11. Juli 2019 in Kommentar
Deutsche Bischofskonferenz muss sich bei ihrer Arbeitshilfe zum kirchlichen Umgang mit rechtspopulistischen Tendenzen Vorwurf der Schönfärberei und Geschichtsklitterung gefallen lassen. Gastkommentar von Michael Hesemann
Bonn (kath.net) Dem Populismus widerstehen lautet der Titel der Arbeitshilfe zum kirchlichen Umgang mit rechtspopulistischen Tendenzen, die am 25. Juni vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz herausgegeben wurde. Auf 74 Seiten werden Strategien und Inhalte rechtspopulistischer Bewegungen ebenso analysiert wie ihre Leitthemen Flucht und Asyl, Islam und Islamfeindlichkeit, Familienbilder, Frauenbilder, Geschlechterverhältnisse sowie Identität und Heimat. Zahlreiche Praxisbeispiele sollen das Engagement der Kirche für eine offene Gesellschaft, Flüchtlingshilfe und Geschlechtergerechtigkeit illustrieren. Verarbeitet werden die Ergebnisse einer 20köpfigen Expertenkommission unter Leitung von Prof. Dr. Andreas Lob-Hüdepohl von der Katholischen Hochschule für Sozialwesen in Berlin. Sie zeichnen mit größtmöglicher political correctness ein geradezu manichäisches Bild von den weltoffenen Gutmenschen (einen Begriff, den zu rehabilitieren sie ausgezogen sind) auf der einen und den bösen, gefährlichen, hinterwäldlerischen Rechtspopulisten auf der anderen Seite. Für Differenzierung bleibt da wenig Raum. Wer täglich nur die rosarote Brille aufsetzt, der sieht auch keine Schattierungen mehr, der fragt nicht nach Ursachen, wenn er dem Gegner pauschal gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (S. 17) vorwirft. Kein Wunder, dass auch der von rechtspopulistischen Akteuren gerne beschworene gesunde Menschenverstand nicht nur angeschwärzt, sondern auch gleich mit entsorgt wird. Wer sich angesichts der schönen, neuen Welt des Globalismus noch Sorgen macht, den können einzig niedere Instinkte dazu treiben, an erster Stelle Verlustängste des Wohlstands-Bürgertums. Historische Parallelen zu den Nazis werden gerne gezogen, auch wenn man eingestehen muss, dass gerade Antisemitismus im modernen Rechtspopulismus vergleichsweise selten vorkommt, ja eher bei seinem Feindbild, dem Islam, anzutreffen ist. Und genau hier zeigt sich die ganze Problematik in der Einordnung. Alles, was den Nationalsozialismus ausmachte, fehlt bei jenen, die man so gerne in die rechte Ecke stellen möchte: Der geradezu apokalyptische Glaube an einen Rassenkampf um die Welt, das Bekenntnis zu einem national-sozialistischen Führerstaat, der exterminatorische Antisemitismus und der sozialdarwinistische Vernichtungswille gegen alles, was als minderwertig angesehen wurde. Erklärten die Nazis der christlich-jüdischen Mitleidsethik den Krieg, berufen sich moderne Rechtspopulisten auf gerade dieses Erbe, bewunderten Hitler und Himmler den Heroismus des Islam, erschaudern Sarrazin und Gauland vor seiner Gewaltbereitschaft.
