3. Mai 2019 in Kommentar
Mein Reim auf die Affaire lautet: entweder ändert Papst Franziskus sein Konzept oder er sieht ein, dass er den Anforderungen des Amtes nicht mehr gewachsen ist. Gastkommentar von Klaus Obenauer
Bonn (kath.net) Der offene Vorwurf an Papst Franziskus, sich der manifesten Häresie schuldig gemacht zu haben, wurde jüngst in einem Open letter to the bishops of the Catholic Church geäußert. Ich darf von mir behaupten, schon 2013 geahnt zu haben, dass es mal zu solchen Verwerfungen kommen würde.
Umso mehr darf ich dann auch sagen, dass ich den Open letter in der entscheidenden Anklage für überzogen halte. Offene Häresie, mit der der Verlust des päpstlichen Amtes einherzugehen hätte (wie un-/mittelbar auch immer), sehe ich nicht gegeben. Ad hoc sehe ich mich jedoch nur im Stande, das für die Affaire um die Erklärung von Abu Dhabi argumentativ zu bekräftigen, wobei ich jedoch überzeugt bin, dass für den Problemkomplex um Amoris laetitia Analoges gilt.
Damit eine Häresie vorliegt, muss die hartnäckige Bestreitung oder auch nur Anzweiflung einer Glaubenswahrheit, die de fide divina et catholica zu glauben ist, hinlänglich eindeutig oder greifbar sein. Nun hat sich aber, wie allseits bekannt, Papst Franziskus auf das Insistieren von Weihbischof Schneider hin von dem entscheidenden, heterodoxieträchtigen propositionalen Gehalt distanziert: wonach die Vielfalt der Religionen, mithin die Religionen diesseits der Offenbarung Christi, positiv und nicht nur permissiv (zulassend) von Gott gewollt seien. Ich sehe nun entgegen der Behauptung der Unterzeichner des offenen Briefes nicht, dass eine eigene Affirmation des positiven göttlichen Gewollt-Seins allein der Offenbarung des alten und neuen Gesetzes und der von ihr bezeugten Heilsökonomie unabdingbar ist dazu, um der Beseitigung des entscheidenden Ärgernisses rechtskräftige Validität zu verleihen: was nämlich die Konsequenz häretischer Papst etc. angeht. Ebenso halte ich es für unzulässig, den Papst auf den sozusagen objektiven Sinn der Erklärung von Abu Dhabi festlegen zu wollen bzw. auf die Konsensfähigkeit seiner Erklärungen mit den zu vermutenden Ansichten des Großimams. So wichtig und richtig es an sich (!) ist, die Frage danach zu stellen, so unerheblich ist es zur Beurteilung, ob der Papst sich der hartnäckigen Leugnung oder auch nur Anzweiflung eines Dogmas schuldig gemacht hat. Ich sehe also nicht, wie man der über Weihbischof Schneider kolportierten Erklärung ihre salvierende Valenz absprechen könnte.
