"Wir sollen uns vor Wölfen im Schafspelz hüten"

5. September 2019 in Interview


"Sie bereiten mit Absprachen und Taktiken schon das nächste Konklave vor" - kath.net-Interview mit Kardinal Gerhard Ludwig Müller über die Amazonas-Synode, sein Buch "Römische Begegnungen" und über Gefahren aus dem Islam - Von Roland Noé


Rom (kath.net/rn) „So oder so: Franziskus ist der legitime Papst, dem wir die Ehrfurcht und den Gehorsam entgegenbringen, die wir ihm kraft seiner Bestellung zum Stellvertreter Christi auf Erden schulden und dem wir in kindlicher Liebe anhangen. Aber jeder kirchliche Würdenträger bleibt ein Bruder unter Brüdern und muss sein Heil in Furcht und Zittern wirken.“ Das erläutert der emeritierte Präfekt der Glaubenskongregation und frühere Bischof von Regensburg, Gerhard Ludwig Kardinal Müller, im KATH.NET-Exklusiv-Interview.

kath.net: Im Oktober findet in Rom die Amazonassynode statt. Sie haben diese im Vorfeld schon mehrfach kritisiert. Nochmals in aller Kürze. Was ist Ihr Hauptkritikpunkt an der Synode?

Kardinal Müller: Ich habe nicht die Synode kritisiert, sondern die Absicht begrüßt, sich der Evangelisierung und Neuevangelisierung der Bevölkerung in diesem wichtigen Gebiet unseres Planeten zu widmen.

Allerdings lässt das Vorbereitungsdokument die wesentlichen Inhalte des geoffenbarten Glaubens außer acht. Wo ist der Bezug zum Offenbarungsbegriff von „Dei verbum „ und zum „Kirchenverständnis „ von Lumen gentium im II. Vatikanum?

Ein theologischer Ignorant unter einer Bischofsmütze hat gemeint, das Instrumentum laboris sei bloß die Anwendung der Enzyklika „Laudato si“ und deshalb Ausdruck des unfehlbaren Lehramtes des Papstes, der über dem Wort Gottes stehe oder als Offenbarungsquelle gleich daneben. Wer also das Instrumentum laboris einer theologischen Kritik unterziehe, sei ein Häretiker, der sich ipso facto die ewige Höllenstrafe zuziehe. Dieser großartige Denker und hochwürdigste Apostelnachfolger hat nur versäumt aufzuzeigen, wo in „Laudato si“ eine irreversible Lehrentscheidung ex cathedra formuliert wird, die jeder Katholik um seines Heiles willen glauben muss – außer natürlich, dass die Tatsache der vollkommenen Hervorbringung (=Schöpfung) der Welt ihrem Sein und ihrer Ordnung nach ein Dogma ist, was aber jedes Kind schon seit dem ersten Katechismusunterricht wissen sollte.

Papst Franziskus tut mir leid, wenn er von solchen heldenmütigen Freunden bis aufs Blut (der anderen) verteidigt wird, die in ihrer schamlosen Halbbildung den römischen Primat untergraben, indem sie die Autorität des Papstes für ihre antikatholische Agenda missbrauchen. Wer sich gestern noch als Verleumder der Vorgänger hervortat und scheinheilig Papst Benedikt für den Mut zu Rücktritt beglückwünschte, ist als Apologet des gegenwärtigen Papstes völlig unglaubwürdig.

kath.net: Werden Sie die Synode in Rom mitverfolgen?

Müller: Als Bischof, der bei seiner Weihe versprochen hat, den katholischen Glauben treu zu verkünden, lasse ich mich nicht von diesen Ideologen mit ihrem lächerlichen Superpapalismus, der dem Ersten und Zweiten Vatikanum diametral widerspricht, medial einschüchtern. Wen beeindruckt die Arroganz von theologischen Analphabeten, die mit persönlichen Beleidigungen ihre Schwäche in der Argumentation überspielen?

Und ich erwarte von jedem Katholiken, von seiner eigenen Glaubensvernunft (dem sensus fidei fidelium) Gebrauch zu machen.

Johannes Paul II. und Benedikt XVI. haben keine antiquierte Form des katholischen Glaubens vertreten, sondern waren und sind authentische Lehrer des Evangeliums.

