Nicaragua: Eine Kirche an der Seite des Volkes

17. April 2019 in Weltkirche


Auch ein Jahr nach Beginn der Proteste bleibt die Lage angespannt - Kardinal zitiert Papst Pius X.: „Gib mir eine Armee, die den Rosenkranz betet, und wir werden die Welt verändern“. Von Ines San Martin und Tobias Lehner


Matagalpa (kath.net/KIN) „Sie kommen in einer schwierigen Zeit“, begrüßt ein Priester aus dem Bistum Matagalpa, 130 Kilometer nördlich der Hauptstadt Managua, eine Delegation des päpstlichen Hilfswerks „Kirche in Not“. Er möchte anonym bleiben, „aus Sicherheitsgründen“.

Die Angst ist in dem mittelamerikanischen Land allgegenwärtig. Daran ändern auch die Plakate nichts, die überall in den Straßen von Matagalpa hängen. Sie sprechen von einem „christlichen, sozialistischen und solidarischen“ Zusammenleben. Sie stehen im Gegensatz zu den Polizeitrupps und militärischen Einheiten, die durch die Stadt patrouillieren. Ihr Ziel: Die Bevölkerung von Protesten abhalten. Diese dauern nun schon ein Jahr an.

„Unsere einzige ,Waffe‛ war Jesus in der Eucharistie“

Was im April 2018 als Protest gegen Renten- und Sozialreformen begann, wuchs zu einer Massendemonstration gegen den Kurs der autoritären Regierung von Präsident Manuel Ortega. Und der ließ hart durchgreifen: Laut Menschenrechtsorganisationen sind bislang 500 Menschen ums Leben gekommen.

Hunderte Demonstranten wurden inhaftiert, zehntausende Menschen mussten fliehen. Die katholischen Kirchen in Nicaragua öffneten ihre Tore für schutzsuchende Demonstranten und versuchten zu vermitteln. Ortega bezeichnete sie deshalb als „Handlanger der Putschisten“. Es sei sogar das Gerücht gestreut worden, die Kirche würde die Demonstranten mit Waffen versorgen. „Das haben wir nie getan“, sagt der anonyme Priester entrüstet. „Unsere einzige ,Waffe‛ war Jesus in der Eucharistie.“

Angesichts der Eskalation habe es für die Kirche keine Alternative gegeben, als den Menschen beizustehen, so der Pfarrer. „Wir konnten nicht tatenlos zusehen, als Menschen während der Messe plötzlich in die Kirche rannten, weil sie sonst auf der Straße getötet worden wären.“ Die Militäreinheiten hätten den Tod der Demonstranten in Kauf genommen.

„Das Evangelium lehrt uns, dass wir die Türen offen halten sollen für Menschen, die verfolgt werden. Das haben wir getan. In diesen Tagen haben die Menschen in unseren Kirchenbänken das Evangelium nicht nur gehört. Sie haben es gelebt“, erklärt der Priester. Er weiß, wovon er spricht: Am 15. Mai 2018 fuhr er mit einem Fahrzeug des Bistums 19 verwundete Demonstranten ins Krankenhaus. Sie waren von Geschossen eines Maschinengewehrs lebensgefährlich verletzt worden.

Einsatz für Menschenrechte und Dialog

Die Diözese Matagalpa hat seit September 2018 fünf „Pastoralbüros für Menschenrechte“ eröffnet. Hier bekommen Familien Unterstützung und Beratung, deren Angehörige bei den Demonstrationen getötet oder inhaftiert wurden. Nach wie vor seien viele Menschen spurlos verschwunden, so der Priester.

Die Kirchengemeinden sind auch Anlaufstellen für die Menschen, deren wirtschaftliche Situation sich im vergangenen Jahr rapide verschlimmert hat. Hilfe kommt fast ausschließlich von der Kirche, auch wenn sie selbst mit schweren Repressalien zu kämpfen hat.

Immer wieder versuchte die Kirche, im Rahmen eines „Nationalen Dialogs“ zwischen Regierung und Opposition zu vermitteln. Der Dialog wurde allerdings mehrmals unterbrochen. Die Interessenlagen sind unübersichtlich. Die Bischöfe haben sich in den weiteren Verhandlungen Zurückhaltung auferlegt.

„Wir sind nicht an Macht interessiert. Wir suchen lediglich das Wohl des Landes“, erklärt Leopoldo José Kardinal Brenes Solórzano, Erzbischof der Hauptstadt Managua (Foto). Mehrmals hat er im vergangenen Jahr zwischen den Konfliktparteien vermittelt, um Menschen zu retten und zu beschützen: Sowohl Polizisten, die von gewaltbereiten Demonstranten entführt worden waren, als auch Studenten, die vom Militär beschossen wurden. „Wir haben nie gefragt, auf welche Seite der eine oder der andere gehörte. Wir haben einfach allen geholfen, die uns um Hilfe gebeten haben“, führt Brenes aus.

Aussöhnung wird lange dauern

Der Kardinal erwartet nicht, die Früchte des Aussöhnungsprozesses sehen zu können. Dieser werde Generationen dauern. „Aber wir müssen jetzt die Grundlagen dafür schaffen“, so Brenes. Es gebe in den Reihen des bürgerlichen Bündnisses und der Regierung fähige Menschen, die den Dialog zum Frieden voranbringen könnten. Er gebe die Hoffnung nicht auf – eine Hoffnung, die sich aus dem Gebet speist.

Immer mehr sei er von der Prophezeiung Papst Pius‛ X. überzeugt: „Gib mir eine Armee, die den Rosenkranz betet, und wir werden die Welt verändern“, erklärt der Kardinal: „Wenn der Glaube Berge versetzen kann, dann kann das Beten des Rosenkranzes die Herzen zu einer wahren Versöhnung verwandeln. Es kann verletzte Herzen heilen, damit sie das Wohl aller Menschen suchen.“

Um die Friedensarbeit und die karitativen Tätigkeiten der Kirche in Nicaragua weiter unterstützen zu können, bittet „Kirche in Not“ um Spenden.

Foto: Der Bischof von Matagalpa, Rolando José Alvarez Lagos, zeigt ein zerstörtes Caritas-Zentrum, das von paramilitärischen Einheiten zerstört wurde. © Kirche in Not


© 2019 www.kath.net