Razzia im Vatikan

5. Oktober 2019 in Weltkirche


Am Dienstag durchsuchte die vatikanische Staatsanwaltschaft in einem beispiellosen Schritt das mächtige Staatssekretariat - Hintergrundbericht von Roland Juchem.


Vatikanstadt (kath.net/ KAP)
Viel mitbekommen haben die meisten Mitarbeiter nicht. Anders als ihre Oberen wurden sie auch nicht anschließend informiert, nachdem am Dienstagmorgen vatikanische Gendarmen und Feuerwehrleute, wie das vatikanische Presseamt später äußerst knapp mitteilte, "aus einigen Büros der ersten Sektion des Staatssekretariats" Kisten mit Dokumenten und elektronischen Geräten forttrugen. Durchsucht wurden demnach auch Büros der Finanzaufsicht AIF.

Knapp 24 Stunden später präsentierte das italienische Magazin "L'Espresso" eine Art Steckbrief, adressiert an Vatikanmitarbeiter sowie die Schweizergarde, unterzeichnet vom vatikanischen Sicherheitschef Domenico Giani. Die Echtheit der auf den 2. Oktober datierten Dienstanweisung vorausgesetzt, sind fünf Personen - jeweils abgebildet mit Foto - bis auf weiteres "vorsichtshalber vom Dienst suspendiert": der Bürochef für Information und Dokumentation im Staatssekretariat, der Direktor der AIF, zwei Mitarbeiter und eine Angestellte des Staatssekretariats.

Derzeit dürften diese das Gelände des Vatikanstaates nur betreten, um den vatikanischen Gesundheitsdienst in Anspruch zu nehmen. Der Bürochef für Dokumentation, der im Gästehaus Santa Martha wohnt, darf dort vorerst bleiben.

Die bereits vor der letzten Papstwahl geforderte und seit Franziskus' Amtsantritt auch versprochene Transparenz, so scheint es, bricht sich in kleinen und mittleren Schritten Bahn im Vatikan. Laut Pressemitteilung des Heiligen Stuhls von Dienstag stammt der Durchsuchungsbeschluss vom vatikanischen Staatsanwalt Gian Piero Milano und seinem Stellvertreter Alessandro Diddi.

Anlass waren demnach Anzeigen der Vatikanbank IOR und des Generalrevisors vom Frühsommer. Beide Einrichtungen hatten im Laufe der vergangenen Monate von Franziskus neue Statuten erhalten. Dadurch avancierte der Generalrevisor, zuständig für die Überprüfung sämtlicher Bilanzen aller vatikanischen Einrichtungen, zur offiziellen Antikorruptionsbehörde des Heiligen Stuhls.

Besonders delikat ist der Name des AIF-Direktors Tommaso di Ruzza auf der Dienstanweisung von Giani. Die Finanzaufsicht war bereits von Benedikt XVI. errichtet worden, um diesen Bereich der Kirchenverwaltung transparenter zu machen und besser kontrollieren zu können. Auch die AIF hat Franziskus reformiert und gestärkt, um sie zur offiziellen, internationalen Standards genügenden Einrichtung gegen Geldwäsche zu machen.

In der dürren Mitteilung des vatikanischen Pressesaals hieß es nebulös, die Razzia betreffe "im Lauf der Zeit vorgenommene Finanztransaktionen". Über deren Art wird spekuliert; die Nachrichtenagentur Reuters meinte zu wissen, es gehe um Immobilientransfers. Der "Espresso" vermutet Immobiliendeals in Millionenhöhe im Ausland, "insbesondere prestigeträchtige Immobilien in London".

Welchen Zeitraum die Untersuchungen im Blick haben, ist ebenso unklar. Er dürfte aber die Amtszeit des früheren Substituten, Erzbischof Angelo Becciu, von 2011 bis 2018 betreffen. Den hatte Franziskus Ende Juni 2018 zum Kardinal erhoben und von der Schlüsselstelle zwischen Papst und Kurie an die Kongregation für die Heiligsprechungen versetzt. Im Nachhinein könnte sich dies als eine Strategie erweisen, die im Vatikan gerne angewandt wird: "Promoveatur ut amoveatur" - jemanden befördern, um ihn loszuwerden.

Mit dem neuen Substituten, dem Venezolaner Edgar Pena Parra, weht dem Vernehmen nach ein neuer Wind im wichtigsten vatikanischen Dikasterium. Dass Pena Parra einer Hausdurchsuchung nicht im Weg steht, spräche dafür. Von Becciu hieß es umgekehrt, er sei bei der Schaffung des von Franziskus kreierten Wirtschaftssekretariats ein Gegenspieler des australischen Kardinals und früheren K9-Mitglieds George Pell gewesen. Pell war bei dem Versuch, Informationen zur Finanzlage der einzelnen Dikasterien zu erhalten - was seine Aufgabe war -, teilweise auf Granit gestoßen.

An anderer Stelle im Vatikan mutmaßt man, die Aktion könne im Zusammenhang stehen mit einem neuen Buch des italienischen Enthüllungsjournalisten Gianluigi Nuzzi. Nuzzi - bekannt aus "Vatileaks" - will sein neues Werk, dessen Titel er in einem Facebook-Video erklärtermaßen geheim hält, in den kommenden Tagen vorstellen. Während der Amazonas-Synode, wenn die Medienaufmerksamkeit in Richtung Vatikan ohnehin besonders hoch ist.

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