„In krisenhafter USA-Situation müssen wir einen klaren Kopf behalten“

22. November 2018 in Interview


Kardinal Müller, früherer Präfekt der Glaubenskongregation, über die Missbrauchskrise und ihre Verbindung zur Homosexualität unter Priestern. Interview von Maike Hickson/LifeSiteNews


Vatikan (kath.net/LifeSiteNews) In einem Grundsatzinterview hat sich der frühere Präfekt der Glaubenskongregation und frühere Bischof von Regensburg, Kardinal Gerhard Ludwig Müller, gegenüber dem kanadischen Internetportal „LifeSiteNews“ zur Missbrauchskrise in der katholischen Kirche und zur Herbstvollversammlung der US-Bischofskonferenz angesichts der heftigen Krise wegen des inzwischen aus dem Kardinalsstand entlassenen Erzbischofs Theodore McCarrick geäußert.

kath.net dankt S.E. Kardinal Müller für die freundliche Erlaubnis, seine Antworten im deutschen Originaltext veröffentlichen zu dürfen. Außerdem dankt kath.net „LifeSiteNews“ und Dr. Maike Hickson für die freundliche Erlaubnis, das Interview in voller Länge übernehmen zu dürfen.

Hickson: Die US-Bischöfe haben gerade ihre Herbstvollversammlung in Baltimore beendet, bei der ihnen keine Abstimmung über Nationale Richtlinien zur Verwicklung von Bischöfen in Fälle sexuellen Missbrauchs (sowohl durch aktive Eigenschuld wie auch durch Unterlassung oder Vertuschung) erlaubt war, denn dies hatte ihnen der Vatikan untersagt. Die neuen Richtlinien hätten einen Verhaltenscode und ein von Laien geleitetes Gremium beinhaltet, das Missbrauchsvorwürfe gegen Bischöfe untersucht hätte. Viele US-Katholiken hatten auf konkrete Schritte gewartet und sind nun verärgert. Werten Sie diese Entscheidung als weise oder denken Sie, dass die US-Bischöfe hätten fähig sein sollen, ihre eigenen nationalen Richtlinien und ihre eigenen nationale Kommission aufzubauen, genauso, wie es die französischen Bischöfe diesen Monat getan haben?

Kardinal Müller: Man muss strikt unterscheiden, zwischen den Sexualverbrechen und ihrer Aufklärung durch die weltliche Justiz, vor der alle Bürger gleich sind (womit eine eigene lex für die katholische Kirche dem modernen Rechtsstaat widerspräche), und dem kanonischen Verfahren für Geistliche, in dem die kirchliche Autorität die Strafen festlegt, für ein Fehlverhalten, das dem priesterlichen Ethos diametral widerspricht. Der Bischof hat die kanonische Jurisdiktion über jeden Geistlichen seiner Diözese, die in besonderen Fällen mit der Glaubenskongregation in Rom verknüpft ist, die in der Autorität des Papstes handelt. Wenn ein Bischof seiner Verantwortung nicht gerecht wird, dann kann er vom Papst zur Rechenschaft gezogen werden. Die Bischofskonferenzen können Leitlinien zur Prävention und zur kirchenrechtlichen Strafverfolgung erarbeiten, die dem Bischof in seiner Diözese ein wertvolles Instrument an die Hand geben.

In der krisenhaften Situation in den USA müssen wir nun einen klaren Kopf behalten. Mit Lynchjustiz und einer allgemeinen Verdächtigung des gesamten Episkopates oder "Roms" kommen wir nicht weiter. Die Lösung sehe ich nicht darin, dass nun "die" Laien das Heft in die Hand nehmen, weil es die Bischöfe nicht aus eigener Kraft schaffen- wie man meint. Wir können nicht Missstände überwinden, indem wir die hierarchisch-sakramentale Verfassung der Kirche auf den Kopf stellen. Katharina von Siena hat den Päpsten und Bischöfen schonungslos ins Gewissen geredet, sich aber nicht an ihre Stelle gesetzt. Das ist der Unterscheid zu Luther, weshalb wir bis heute an der Spaltung der Christenheit leiden. Wichtig wäre es, dass die US- Bischofskonferenz ihre Aufgaben eigenständig wahrnimmt. Die Bischöfe sind nicht weisungsgebundene Mitarbeiter des Papstes oder wie im Militär Generäle nur Befehlsempfänger, die dem Oberkommando absoluten Gehorsam schulden, sondern sie tragen mit dem Nachfolger Petri als von Christus selbst eingesetzte Hirten Verantwortung für die Universalkirche. Von Rom aber dürfen wir im brüderlichen Geist den Dienst an der Einheit im Glauben und in der Communio der Sakramente erwarten. Es ist die Stunde einer guten Zusammenarbeit bei der Überwindung der Krise und nicht der Polarisierung und der Kompromittierung, so dass man in Rom über die amerikanischen Bischöfe und in Amerika über Rom verärgert ist. Was fehlt sind vertrauensbildende Maßnahmen.