Ganze 46 Seiten braucht das Dokument, um sich der Gretchenfrage des Rechtspopulismus zu widmen, der Frage: Wie hältst Dus mit dem Islam? Faszinierte das Dokument bislang durch seine kompromisslose Blauäugigkeit, verliert es spätestens an dieser Stelle seine Selbstachtung und scheut vor keiner noch so dreisten Schönfärberei zurück. Aktuell leben schätzungsweise 4,5 Millionen Muslime in Deutschland, behauptet es und beruft sich dabei auf Zahlen aus dem Jahre 2015, vor dem Zustrom von rund 2 Millionen Flüchtlingen mehrheitlich muslimischen Glaubens. Islamfeindlichkeit wird als Ressentiment gegen eine gesellschaftliche Minderheit, die mit ethischen, politischen und religiösen Aussagen diskriminiert wird definiert. Kein Wort davon, dass die bewusste Bildung von Parallelgesellschaften, verweigerte Integration, Gewaltbereitschaft, Gewalttätigkeit und religiöser Chauvinismus vieler Muslime, die Christen als Ungläubige verachten, auch etwas damit zu tun haben könnten. Angeblich alltägliche handfeste Gewalt, Anschläge auf Moscheengemeinden, Angriffe auf kopftuchtragende Mädchen und Frauen, Drohungen im Netz und antimuslimische Schmierereien an Hauswänden werden nur dem islamkritischen Lager zugeschrieben, gewalttätige Übergriffe auf Juden, Gewalt und Kriminalität von Muslimen oder gar islamistischer Terror dagegen banalisiert. Dass man sogar zur Geschichtsklitterung bereit ist, zeigt sich in der Abhandlung über Wurzeln und Ursachen von Islamfeindlichkeit. Das heutige Feindbild Islam, so heißt es dort (S. 48), sei das Ergebnis eines großen Missverständnisses, ja der Unkenntnis und christlicher Vorurteile. Die steile These: Seit dem Aufkommen des Islam im 7. Jahrhundert haben christliche Autoren die konkurrierende neue Religion kritisch betrachtet: sie galt gewissermaßen als Störfaktor der christlichen Heilsgeschichte. Nur darum sei es zu einer feindseligen Sicht auf den Koran und den islamischen Propheten Muhammad gekommen. Spätestens an dieser Stelle aber muss der Historiker protestieren, ja laut aufschreien, denn das ist schlichtweg Unfug.
Eine theologische Auseinandersetzung mit dem Koran erfolgte erst im frühen 8. Jahrhundert durch den Kirchenlehrer Johannes Damascenus, der im arabisch besetzten Damaskus aufwuchs, also die Sprache Mohammeds perfekt beherrschte. Er stand sogar im Staatsdienst des Kalifen, bevor dieser sich zunehmend christenfeindlich verhielt. Von ihm stammt die Behauptung, die Araber seien Ismaeliten, also Abkömmlinge des Erstgeborenen Abrahams und würden daher auch Sarazenen, Entflohene Saras (Sarais kenoi) genannt. In seinem Buch über die Häresien sah er den Islam weder als eigene, konkurrierende Religion noch als Störfaktor der Heilsgeschichte, sondern lediglich als Irrlehre, derer es viele gab.
Tatsächlich war die Wahrnehmung damals eine ganz andere, als die Arbeitshilfe es unterstellt. Muhammad hatte nur in zwei Städten missioniert: Zunächst in Mekka, wo man ihn ablehnte, dann in Medina, wo man ihn anerkannte. Als er endlich Krieger hatte, die ihm bedingungslos folgten, änderte er seine Strategie; auch die in Medina offenbarten Suren nahmen plötzlich einen anderen, virulenteren Ton an. Muhammad zog mit seinem Heer gen Mekka und stellte die Stadt vor die Wahl: Islam (wörtlich: Unterwerfung) oder Krieg. Erst jetzt erkannte ihn seine Heimatstadt notgedrungen als Prophet an. Die jüdischen Stämme dagegen, die nicht seinen Glauben annehmen wollten, wurden gnadenlos massakriert oder vertrieben. Kaum hatte er seine Herrschaft im Hedschas etabliert, schrieb Muhammad 628 an den byzantinischen Kaiser, die Könige der Perser und Jemeniten, den christlichen Araberkönig von Ghassan, den Negus von Äthiopien und den Statthalter von Ägypten: Ich lade dich zur Religion des Islam ein: Werde Muslim, dann bist du sicher, und ALLAH gibt dir doppelten Lohn; wenn du dich aber abwendest, so lastet auf dir die Sünde deiner Untergebenen. Die Antworten waren, mit Ausnahme der Jemeniten, negativ. Also rief der Prophet 630 den Heiligen Krieg aus, wie in Sure 9 des Koran festgehalten ist: Kämpft gegen diejenigen, die nicht an Gott und den jüngsten Tag glauben und nicht verbieten, was Gott und sein Gesandter verboten haben, und nicht der wahren Religion angehören von denen, die die Schrift erhalten haben (kämpft gegen sie), bis sie kleinlaut aus der Hand Tribut entrichten! Doch der erste Feldzug gegen die Byzantiner und ihre ghassanidischen Verbündeten scheiterte. Erst den Erben des Propheten sollte es gelingen, innerhalb eines Jahrhunderts ganz Nordafrika und Vorderasien zu unterwerfen und bis nach Poitiers im Herzen des Frankenreiches vorzudringen.
