Missbrauch: Experte fordert Schutz vor falscher Beschuldigung

18. Juni 2019 in Österreich


Gerichtspsychiater Haller bei Wiener Tagung: Beschuldigung gleicht einer "sozialen Hinrichtung", Kirche lässt zu Unrecht Beschuldigte jedoch oft allein


Wien (kath.net/KAP) Die katholische Kirche sollte sich außer um Prävention von Missbrauch und Opferschutz dringend auch um den Schutz vor ungerechtfertigter Missbrauchs-Beschuldigung von Priestern und Mitarbeitern kümmern: Das hat der Psychiater Reinhard Haller am vergangenen Samstag bei einer Tagung in Wien angemahnt. "Es gibt auch Missbrauch mit dem Missbrauch", so der renommierte Gerichtspsychiater, der auch der Unabhängigen Opferschutzkommission angehört. Seiner Erfahrung zufolge würden zu Unrecht des Missbrauchs Beschuldigte von der Kirche meist alleine gelassen.

"Alle internationalen Untersuchungen zeigen, dass 30 Prozent der Anzeigen wegen Missbrauch Fehlanzeigen sind", erklärte Haller; er könne dies aus seiner eigenen beruflichen Erfahrung bestätigen. Für die Beschuldigten sei eine fälschliche Anzeige folgenschwer: "Es gibt keine wirksamere Form der sozialen Hinrichtung als jemand des Missbrauchs zu beschuldigen." Betroffene von Beschuldigungen hätten kaum Chancen auf Verteidigung, und "das beste was herauskommen kann ist, dass man dann sagt: Irgendwas wird schon gewesen sein, man kann es ihm halt nicht nachweisen".

Das Ergebnis sei, dass unter Priestern und Ordensleuten derzeit eine "unglaubliche Verunsicherung" bei diesem Thema spürbar sei, so der Experte. Zusätzlich spiele hier jedoch auch eine verzerrte Wahrnehmung der Öffentlichkeit mit: Nur zu einem äußerst geringen Anteil - deutschen Untersuchungen zufolge drei Promille - seien Missbrauchsvorfälle auf kirchliche Institutionen zurückzuführen. Haller sprach in diesem Zusammenhang von einer "Überprojektion" in die Kirche, die den Blick auf Missstände in anderen Bereichen der Gesellschaft verhindere. "Wo sind die restlichen 99,7 Prozent? Mit diesen müssten man sich auch befassen", so der Experte.

Haller äußerte sich in einer Diskussion im Rahmen der Fachtagung "Sex & Crime", die das Institut für Religiosität in Psychiatrie und Psychotheapie gemeinsam mit der Sigmund-Freud-Privatuniversität am Samstag im Audimax der Wiener Hauptuniversität veranstaltet hat. Auch der Wiener Kardinal Christoph Schönborn und der deutsche Neurowissenschaftler Joachim Bauer waren unter den Vortragenden.





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