Hickson: Ein wesentlicher Teil der Vollversammlung der US-amerikanischen katholischen Bischofskonferenz kreiste immer noch um den McCarrick-Skandal und darum, wie es möglich war, dass jemand wie McCarrick zu den höchsten [Leitungs-]Ebenen der katholischen Kirche in den USA aufsteigen konnte, einschließlich des sich daraus ergebenden starken Einflusses in Rom. Was denken Sie selbst über die Causa McCarrick und was sollte die Kirche aus der Tatsache lernen, dass ein Schweigenetz einen Mann umgab, der sich in seinem Leben ständig den kirchlichen Gesetzen verweigerte, in dem er Homosexualität praktizierte, indem er Seminaristen, die von ihm abhängig waren, verführte und sie so in die Sünde führte, und der – das wiegt am allerschwersten – Minderjährige missbrauchte?

Kardinal Müller: Ich kenne ihn nicht und will mich eines Urteils enthalten. Ich hoffe, dass es bald zu einem kanonischen Prozess bei der Glaubenskongregation kommt, auch mit der Aufklärung über die Sexualverbrechen an jungen Seminaristen. Mir hat in meiner Zeit als Präfekt der Glaubenskongregation (2012-2017) niemand etwas von der ganzen Problematik mitgeteilt, wahrscheinlich weil man von meiner Seiter eine zu "rigide" Reaktion befürchtet hat. Die so oft beklagte Rigidität hätte uns vor vielem bewahrt. Dass er mit seinem Clan und geschützt von einer Homo-Lobby mafiös in der Kirche sein Unwesen treiben konnte, hängt mit einer Unterschätzung der moralischen Verwerflichkeit homosexueller Praxis unter Erwachsenen zusammen. Auch wenn man in Rom angeblich nur Gerüchte gehört hatte, musste man der Sache nachgehen und die Vorwürfe auf ihren Wahrheitsgehalt prüfen und auch von einer Promotion in ein bedeutenderes Bistum der Hauptstadt Washington und die Ernennung zum Kardinal der Heiligen Römischen Kirche verzichten. Wenn schon einmal Schweigegeld bezahlt wurde und damit ein Eingeständnis der Sexualverbrechen an jungen Männern vorliegt, dann fragt sich jeder vernünftige Mensch, wie so ein Mann Berater bei Bischofsernennungen sein kann. Ich weiß nicht, ob das zutrifft, aber es wäre zu klären. Der Mietling hilft bei der Suche nach guten Hirten für die Gemeinde Gottes- das kann niemand verstehen. Hier müsste ganz eindeutig eine Erklärung über die Vorgänge und Zusammenhänge sowie den jeweiligen Wissenstand der beteiligten kirchlichen Autoritäten an die Öffentlichkeit kommen eventuell auch mit einem Eingeständnis der Fehleinschätzung von Personen und Situationen.

Hickson: Haben Sie in den vergangenen fünf Jahren Vorgänge mitbekommen, in denen dem damaligen Kardinal McCarrick nennenswerter Einfluss oder Spezialaufgaben entweder für den Papst oder für den Vatikan gegeben wurden?

Kardinal Müller: Wie gesagt, mir wurde nichts davon mitgeteilt. Man erklärte, dass die Glaubenskongregation nur für den sexuellen Missbrauch von Heranwachsenden aber nicht von Erwachsenen zuständig sei, als ob die Unzucht von Klerikern mit Klerikern oder Laien nicht auch ein schwerer Verstoß gegen den Glauben und die Heiligkeit der Sakramente wäre. Ich habe immer wieder darauf hingewiesen, dass auch homosexuelles Verhalten von Klerikern in keinem Fall geduldet werden kann und dass die kirchliche Sexualmoral nicht durch die weltliche Akzeptanz der Homosexualität relativiert werden darf. Es muss auch unterschieden werden ein sündiges Verhalten im Einzelfall, von einem Verbrechen oder einem Leben in einem dauernden sündigen Zustand.