Jeder Pontifikat lebt von der Übereinstimmung mit der Offenbarung in Schrift und Tradition und der Lehrkontinuität mit seinen Vorgängern und vor allem den ökumenischen Konzilien. Es sind die gleichen Personen, die sich jetzt hyperpäpstlich brüsten und jede ernste Kritik an einem Menschen als Gotteslästerung ausgeben, die früher gegenüber den Vorgängern von Papst Franziskus mit schärfster Polemik nicht gespart, sondern bis dato sogar das göttliche Recht des Papsttums überhaupt in Frage gestellt hatten. Beim nächsten Papst, der ihren Erwartungen nicht entspricht, wird die antirömische DNA ihres verweltlichten Denkens wieder zum Vorschein kommen. Deshalb bereiten sie mit Absprachen und Taktiken schon das nächste Konklave vor, damit ihnen den Heilige Geist nicht ihre „schöne neue Kirche“ ohne Gott und Christus kaputt macht.

Jedenfalls kann man in meinen Büchern schön nachlesen, was ich zum Primat der römischen Kirche und des Nachfolgers Petri sowohl vor (siehe: Katholische Dogmatik, Herder 1995) als auch während des Pontifikates von Papst Franziskus ( siehe: Der Papst, Herder 2017) zum Papsttum als wesentlichem Element der katholischen Kirchenverfassung geschrieben habe – und zwar nach der objektiven Maßgabe der Theologie als Wissenschaft und nicht als politisch-mediale Stimmungsmache für oder gegen den jeweiligen Papst entsprechend dem eigenen Gusto und Vorurteil.

Die Kirchengeschichte wird ihr Urteil sprechen, auf wen Papst Franziskus sich besser verlassen hätte.

kath.net: Gibt es wirklich die Gefahr, dass durch die Synode de facto viri probati („bewährte Männer“) für die Amazonas-Region kommen könnten?

Müller: Über die Weihe von in Familie und Beruf bewährten und im Glauben standfesten Männern zu Priestern wird schon seit langem diskutiert. Viri probati im Diakonenamt gibt es schon seit dem II. Vatikanum. Ob die Weihe verheirateter älterer Männer, die sich in Beruf, Ehe und Familie bewährt haben und im Glauben standfest sind und überhaupt geistig, geistlich und moralisch zum Priesterdienst fähig sind, eine Lösung ist in der umfassenden Glaubenskrise, soll dahingestellt bleiben.

Auch im Amazonasgebiet muss man umfassender ansetzen. Inkulturation hat mit einer Paganisierung des Christentums nichts zu tun. „Einer ist Gott und einer der Mittler zwischen Gott und den Menschen: der Mensch Christus Jesus“. Und den Aposteln und der apostolischen Kirche als Gemeinschaft der Glaubenden und Getauften ist die geschichtliche und sakramentale Vermittlung des Heils übertragen (1 Tim 2,4f; 3,15). Über das sakramentale Priestertum verfügt die Kirche nicht so wie ein Verein über seine Satzung (oder seine soziologischen Strukturen). Jesus beruft frei die Jünger, die „er selbst wollte“ (Mk 3, 13), in den apostolischen Dienst des Bischofs und Priesters und Diakons. Seit jeher war die Ernte groß und immer es gab zu wenig Arbeiter. Der gute Hirt, der Mitleid mit seinen verlorenen Schafen hat, ruft deshalb die Kirche auf zu beten um gute Seelsorger: „Bittet den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden.“ (Mt 9, 38).

Das Gebet zu Gott ist das Gegenteil von klugen Strategien und raffinierten Manipulationen. Es ist Vertrauen in Gott und nicht auf menschliche Weisheit.

kath.net: In Ihrem spannenden Buch „Römische Begegnungen“ lassen Sie einen Kapitän zu Wort kommen, der daran erinnert, dass die erste Aufgabe des Kapitäns es nicht ist, sich bei „rauschenden Bordfesten“ von der charmanten Seite zu zeigen, sondern, dass es seine „verdammte Pflicht“ ist, die Passagiere sicher und heil zum Hafen zu bringen. Es ist die Rede davon, dass nicht blind Vorschriften verfolgt werden sollten, um sich beim Kapitän einzuschmeicheln. Zeigt dieses Bild die aktuelle Situation in Rom rund um Papst Franziskus?

