Was auf dem Spiel steht. Es geht nicht um Amazonas – es geht ums Ganze

19. Oktober 2019 in Aktuelles


Der spektakuläre Bruch mit der dogmatisch verbindlichen Überlieferung. Wenn das II. Vatikanische Konzil und die gesamten das Konzil interpretierenden Dokumente des nachkonziliaren Lehramts ignoriert werden. Von Walter Kardinal Brandmüller


Rom (kath.net/wb/as) Zu meinen, es liege den Promotoren der gegenwärtigen Bischofssynode tatsächlich nur das Wohl und Wehe der eingeborenen Stämme der Amazonas-Wälder am Herzen, wäre ein folgenreicher Irrtum. Diese werden vielmehr offenbar instrumentalisiert, um eine gesamtkirchliche Agenda entscheidend voranzutreiben, die in ihren Grundzügen ins 19. Jahrhundert zurückreicht.

Was dabei auf dem Spiel steht, ist nicht mehr und nicht weniger als der katholische Glaube, der jüdisch-christliche Glaube schlechthin. Dabei lautet die zunächst entscheidende, grundsätzliche Frage: „Was überhaupt ist Religion?“.

Dass „Religion“ ein wesentliches Element menschlicher Existenz ist, ist nahezu unbestritten. Keineswegs ist jedoch klar bzw. allgemein anerkannt, was dann darunter zu verstehen sei. Eben darauf gibt es durchaus widersprüchliche Antworten. Im Wesentlichen betreffen diese die Frage, ob Religion etwa als Ergebnis menschlicher Versuche zur Erhaltung und Bewältigung der eigenen Existenz zu verstehen sei, ergo als menschliches Kulturprodukt – oder anders zu verstehen sei.

Im ersteren Falle entsteht Religion aus der Reflexion über die Erfahrung der existentiellen Tiefen der Person, namentlich ihrer Endlichkeit. Das aber bedeutet, dass Religion nichts anderes ist als Begegnung des Menschen mit sich selbst. Das wäre dann auch die Konsequenz aus dem Kult der Vernunft wie die Aufklärung ihn betrieben hat. Hier nun – es sei an Rousseau erinnert – begegnet aber auch das Ideal des „edlen Wilden“ als Kontrast zum aufgeklärten europäischen Selbstdenker.

Religion als Begegnung mit sich selbst – ein Begriff von Religion, der indes erhebliche Konsequenzen hat, insofern mit der lebensgeschichtlichen Entwicklung der Person notwendigerweise Wandlungen, wenn nicht Widersprüche, solcher „religiöser“ Erfahrungen verbunden sein können. Hier greift dann auch der Begriff der Evolution Platz, der bedeutet, dass mit dem Fortschreiten der menschlichen Entwicklung auch eine Entwicklung der religiösen (Selbst-)Erfahrung verbunden ist. In deren Folge können dann jeweils neue Erkenntnisse früher gewonnene Einsichten übersteigen, ablösen – oder aber zu dem als Fortschritt begriffenen Rückschritt hinter-im Falle „Amazonas“ – die aus Europa gebrachte Kultur führen.

Zu diesem Begriff von Religion als Selbstrealisierung des Menschen steht jener der jüdisch-christlichen Geschichte in schroffem Gegensatz.
Wenn Juden und Christen von Religion – mit all ihren Ausdrucksformen in Lehre, Moral und Kult – sprechen, dann meinen sie damit die Art und Weise, wie der Mensch auf eine von außen an ihn herantretende außer- bzw. überweltliche Wirklichkeit antwortet. Es geht – im Klartext – um die Antwort des Menschen auf die Selbstmitteilung-Offenbarung des Schöpfers an sein Geschöpf Mensch. Es ist dies ein eigentliches dialogisches Geschehen zwischen Gott und Mensch.

Gott spricht – in welcher Form auch immer – und der Mensch gibt Antwort. Es ist dies ein Dialog. Der Religionsbegriff des Modernismus hingegen meint einen Monolog: der Mensch bleibt mit sich selbst allein.

Dieses dialogische Geschehen hat mit dem Anruf Gottes an den Menschen begonnen, wie die Geschichte des Volkes Israel bezeugt.

Die Anrede Gottes an sein auserwähltes Volk erging im Laufe einer bewegten Geschichte auf jeweils höher führenden Stufen. Der Hebräerbrief beginnt mit folgenden Worten: „Viele Male und auf vielerlei Weise hat Gott einst zu den Vätern gesprochen durch die Propheten, in dieser Endzeit aber hat er zu uns gesprochen durch den Sohn“, jenen Sohn, den das Johannesevangelium das fleisch=menschgewordene Wort des Ewigen Vaters nennt. Er ist und bringt die endgültige Offenbarung, die in den biblischen Büchern schriftliche Form angenommen hat, und in der authentischen mündlichen Überlieferung der von Jesus Christus auserwählten Jüngergemeinschaft, aus der die Kirche erwachsen ist. All dies ist ein für allemal geschehen und räumlich und zeitlich, universal gültig.