Hickson: Ein Probleme in der Causa McCarrick ist, dass es schon in den Jahren 2005 und 2007 rechtliche Abmachungen mit einigen seiner Opfer gab, doch die Erzdiözese Newark – damals geleitet von Erzbischof John Myers – informierte weder die Öffentlichkeit darüber noch die eigenen Priester. Der Bischof hielt dadurch wichtige Informationen für jene zurück, die noch bei McCarrick arbeiteten oder ihm vertrauten. Das gleiche tat auch Kardinal Joseph Tobin, als er 2017 der Erzbischof von Newark wurde. Meines Wissens haben weder Myers noch Tobin eine Entschuldigung für diese Unterlassung und für den Vertrauensbruch gegenüber ihren Priestern veröffentlicht. Finden Sie, dass die Erzdiözese. die die faktischen rechtlichen Abmachungen hätte öffentlich bekannt machen sollen, besonders seit 2002 die US Dallas Charta zu mehr Transparenz aufgefordert hatte?

Kardinal Müller: Man ging früher davon aus, man könne solche schweren Fälle unter der Hand lösen. Aber der Täter konnte nun weiterhin das Vertrauen in einen Bischof missbrauchen. In der jetzigen Situation haben die Katholiken und die Öffentlichkeit ein moralisches Recht auf eine Bekanntgabe der Vorgänge. Es geht nicht um Anklage, sondern darum, aus den Fehlern zu lernen.

Hickson: Kann so ein moralisches Problem eigentlich jemals durch Aufsetzen neuer Richtlinien gelöst werden, oder brauchen wir hier vielmehr in der Kirche eine tiefere Bekehrung der Herzen?

Kardinal Müller: Der Ursprung der gesamten Krise liegt in einer Verweltlichung der Kirche und in einer Reduktion des Priesters auf einen Funktionär. Wenn Bischöfe die Kirche säkularisieren wollen, damit sie nicht mehr als unbequeme Mahner und Leute von gestern dastehen wollen, dann müssen sie schnellstmöglich natürlich die Wahrheit des Dogmas und die Prinzipien der Moral zu unerreichbaren Ideen und Normen erklären, die nicht mehr mit ihrer Lebenswirklichkeit übereinstimmen. Letztlich ist es der Atheismus, der sich in der Kirche breitgemacht hat. In diesem Ungeist wird die Offenbarung in Glaube und Moral an die "Welt ohne Gott" angepasst, so dass sie einem Leben nach den eigen Lüsten und Bedürfnissen nicht mehr im Wege steht. Nur etwa 5% der Täter werden als krankhaft pädophil eingeschätzt, während die große Masse der Täter freiwillentlich aus Unmoral das 6. Gebot des Dekalogs mit Füßen getreten und sich so blasphemisch über den heiligen Willen Gottes hinweggesetzt haben.

Hickson: Wie stehen Sie zu dem Vorschlag, ein neues Kirchengesetz zu erlassen, das für Missbrauchspriester die Exkommunikation vorsieht?

Kardinal Müller: Die Exkommunikation ist eine Beugestrafe und muss bei der Reue des Täters sofort aufgehoben werden. Aber bei schwerem Missbrauch und anderen Delikten gegen den Glauben und die Einheit der Kirche kann die dauernde Entlassung aus dem Klerikerstand, d.h. das dauernde Verbot priesterlich zu wirken, verhängt werden.

Hickson: Der ältere Codex Iuris Canonici von 1917 hatte eine klare Zusammenstellung von Strafen gegen einen Missbrauchspriester, ebenso auch gegen einen homosexuell aktiven Priester. Diese Strafen wurden im Codex von 1983 größtenteils entfernt, der eher vage bleibt und homosexuelle Akte nicht einmal erwähnt. Finden Sie, dass angesichts der schweren Missbrauchskrise die Kirche in diesen Fällen zu einer strengeren Zusammenstellung automatischer Strafen zurückkehren sollte?

