"Eine Kirche, die man nicht mehr braucht"

8. Oktober 2019 in Kommentar


"Die augenblickliche Krise der Kirche ist fundamental, größer als die arianische Erschütterung im 4. Jahrhundert." Gastkommentar des Pastoraltheologen Hubert Windisch


Linz (kath.net)
* Die augenblickliche Krise der Kirche ist fundamental, größer als die arianische Erschütterung im 4. Jahrhundert. Ging es damals noch um eine Wesensbestimmung von Jesus Christus (gottgleich oder gottähnlich), geht es heute um Jesus Christus selbst: Ist er noch der Weg, die Wahrheit und das Leben zu Gott für alle Menschen (vgl. Joh 14,6) oder nicht, ist er und nicht Buddha oder Mohammed die Tür zum ewigen Leben bei Gott (vgl. Joh 10,9) oder nicht? Die Antworten der Kirchenführung diesbezüglich sind nicht mehr klar und eindeutig, sondern schwammig und vieldeutig.

Eine schwammige und vieldeutige Kirche aber ist den Menschen über kurz oder lang egal. Wer will es ihnen verdenken? Thomas Rietzschel kommt bei der kritischen Analyse der Kirchenaustrittszahlen aus dem Jahre 2018 (Kirchenaustritte: Rette sich, wer noch kann!, in: die achse des guten vom 21. Juli 2019) zu der schmerzhaft nüchternen Feststellung: „Was um alles in der Welt und im Himmel sollten sie (die Menschen) auch auf Institutionen geben, deren Vertreter das Kreuz ablegen, bevor sie den Tempelberg in Jerusalem betreten. … Warum sollte diesen Schlawinern noch vertrauen, wer es ernst meint mit dem christlichen Glauben? …Die Institutionen (sprich: Kirchen) verfaulen vom Kopf her.“ Daß dieser Fäulnisprozeß nicht richtig behandelt werden kann, liegt daran, daß laut Kardinal Burke und Weihbischof Schneider (vgl. kath.net vom 30. September 2019: „Wir sind wahre Freunde von Papst Franziskus“) denjenigen, die sich besorgt über diesen Zustand äußern, in einer „Atmosphäre fast totaler Unfehlbarkeit päpstlicher Erklärungen“ vielfach mit den Mitteln „sentimentaler Beweisgründe oder solchen der Macht“ begegnet wird. „Ehrliche und respektvolle Äußerungen von Besorgnis wegen Angelegenheiten von hoher theologischer und seelsorglicher Bedeutung im Leben der heutigen Kirche auch an die Adresse des Papstes werden sofort unterdrückt, in ein negatives Licht gerückt und mit verleumderischen Vorwürfen überschüttet: Es würden ‚Zweifel gesät‘, man sei ‚gegen den Papst‘ oder gar ‚schismatisch‘.“

* Um die augenblicklichen kirchenzerstörerischen Umtriebe in der kirchlichen Hierarchie und ihrer Theologie, wie sie sich z. B. in Erwartungen und Stellungnahmen zur Amazonassynode und zum sog. Synodalen Weg der Kirche in Deutschland zeigen, besser verstehen und einordnen zu können, muß man weiter ausgreifen und die kirchliche Entwicklung der letzten Jahrzehnte betrachten, wie es in bezug auf den Verfall der kirchlichen Sexualmoral erst kürzlich Papst em. Benedikt XVI. in seinem Schreiben Die Kirche und der Skandal des sexuellen Mißbrauchs im Klerusblatt vom April 2019 getan hat.