Dieser islamische Blitzkrieg und nicht die theologische Diskussion um den Koran war es, der das Bild des Islam in der christlichen Welt prägte. So kannten die frühesten christlichen Quellen, etwa Thomas der Presbyter (um 640) oder der Verfasser der Chronika Minora, Muhammad nur als Heerführer, während Johannes bar Penkaye (686/7) ihn als Gesetzgeber beschrieb. Als sich endlich Johannes Damascenus (nach 700) der Lehre des Islam annahm, hatte schon der weitaus größte Teil der christlichen Welt Bekanntschaft mit dem Schwert des Propheten gemacht.
Das war ein Jahrtausend vor den Türkenkriegen, auch wenn die Experten der Arbeitshilfe uns weismachen wollen: Insbesondere während der Türkenkriege wurden die Sarazenen als feindliche Bedrohung der europäischen Mächte wahrgenommen. Eben nicht. Die Sarazenen fielen ab dem 7. Jahrhundert über die christlichen Mittelmeerländer her, die Türken folgten ihnen zwischen dem 15. und dem 18. Jahrhundert. Irgendwie haben es beide versäumt, den Europäern das freundliche Gesicht des Islam überzeugend zu vermitteln. Die ethnische Reinigung des Osmanischen Reiches durch den Mord an 2,5 Millionen Christen im frühen 20. Jahrhundert und die Diskriminierung der christlichen Minderheiten in fast allen Ländern der muslimischen Welt sind auch nicht unschuldig am schlechten Image dieser Religion.
Mit Geschichtsfälschung und Schönfärberei ist niemandem gedient, werden echte Probleme nur kurzfristig unter den Teppich gekehrt. Dass ausgerechnet die DBK, die sonst doch jedem Dialogprozess offen gegenübersteht, hier kritische Stimmen marginalisiert, mag bedenklich stimmen. Anders als der Nationalsozialismus ist der moderne Rechtspopulismus weder kirchenfeindlich noch antisemitisch, im Gegenteil: er beruft sich auf die christliche Identität des Abendlandes und ist besorgt um ihren Erhalt. Dass dieser Standpunkt die Sympathie vieler Gläubiger gewinnt, liegt auf der Hand. Soll die Kirche sich tatsächlich als Inquisitorin des politischen Globalismus definieren oder gilt es auch hier, die eigene Stellung zu hinterfragen? Was, wenn der Geschmähte eine Gefahr sieht, für die man, warum auch immer, bislang blind war? Diese Bereitschaft zum Zuhören und aufeinander Zugehen ist die Grundvoraussetzung für einen Dialog. Die Kirche könnte dadurch viele Gläubige zurückgewinnen, die sich, von übergroßer Angepasstheit entfremdet, von ihr abzuwenden drohen. Doch dazu ist, an erster Stelle, Wahrhaftigkeit verlangt.
Michael Hesemann ist Historiker und Autor. In seinem Buch Hitlers Religion (Paulinus-Verlag) setzt er sich dezidiert mit dem Nationalsozialismus, in Jesus in Ägypten und Völkermord an den Armeniern (beide Herbig-Verlag) mit dem Schicksal von Christen unter islamischer Herrschaft auseinander.
kath.net-Buchtipp
Hitlers Religion
Die fatale Heilslehre des Nationalsozialismus
Von Michael Hesemann
Taschenbuch, 464 Seiten; m. Abb.
2012 Paulinus Verlag Gmbh
ISBN 978-3-7902-5766-3
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