Kardinal Müller: Das war ein verhängnisvoller Irrtum. Man wollte nur das Gute sagen in der Meinung, dadurch erledige sich das Schlechte von selbst. Es gehe im Christentum um Gnade und Liebe und nicht um Recht und Strafe. Man übersah, dass das Gegenteil von Recht nicht die Liebe ist, sondern das Unrecht und das Böse. Sexuelle Kontakte zwischen Personen gleichen Geschlechts widersprechen dem in der Schöpfung Grund gelegten Sinn von Geschlechtlichkeit diametral. Sie sind Ausdruck eines ungeordneten Triebverlangens, wie es Kennzeichen eines von der Erbsünde zerrütteten Verhältnisses des Menschen zu seinem Schöpfer ist. Die Priester im Zölibat oder die verheirateten Priester des östlichen Ritus müssen Vorbilder der Herde sein und auch ein Beispiel geben, dass die Erlösung auch den Leib und die leiblichen Triebe umfasst. Nicht die wilde Gier nach der Befriedigung, sondern die leibliche und geistige Überantwortung in der Agape an eine Person des anderen Geschlechtes ist der Sinn der Sexualität, die nur in der ehelichen Lebensform Gott gefällig und heilsam ist. Dies führt zur Verantwortung für die Familie und die von Gott geschenkten Kinder.

Hickson: Während der Herbstvollversammlung in Baltimore behauptete Kardinal Blase Cupich, man müsse „differenzieren“ zwischen einvernehmlichen sexuellen Kontakten zwischen Erwachsenen und dem Missbrauch Minderjähriger, was mit einschließt, dass die homosexuelle Beziehung eines Priesters zu einem anderen Erwachsenen kein Hauptproblem darstelle. Was ist Ihre eigene Antwort auf diesen Zugang?

Kardinal Müller: Man kann alles differenzieren und sich dabei noch als großer Intellektueller vorkommen, aber nicht die schwere Sünde relativieren, die vom Reich Gottes ausschließt, zumindest nicht als der Bischof, der nicht dem Zeitgeschmack, sondern der "Wahrheit des Evangeliums" Gal 2,24) verpflichtet ist. Jedenfalls trat Paulus offen und klar dem Petrus entgegen, der sich durch sein falsch interpretierbares Verhalten "ins Unrecht gesetzt hatte" (Gal 2, 11). Der hl. Augustinus und der hl. Thomas von Aquin haben Petrus gelobt, weil er den Tadel seines Mit-Apostels demütig zum Wohl der Universalkirche angenommen hatte. Nur so können wir die Zeit überstehen, „in der man die gesunde Lehre nicht erträgt, sondern sich nach eigenen Wünschen immer neue Lehrer sucht, die den Ohren schmeicheln; und man wird der Wahrheit nicht mehr Gehör schenken, sondern sich Fabeleien zuwenden“. (2 Tim 4,3f).

Hickson: In Ihrer Tätigkeit als Präfekt der Glaubenskongregation hatten Sie den Überblick über viele Fälle sexuellen Missbrauchs durch Kleriker, die die Glaubenskongregation untersuchte. Ist es wahr, dass die Mehrheit der Opfer in diesen Fällen männliche Heranwachsende waren?

Kardinal Müller: Über 80% der Opfer dieser Sexualverbrecher sind Jugendliche männlichen Geschlechts, der größte Teil schon nach der Pubertät. Daraus kann man aber nicht schließen, dass die Mehrheit der Priester zur homosexuellen Unzucht neigen, sondern nur dass die Mehrheit der Täter in einer tiefen Unordnung ihrer Triebwelt sich männliche Opfer ausgesucht haben. Aus der gesamten Kriminalstatistik wissen wir, dass die Mehrheit der Täter von Kindesmissbrauch die eigenen Verwandten, sogar die eigenen Väter der Kinder sind. Aber wir können daraus nicht folgern, dass die Mehrheit der Väter zu solchen Verbrechen neigt. Man muss mit Verallgemeinerungen aus konkreten Fällen heraus immer sehr vorsichtig sein, damit man nicht auf Slogans und antiklerikale Vorurteile hereinfällt.

Hickson: Sowohl die Missbrauchsstudie der Deutschen Bischofskonferenz wie auch der John Jay Report zeigt ähnliche Ergebnisse. Sollte dann die Kirche nicht besser direkt das Problem homosexueller Priester angehen?

