Vorgehensweisen, wie auch der dabei wirksamen sozio-psychologischen Mechanismen, durchaus einem Parlament oder auch Gerichtshof vergleichbar ist, andererseits aber mit den hierfür adäquaten Kategorien allein nicht eigentlich verstanden werden kann. Das ist erst dann möglich, wenn auch die theologische Dimension von Konzil in den Blick gefasst wird, wie sie in der klassischen Formel von Apostelgeschichte 15 zum Ausdruck kommt – wir haben sie schon zitiert: „… Der Heilige Geist und wir haben beschlossen…“.

Diesem Selbstverständnis von Konzil gilt es nun Rechnung zu tragen, wenn von der Art und Weise, Konziliengeschichte zu erforschen und zu schreiben die Rede sein soll.

4) Ist also das Werk der Heuristik getan, stellt auch der Konzilienhistoriker in bewährter Manier die Fragen „Quis, quid, ubi, quibus auxiliis, cur, quomodo, quando“. Diese sind alsdann unter Einsatz des Instrumentariums der historisch-kritischen Methode zu beantworten. Damit ist die materia prima bereitgestellt, aus dem die Geschichte eines Konzils zu rekonstruieren ist.
Dabei gilt es nun, den Quellen ihre Aussagen über das in Frage stehende Konzil zu entlocken. Wie Hubert Jedin zu sagen pflegte, sind unsere Quellen keine Lautsprecher. In der Tat: nicht selten sind sie gar spröde. Namenslisten, Rechnungen, Notarsprotokolle, Traktate – und so fort. Da nun kommt es darauf an, sie zum Sprechen zu bringen, und zwar indem wir jene Fragen an das Material stellen, die sowohl dessen Eigenart als auch unser Erkenntnisinteresse nahelegt.
Damit ist ein ganz entscheidender Begriff eingeführt, der des „erkenntnisleitenden Interesses“. Es war Jürgen Habermas, der mit seinem Werk Erkenntnis und Interesse diesen Begriff ins Spiel gebracht hat. Und - es ist eben dieses „erkenntnisleitende Interesse“, das auch den Konzilienhistoriker die richtigen Fragen an seine Quellen stellen lässt. Welche aber sind diese richtigen Fragen?

5) Zunächst einmal diese: Nach katholischer dogmatischer Überzeugung kommt den definitiven Lehrentscheidungen eines Allgemeinen Konzils – wie erwähnt – Unfehlbarkeit = Freiheit von Glaubensirrtum und damit letzte Verbindlichkeit und Unwiderruflichkeit zu. Angesichts dieses Anspruchs ist es vor allem anderen von entscheidender Bedeutung, welche der im Laufe der Geschichte stattgefundenen Konzilien denn derartige Allgemeine, Ökumenische Konzilien gewesen sind. Nun aber gibt es auf diese Frage weder eine lehramtlich verbindliche Antwort, wie auch keine auf wissenschaftlichem Konsens beruhende. Es ist deshalb eine vordringliche Aufgabe für die Konziliengeschichtsforschung, einen solchen Konsens herbeizuführen.

Wie schwierig und wie wenig dies bis heute gelungen ist, haben die Untersuchungen von Hermann Josef Sieben über die Geschichte der Konzilsidee eindrucksvoll gezeigt. Wie weit wir noch immer von einem plausiblen Ergebnis entfernt sind, zeigt in geradezu spektakulärer Weise das jüngste Unternehmen der Oecumenicorum generaliumque Conciliorum decreta des bekannten Bologneser Instituts. In diesen Bänden – deren Texteditionen zweifellos einen Gewinn darstellen – wird in der Tat ein Kraut-und-Rüben-Ensemble von Konzilien dargeboten, von dem nicht erkennbar ist, welchen Auswahlkriterien dabei gefolgt wurde, und welche nun zu den ökumenischen oder den Generalkonzilien – wo ist da der Unterschied? – gehören sollen.

In der Tat wird über den ökumenischen Charakter einiger Konzilien durchaus diskutiert – ich muss die „Schlachtfelder“ hier nicht im einzelnen benennen.

