Phrase 'Willkommenskultur ist der beste Schutz vor Terror'

2. April 2019 in Buchtipp


Leseprobe 1 aus dem neuen Buch von Alexander Kissler: Widerworte – Warum mit Phrasen Schluss sein muss


Linz (kath.net)
Auszug 1 – aus dem Kapitel zur Phrase „Willkommenskultur ist der beste Schutz vor Terror“

Jedem Willkommen geht ein Abschied voraus. „Am Anfang ist immer der Abschied.“ (Botho Strauß) Alle Abschiede beginnen im Willkommen. Das Willkommen freilich soll in der Willkommenskultur auf Dauer gestellt sein. Kann das funktionieren? Kultur ist ein nachhaltiges Phänomen. Sie braucht Zeit, bedarf der langen Dauer. Das Entstehen von Jahresringen am Baum lässt sich ebenso wenig beschleunigen wie die Heimischwerdung von Zugewanderten.

„In der Vergangenheit“, gibt der israelische Historiker Yuval Noah Hariri in seinen „21 Lektionen für das 21. Jahrhundert“ zu bedenken, „brauchten Zivilisationen, die Fremde aufnahmen und sie zu gleichberechtigten Bürgern machten – wie etwa das römische Kaiserreich, das muslimische Kalifat, die chinesischen Großreiche und die Vereinigten Staaten –, Jahrhunderte und nicht Jahrzehnte, um diese Veränderung zu erreichen.“ Darum ist „Willkommenskultur“ ist ein Begriffsungetüm. Es zwingt zusammen, was kategorial auseinander strebt, das Punktuelle und das Dauernde, den Moment und die Generationenfolge. (…)

Das Begriffsungetüm machte trotz aller logischen Inkonsistenz rasch Karriere. Ohne „Willkommenskultur“ war in den Jahren nach 2009 kaum eine Diskussion zu bestreiten. Man wollte praktisch oder wenigstens rhetorisch dabei sein, als Deutschland freundlich wurde. Man wollte für gut erkannt werden, indem man neuen Menschen Gutes tat. Ob es sich um Flüchtlinge, Asylbewerber oder Migranten handelte und wer für die Kosten der allgemeinen moralischen Erhebung aufkam, kümmerte kaum.

Nationale Kraftanstrengungen darf auch in Demokratien niemand hinterfragen, der sich zur Nation zählen will. Klammheimlich kehrte, ohne dass es explizit ausgesprochen worden wäre, der Vaterlandsverräter zurück: als Saboteur an der Willkommenskultur.

Anfang Februar 2011 schaltete das „Bundesamt für Migration und Flüchtlinge“ unter der Überschrift „Zeichen für eine Willkommenskultur stärken“ seine neugestaltete mehrsprachige Webseite www.bamf.de frei. Die Rubrik „Willkommen in Deutschland“ wurde besonders herausgestellt. Im Mai 2011 definiert das Bundesamt Willkommenskultur „vor allem im Sinne der Attraktivität Deutschlands für hochqualifizierte Zuwanderer. Eine Willkommenskultur wird aber auch für bereits hier lebende Menschen mit Migrationshintergrund gefordert.“

Wie bei den Aktivitäten der späteren Willkommens-SPD sollen Menschen willkommen geheißen, also freundlich begrüßt und substanziell unterstützt werden, die dem deutschen Arbeitsmarkt guttun.

Der willkommene ist der qualifizierte Migrant – der freilich nach der Grenzöffnung von September 2015 mehr und mehr zur Ausnahme wird, wodurch das Willkommenskulturkonstrukt zu bersten droht. Der ungebildete Wirtschaftsmigrant: hat er Anspruch auf dieselbe „Wertschätzung durch die Aufnahmegesellschaft“, wie sie das Bundesamt forciert?

Wie sollen „eine ausgeprägte Anerkennungskultur und eine insgesamt offene Gesellschaft“ mit dem nach langwierigen Verfahren nicht anerkannten Asylbewerber umgehen? Solche Fragen wurde vor 2015 selten diskutiert. Man wollte sich bereichert sehen und gerechtfertigt.

Im März 2012 deutete die damalige Bundesbildungsministerin Annette Schavan von der CDU wie zuvor das Bundesamt und wie auch SPD und Kanzlerin Willkommenskultur als wirtschaftliches Erfordernis: „In Zeiten einer schrumpfenden Bevölkerung gilt mehr denn je, dass wir Zuwanderung als Chance begreifen müssen und nicht als Bedrohung. (…) Wir alle müssen offen sein für den Dialog mit anderen Kulturen und Religionen.“ Das doppelte Müssen ist bemerkenswert. Ein kategorischer Moralbefehl wird aufgestellt. Wer nicht mitzieht, ist kein Deutscher?