Obendrein: Es scheint mir sehr grenzwertig zu entscheiden, ob der Satz Gott will (positiv) nur das Christentum und die anderen Religionen nicht selbst als von Gott geoffenbart und (!) von der Kirche als zu glauben vorgelegt zu gelten hat, oder eben nicht. Nur im ersteren Fall haben wir ein Dogma im strengen Sinne, das allein Gegenstand von Häresie (!) ist. Im Ott wird man es so wohl nicht finden. Für die Sache selbst mag das höchst nachrangig sein; zur Beurteilung des Handelns einer Person, zumal des Papstes, ist es sehr erheblich, ob ich ihr vorwerfen muss, eine Proposition zu vertreten, die häretisch ist, oder eben nur eine Proposition, die einen gravierenden blasphemischen Irrtum (zumal in fide divina) besagt. Noch etwas gilt es hier zu beachten: Wenn für die heilskonstitutive anonyme Gemeinschaft mit Christus und seiner Kirche seitens derer, die ohne ihre Schuld nicht zur ausdrücklichen Gewissheit der Heilsrelevanz Christi und seiner Kirche kommen, die nichtchristlichen Religionen als Artikulationen ihres Gottesverhältnisses durchaus eine Rolle spielen können (!), wie auch die berühmte Erklärung Dominus Iesus unter Nr.14 festhält, dann scheint es mir sogar eine ziemliche Vexierfrage, ob man den nichtchristlichen Religionen selber, und zwar nach ihrer Eigengestalt, jegliche (!!) positive Gottgewolltheit absprechen kann; eine Gewolltheit wenn, dann freilich in strikt-sub-ordinierter Funktion zugunsten der einen umfassenden Heilsvermittlung Christi und seiner Kirche, nämlich angesichts einer raum-zeitlich verfassten Menschheit, in der nicht alle die Chance haben, zur ausdrücklichen Gewissheit der Heilsrelevanz Christi und seiner Kirche zu kommen. Dies nur nebenbei, um anzudeuten, wie intrikat das Problem ist.
Was nun den Text von Abu Dhabi selbst angeht, so ist er nicht eindeutig: Ausdrücklich scheint mir nur gesagt zu werden, die Pluralität und Diversität von Religionen (/ in Bezug auf Religion: deutsche Fassung!) entspreche dem weisen Willen des Schöpfers; ein ausdrücklicher Bezug auf die faktisch existierenden Religionen mit ihrer Vielfalt scheint vermieden zu werden.
Hier ist jedoch der Punkt erreicht, wo die entschiedene und nachhaltige Kritik ansetzen muss, die Kritik am Dokument von Abu Dhabi und denen, die es von katholischer Seite zu verantworten haben, mithin an Papst Franziskus selbst, auch wenn man ihm nicht schon Häresie vorwerfen will. Es wird nämlich völlig zu Recht die Frage gestellt: (1) was denn mit diesem weisen Willen des Schöpfers zur Vielfalt von Religion(en) gesagt sein soll, wo doch der ewige Wille des Schöpfers in einfacher Identität auch der Wille zu jener ewigen Seligkeit seiner Erwählten in Ihm ist, die (zumindest) den Menschen nach Adams Fall allein durch Christus und seine Kirche (in welch konkreter Weise auch immer) zukommt, so dass Christus und seine Kirche in dieser Heilsvermittlung niemals Konkurrenten haben können; (2) ob ohne die Anwendung auf die faktisch existierenden Religionen, insonderheit Christentum Judentum Islam, besagte Aussage in pragmatischer Instanz nicht schlicht gegenstandslos wird.
Damit konvergiert worin die Verfasser des offenen Briefes denn auch völlig Recht haben , dass als zwanglose Auffassung des Textes von Abu Dhabi so gut wie nur folgende Interpretation in Frage kommt: Dass verschiedene Religionen existieren, allen voran Judentum, Christentum und Islam, ist auf den weisen Willen des Schöpfers selbst zurückzuführen, insofern dieser Vielfalt des sich einander Ergänzenden gewollt hat, eine Vielfalt, in der auch nicht mehr das eine auf das andere (funktional o.ä.) reduziert werden darf. Ob direkt häretisch oder nicht solches ist mit dem katholischen Glauben unvereinbar, wie es sich geradewegs als Remake von Lessings Ringparabel liest. Fazit: Folge ich der Erklärung von Abu Dhabi selbst und lasse nachträglich-salvierende Interpretationen außer Acht, dann erscheint mir die Zensur saltem haeresi vel apostasiae favens (wenigstens die Häresie oder Apostasie begünstigend) sehr angebracht.