Immerhin sind mittlerweile – so etwa von Sieben – mehrere Kriterien formuliert bzw. aus dem historischen Befund erhoben worden, die erfüllt sein müssen, soll von einem wirklichen Ökumenischen Konzil gesprochen werden. Abstrahiert man also von den jeweiligen konkreten Umständen der Konzilien, dann stellen sich meines Erachtens folgende Kriterien für die Ökumenizität eines Konzils heraus: Allgemeine Einberufung des Episkopats, gesamtkirchliche Fragestellung und Bestätigung durch den Papst. „Alle anderen irgendwann und von irgendwem formulierten Merkmale der Ökumenizität sind mehr oder weniger zeitbedingt, oder sekundär“(AHC).

Nun ist es an der historischen Forschung, im Falle des einzelnen Konzils zu ermitteln, ob dieses den genannten Kriterien entsprach – oder nicht.
Im Falle des Konzils von Pisa des Jahres 1409 etwa ist dies noch immer strittig. Welcher der beiden Schisma-Päpste hätte es einberufen können? Konnte die Einberufung durch ein hauptloses, aus Fragmenten zweier bis dahin gegnerischer Kardinalskollegien zusammengesetztes Kollegium den Mangel eines legitimen Papstes ausgleichen? Und: musste nicht das gänzliche Fernbleiben der gesamten Obedienz Benedikts XIII. diese Ökumenizität in Frage stellen?

Es gibt hier noch einen – weniger Forschungs- als Überzeugungs- ¬Bedarf, denn Historiker oder Theologen, die ein konziliaristisch gefärbtes Kirchenbild haben, können nach wie vor dem Pisanum von 1409 einiges abgewinnen – auch dem von 1511. Keine Frage, dass hierbei ekklesiologische Vorprägungen bzw. Entscheidungen eine gewisse Rolle spielen.
Hier ist nun einmal eine sachliche, dem kritisch erhobenen Quellenbefund verpflichtete Wissenschaft gefordert.

6) Eine ganz entscheidende Frage stellt sich sodann, wenn es um die sachgerechte Interpretation von Konzilsdekreten geht. Lassen Sie mich das an Hand des mir besonders vertrauten sogenannten Konstanzer Dekrets Haec sancta von 1415 aufweisen.
Es war von Anfang an, dann im Zusammenhang mit dem Konzilsversuch von Pisa 1511, zur Zeit des Gallikanismus, und dann bis heute Gegenstand heftiger Debatten zwischen Anhängern einer Überordnung des Konzils über den Papst und ihren Gegnern.

Es ist wiederum Hermann Josef Sieben, der diese Diskussionen in aller Breite dargestellt hat. Insbesondere war es das Jubiläum des Konzils von Konstanz im Jahre 1964, das noch einmal die Diskussion hatte aufflackern lassen, in deren Verlauf die Notwendigkeit solider historischer Kenntnis eindrucksvoll zu Tage trat.

Das Problem, das man damals als besonders dringlich empfand, bestand in der Vereinbarkeit des Konstanzer Dekrets Haec sancta – das nicht nur Hans Küng, Paul de Vooght u.a. damals im Gefolge von Karl August Fink als die Magna Charta des Konziliarismus - der Überordnung des Konzils über den Papst, feierten, und das offenbar dem Dogma von 1870 über den Iurisdiktionsprimat und die lehramtliche Unfehlbarkeit des Papstes widersprach.

Widersprach hier nicht ein Konzil dem anderen in einer gewichtigen dogmatisch definierten Frage des Glaubens?

Nun, damals haben sich nicht wenige gelehrte theologische Federn, unter anderem die eines sehr angesehenen Freiburger Dogmatikers, in Bewegung gesetzt und mit erheblichem Aufwand von Scharfsinn Harmonisierungsversuche manchmal akrobatischer Art unternommen.

Aber – nur ein wenig Historie hätte genügt, das Problem als nicht existent zu erkennen: Jenes Konzil, das im April 1415 das Dekret Haec sancta – den Stein des Anstoßes – formuliert hatte, war ja alles andere als ein Allgemeines Konzil, es war vielmehr nur eine Versammlung der Anhängerschaft Johannes‘ XXIII. Zu einem Allgemeinen Konzil wurde die Konstanzer Versammlung erst durch den Beitritt der Anhängerschaften der beiden anderen „Schisma-Päpste“ im Juli 1415 und im Herbst 1417.

