19. Oktober 2019 in Weltkirche
Ein Gastkommentar von Christian Spaemann über einen "Pfarrer von Ars" im Amazonas-Gebiet
Rom (kath.net)
Er war einer von diesen zauberhaften südfranzösischen Menschen, voller Leichtigkeit, Humor und Tiefe der Seele. Mein Vater schloss mit Gérard Verdier sofort Freundschaft als wir den neugeweihten Priester des dritten Ordens der Franziskaner Anfang der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts auf dem Schiff nach Brasilien kennenlernten. Schon als Bub wollte er Missionar im Amazonasgebiet werden.
Dort, in dem kleinen Ort Guajara Mirim an der bolivianischen Grenze, begann er die Gemeinden entlang der Nebenflüsse des Amazonas zu besuchen. Wochenlang war er mit dem Schiff unterwegs.
Die Gemeinden hatten oft schon über ein Jahr keinen Priester mehr gesehen. Nie kam er auf die Idee, deshalb den Zölibat infrage zu stellen. Er sah die Situation vielmehr als eine Herausforderung, sich der Jugend zuzuwenden und er erkannte in der Not dieser Dörfer auch eine spirituelle Kraft. Auf den Priester zu warten bedeutete viel Eigenverantwortung, Sehnsucht nach dem Sakramenten und tiefe Ehrfurcht wenn sie empfangen werden konnten. Ende der siebziger Jahre zum Bischof geweiht gelang es ihm, einen einheimischen Klerus zu formen. Die Jugend öffnete sich dem ach so unverständlichen Zölibat, wie sie es zu allen Zeiten in allen Völkern und Kulturen getan hat. Die Diözese konnte geteilt werden. Die Menschen sahen nun regelmäßig einen Priester. Don Géraldo, wie ihn die Menschen nannten, war durch und durch ein Kind des Zweiten vatikanischen Konzils.
Jede Art von Klerikalismus war ihm fremd. Die Schlichtheit seines Auftretens und seiner Liturgie, die Freundschaft die er mit den Menschen pflegte, seine Nahbarkeit, all das überzeugte. Mit der öffentlichen Kritik an der Ausbeutung der Kautschukzapfer riskierte er sein Leben. Er war ein Pfarrer von Ars seiner modernen Zeit. Mein Vater, der sich längst der Tradition zugewandt hatte, konnte ihm nicht widerstehen, wenn er bei seinen Europabesuchen an unserem Esstisch, nur mit Stola über dem Hemd, die hl. Messe zelebrierte. Dom Géraldo überzeugte durch und durch mit seinem Glauben. Die Indianerstämme in seiner Umgebung missionierte er nicht direkt, er pflegte mit ihnen Freundschaft. Sie selber waren es, die ihn nach Ältestenbeschluss um die Taufe baten. Ganz Realist, sah er neben dem Heil der Seelen die soziologische Dimension dieser Entwicklung. Wenn die westliche Zivilisation kommt, und sie kommt, haben diese Naturreligionen keine Chance, den Menschen jenes Gegengift zu geben, dass sie brauchen, um nicht den negativen Seiten dieser Zivilisation völlig ausgeliefert zu sein. Als einem Mann des Glaubens und der Kirche, als einem, der seine persönliche Freundschaft mit Jesus Christus in jedem Moment ausstrahlte, verstand er es, in allen Bereichen seines bischöflichen Dienstes die übernatürliche Dimension zu sehen.
Amtskollegen, die die Kirche kritisierten und konkretistische Lösungen für die Probleme des Amazonas, wie die Abschaffung des Zölibats, forderten, stand er mit großer Skepsis gegenüber. Er wusste, dass Ausnahmen in diesem Bereich den jungen Leuten die Motivation für den Zölibat nehmen würde. Den Laien, die in allen Völkern in das Gefüge ihrer Familien und Dorfgemeinschaften verstrickt sind, würde etwas Wesentliches, nämlich der Priester als Zeuge der Erlösung, der Freiheit und Unabhängigkeit, die Christus schenkt, genommen werden.
Eine Freiheit und Unabhängigkeit, die zugleich eine besondere Weise der Offenheit und Nähe zu den Menschen darstellt. Möge der Geist dieses 2017 verstorbenen, heiligmäßigen Bischofs auf der Synode und in ihrem Schlussdokument eine Stimme haben!
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