Das aber heißt auf unser konkretes Problem „Amazonas-Synode“ bezogen, dass der oben dargestellte Sachverhalt einen Begriff von Religion ausschließt, der irgendwelche geographischen oder zeitlichen Begrenzungen enthält. Das aber heißt, dass auch eine amazonische Kirche theologisch undenkbar ist.Es ist die eine, heilige, katholische und apostolische (und damit auch römische) Kirche, der die Weitergabe des Evangeliums und der Gnade Christi an alle Völker aller Zeiten anvertraut ist, und der zur Erfüllung dieser Sendung Licht und Kraft des Geistes Gottes verheißen ist.

Dieser Sendung wird sie mit dem Beistand des Heiligen Geistes durch die Erfüllung ihres Lehr- und Hirtenamtes im Laufe der Geschichte gerecht.

Dies von Vornherein klargestellt, ist nun auf eine geradezu alarmierende Beobachtung hinzuweisen. Das „Instrumentum laboris“ der Synode enthält – abgesehen von gerade einmal fünf eher marginalen Zitaten – keinerlei Bezugnahme auf Konzilien und päpstliches Lehramt. Besonders spektakulär ist die totale Abwesenheit des II. Vatikanums (abgesehen von zwei eher marginalen Bezugnahmen). Dass so wichtige und thematisch einschlägige Dokumente wie das Missionsdekret „Ad gentes“ ganz abgesehen von den großen Konstitutionen über die Liturgie, Offenbarung und Kirche an keiner Stelle zitiert werden, ist schlechthin unverständlich. Gleiches gilt vom nachkonziliaren Lehramt und den bedeutenden Enzykliken.

Dieses Ignorieren der Lehrüberlieferung der Kirche und der Umstand, dass an deren Stelle quasi ausschließlich die Lateinamerika-Synode von Aparecida des Jahres 2007 berücksichtigt wird, kann nicht anders denn als spektakulärer Bruch mit der bisherigen Geschichte verstanden werden. Außerdem lässt die Quasiverabsolutierung dieser Versammlung auch die Frage nach dem lateinamerikanischen Verständnis von gesamtkirchlicher Communio stellen.

Schließlich sei auch noch – eher am Rande – auf einen offenen Widerspruch des Instrumentum laboris zum Missionsdekret „Ad gentes“ hingewiesen. Heißt es dort (Nr. 12), dass die Kirche auf keinerlei Weise (nullo modo!) sich in die Politik (sc. der Missionsländer) einmischen wolle und darum keinerlei weltliche Autorität beanspruche. Dies ist eine eindeutige Aussage in einem Konzilsdokument, der allerdings weiteste Passagen des „Instrumentum laboris“ diametral widersprechen.

Kurzum: Die Verfasser des „Instrumentum laboris“ ignorieren das II. Vatikanische Konzil und – wie erwähnt – die gesamten das Konzil interpretierenden Dokumente des nachkonziliaren Lehramts. Das aber bedeutet – wie erwähnt – einen Bruch mit der dogmatisch verbindlichen Überlieferung. Eigentlich auch mit der Universalität der Kirche. Der Umstand, dass dieser Bruch gewissermaßen „unter der Hand“, d. h. versteckt, heimlich ins Werk gesetzt wird, ist umso bestürzender. Die hier praktizierte Methode folgt allerdings dem Vorbild von „Amoris laetitia“, wo der Versuch, die Lehre der Kirche auszuhebeln, in der – mittlerweile viel diskutierten – Fußnote 351 enthalten ist.

Im Rückblick auf das Gesagte mag klar geworden sein, dass es bei den Auseinandersetzungen um die Amazonas-Synode nur sehr vordergründig um die zahlenmäßig geringe indigene Bevölkerung des Amazonas geht.

Vielmehr drängt sich die beängstigende Frage auf, ob es den Protagonisten dieser Synode nicht vielmehr um den Versuch geht, die Religion als Antwort des Menschen auf den Anruf seines Schöpfers klammheimlich durch eine pantheistische Naturreligion des Menschen zu ersetzen – eine neue Variante des Modernismus vom Anfang des 20. Jahrhunderts. Es fällt schwer, dabei nicht an die eschatologischen Texte des Neuen Testaments zu denken!

Nun liegt es an den zur Amazonas-Synode versammelten Bischöfen – und schließlich an Papst Franziskus –, ob ein solcher Bruch mit der für die Kirche konstitutiven Überlieferung ungeachtet der unausweichlichen, dramatischen Folgen geschehen kann.

Die Bemerkungen von Papst Franziskus über das zu erwartende Schicksal des „Instrumentum laboris“ – können sie Hoffnung wecken?


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