Was 1415 in Konstanz beschlossen wurde, hatte weder kanonische noch lehramtliche Autorität. Und als der neugewählte Papst Martin V. die in den Jahren 1415-1417 beschlossenen Dekrete des Konzils bestätigte, hatte er jenes Haec sancta bewusst ausgenommen.
Konziliengeschichte – das heißt aber auch, ein Konzil – sowohl seinen Ablauf, dessen Hauptakteure und dann die Dekrete – nicht nur „in sich selbst“, sondern im Verwobensein mit seinem historischen Kontext zu betrachten. Erst in diesem Zusammenhang, vor diesem Hintergrund gewinnen Personen und Vorgänge Konturen und Greifbarkeit. Überdies wird erst so der hermeneutische Horizont ausgeleuchtet, vor dem schließlich die Dekrete etc. eines Konzils verstanden werden können.

Ein Beispiel hierfür mag das 4. Laterankonzil von 1215 mit seinem Dekret Firmiter bieten, das ein Glaubensbekenntnis darstellt. Ein flüchtiger Leser wird hier nur katholische Selbstverständlichkeiten finden. Indes erweist eine historisch-kritische Lektüre diesen Text als eine durch die Umstände geforderte subtile Antwort auf die die Fundamente von Glaube und Kirche bedrohende Häresie der Katharer, ohne dass diese weder genannt noch im einzelnen widerlegt würde. Nicht einmal die einzelnen Irrlehren der Katharer werden benannt. Was hingegen geschieht, ist eine stillschweigende inhaltliche Zurückweisung der Häresie durch die ausdrückliche Formulierung der eben jener entgegengesetzten katholischen Wahrheit. Mit dem Caput Firmiter ist Innozenz III. ein Kabinettstück theologischer Formulierungskunst gelungen.

In ähnlicher Weise werden auch die Aussagen bzw. Anathemata des Konzils von Trient über das Ehesakrament in ihrer wahren Bedeutung bzw. Zielrichtung nur erkannt, wenn man sie vor dem Hintergrund der von Luther und Melanchthon erlaubten Doppelehe Philipps von Hessen und der Eheskandale Heinrichs VIII. von England betrachtet.
Nichtsdestoweniger meinen gewisse Vertreter der systematischen Theologie, sich mit einer grammatikalisch-linguistischen Interpretation von Konzilstexten, so wie sie in Denzinger etc. stehen, begnügen zu können.

Was also heißt am Ende „Konziliengeschichte“? Das ergibt sich schon aus der Natur ihres Gegenstandes. Dieser – Konzil, Synode – ist gewiss ein politisches, ökonomisches, kulturelles etc. Ereignis, vor allem aber ein theologisches – nämlich, um es ins Gedächtnis zurückzurufen – eine Versammlung von Bischöfen zum Zweck der kollegialen Ausübung des kirchlichen Lehr- und Hirtenamtes.

Es ist bezeichnend für eine methodische Fehlentwicklung, auf die etwa Werner Maleczek im Rückblick auf eine Reichenauer Tagung über die Konzilien des 15. Jahrhunderts aufmerksam machte: „Diese beiden Begriffe (sc. Glaube und Frömmigkeit) hatten in den Referaten und den darauffolgenden Diskussionen Seltenheitswert“, wozu er anmerkt: „Auf der Bulle unserer Konzilien steht Sancta Synodus, und dies ist mehr als nur traditionelle Formelhaftigkeit“. Deshalb kritisiert er zu Recht, dass es häufig vielmehr um anderes geht: Konzilien als Ideenbörse, Treffpunkt und Umschlagplatz für Ideen, Konzilien als Membranen zu Diffusionsprozessen, Fragen um Zentrum und Peripherie, Institutionen und Personen, Nationen...“
In der Tat: Konzil ist eine gar komplexe theologische Größe und sollte daher vorwiegend unter theologischen Gesichtspunkten erforscht und dargestellt werden. Somit sind natürlich Strukturen, Geschäftsordnung, Akteure ebenso wie Inhalte, Verlauf und Ergebnisse der theologischen Diskussion darzustellen. Vor allem aber ist „Konzil“ als ein herausragendes liturgisches – also der Gottesverehrung dienendes Geschehen zu behandeln, wie schon die westgotischen Ordines de Celebrando concilium seit dem 6. Jahrhundert eindrucksvoll bezeugen.