Wer da zweifelt, soll sich schämen? Natürlich hängt es von der Qualität und dem Modus jeder Zuwanderung ab, ob sie die aufnehmende Gesellschaft bedroht oder bereichert; natürlich ist es nicht ausgemacht, ob die digitalisierte Arbeitswelt an schrumpfender Bevölkerung wirklich litte – laut einer Studie des Weltwirtschaftsforums von September 2018 sollen bis zum Jahr 2025 beachtliche 52 Prozent aller Arbeitsstunden weltweit Maschinen und Algorithmen erledigen; und natürlich kann es keine verordnete Pflicht zur interreligiösen Offenheit geben. Schön wäre diese, unbedingt, doch dazu braucht es immer mindestens zwei Seiten. Nur autoritäre Staaten können Weltanschauungen verordnen. (…)

Womöglich war der September 2015 der Durchbruch zum neuen Narrativ von der Willkommensrepublik Deutschland. Als die Bundesregierung unter Kanzlerin Merkel tat, wozu sie laut Grundgesetz nicht verpflichtet war, und Migranten, die über Ungarn nach Österreich gekommen waren, ungeprüft ins Land ließ, brach sich faktisch eine neue Gesellschaft Bahn.

Angela Merkel zufolge besteht „unsere Gesellschaft“ bereits zweieinhalb Jahre später aus „denen, die als Deutsche hier schon immer leben, und denen, die zu uns kommen“ (Regierungserklärung im März 2018). Wir – das sind spätestens Anfang 2018 „alle Menschen in unserem Land“. Der Status quo aus Sicht der Bundesregierung lautet: Man braucht keine deutsche Staatsbürgerschaft, um Teil der deutschen Gesellschaft zu sein. Wer da ist, gehört erst einmal dazu. Bedarf es da einer Willkommenskultur?

Eine Kultur, die prägen und binden und Identität schaffen kann, braucht es desto mehr, je schneller sich solche Eingemeindung der Mengen vollzieht. Daran hapert's. Wenn die Grünen darauf beharren, nur sie seien „eine Garantie für eine Politik der Willkommenskultur und der offenen Wertegesellschaft“, tunken sie sich am eigenen Schopf in die Brache der Gedankenlosigkeit. Auf unqualifizierten Willkommensgrüßen lässt sich keine Kultur gründen, Werte haben immer eine begrenzende Funktion und sind deshalb ein Korrektiv, kein Supplementum der Offenheit.

Zu welch halsbrecherischen rhetorischen Operationen die Rabulistik der Willkommenskultur verleiten kann, zeigte sich am 15. November 2015. Die deutsch-österreichische Grenzöffnung lag sechs Wochen zurück, die Bilder der Migrantentrecks auf Autobahnen wie der Teddybärengeschenke vom Münchner Hauptbahnhof waren noch frisch, und zwei Tage zuvor hatten Terroranschläge in Paris über 130 Tote und fast 700 Verletzte gefordert. Das Massaker bei einem Rockkonzert im „Bataclan“-Theater gehört zu den abscheulichsten islamistischen Attentaten überhaupt. Am 15. November 2015 also gab die grüne Spitzenpolitikerin Katrin-Göring Eckardt dem Mitteldeutschen Rundfunk ein Interview, in dem sie erklärte: „Willkommenskultur ist der beste Schutz vor Terroristen.“ Zu diesem Zeitpunkt rangen in Paris noch Besucher des „Bataclan“ mit dem Tod. Ihr Schmerz, ihr Leid, ihre Qual wären ihnen erspart geblieben, wenn Frankreich das willkommenskulturelle Optimum vollbracht hätte?

Die muslimischen Mörder mordeten, weil sie sich von der nichtmuslimischen Mehrheitsgesellschaft nicht hinreichend angenommen fühlten? Weil es an effektiven Integrationsbemühungen mangelte? Weil der französische Staat keinen hinreichend großen pädagogischen Ehrgeiz entwickelt hatte? Der Satz wird doppelt mürbe dadurch, dass Papst Franziskus ihn im September 2016 bestätigte: „Erinnert euch daran, dass echte Gastfreundschaft (…) unsere größte Sicherheit gegen hasserfüllte Akte des Terrorismus ist.“

kath.net Buchtipp
Widerworte – Warum mit Phrasen Schluss sein muss
Autor: Alexander Kissler
ISBN: 9783579014746
Gütersloher Verlagshaus 2019
Preis: Euro 18,-

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