Kardinal Müller: Meiner Ansicht nach gibt es keine homosexuellen Männer oder gar Priester. Gott hat den Menschen als Mann und Frau geschaffen. Es kann aber Männer und Frauen geben mit einer ungeordneten Triebstruktur in Bezug auf Personen des eigenen oder anderen Geschlechtes. Sexuelle Gemeinschaft hat ihren Ort ausschließlich in der Ehe von Mann und Frau. Außerhalb gibt es Unzucht und Missbrauch der Geschlechtlichkeit sowohl mit den Personen anderen Geschlechts und in einer widernatürlichen Steigerung der Sünde mit Personen des gleichen Geschlechts. "Hütet euch vor der Unzucht. Jede andere Sünde ist, die der Mensch tut, bleibt außerhalb des Leibes. Wer aber Unzucht treibt, versündigt sich gegen den eigenen Leib. Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch wohnt und den ihr von Gott habt?" ( 1Kor 6,18f). Dies ist nicht eine zeitbedingte, sondern eine unzuchtskritische Lehre, die man nicht zynisch so "weiterentwickeln" kann, dass wir am Ende durch die Unzucht Gott verherrlichen Nur wer gelernt hat, sich zu beherrschen, erfüllt neben andern auch die moralische Voraussetzung für den Empfang der Priesterweihe (vgl. 1 Tim 3,1-7).

Hickson: Wir haben aktuell in der Kirche die Situation, dass es nicht einmal einen Konsens dazu gibt, der anerkennt, dass homosexuell aktive Priester einen großen Anteil an der Missbrauchskrise haben. Selbst manche Vatikandokumente sprechen noch immer von „Pädophilie“ oder von „Klerikalismus“ als dem Hauptproblem. Der italienische Journalist Andrea Tornelli geht sogar soweit zu behaupten, dass McCarrick keine homosexuellen Beziehungen hatte, sondern dass es hier eher um seine Machtausübung über andere gegangen sei. Gleichzeitig haben wir weitere Personen, etwas den Jesuitenpater James Martin, der in der Welt herumreist (und sogar zum Weltfamilientreffen in Irland eingeladen war) und die Vorstellung von „LGBT-Katholiken“ verbreitet, der sogar behauptet, dass einige Heilige homosexuell gewesen sein könnten. Könnten Sie hier zustimmen? Falls ja: Wie könnte und sollte dies gelöst werden?

Kardinal Müller: Es ist Teil der Krise, dass man die wahren Ursachen nicht sehen will und durch Propagandaphrasen der Homo-Lobby vertuscht. Unzucht mit Jugendlichen und Erwachsenen ist eine Todsünde, die keine Macht der Welt für moralisch neutral erklären kann. Das ist das Werk des Teufels, vor dem Papst Franziskus oft warnt, dass er die Sünde für gut erklärt. „Manche werden vom Glauben abfallen und sich betrügerischen Geistern zuwenden, getäuscht von trügerischen Lügnern, deren Gewissen verdorben ist.“ (1 Tim 4, 1f). Es ist schon absurd, dass auf einmal kirchliche Stellen, die antikirchlichen Kampfparole der Jakobiner, Nazis und Kommunisten gegen die sakramental geweihten Priester einsetzen. Die Priester haben die Vollmacht, das Evangelium zu verkünden und die Sakramente der Gnade zu spenden. Wenn jemand seine Jurisdiktion missbraucht, um selbstsüchtige Ziele wie Macht und Ansehen zu erreichen, ist er nicht im übertriebenen Sinn klerikal, sondern selbst antiklerikal, weil er Christus, der durch ihn wirken will, verleugnet. Des Klerikalismus in ihrem eigenen Sinn gegen die rechtgläubigen und eifrigen Priester machen sich diejenigen schuldig, die mit dieser unsäglichen Parole vor den Kirchenfeinden diffamieren. Sie wollen sich ins warmen Mäntelchen des Zeitgeistes einkleiden, um als modern und zeitgemäß anzukommen auf Kosten ihrer Mitbrüder. Klerikalismus als Vorwurf gegen gute Priester dient der homophilen Lobby als Vernebelung ihrer Missetaten und unchristlichen Ideologie. Aber es ist offensichtlich und kann nur von einem, der blind sein will, geleugnet werden, dass Sünden gegen das 6. Gebot des Dekalogs aus der ungeordneten Neigung kommen und darum Sünden der Unzucht sind, "die vom Reich Gottes ausschließen" ( 1 Kor 6,10), jedenfalls solange sie nicht gebüßt und bereut werden und der feste Vorsatz besteht, die Sünde in Zukunft zu meiden. Diese ganz Vernebelungsaktion ist ein schlimmes Zeichen der Verweltlichung der Kirche. Man denkt, wie die Welt will, aber nicht wie Gott es will.