Die Konfrontation etwa der Würzburger „Gemeinsame(n) Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland“ der Jahre 1971-1975 mit der Art und Weise, wie man zur Zeit Isidors von Sevilla „Synode“ verstanden und gefeiert(!) hat, ist unter diesem Gesichtspunkt einigermaßen aktuell. Jedenfalls ist Synode, Konzil, auch heute noch und immer das, was es z. B. im Westgotenreich des 7. Jahrhunderts war.

II

Dass bei der Darstellung eines Konzils auch periphere Momente, das framework, hilfreich sein können, ist unbestritten. Aber – Konzil ist nun einmal „Kirche im Selbstvollzug“ und darum zunächst und zuvörderst im Lichte der Ekklesiologie – und das ist eine theologische Disziplin – zu sehen.

„Konziliengeschichte“ ist natürlich auch Geschichte – und will als solche dargestellt werden. Gewiss ist nichts dagegen einzuwenden, wenn einzelne Aspekte des Phänomens „Konzil“ auch in eher analytischer Weise behandelt werden. Nur ist das dann noch lange nicht „Konziliengeschichte“.

Mit dieser Art, das Phänomen Konzil gleichsam gerichtsmedizinisch zu sezieren, gerät es jedoch aus dem Blick – es entsteht eine „technische“ Studie, die sich nicht selten mit ihrer „technischen“ Sprache dem Leser verschließt.

Warum wohl aber haben Ranke, Jansen, Pastor zu ihrer Zeit mit ihren Werken, warum etwa hat neuerdings Clarks „Schlafwandler“ so hohe Auflagen erzielt?

Wirkliche Geschichtsschreibung – auch wenn es um Konzilien geht – ist nun einmal Erzählung, die natürlich auf kritischer Quellenanalyse und -interpretation beruht, ohne dass diese „Vorarbeiten“ eigens in extenso darzulegen waren. Der große Einfluss der Annales hat das Methodenspektrum zwar durchaus erweitert, der Geschichtsschreibung aber nicht gut getan.
Ein Reflex dieser Entwicklung ist auch darin zu sehen, dass in der – nunmehr Brillschen – Konziliengeschichte noch immer monographische Darstellungen der großen Konzilien fehlen. Die „blaue“ Reihe ist hoffentlich nicht ganz zum Stillstand gekommen. Kurzum:
Eine umfassende, Kontext und Hintergrund nicht aussparende, quellenkritische, den theologischen mit dem faktengeschichtlichen Aspekt verbindende Darstellung des Ereignisses „Konzil“ – das wäre die Antwort auf die erste der schillerschen Fragen: „Was heißt...“ in unserem Falle nicht „Universal“- sondern Konziliengeschichte.

III

Nun aber fragen wir den Jenenser Professor weiter: „zu welchem Ende ,studiert man’ Konziliengeschichte?“ Und – es gibt darauf eine Reihe von Antworten, denn „Konzil“ ist, zunächst ganz allgemein ein Ereignis, an dem zahlreiche Personen von herausgehobener Bedeutung beteiligt sind. Damit ist schon ein allgemeines historisches Interesse an diesem Gegenstand „Konzil“ gegeben.