Müller: Wenn der Papst gemeint wäre, hätte man eher zum Bild des Admirals greifen müssen. Es geht jeden Bischof und Pfarrer an, nicht Menschen zu gefallen, sondern das zu predigen und zu tun, was Gott will. Wenn das schon zu Petrus gesagt ist, um wieviel mehr gilt das für alle Bischöfe, Priester und Laien in einem kirchlichen Dienst (Mt 16, 23). Im Übrigen hat Petrus den Tadel des hl. Paulus, durch sein zweideutiges Verhalten von der „Wahrheit des Evangeliums“ abgewichen zu sein, nicht mit dessen Absetzung vom Apostelamt quittiert, sondern mit der Demut eines Dieners Christi aufgenommen – so jedenfalls deuten Augustinus und Thomas von Aquin den berühmten Zwischenfall in Antiochia (Gal 2,11-21).

kath.net: In Ihrem Buch schreiben Sie auch davon, dass der Höhepunkt der Entsolidarisierung in der Kirche erreicht wurde, als die „Gruppe von St. Gallen“ sich schamlos rühmte (Austin Ivereigh), „einen der ihren“ im Konklave durchgebracht zu haben. Nicht wenige Katholiken stellen sich angesichts dieser Beobachtung die Frage, wie viel Heiliger Geist im Konklave wirklich gewirkt hat und wie viele Machtspielchen es bei einer Papstwahl auch geben kann?

Müller: Das stammt ja von einem, der sich als glühender Franziskus-Verehrer ausgibt, um vom Licht eines Größeren auch etwas zu profitieren. Wir sollen uns hüten vor Wölfen im Schafspelz.

Ein wahrer Hagiograph beschreibt das Wirken der Gnade in einem schwachen Menschen und vermeidet jeden Personenkult, an dem er auf Kosten seines Helden verdient. Der Heilige Geist wirkt nicht an der menschlichen Freiheit und Vernunft vorbei, sondern kommt unserem Handeln mit seiner Eingebung zuvor und offenbart darin den Willen Gottes, dem wir auch schuldhaft widersprechen können. Wahrscheinlich sind das nur die üblichen Sprüche von einem, der sich wichtig machen will.

So oder so: Franziskus ist der legitime Papst, dem wir die Ehrfurcht und den Gehorsam entgegenbringen, die wir ihm kraft seiner Bestellung zum Stellvertreter Christi auf Erden schulden und dem wir in kindlicher Liebe anhangen. Aber jeder kirchliche Würdenträger bleibt ein Bruder unter Brüdern und muss sein Heil in Furcht und Zittern wirken (Phil 2, 12).

Deshalb haben besonders auch die Kardinäle der römischen Kirche eine besondere Mitverantwortung, durch qualifizierte Beiträge die Grenzen des Menschlichen auch bei den Päpsten auszugleichen. Die falschen Lobredner und oberflächlichen Kritikaster sollten – gemäß seinem Wunsch – für den Papst mehr beten und vor allem die Ämter des Papstes, der Bischöfe und Priester mehr nach biblischen als nach massenmedialen Kriterien beurteilen.

Ich lehne es auch ab, den Papst zu „kritisieren“ oder als Kritiker des Papstes bezeichnet und damit beleidigt zu werden. Kritik als Nörgelei oder Infragestellung der Autorität des legitimen Amtsinhabers wäre völlig unangemessen und entspräche der Logik der politischen Auseinandersetzung. In der Kirche geht es aber anders als in der Politik nicht um die Macht, sondern um die Wahrheit Gottes, der unser Heil will (1 Tim 3,15). Aber jeder Katholik und besonders jeder Bischof hat die Aufgabe, „nach dem Maß des Glaubens, das Gott ihm zugeteilt hat“ (Röm 12,3), am Aufbau der Kirche, die der Leib Christi ist, mitzuwirken. Alle katholischen Bischöfe und insbesondere die Kardinäle der römischen Kirche haben in Einheit mit dem Papst die Aufgabe, die Wahrheit der Offenbarung unverfälscht und unverkürzt in der Welt von heute zu bezeugen und zu verkünden.

Obengenannter Autor stellt seine ganze traurige Unvernunft zur Schau, wenn er die Bischöfe und Kardinäle für Beamte oder Funktionäre des Papstes hält, die ihre Servilität darin erweisen, dass ihnen jeder Wunsch ihres Herrn ein Gesetz ist und die ihm jeden Wunsch von den Lippen ablesen. Die Bischöfe sind nicht vom Papst eingesetzt, sondern in der Weihe von Christus, wobei sie aber ihren Dienst in Gemeinschaft mit dem Bischof von Rom ausüben, der als Nachfolger Petri immerwährendes Prinzip und Fundament der Einheit der Kirche im Glauben und der Bischöfe in ihrem Hirten- und Lehramt ist (Lumen gentium 18; 23).