Hickson: Neulich konnten bei der Jugendsynode des Vatikans ähnliche Töne gehört werden. Das Arbeitsdokument benutzt zum ersten Mal den Terminus „LGBT“, und das Schlussdokument betonte, es sei notwendig, Homosexuelle in der Kirche willkommen zu heißen, es lehnte sogar „jede Form“ ihrer „Diskriminierung“ ab. Doch untergraben solche Äußerungen nicht effektiv die gängige kirchliche Praxis, keine praktizierenden Homosexuellen einzustellen, beispielsweise als Lehrer an katholischen Schulen?

Kardinal Müller: Die LGBT-Ideologie baut auf einer falschen Anthropologie auf, die Gott den Schöpfer leugnet. Da sie im Prinzip atheistisch ist oder vielleicht mit einem nicht christlichen Gottesbegriff nur am Rande zu tun hat, hat sie in kirchlichen Dokumenten nichts zu suchen. Das ist ein Beispiel für den schleichenden Einfluss des Atheismus in der Kirche, der verantwortlich ist für die Krise der Kirche seit einem halben Jahrhundert. Leider macht er auch vor dem Denken mancher Hirten nicht halt, die im naiven Glauben, modern sein zu wollen, gar nicht das Gift merken, das sie jeden Tag einschlürfen und das sie fahrlässig anderen zu trinken anbieten.

Hickson: Kann man jetzt möglicherweise erkennen, dass es eine starke „Gay Lobby“ innerhalb der höheren Ebenen der Katholischen Kirche gibt?

Kardinal Müller: Das weiß ich nicht, weil solche Leute sich mir nicht zu erkennen geben. Aber es könnte sein, dass es ihnen recht war, dass ich nicht mehr in der Kongregation für die Glaubenslehre mit der Aufarbeitung von Sexualverbrechen gerade auch an männlichen Jugendlichen beauftragt bin. Auf jeden Fall haben diejenigen, die den katholischen Glauben häretisch verfälschen wollen, laut aufgejubelt. Da sie ja keine Argumente haben gegen den katholischen Glauben, agitieren sie gegen seine Vertreter. Für einen normalen Katholiken ist der Glaube die Annahme der geoffenbarten Wahrheit Dei verbum 5), während für andere das Glaubensbekenntnis das Ergebnis der herrschenden Ideologie ist, die von der jeweiligen kirchlichen Autorität mit Macht und Geschick herbei manipuliert wird.

Hickson: Neulich haben Sie erwähnt, dass während Sie für die Glaubenskongregation arbeiteten, der Papst eine Kommission aufgebaut hat, die die Glaubenskongregation zu Strafen für Missbrauchspriester beraten sollte. Allerdings habe die Kommission zu einer eher milden Haltung gegenüber Missbrauchspriestern tendiert, während Sie in schweren Fällen die Laisierung wünschten (so etwa im Fall des Priesters Mauro Inzoli). Letztes Jahr enthüllte dann das Jesuitenmagazin „Amerika“, dass zur Zeit Ihrer Entlassung vom Amt des Präfekten der Glaubenskongregation „mehrere Kardinäle Franziskus darum gebeten haben, Kardinal Müller aus seinem Amt zu entlassen, denn er hat in mehreren Fällen öffentlich nicht mit der Position des Papstes übereingestimmt bzw. sich davon distanziert, und sie haben den Eindruck, dies unterminiere Amt und Lehramt des Papstes“. Sehen Sie möglicherweise einen Zusammenhang zwischen Ihren eigenen strengeren Maßstäben und Haltung gegenüber Missbrauchspriestern und einer Gruppe von papstnahen Kardinälen, die eine milderen Umgangsweise wünschen? Falls dies nicht der Fall ist, würden Sie dann weiterhin vertreten, dass Sie wegen Ihrer festeren Verteidigung der Rechtgläubigkeit entfernt wurden?