Dieses gilt zum Beispiel vom Konzil zu Konstanz, das unabhängig von seiner eigentlichen kirchengeschichtlichen Bedeutung der größte Kongress des Mittelalters war. Von ebensolch allgemein historischem Interesse ist auch das Konzil von Florenz, insofern es eine einmalige kulturgeschichtlich folgenreiche Begegnung von lateinisch-römischem Westen und byzantinisch-orientalischem Osten darstellte. Das Zweite Vaticanum hingegen verdient allein schon als Medienereignis die höchste Aufmerksamkeit der Kommunikationswissenschaften. Ganz allgemein befasst sich auch die Politikwissenschaft mit dem Phänomen Konzil als einer der demokratischen Entscheidungsfindung dienenden Institution.
Doch genug damit. All die genannten Gesichtspunkte, von denen aus man „Konzil“ als Institution betrachten kann, beziehen sich jedoch nur auf deren „Schauseite“, nicht auf seine eigentliche Natur – und die ist theologisch.
Das aber bedeutet, dass bei der Darstellung und historischen Würdigung eines Konzils eben theologischen Kategorien zwar nicht die einzige, wohl aber die Hauptrolle zukommt.
Dabei kommt noch vor den theologischen Themen, Diskussionen und Dekreten das „Konzil“ als Institution ins Spiel. Tagesordnung, Geschäftsordnung, Organe de Versammlung und deren Zusammenwirken bzw. Antagonismen – in ihnen spiegelt sich das ekklesiologische Selbstverständnis der Konzilsväter – haben eigene Aussagekraft. Gemeinsame, kollegiale Ausübung des Lehr- und Hirtenamtes durch die unter dem Vorsitz des Papstes versammelten Bischöfe – so haben wir „Konzil“, näherhin das Ökumenische Konzil, definiert – das bedeutet zunächst, angesichts der Herausforderungen durch die jeweilige konkrete Situation der Kirche, auf die aktuellen Fragen authentisch Antwort zu geben. Denken wir dabei etwa an die arianischen Streitigkeiten, die Bedrohung durch die im Geheimen wuchernde katharische Häresie, oder die durch den Massenabfall im Europa des 16. Jahrhunderts entstandenen existentiellen Bedrohungen des Glaubens. Bei diesem Vorgehen haben etwa die Konzilien der Alten Kirche bei ihren Entscheidungen größten Wert darauf gelegt, an den Anfang der Konzilsakten jeweils ausfrücklich auf das von den Vorgängerkonzilien formulierte Symbolum Bezug zu nehmen, wie dies besonders ausführlich auf dem Konzil von Chalkedon 451 geschehen ist.

Auf dieser Grundlage beruhten dann die durch das eben tagende Konzil erarbeiteten Klärungen, Vertiefungen, Anwendungen des Überlieferten auf die konkrete Situation, auf die das Konzil reagieren musste.

In dieser Vorgehensweise tritt das eigentliche Wesen des Konzils eindrucksvoll zu Tage: es ist – institutionell gesehen – Organ, und in seiner Funktion gesehen, Vollzug der ..... (grch. Text, Ms. S. 12)...-traditio. Das Konzil empfängt, übernimmt den Glauben der Väter und reicht ihn, den Erfordernissen des Augenblicks entsprechend, erklärt, vertieft etc. weiter. Das Konzil ist Überlieferung im Vollzug. Dementsprechend war – und ist – es undenkbar, dass ein Konzil einem Vorgängerkonzil widersprechen könnte.

Dieser Vorgang des Empfangens und auf die jeweilige Situation antwortenden Weiterreichens – ..... (grch)... und ...(grch) (MS. S. 13 oben)... – ist nicht nur die hauptsächliche Funktion eines Konzils. In ihm verwirklicht die Kirche überhaupt ihr eigentliches Wesen als in der Geschichte weiterwirkendes Organ der göttlichen Offenbarung und des Heiles.
Es ist die zentrale theologische Aufgabe der Konziliengeschichtsforschung, eben diesen Vorgang – der ... (grch.)... unter Anwendung jener Kombination von historischer und theologischer Methode zu erforschen und darzustellen.

Dazu ist es nun auch unumgänglich, den historischen Kontext als den hermeneutischen Hintergrund auszuleuchten, aus dem heraus Konzilstexte entstanden, und auf den hin sie formuliert worden sind.

Auf diese Weise werden die Voraussetzungen, Hintergründe und Aussageabsichten der Dekrete etc. der einzelnen Konzilien erst wirklich verständlich, ebenso wie ihre eventuelle Bedeutung für die Gegenwart.

IV

Von Gegenwart war die Rede – sprechen wir aber auch von der Zukunft der Institution „Konzil“. In der Tat war in den letzten Jahrzehnten immer wieder einmal von einem „Dritten Vaticanum“ zu hören. Für die einen sollte dieses die durch das II. Vaticanum angestoßenen Fehlentwicklungen korrigieren, für die anderen sollte es die damals geforderten Reformen vollenden. Dazu kommt die Erwartung vieler, die Reformen des II. Vaticanums möchten endlich realisiert werden.
Soll – kann es also ein neues Allgemeines, Ökumenisches Konzil geben?
Die Antwort auf diese Frage hängt wesentlich davon ab, wie man sich ein solches „Mammut-Konzil“ – denn um ein solches würde es gehen – überhaupt vorzustellen habe.
Würde heute ein Konzil einberufen, hätten – so war der Stand im Jahre 2016 – 5237 Bischöfe auf dem Konzil Sitz und Stimme. Beim II. Vaticanum waren es etwa 3044 teilnehmende Bischöfe. Allein ein Blick auf diese Zahlen ergibt, dass ein Konzil klassischen Zuschnitts schon daran scheitern müsste. Doch selbst wenn man annehmen würde, dass die enormen logistischen wie ökonomischen Probleme einer solchen Versammlung gelöst werden könnten, lassen einfache soziologische, soziopsychologische Überlegungen ein solches Riesenunternehmen als undurchführbar erscheinen. Eine so unübersichtliche Zahl von Konzilsteilnehmern wäre in den Händen einer entschiedenen machtbewussten Gruppe eine gar leicht zu manipulierende Masse. Die Konsequenzen sind kaum vorstellbar.