* Es wird immer wieder kolportiert, Johannes XXIII. habe mit der Einberufung des
II. Vatikanischen Konzils die Fenster der Kirche bzw. des Vatikans weit geöffnet, um für Frischluft zu sorgen. Sicher muß man ein Gebäude oder eine Wohnung immer wieder lüften, wenn sie bewohnbar bleiben sollen, aber man darf nicht übersehen, daß bei geöffneten Fenstern auch schlechte Luft von außen nach innen dringen kann. Ohne Zweifel ist viel Weltluft durch die geöffneten Fenster in die Kirche eingedrungen, schön abgepackt in den sog. „Geist des Konzils“, mit dem sich jede kirchliche, ja sogar antikirchliche Privatisiererei als katholisch legitimieren läßt. Diese Attitüde wurde begünstigt durch die Selbsterklärung des Konzils als eines nicht dogmatischen, sondern pastoralen Konzils, was dazu führte und noch führt, daß man je nach Gusto Texte des Konzils auswählt und paradoxerweise für die eigene theologische Sicht dogmatisiert. Viel katholisches Tafelsilber ist aus den geöffneten Fenstern geworfen worden, man denke nur an die teils auch amtlichen Verlautbarungen zu Ehe und Sexualität, die eher einer Trendsegnung als katholischen Einstellungen gleichen, oder an die nicht so seltenen liturgischen Wildwüchse. Hier greift der Hinweis von Karl Barth auf eine kirchliche Gefahr, die er in einer seiner Spätschriften (Das christliche Leben) als eine „Kirche im Defekt“, eine Kirche des Boulevards beschreibt, die sich, stotternd und schielend, an die Zeitläufte verkauft. Man hört förmlich die bissige Bemerkung von Kurt Tucholsky, die er schon 1930 in seinem berühmten Braut- und Sportunterricht machte: „Was an der Haltung beider Landeskirchen auffällt, ist ihre heraushängende Zunge. Atemlos jappend laufen sie hinter der Zeit her, auf daß ihnen niemand entwische. ‚Wir auch, wir auch!‘, nicht mehr, wie vor Jahrhunderten: ‚Wir.‘ … Diese Kirchen schaffen nichts, sie wandeln das von andern Geschaffene, das bei andern Entwickelte in Elemente um, die ihnen nutzbar sein können. … die Kirche hat nachgegeben; sie hat sich nicht gewandelt, sie ist gewandelt worden.“ Sie hat mit der Anpassung an die Welt ihre ihr eigene Weltkompetenz verloren. Das kirchliche Salz ist schal (vgl. Mt 5,13), die Kirche zu einer blinden Blindenführerin (vgl. Mt 15,14) geworden. Noch einmal Thomas Rietzschel: „Die bürgerliche Gesellschaft braucht keine dressierten Papageien, die auf der Kanzel nachplappern, was ihnen grüne und linke Ideologen vorsagen.“ Sie braucht immer wieder auch eine Kirche des Widerstands.

* Vor dem Hintergrund des erschütternden Viganó-Berichts schreibt Hedwig von Beverfoerde (vgl. Der Rauch Satans, in: Die Tagespost vom 28. 8. 2018) desillusioniert und kirchlich tief enttäuscht sogar: „Die Fassade der nachkonziliaren Kirche ist zusammengebrochen.“ Und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, als wolle man in manchen Teilen der Hierarchie partout diesen Zusammenbruch schönreden und als kirchlich notwendigen Aufbruch verkaufen, anstatt durch Umkehr zum heiligen Anfang (so wörtlich: hierarchä) die Kirche zu erneuern. So gleichen Bischöfe bisweilen eher dem Chef einer Abbruchsfirma als einem Stellvertreter der Apostel, der Lehrer des Glaubens, Priester des heiligen Gottesdienstes und Diener in der Leitung sein soll (vgl. CIC c. 375 § 1). Verwundert und besorgt fragt man sich angesichts mancher Initiativen und Äußerungen, was Papst, Kardinäle, Bischöfe und Theologen eigentlich umtreibt, das Katholische der Kirche zur Disposition zu stellen.

* Eine nicht unwesentliche Rolle bei den derzeitigen kirchlichen Auswüchsen, die einen Verlust des kerygmatischen Kirchenbewußtseins offenbaren, spielt die eng mit Karl Rahner und seinem Schrifttum verbundene sog. anthropologische Wende in der Theologie seit den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts. In ihrem Gefälle kam die Tradition immer öfter auf die Anklagebank, denn das Neue als Neues hatte den Vorrang. Die Kirche hat sich seitdem mit ihrer Botschaft verstärkt vor der Welt bzw. den jeweiligen Zeitläuften zu rechtfertigen, anstatt ihrem Auftrag nachzukommen, die Welt bzw. die jeweiligen Zeitläufte vor die Rechtfertigung Gottes in Jesus Christus zu bringen. Das „Extra nos“ unseres Heiles wurde zunehmend in ein „Intra nos“ aufgelöst (ganz deutlich bei Eugen Drewermann), was nach Fulbert Steffensky letztlich einer Verhaustierung Gottes gleichkommt. So aber wird die Kirche in ihren Grundvollzügen „Martyria/Leiturgia/Diakonia“ flach und banal. Das traurige Ergebnis dieser Entwicklung gipfelt in der bedrückenden Erkenntnis, die viele Kirchenleute, die sich in ihrer ideologischen Blase eingerichtet haben, nicht haben können oder haben wollen, daß man die Kirche in der Welt von heute als eine Größe will, die man nicht mehr braucht.

* Den vielen kritischen und mahnenden Worten und Analysen von Kardinälen, Bischöfen und Theologen müssen Taten folgen. Denn die Spaltung der Kirche ist nicht nur im deutschen Sprachraum, sondern teilweise schon weltweit wirksam. Der Zustand der Kirche ist besorgniserregend. Sie ist der Leib Christi und darf nicht weiter Schaden nehmen. Glaubenstreue Hirten sind gefordert einzuschreiten. Der Herr bedarf ihrer (vgl. Lk 19,31.34).

Prof. Dr. Hubert Windisch ist emeritierter Professor für Pastoraltheologie der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg.


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