Kardinal Müller: Der Primat des Papstes wird von den Schmeichlern und Karrieristen am päpstlichen Hof unterminiert- so sagte es schon der berühmte Theologie Melchior Cano im 16. Jahrhundert, und nicht von denen, die ihn theologisch qualifiziert beraten und vor allem den Bischöfen, die mit ihm zusammen das eine Lehramt der Kirche bilden. Wenn dies zutrifft, dass eine Gruppe von Kardinälen beim Papst mich der Abweichung von seinen Ideen beschuldigt hätte, dann ist es um die Kirche schlecht bestellt. Wenn dies mutige und aufrichtige Männer wären, hätten sie mit mir gesprochen und wissen müssen, dass ein Bischof und Kardinal die Lehre des katholischen Glaubens vertritt und sich nicht nach den jeweiligen Privatmeinung des Papstes und erst recht nicht seines privaten Freundeskreises auszurichten hat. Sie können mir vielleicht vorwerfen, dass ich "Amoris laetitia" orthodox auslege, aber sie können mir nicht nachweisen, dass ich von der katholischen Glaubenslehre abweiche. Wir müssen nicht allein mit einem lehramtlichen Dokument übereinstimmen, sondern grundlegend muss dieses Dokument mit der Offenbarung in Schrift und Tradition und den bisherigen dogmatischen Definitionen übereinstimmen (vgl. Dei verbum 10). Es ist nichts un-katholischer als ein Lehramtspositivismus. Zudem ist es ärgerlich, dass theologisch ungebildete Leute in den Bischofsrang erhoben werden, die unfähig sind zu lehren" ( 2 Tim 2,2) und dies dem Papst mit einer infantilen Ergebenheit meinen danken zu müssen. Vielleicht hätten sie vorher auch einmal mein Buch: Der Papst. Sendung und Auftrag, Herder 2017. (Deutsch und spanisch; italienisch und englisch in Vorbereitung) lesen sollen. Dann könnten wir auf diesem Niveau weiter diskutieren. Das Lehramt der Bischöfe und des Papstes steht unter dem Wort Gottes in Schrift und Tradition und dient ihm. Es ist keineswegs katholisch zu sagen, dass der Papst als einzelne Person unmittelbar vom Heiligen Geist die Offenbarung empfängt und sie nach seinem Gusto auslegen darf, während alle anderen dem nur blind und stumm zu folgen hätten. Amoris laetitia muss unbedingt mit der Offenbarung übereinstimmen und nicht wir bedingungslos mit Amoris laetita zumindest in der Lesart, die häretisch dem Wort Gottes widerspricht. Und es wäre Missbrauch der apostolischen Vollmacht, diejenigen zu disziplinieren, die auf einer orthodoxen Auslegung dieses und aller päpstlichen Lehrdokumente bestehen. Nur wer im Stande der Gnade ist, kann auch fruchtbar die hl. Kommunion empfangen. Diese geoffenbarte Wahrheit kann keine Macht der Welt umstoßen und kein Katholik darf jemals das Gegenteil glauben oder zum gegenteiligen Bekenntnis gezwungen werden.

Hickson: In welchen Gebieten haben Sie sich als Präfekt der Glaubenskongregation am stärksten den für die Kirche vorgeschlagenen Neuerungen widersetzt? Welche Teile Ihres Zeugnisses halten Sie nun im Rückblick für diejenigen, die am meisten zu Ihrer Entlassung beigetragen haben und dazu, dass man Sie nicht einmal auf eine andere Vatikanposition berief?

Kardinal Müller: Ich habe mich keiner Innovation oder Reformen im katholischen Sinne des Wortes widersetzt. Denn Reform bedeutet Erneuerung in Christus, nicht Anpassung an die Welt (vgl. Röm 12,2). Mir wurde bisher nicht mitgeteilt, was der Grund der Nichtverlängerung meines Mandates war. Dies ist ungewöhnlich, weil der Papst sonst alle Präfekten weitermachen lässt. Es gibt keinen Grund, den man sich zu sagen getraut, ohne sich lächerlich zu machen. Man kann nicht im strikten Gegensatz zu Papst Benedikt sagen (in: G. Augustin, Der dreifaltige Gott. FS Kard. Müller, Herder 2017, 7-10), Müller fehlt die theologische Qualifikation, er sei nicht orthodox oder er war nachlässig bei der Verfolgung von Straftaten gegen den Glauben und in den Fällen der Sexualverbrechen. Deshalb schweigt man lieber und überlässt den linksliberalen Medien hämische und schadenfrohe Bemerkungen.