Was daher die Salvierung durch die Erklärung, es sei der zulassende Wille Gottes gemeint, angeht: So sehr ich davon überzeugt bin, dass sie Papst Franziskus vom Vorwurf, Häretiker zu sein, entlastet, so wenig bin ich davon überzeugt, dass diese Interpretation sachgemäß ist: Ich schließe mich dem Votum vieler anderer an, dass sich der Duktus des Dokuments von Abu Dhabi gegen diese Erklärung sperrt. Das braucht nicht nochmals gezeigt zu werden. Nur noch so viel: Wenn Gott etwas nur zulassen will, dann will er es nicht einfachhin (simpliciter); entsprechend muss ich das dazu-sagen, um es mir nicht nur dazudenken zu dürfen. Ohnehin ist es reichlich problematisch, von dem, was Gegenstand der bloßen freien Zulassung Gottes ist, selber zu sagen, es sei von Gott gewollt, wenngleich nur als (!) zugelassenes. Man ziehe dazu nur die hochsensiblen Abgleiche des hl. Thomas in Erwägung: STh I, 19,9 (bes. ad3). Auch sei verwiesen auf Canon 6 des tridentinischen Rechtfertigungsdekrets (DH 1556). Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass Professor Josef Seifert schon in ähnliche Richtung argumentiert hat.
Meine Konklusion: Der inkriminierten Passage der Abu-Dhabi-Erklärung kann mit besten Gründen attestiert werden, saltem haeresi vel apostasiae fa-vens zu sein. In Bezug auf die Person von Papst Franziskus ist sie jedoch dahingehend paralysiert, dass sie im Zuge der vom Papst selber in Umlauf gebrachten salvierenden Erläuterung kein Fundament mehr dafür bereithält, ihn jener offenen Häresie zu bezichtigen, mit der der Verlust des Amtes einherzugehen hätte. Analog, denke ich, ließe sich für die anderen Gegenstände der Inkrimination argumentieren.
Was die Person von Papst Franziskus angeht: Ich denke, man würde es sich zu einfach machen, ihm zu unterstellen, ein versteckter Glaubensabtrünniger zu sein, der seine Häresien, so gut es irgend geht, tarnt. Es ist hier unmöglich der Platz, das auszuführen: Aber mein Eindruck geht in die Richtung, dass auch Papst Franziskus die Absolutheit des Christentums nicht bestreitet, um sie jedoch wie es allen Anschein hat höchst ungern so zu benennen; dass er dabei aber in etwa so denkt, dass die Liebe Christi sich in ihrer universalen Gültigkeit exklusiv praktisch zu bewähren habe in einem selbstlosen Engagement der Christen (Mission). Ein selbstloses Engagement, in dem die Konfrontation der anderen mit dem eigenen Anspruch, zumal in theoretischer Instanz, schier keinen Platz mehr hat, wo Franziskus doch solche Konfrontation prinzipiell verdächtigt, selbstbezogen zu sein (Proselyten machen etc.). M.a.W.: Absolutheit des Christentums ist demnach eine Sache der Orthopraxie, nicht der Orthodoxie. Dies ist nur eine schwache Skizze, aber ich denke eine Analyse von Papst Franziskus vielen einschlägigen Ansprachen etc. könnte diese Vermutung erhärten. Freilich ist dieses Konzept extrem ideologieanfällig: Es verführt dazu, von einer hohen metahermeneutischen Warte aus alle, die auf doktrinale Korrektheit bestehen, zu diskreditieren. Und so bringt es uns in eine beträchtliche Schieflage, gerade was den inneren Frieden der Kirche angeht. Und das geht in der Tat so weit, dass ich meinerseits die größten Zweifel habe, dass Franziskus ratio agendi eine nachhaltig-wirksame Ausübung des Amtes der Einheit in Wahrheit und Liebe noch zulässt. Mein Reim auf die Affaire lautet daher: entweder er ändert sein Konzept oder er sieht ein, dass er den Anforderungen des Amtes nicht mehr gewachsen ist.
PD Dr. theol. Klaus Obenauer gehört zur kath.-theol. Fakultät der Uni Bonn. Sein Forschungsschwerpunkt liegt in scholastischer Theologie und Philosophie.
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