Dass es zur Prüfung unseres Glaubens auch schlechte Päpste, Bischöfe und Priester im Laufe der Geschichte gegeben hat, ist nicht der Wille Gottes, sondern ein Zeugnis des Versagens von Menschen, die sich dem Heilswillen Gottes entgegenstellen. Darum beten wir auch nach der Weisung Jesu zu unserem gemeinsamen Vater im Himmel: „Führe uns nicht in Versuchung“, weil die Spannung zwischen dem natürlichen Vertrauen des Katholiken in seine von Gott ihm gegebenen Hirten und ihrer manchmal Ärgernis erregenden menschlichen Schwäche ohne ein besondere Gnade oft nicht auszuhalten ist.

Jesus hat seiner Kirche nicht verheißen, dass alles wunderbar und wie am Schnürchen abläuft, sondern dass – trotz aller menschlichen Dummheit und Bosheit – Gott das Heft in der Hand behält und die Kirche Christi von den Pforten der Hölle nicht überwunden wird.

Das ist keine Einladung, wild mit der Kirche herum zu experimentieren, weil doch nichts passieren kann, sondern die ernste Warnung, immer den Willen Gottes zu erfüllen und nicht nach individuellem Interesse sich seine eigene Kirche zu bauen im Gegensatz zur Kirche Christi.

An die Nichtzerstörbarkeit der Kirche zu glauben ist kein billiger Trost. Es ist die Aufforderung, mehr auf Gott als auf Menschen – selbst auf ihre höchsten Würdenträger – zu vertrauen. Wir glauben mit dem übernatürlichen Glauben an Christus, der uns rechtfertigt und erlöst, und nicht an den Papst, dessen religiöse Autorität wir aber anerkennen, weil Christus höchstpersönlich ihn zum Felsen gemacht hat, auf den er Seine Kirche baut und dem ER die Schlüssel des Himmelreiches (aber nicht die Kompetenz z.B. im Umweltschutz oder in Fragen der empirischen Wissenschaften) übertragen hat.

kath.net: In Ihrem Buch wird dann auch der Umgang mit Muslimen angesprochen. Sie kritisieren hier ganz klar einen Aufruf von Franziskus zum gemeinsamen Gebet mit Muslimen in den Moscheen und erklären, dass keine kirchliche Autorität uns zum Besuch eines Gebetshauses einer anderen Religion einladen oder drängen könne. Wie soll man als einfacher Katholik mit solchen Aufrufen eines Papstes umgehen?

Müller: Wir Christen beten zu Gott durch Christus im Heiligen Geist (Röm 8,15). Folglich können wir nicht zu Gott beten zusammen mit denen, die ihn als den Vater Jesu Christi ablehnen, die die Gottheit des ewigen Sohnes des Vaters als Gotteslästerung abweisen und den Heiligen Geist nicht als die dritte Person der Allerheiligsten Dreifaltigkeit anerkennen.

Diesen logischen Widerspruch kann und will auch ein Papst nicht aufheben.

Etwas ganz anders ist das Anliegen von Papst Franziskus, dass die Vertreter verschiedener Religion oder auch die Nicht-an-Gott-Glaubenden sich als Menschen anerkennen, wechselseitig helfen und im bürgerlichen Bereich für das Gemeinwohl auch aus den Quellen ihrer Religion zusammenarbeiten.

kath.net: Sie sprechen dann auch im Zusammenhang mit dem Islam von einer Selbsttäuschung vieler im Westen. Aber ist hier in Teilen von Europa angesichts der schnell wachsenden muslimischen Bevölkerungsanteile nicht schon der „Point of no return" erreicht? Müssen wir uns darauf einstellen, dass manche Länder in der EU in 30, 40 oder 50 Jahren eine muslimische Mehrheit haben werden? Was sollen Katholiken, die sich hier Sorgen machen, tun?

Müller: Wenn in sehr vielen Ländern mit muslimischer Mehrheit jetzt schon die Christen nur als Bürger zweiter Klasse gelten, dann kann man sich ausmalen, was auch in den ehemals christlichen Ländern in 30 Jahren geschehen wird.

Vielleicht fallen am meisten die Atheisten, Agnostiker und Freimaurer aus ihren Wolken, die die Entchristlichung des Abendlandes mit Tücke und Gewalt betrieben haben. Sie werden sich nach einem Christentum zurücksehnen, das der wirkliche Garant der bürgerlichen Glaubens- und Religionsfreiheit war.

kath.net: Danke für das Interview

kath.net-Buchtipp
Römische Begegnungen
Von Gerhard Kardinal Müller
Hardcover, 160 Seiten
2019 Herder, Freiburg
ISBN 978-3-451-38565-0
Preis Österreich: 18.60 EUR

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