Hickson: Einige Beobachter vergleichen zur Zeit Ihre Entfernung aus Ihrer wichtigen Vatikanposition – welche gewiss auch Ihrem eigenen höflichen Widerstand bezüglich Amoris laetitia geschuldet ist – mit der milden Behandlung, die jemand wie der Ex-Kardinal McCarrick erfahren hat. Selbst jetzt ist McCarrick trotz seines kriminellen Verhaltens noch nicht einmal laisiert worden. Das wirkt nun auf manche so, als ob jene, die versuchen, die katholische Lehre bezüglich Ehe und Familie so zu erhalten, wie sie immer gelehrt worden war, zur Seite geschoben werden, während jene, die Neuerungen in diesem Gebiet der Moral befürworten, mild behandelt werden oder sogar gefördert werden, wie beispielsweise Kardinal Cupich oder Pater James Martin. Möchten Sie dies kommentieren?

Kardinal Müller: Darüber kann sich jeder seine Gedanken machen, nach welchen Kriterien die einen gefördert und geschützt werden und andere bekämpft und ausgeschaltet werden.

Hickson: Während es den Anschein hat, dass rechtgläubige Kirchenmänner unterdrückt und progressive Repräsentanten gefördert werden, hat der Jesuitenpater Ansgar Wucherpfennig nun vom Vatikan die Erlaubnis erhalten, seine Position als Rektor der Jesuitenhochschule in Frankfurt zurückzukehren, obwohl er die Weihe für Frauen und die Segnung homosexueller Paare befürwortet. Er wurde nun sogar beauftragt, zu diesen Fragen Artikel zu veröffentlichen. Wie würden Sie diese Entwicklung kommentieren?

Kardinal Müller: Das ist ein Beispiel, wie die Autorität der römischen Kirche sich selbst unterminiert und die klare Expertise der Glaubenskongregation an die Seite geschoben wird. Wenn dieser Pater die Segnung homosexueller Beziehungen als Ergebnis einer Lehrentwicklung, für die er sich weiterhin einsetzt, bezeichnet, ist das nichts weiter als Atheismus im Christentum. Er leugnet nicht theoretisch die Existenz Gottes, sondern leugnet ihn als Ursprung der Moralität, indem er das als einen Segen ausgibt, was bei Gott als Sünde gilt. Geleugnet wird auch die Wahrheit, dass keiner aufgrund seiner erbsündig geschädigten Natur sündigen muss, wenn er nur die Gnade Gottes erfleht, die uns vor bösen Taten bewahrt und uns hilft, das Gute zu tun. Dass der Empfänger des Weihesakraments (in seinen drei Stufen) männlichen Geschlechtes sein muss, ist nicht das Ergebnis kulturbestimmter Umstände oder einer positiven, aber veränderbaren kirchlichen Gesetzgebung, sondern ist in der Natur dieses Sakraments begründet, so wie auch die Natur des Ehesakraments den Unterschied der beiden Geschlechter voraussetzt.

Hickson: Haben Sie anhand Ihrer eigenen Beobachtungen den Eindruck, dass sich die Kirche einer ausreichenden, konsequenten Kontrolle über die Missbrauchskrise annähert und dass sie die richtigen Heilmittel gefunden hat? Oder was halten Sie aktuell für das Haupthindernis einer grundlegenden Verbesserung.? Wie kann die Kirche ihre Glaubwürdigkeit in den Augen katholischer Familien wieder zurückgewinnen?

Kardinal Müller: Die ganze Kirche mit ihren den Priestern und Bischöfen muss Gott mehr gefallen als den Menschen. Der Gehorsam des Glaubens ist unser Heil.

kath.net-Buchtipp
Der Papst. Sendung und Auftrag
Von Gerhard L. Kardinal Müller
Hardcover, 608 Seiten
2017 Herder, Freiburg
ISBN 978-3-451-37758-7
Preis Österreich
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Archivfoto Kardinal Müller


Archivfoto Kardinal Müller (c) Bistum Regensburg


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