Die Frage ist also, wie, in welchen Formen und Strukturen das Kollegium der Apostelnachfolger ihr Amt als Lehrer und Hirten der Universalkirche unter den genannten Umständen in einer Weise ausüben könnten, die sowohl den theologischen als auch den pastoral-praktischen Vorgaben entspricht. Dabei fällt der Blick des Historikers zunächst auf das Konzil von Vienne der Jahre 1311/12, an dem 20 Kardinäle und 122 Bischöfe teilnahmen. Bemerkenswert daran ist, wie diese Zahl zustande kam: Es sind dazu zwei voneinander abweichende Einladungslisten – eine päpstliche und eine königliche. Die nicht Eingeladenen konnten, mussten aber nicht kommen. Kriterien für die Auswahl der Eingeladenen – wenn man die päpstliche mit der königlichen Liste vergleicht – nicht unproblematisch waren. Dazu die Bemerkung, dass diese sich durch Prokuratoren vertreten lassen konnten. Auf diese Weise blieb das Konzil überschaubar, wenn auch die Kriterien für die Auswahl der Eingeladenen – wenn man die päpstliche mit der königlichen Liste vergleicht – nicht unproblematisch waren. Um solchen Fragen zuvorzukommen, müsste die Auswahl der Einzuladenden objektiven, institutionellen Kriterien unterliegen.

Heute und morgen indes könnte ein gestufter synodaler Prozess solche Einwände gegenstandslos machen. Vorbild könnte Martin V. sein, der im Vorfeld des Konzils von Pavia-Siena die allerdings nur in wenigen Fällen befolgte Weisung erteilt hatte, auf Provinzialsynoden das Allgemeine Konzil vorzubereiten. In ähnlicher Weise war auch dem I. Vaticanum eine Reihe von Provinzialsynoden vorausgegangen, die in dieser oder jener Form die Dekrete von 1870 vorbereiteten. So könnten in den einzelnen Erdteilen bzw. geographischen Zonen Partikularkonzilien abgehalten werden, die jene für das geplante Allgemeine Konzil vorgesehenen Themen in dessen Vorfeld erörtern sollten, und deren Ergebnisse dann auf dem bevorstehenden Allgemeinen Konzil eventuell sogar schon als Dekretentwürfe vorgelegt, beraten und abschließend behandelt würden.

Die Teilnehmer an diesem Konzil würden von den vorhergehenden Partikularkonzilien gewählt und mit der Vollmacht, ihre Teilkirchen zu vertreten, zum Allgemeinen Konzil entsandt werden. So könnte dieses mit Recht universalem Ecclesiam repraesentans genannt werden – und als solches handeln.

Dieses Modell würde es außerdem gestatten, ein Ökumenisches Konzil nicht nur von längerer Hand vorzubereiten, sondern es auch mit überschaubarer Dauer – und Teilnehmerzahl – durchzuführen. Warum sollte man da – was diese anlangt - nicht auf das erste Allgemeine Konzil, das Nicaenum von 325, zurückblicken, das in die Geschichte als das Konzil der 318 Väter (vgl. Gen 14,14) eingegangen ist? Das Credo, das sie formuliert haben, ist bis heute jenes „Credo“, das Millionen von Katholiken weit über den Erdball hin an Sonn- und Feiertagen sprechen. So ist dieses erste Allgemeine Konzil von gerade 318 Bischöfen bis heute ein Kristallisationspunkt, an dem sich Wahrheit und Irrtum scheiden.


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