17. November 2018 in Chronik
Wiener griechisch-katholischer Generalvikar erinnert daran, dass Wiener Kardinal als eine von wenigen westlichen Persönlichkeiten in 1930er-Jahren gegen Hungertod von bis zu zehn Millionen Menschen in Ukraine protestierte und Hilfsmaßnahmen startete
Wien (kath.net/KAP) An ein wenig bekanntes Kapitel im Leben des Wiener Erzbischofs Kardinal Theodor Innitzer (1875-1955) hat der griechisch-katholische Generalvikar Yuriy Kolasa erinnert. Der Wiener Erzbischof war in den 1930er-Jahren eine der ganz wenigen Persönlichkeiten des Westens, die sich mit einer Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes in der Sowjetunion nicht abfinden wollte. Generalvikar Kolasa äußerte sich im Rahmen einer Gedenkveranstaltung am Dienstagabend an der Universität Wien anlässlich "85 Jahre Holodomor in der Ukraine". Zu der Veranstaltung hatten die ukrainische Botschaft und die Österreichisch-Ukrainische Gesellschaft geladen.
In den Jahren 1932/33 war es in der Ukraine - und weiteren Gebieten der damaligen Sowjetunion - zu einer Hungerkatastrophe gekommen, die als "Holodomor" (wörtlich "Tod durch Hunger") in die Geschichte einging. Ausgelöst wurde die Katastrophe durch Maßnahmen Stalins gegen die selbstständigen ukrainischen Bauern (Kulaken), die nicht in die Kolchosen und Sowchosen eintreten wollten. Nach Schätzungen forderten die Repressionen der Sowjets allein in der Ukraine bis zu zehn Millionen Opfer. Das ukrainische Parlament verabschiedete 2006 ein Gesetz, wonach der "Holodomor" als "gezielter Akt des ethnischen Genozids gegen das ukrainische Volk" zu behandeln sei.
Der Tod von Millionen Menschen war damals von der Weltöffentlichkeit kaum wahrgenommen worden. Eine Ausnahme war Kardinal Innitzer, der erstmals am 20. August 1933 an die Weltöffentlichkeit appellierte, Hilfe für die Hungernden in die Wege zu leiten. Er rief in Folge eine internationale und interkonfessionelle Hilfsaktion für die Hungeropfer ins Leben. In der "Holodomor"-Gedenkstätte in der ukrainischen Hauptstadt Kiew wird an den Einsatz des Wiener Erzbischofs mit einer Schautafel erinnert.
Die katholische Kirche in Österreich habe hingegen noch nicht ganz realisiert, welch große Bedeutung diese Initiative hatte, befand Generalvikar Kolasa. Der Appell Innitzers 1933 sei "weltweit einer der größten humanitären Akte des zwanzigsten Jahrhunderts" gewesen, "der die Rettung von Menschenleben, die Linderung des Leids und die Erhaltung der menschlichen Würde zum Ziel hatte", so Kolasa. Innitzer sei dabei zwischen allen Fronten gestanden. Auf der einen Seite habe die Sowjetregierung in Moskau alle Behauptungen von der Notlage und dem Hunger im Lande als freie Erfindung und Lüge der Agenten des Auslandes abgetan. Auf der anderen Seite habe die westliche Welt Unannehmlichkeiten und Handelshemmnisse mit der UdSSR gefürchtet.
"In dieser heiklen Situation gab der Appell von Kardinal Innitzer den Millionen unschuldigen, vom Hungertod bedrohten und sterbenden Menschen eine Stimme", so Kolasa wörtlich. Der Wiener Erzbischof habe es "als Pflicht elementarster Menschlichkeit und reinster Nächstenliebe" betrachtet, angesichts er Verhältnisse nicht zu schweigen, sondern die Stimme des Gewissens zu erheben.
"Weltgewissen aufrütteln"
Am 20. August 1933 veröffentlichte Innitzer einen eindringlichen Appell, "auf übernationaler und interkonfessioneller Grundlage ein allgemeines Hilfswerk für die in Russland vom Hungertode bedrohten Menschen in die Wege zu leiten". Unter dem Titel "Kardinal Innitzer ruft die Welt gegen den Hungertod in Russland auf" wurde der Appell in aller Welt verbreitet. Der Wiener Erzbischof stützte sich in seinem Appell auf Augenzeugenberichte, die u.a. der damalige griechisch-katholische Metropolit von Lemberg, Andrij Scheptytzkyj, gesammelt hatte. Lemberg gehörte damals zu Polen, aber der Metropolit hatte gute Verbindungen über die Grenze in die Sowjetukraine.
Am 16. Oktober 1933 versammelten sich Repräsentanten der katholischen, der orthodoxen und der evangelischen Kirche sowie der Israelitischen Kultusgemeinde auf Einladung Kardinal Innitzers im Wiener Erzbischöflichen Palais. In seiner Ansprache sagte der Kardinal, es sei die Mission Wiens, "wo Angehörige aller Konfessionen und Nationalitäten zusammenleben, entsprechend seiner uralten Funktion als Mittler zwischen West und Ost aufklärend zu wirken und die Weltöffentlichkeit zu einer Hilfeleistung für die vom Hunger bedrohten Mitmenschen in Russland einträchtig aufzurufen".
Am 16./17. Dezember 1933 fand dann - wieder auf Einladung Kardinal Innitzers - im Erzbischöflichen Palais eine internationale Konferenz der Vertreter aller Organisationen statt, die an der Hilfeleistung für die in der Sowjetunion verhungernden Menschen beteiligt waren. In seiner Eröffnungsansprache erklärte der Kardinal, dass es der Zweck der Konferenz sei, das Weltgewissen gegenüber dem Hungersterben in der Sowjetunion aufzurütteln.
Der Konferenz lagen zahlreiche Hilferufe, Berichte und umfangreiches fotografisches Material vor. In der Abschluss-Deklaration wurde klar die vom sowjetischen Regime und dessen "Freunden" im Ausland oft geleugnete Tatsache der Hungerkatastrophe mit Millionen Opfern angesprochen. Zugleich wurde festgestellt, dass diese Opfer hätten vermieden werden können, wenn man die Getreideüberproduktion aus Nord- und Südamerika in die Häfen der Hungergebiete gebracht hätte.
Jedes Jahr am 24. November wird in der Ukraine und in vielen weiteren Länder der Opfer des "Holodomor" gedacht. Mancherorts wird dabei auch an den Einsatz des Wiener Erzbischofs Kardinal Innitzer erinnert.
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